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Der Frühling war dem Winter gefolgt, und die heißen Tage des Sommers reihten sich ihm an, als ich fröhlich und wohlgemut auf einem alten gebrechlichen, dafür aber mit schöner Musik ausgerüsteten Dampfboot den Missouri hinunterreiste.
Anfangs bildeten die wenigen Passagiere eine ziemlich gemischte und etwas rauhe Gesellschaft; je häufiger sich aber zu beiden Seiten Ansiedelungen, Dörfer und Städte wiederholten, um so mehr traten an Stelle der verwilderten westlichen Gestalten der feine schwarze Leibrock, der sauber gebürstete Zylinderhut, das seidene Kleid und der grüne Schleier, bis ich zuletzt der einzige Reisende an Bord war, der statt der modischen Stiefel perlengesticke Mokasins und statt der Erzeugnisse eines gediegenen Kleiderkünstlers nur eine phantastisch geschnittene Umhüllung von festem Elkleder trug.
Ich erreichte bald St. Louis, mein nächstes Ziel. Meine geringen Habseligkeiten hatte ich auf dem Dampfboot zurückgelassen und wanderte nun, nur mit Büchse, Pulverhorn und Kugeltasche beladen, leichten Herzens durch die prachtvoll bewaldeten Ländereien dahin, als ob der alte Lederrock und alles übrige, was mich sonst noch beschwerte, nicht mehr Gewicht besessen hätte als der Federstaub auf den breiten, stahlblau schillernden Schwingen der Trauerfalter, die mich in reicher Zahl beständig umspielten.
Zu meinem Wege hatte ich die offene Landstraße gewählt, in deren Nähe sich mir manches bot, was ich seit langer Zeit nicht mehr aus nächster Nähe betrachtet hatte.
Da waren zum Beispiel Lichtungen und auf diesen mächtige Einfriedigungen von langen Holzscheiten, in regelmäßigem Zickzack acht Fuß hoch übereinandergestapelt; hinter den Einfriedigungen lagen Mais- und Weizenfelder oder Gärten mit reich beschwerten Obstbäumen – lauter Sachen, die ich sehr aufmerksam prüfte, ob sie auch noch so aussähen wie vor zwei Jahren. Ferner erblickte ich Kühe und Schweine, und zwar wirkliche Schweine, die sich so wonniglich in einem Winkel der Einfriedigung sonnten, daß ich nicht umhin konnte, sie zu erschrecken und aufzujagen, um mich an ihren ungeschickten Sprüngen zu ergötzen.
Dann sah ich auch kleine Gehöfte, bald von Blöcken roh aufgeführt, bald hübsch sauber gezimmert und mit weiß gestrichenen Brettern überzogen, oder auch gar prangend mit roten Ziegelsteinmauern, was schon auf eine größere Wohlhabenheit des Besitzers deutete. Von den Schindeldächern schauten kleine Schornsteine neugierig nach der Landstraße hinüber, und aus den Schornsteinen wirbelte Rauch empor; es war ja Mittag und die Leute wollten essen.
Auf den Höfen spazierten gravitätisch Haushähne umher, während einzelne Mitglieder ihrer zahlreichen Familie sich im heißen Staub badeten und andere ihre noch in weichen Flaum gehüllte Nachkommenschaft sorgsam bewachten und mißtrauisch nach den zanksüchtigen Perlhühnern hinüberschauten, die sich gebärdeten, als ob sie die alleinigen Besitzer des Hofes wären.
Ja, alles das sah ich, und alles war mir neu, nachdem ich vor acht Tagen erst die Wildnis am oberen Missouri verlassen hatte.
Neu auch erschienen mir die Farmerkinder in gesponnenen und gewebten Kleidern, die vor dem einen Gehöft auf der Landstraße Fangball spielten, und erst recht fremd war mir eine Strecke weiter eine leibhaftige lange deutsche Pfeife, die im Schatten eines mächtigen Hickory-Nußbaumes über eine Gartenpforte hinüberhing und wie der Schornstein einer Rübenzuckerfabrik dampfte.
Ja, die lange deutsche Pfeife war mir am neuesten, weil ich seit Jahren nichts als kurze Tonpfeifchen und indianische Kalumets gesehen hatte. Sie war mir in der Tat so fremd und lächelte mir dabei so heimisch entgegen, daß ich vor Verwunderung mitten auf der Straße stehen blieb, sie anstarrte und gar nicht beachtete, daß sie auf der andern Seite der Pforte in sehr naher Verbindung mit einem Menschenkinde stand, das ebenso verwunderungsvoll zu mir herüberschaute.
»Wenn Sie die Pfeife lange genug betrachtet haben, dann wenden Sie doch gefälligst auch mir Ihre Aufmerksamkeit etwas zu«, erschallte darauf eine freundliche männliche Stimme, und eine feine, aber von der Sonne braun gebrannte Hand legte sich an das Rohr, um die Pfeife vor dem Fallen zu bewahren.
»Dacht' ich's doch, daß nur ein Deutscher an dem dünnen Ende dieses merkwürdigen Instrumentes befestigt sein könne«, entgegnete ich, die Büchse von der Schulter nehmend und näher an die Pforte herantretend.
»Die lange Pfeife ist meine schwache Seite«, entgegnete gutmütig lachend der Farmer, ein stattlich gebauter Mann mit schönen blauen Augen, einem dichten, vollen, dunkelbraunen Bart und nicht weniger dichtem, braunem Haupthaar, das indessen schon etwas ins Graue spielte; »aber treten Sie näher, wenn ich bitten darf; an der Aufmerksamkeit, die Sie meiner Pfeife schenkten, erkannte ich auch in Ihnen einen Deutschen, und Ihr Lederhemd belehrt mich, daß Sie direkt von oben herunterkommen.«
»Gewiß komme ich von oben herunter,« versetzte ich, durch die geöffnete Pforte eintretend und die mir dargebotene Hand kräftig schüttelnd, »ich befinde mich auf dem Wege nach St. Louis, und Sie würden mich sehr verbinden, wollten Sie mir die nächste Richtung nach Chouteaus Farm angeben; es lebt dort ein Bekannter von mir, dem ich einen Besuch abstatten möchte.«
»Sie meinen den Doktor Bonfils? Lassen Sie den; haben Sie Zeit, Besuche abzustatten, so besuchen Sie vor allen Dingen mich und erzählen Sie mir, wie es oben aussieht. Sie müssen nämlich wissen, daß auch ich lange Jahre das Lederhemd trug und es mir stets einen großen Genuß gewährt, mit jemandem zusammenzutreffen, der sich dort oben etwas umgesehen hat.«
»Also auch Sie sind am oberen Missouri gewesen?« fragte ich angenehm überrascht, indem ich an meines Gastfreundes Seite dem zierlichen Häuschen auf dem andern Ende des Gartens zuschritt und zum erstenmal bemerkte, daß sein rechtes Bein im Kniegelenk steif war.
»Bereits vor achtzehn Jahren,« lautete die Antwort, »nicht wahr, es ist schön dort oben? Ja, ja, die Wildnis besitzt einen eigentümlichen Reiz und ich möchte wohl noch einmal nach dem Yellow-Stone, wenn auch nur besuchsweise, zurückkehren. Aber ich fange an, bequem zu werden; bin auch nicht mehr im freien Gebrauch aller meiner Glieder. Aus dem abenteuernden Pelzjäger ist ein friedlicher Gärtner und Weinbauer geworden, und was für ein Weinbauer, das sollen Sie selbst entscheiden, nachdem Sie meine Jahrgänge von A bis Z, oder vielmehr von 46 bis 51 durchgeprobt haben. Nicht wahr, Sie bleiben?«
Bei diesen Worten stand er still und indem er mir zutraulich die Hand hinhielt, blickte er mich mit seinen großen schönen Augen so freundlich an, daß ich meine Hand mit lautem Schall in die seinige fallen ließ und meine Freude darüber aussprach, gerade in seinen Weg geführt worden zu sein.
»Das ist brav von Ihnen,« rief er heiter aus, »keine Umstände gemacht, angeboten, angenommen, gerade so, als wenn wir uns noch oben befänden, und wenn sich je zwei Menschen genußreich unterhalten haben, so werden wir es sein, wenn wir bei einer Flasche Wein – doch was sage ich? – bei so viel Flaschen Wein, wie Ihnen gefällt, uns gegenseitig unsere Erlebnisse im fernen Westen mitteilen!«
Während wir darauf eine kurze Strecke schweigend nebeneinander zurücklegten, betrachtete ich meinen liebenswürdigen Gastfreund von der Seite, und ich muß gestehen, daß ich lange keinem Menschen begegnet war, der einen so günstigen Eindruck auf mich gemacht hatte. Denn trotz seiner äußeren Einfachheit bekundete er nicht nur in jedem Wort, in jeder Bewegung einen Mann von sorgfältiger Erziehung, sondern er war auch eine stattliche Erscheinung, und wiewohl auf seinem Antlitz ein sinnender Ernst ruhte, fehlte doch wieder nicht der Zug, der auf ein heiteres Gemüt und große Menschenfreundlichkeit hindeutete.
Seine aufrechte Haltung und seine braunen wetterzerrissenen Wangen zeugten von Kraft, Gesundheit und von Mäßigkeit; genug, er bot das ansprechende Bild eines westlichen Ansiedlers im besten Sinne des Wortes, eines Ansiedlers, zu dem man leicht Zutrauen faßt und dessen Gastfreundschaft man ohne Scheu, im Gegenteil, mit einer Art von heimatlichem Gefühl entgegenzunehmen geneigt ist.
»Sie kommen von St. Charles, wenn ich nicht irre,« begann der Farmer endlich wieder, als wir uns dem Häuschen mit den Ställen bis auf etwa dreißig Schritte genähert hatten, »Sie müssen hungrig sein, wenn Sie nicht bereits unterwegs eingekehrt sind.«
»Eingekehrt bin ich nirgends, und da die Mittagszeit bereits vorüber ist, so bitte ich dringend, sich meinetwegen keine Störungen zu verursachen. Sie erinnern sich, wir im Westen sind nicht an bestimmte Mahlzeiten gebunden; wir essen, wenn wir etwas haben, und warten, wenn es uns an Speisen gebricht.«
»Gerade deswegen gestatten Sie mir, Ihnen etwas vorzusetzen. Meine Frau soll es Ihnen selbst bereiten, und zwar so, daß Sie noch einmal recht lebhaft an die Rocky-Mountains erinnert werden. Ja, ja, glauben Sie mir, meine Frau versteht ein Stück Rindfleisch auf Kohlen zu rösten und etwas Mark aus einem Beinknochen darüberlaufen zu lassen. Jeannette, Jeannette!« rief er sodann ins Haus hinein; »Jeannette, sei doch so gut und komme einmal hervor!« Gleich darauf trat uns eine schlanke Gestalt aus der Tür entgegen. In ihr eine deutsche Hausfrau vermutend, zog ich meinen Hut, um sie nach deutscher Sitte zu begrüßen.
Kaum aber hatte ich einen Blick auf ihr Antlitz geworfen, so blieb ich, vor Überraschung keines Wortes mächtig, mit dem Hut in der Hand stehen, denn nicht eine Deutsche war es, die vor mir stand, sondern eine Halbindianerin, die, obwohl die erste Jugendfrische hinter ihr lag, von ganz ungewöhnlichem Liebreiz umflossen war. Aber nur ihre braun angehauchte Haut, die tiefe Schwärze der nachlässig aufgesteckten lockigen Haare und die großen dunklen, melancholischen Augen erinnerten an ihre Verwandtschaft mit den Eingeborenen des Landes. Im übrigen, in der Kleidung sowohl als auch in ihrem Wesen, zeigte sie das Wesen einer gebildeten Frau, die in der getreuen Erfüllung häuslicher Pflichten ihre größte Befriedigung findet.
»Jeder Freund meines Mannes ist mir herzlich willkommen«, sagte die schöne Farmerin in reinem, wenn auch etwas fremdländischem Deutsch, indem sie mir mit einem zutraulichen Lächeln ihre schmale lichtbraune Hand darreichte.
»Und ich bitte um Vergebung, wenn ich irgendwelche Störung verursacht haben sollte«, versetzte ich, noch immer den Hut in der Hand.
Mein Gastfreund hatte meine Überraschung bemerkt. Er schlug mich leicht auf die Schulter und mit unverkennbarem Stolz auf seine Gattin deutend, rief er aus: »Sie sind gerade vor die rechte Tür gekommen; meine Frau sieht jetzt zwar nicht mehr danach aus, als ob sie in ihrem Leben viel Büffelfleisch auf Prärieart zubereitet habe, deshalb hat sie aber die alten Kunstgriffe noch nicht verlernt; sorge ich doch dafür, daß sie nicht aus der Übung kommt, nicht wahr, Jeannette?«
Frau Jeannette nickte ihrem Gatten mit dankbarem Ausdruck zu, und dieser fuhr darauf fort: »Also meine gute Jeannette, unser Gast ist halbverhungert, zeige ihm daher, was du vermagst, und glaube mir, ein Stück Fleisch auf echte Mandanen-Art zubereitet wird ihm wie ein Gruß aus weiter Ferne erscheinen.«
Frau Jeannette grüßte mich noch einmal mit holder Schüchternheit und verschwand geräuschlos im Hause, und der Farmer wendete sich mir wieder zu.
»Dort ist eine schattige Laube,« begann er zuvorkommend, »die Stuben in meinem Hause sind ebenfalls kühl, sogar noch kühler, wählen Sie daher, wo Sie die nächsten Stunden zubringen wollen; aber was fehlt Ihnen?« fuhr er heiter fort, als er gewahrte, daß ich ihn befremdet betrachtete, denn in meinem Kopf schwirrten die Worte Mandanen, Jeannette, Halbindianerin wild durcheinander, »erscheint es Ihnen so unbegreiflich, daß aus einem Indianermädchen eine so prächtige deutsche Hausfrau hat werden können?«
»Nein, das ist mir nicht unbegreiflich,« entgegnete ich mit einem forschenden Blick auf das Steife Knie meines Gastfreundes, »ich verglich in Gedanken nur die beiden Namen Jeannette und Schanhatta miteinander und fand eine große Ähnlichkeit zwischen ihnen.«
Jetzt war an dem Farmer die Reihe zu erstaunen.
»Was wissen Sie von Schanhatta?« fragte er, »lebt denn dort oben das Andenken an die brave Mandanen-Waise noch fort oder hat Ihnen jemand von mir und meinen Erlebnissen erzählt?«
»Mehr als das, Herr Gustav Wandel,« antwortete ich, und unwillkürlich faßte ich nach meiner Kugeltasche, in der das Manuskript steckte, »ja, betrachten Sie mich immerhin ungläubig; die Wege, auf denen die Menschen geführt werden, sind oft wunderbar. Meine Gesichtszüge haben sich verändert und konnten freilich nicht in Ihrem Gedächtnis bis auf den heutigen Tag fortleben, wie auch Sie mir äußerlich fremd geworden sind, doch ist es nicht das erstemal, daß wir einander begegnen. Wir standen einst sogar auf einem sehr vertrauten Fuß miteinander.«
Statt aller Antwort blickte Wandel mir lange in die Augen. »Ich entsinne mich nicht – nein – ich kann Ihnen nicht begegnet sein« –
»Erinnern Sie sich vielleicht des kleinen, flachsköpfigen unverschämten Herrn vom Jesuitenhofe?«
»Was! Sie der Herr vom Jesuitenhofe?« rief Wandel förmlich verwirrt aus, indem er seine beiden Hände auf meine Schultern legte, »geschehen denn Wunder? Sie wären der Herr vom Jesuitenhofe?«
»Leider verwirklichen sich nur selten die Träume des Kindes«, erwiderte ich ernst, denn auch ich konnte ja so manches von dem Wechsel des Schicksals erzählen, »ich bin derselbe, der sich einst dem flüchtigen Gustav Wandel in knabenhaftem Übermute als den Herrn vom Jesuitenhofe vorstellte; die glückliche Familie aber, die Sie damals auf dem Jesuitenhofe begrüßten, schläft zum größten Teil unter dem kühlen Rasen, und wo einst Freunde und Fremde die unbegrenzteste Gastfreundschaft fanden, da finden sie jetzt eine – Gastwirtschaft. Doch lassen wir das, beschäftigen wir uns nur mit Ihnen«, fuhr ich fort, als ich gewahrte, daß Wandel seine Hände von meinen Schultern gleiten ließ und in tiefes wehmütiges Sinnen versunken vor sich auf den Boden starrte; »ich habe Ihnen etwas Erfreuliches mitzuteilen, was Sie noch mehr überraschen wird.«
»Kommen Sie nach der Laube«, fuhr Wandel plötzlich auf, indem er seinen Arm unter den meinigen schob und mich mit sich fortzog; »ein guter Gott hat Ihre Schritte hierher gelenkt. Fort lasse ich Sie fürs erste nicht wieder, und wenn Sie mir eine Freude bereiten wollen, dann schalten und walten Sie auf meinem Eigentum, als wenn Sie der Herr hier wären. Gott im Himmel! daß mir der Trost zuteil wird, mit jemand zusammenzutreffen, den ich einst dort drüben kannte«, fügte er, wie zu sich selbst sprechend, hinzu, und schweigend legten wir die kurze Strecke bis nach der Laube zurück.
Nachdem wir uns im Schatten der dicht verschlungenen Weinranken niedergelassen hatten, nahm ich zuerst wieder das Wort.
»Die Mandanen-Waise hat also an Ihrer Seite den Lohn für ihre hingebende Liebe und Treue gefunden?« fragte ich, Wandel aus seinen Sinnen wachrufend.
»Seit fast zwölf Jahren sind wir verheiratet,« antwortete er emporschauend, »seit fast zwölf Jahren ist sie mir Schülerin, Freundin und Gattin, seit zehn Jahren auch Mutter unserer einzigen lieblichen Tochter. Aber sie heißt nicht Schanhatta; Schanhatta ist nur die indianische Aussprache des Namens Jeannette, der ihr von ihrem Vater beigelegt wurde.«
»Sie glauben nicht, welche warme Teilnahme ich für Sie und Ihr Geschick gehegt habe,« versetzte ich, denn ich konnte kaum noch die Zeit erwarten, in der ich dem ehemaligen Trapper seine Handschrift vorgelegt haben würde, »daß Sie nach Ihrer Trennung von den Dalefields von der Insel entkommen sein mußten, reimte ich mir wohl zusammen, doch was weiter aus Ihnen geworden war, vermochte ich nicht zu ergründen. Ich war jetzt auf dem Wege, Kate aufzusuchen, um von ihr das Nähere über Sie zu erfahren –«
»Sie haben mein Manuskript gefunden!« unterbrach mich Wandel jetzt, indem er emporsprang.
»Wenn dies Ihr Manuskript ist, dann habe ich es allerdings gefunden«, entgegnete ich, die Papierrolle hervorziehend und, nachdem ich die Umhüllung entfernt hatte, sie Wandel überreichend.
»Mein Manuskript, die Arbeit mancher einsamen Stunde. Oh, welche Erinnerungen knüpfen sich daran«, sagte er bewegt, indem er die Rolle mit zitternden Händen auseinanderschlug.
»Aber sagen Sie mir, wie ist es Ihnen gelungen, dem schrecklichen Blackbird, so hieß der Indianer, in dessen Händen ich mein Manuskript zurücklassen mußte, diesen Schatz zu entreißen?«
»Blackbird ist bereits seit Jahren tot; seinen an der weißen Locke nicht zu verkennenden Skalp sah ich an dem Medizinranzen eines Ottoe-Kriegers hängen.«
»Also doch gewaltsam ums Leben gekommen? Nun, sein blutiges Ende war verdient; und dennoch bedauere ich ihn, denn er hat, natürlich ohne es zu wollen, mir einen großen, einen unberechenbaren Dienst geleistet. Das Manuskript befand sich wohl in demselben Medizinbeutel, an dem Blackbirds Skalp befestigt war?«
»In demselben Medizinbeutel; der Ottoe hatte beide Teile zugleich erbeutet«, antwortete ich, und sogleich begann ich zu schildern, auf welche Weise es mir gelungen war, die Rolle in meinen Besitz zu bringen.
Als ich geendigt, blickte Wandel mir wieder eine Weile sinnend in die Augen. »Es ist seltsam,« sagte er dann, wie im Selbstgespräch, »als ich Sie an der Gartenpforte begrüßte, wer hätte da geahnt, daß Sie mit meiner Lebensgeschichte, ja noch mehr, mit meinen verborgensten Herzensregungen fast ebenso vertraut geworden seien wie ich selbst?«
»Da ich nun Ihre Lebensgeschichte bis in die kleinsten Einzlenheiten kenne, auch so glücklich gewesen bin, Ihnen Ihr seit Jahren verloren geglaubtes Manuskript überreichen zu können, habe ich dadurch vielleicht das Recht erworben, auch nach dem Teil Ihrer Erlebnisse fragen zu dürfen, der zwischen dem Schluß Ihrer aufgezeichneten Nachrichten und der Gründung Ihres häuslichen Herdes liegt?«
»Sie haben nicht nur ein Recht, danach zu fragen,« erwiderte Wandel, mir die Hand freundschaftlich drückend, »sondern ich fühle auch die Verpflichtung, das, was Sie über mich wissen, zu einem Abschluß zu bringen; und der am wenigsten wunderbare Teil meiner Erlebnisse ist es wahrlich nicht, der mir noch zu erzählen bleibt. Aber nicht jetzt, mein lieber Freund; ich wäre nicht imstande dazu. Wir müssen vorher vertrauter miteinander werden; Sie müssen mir von sich erzählen und von unserer gemeinsamen Heimat; ein Austausch von Gedanken und Ideen muß vorher stattgefunden haben, und dann, wenn ich mich erst daran gewöhnt habe, Sie, den ich eben noch als einen fremden Wanderer willkommen hieß, als einen Freund zu betrachten, vor dem ich nichts geheimzuhalten brauche, dann will ich so weitererzählen, als ob ich noch an jenem flachen Stein säße und dem Papier meine Empfindungen und Erlebnisse anvertraute.«
»Einverstanden, von ganzem Herzen einverstanden,« entgegnete ich schnell, »ich begreife, Sie können unmöglich in der ersten Viertelstunde unserer Bekanntschaft in der Stimmung sein, zu erzählen; aber ich bin geduldig und zugleich zu sehr gespannt, als daß ich mich von Ihrem Grund und Boden entfernen möchte, ohne den Schluß des Romans Ihres Lebens erfahren zu haben.«
Unser Gespräch stockte, als Schanhatta in der Laube erschien, um die Vorrichtungen zu einem ländlichen Mahle zu treffen. Sie benahm sich dabei mit einem Anstande, der von sorgfältiger Erziehung zeugte, und mit einer Anmut, die wohl angeboren aber nicht anerzogen werden kann.
Dabei dieses liebevolle Forschen nach den leisesten Wünschen ihres Gatten und dieses Trachten, ihnen stets zuvorzukommen!
Und dabei sprach sie ein Deutsch, wie man Reizenderes kaum hören konnte.
Geschäftig, als wäre sie in einer deutschen Wirtschaft geboren und erzogen worden, trug sie die von den landesüblichen Gerichten begleiteten, nach Prärieweise gerösteten Fleischschnitten auf, und ebenso geschäftig beeilte sie sich, einige besonders bezeichnete Flaschen des edlen Kataubaweins herbeizuschaffen.
Dann aber setzte sie sich zwanglos zu uns hin, und nachdem sie erfahren, auf welche Weise ich Kenntnis von ihrer und Wandels Vergangenheit gewonnen hatte, beteiligte sie sich frei an unserer Unterhaltung.
Um die Mitte des Nachmittags wurde das eifrige Gespräch, dem wir uns hingegeben hatten, auf eine liebliche Weise unterbrochen. Zu uns sprang nämlich ein wunderbar schönes zehnjähriges Mädchen, noch ganz erhitzt von dem weiten Schulweg, in die Laube und begrüßte mit holdem, kindlichem Wesen zuerst die Mutter und dann den Vater. Mir wurde sie dann als Johanna, die Tochter des Hauses, vorgestellt.
Verwundert betrachtete das Kind den fremden Mann in dem merkwürdig befransten Lederrock; als es aber gewahrte, daß die Eltern mit ihm auf freundschaftlichem Fuße standen, da duldete es gern, daß ich die schwarzen Locken von seiner weißen erhitzten Stirne strich, lange in seine großen, blauen unschuldvollen Augen schaute und schließlich einen Kuß auf die kleinen zierlichen, etwas aufgeworfenen frischen Lippen drückte.
»Sie haben sich nicht über das Geschick zu beklagen«, sagte ich zu meinem Gastfreunde, indem ich meine Blicke im Kreise herumsandte und mich an dem Ausdruck glücklicher Zufriedenheit weidete, die so verständlich aus jedem einzelnen Antlitz sprach.
»Bewahre mich Gott, daß ich mich jemals durch eine Klage versündige«, entgegnete Wandel mit dem ihm eigentümlichen Ernst; »duftende Blumen und schwer verletzende Dornen durchweben das menschliche Leben; wohl demjenigen, dem es von einem freundlichen Geschick beschieden wird, daß die Tage des Glücks heilend und lindernd auf die tief geschlagenen Wunden einwirken und sie allmählich schließen. Mögen immerhin Narben zurückbleiben, sie schmerzen nicht mehr; im Gegenteil, diese Narben sind die heilige Verbindungskette zwischen uns und denjenigen, denen wir einst in treuer Liebe zugetan waren und die nur um eine kurze Spanne Zeit uns voraus in eine andere Welt hinübergingen.«