Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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Eine neue Bekanntschaft

Acht Wochen waren seit unserm Aufbruch verstrichen; meine Jagdbeute hatte ich teils zu Geld gemacht, teils für Stoffe, Kleidungsstücke, Munition und die für den Sommer erforderlichen Lebensbedürfnisse hingegeben, und wohlgemut zogen wir nun durch die romantische, den obern Missouri charakterisierende Wildnis dahin, als ob in unsern Herzen derselbe Sonnenschein gewohnt hätte, der vom Himmel auf die im heitersten Grün prangende Landschaft niederlachte.

Am Fuße eines schroffen Felsenhügels und auf dem Ufer des frisch sprudelnden Baches hatten wir um die Mittagszeit die Pferde gepflöckt. Ein mächtiger Elkhirsch, den ich an jener Stelle erlegte, war die Ursache, daß wir halten blieben, und da die Umgebung so überaus lieblich war, auch die Zubereitung der Wildhaut und das Dörren des überflüssigen Fleisches einige Zeit erforderte, so beschloß ich, bis zum nächstfolgenden Tage daselbst zu verweilen.

Während ich mit dem Zerlegen des Hirsches beschäftigt war, schnitt Schanhatta lange, dicht belaubte Zweige, die sie auf einer weichen grasigen Stelle einander gegenüber in die Erde steckte und, deren Spitzen dann miteinander verbindend, eine geräumige schattige Laube herstellte.

Einige Schritte weiter abwärts brannte ein kleines Feuer und über ihm hing an einem einfachen, aus zwei Gabelstäben und einer Querstange zusammengefügten Gerüst ein blecherner Kessel, in dem das zu einem Hauptbestandteile unseres Mahles bestimmte Wasser bereits siedete und dampfte.

Schanhatta überwachte alles; ihre prüfenden Blicke hafteten bald auf einem grünen Zweige in ihrer Hand, bald wanderten sie zu dem Küchenfeuer hinüber, und dann wieder schaute sie mich fragend an, ob ich noch nicht das Zeichen zum Anrichten der einfachen Speisen geben würde. Dabei summte sie eine schwermütige indianische Melodie leise vor sich hin, der untrüglichste Beweis ihrer überglücklichen Stimmung.

»Schanhatta!« rief ich endlich nach langem Schweigen aus, »ich werde gleich fertig sein, Du mags immerhin die Speisen bereiten, vorher aber bringe mir einen Trunk Wasser.«

Schanhatta nickte mir zu und eilte dann mit einer leeren Kürbisflasche nach dem Bache.

Sie war eben hinter dem Ufer verschwunden, da fiel ein kleiner Stein, der offenbar von dem Gipfel der nahen Felswand aus nach mir geschleudert worden war, vor mir ins Gras nieder.

Es weilten also Menschen in der Nähe und zwar Menschen, deren Absicht ich nicht kannte. Ich gab mir daher das Ansehen, als ob ich den Stein nicht bemerkt habe, richtete aber meine Bewegungen, während ich mich noch mit der ausgespannten Wildhaut beschäftigte, so ein, daß ich dicht neben meine Büchse gelangte, also nur meine Hand danach auszustrecken brauchte.

In demselben Augenblick fiel ein zweiter Stein vor mir nieder, und zu gleicher Zeit erschallten die Worte: »Seid doch so höflich, Fremder, und haltet meine Steinwürfe der Beachtung wert!« im reinsten Englisch und von einer hellen Mädchenstimme gesprochen zu mir herüber.

Unmerklich zog ich die Hand, die sich bereits nach dem Gewehr ausgestreckt hatte, zurück, und dann mich aus meiner gebückten Stellung erhebend, blickte ich nach der Felswand hinauf.

»Solange Ihr Euch nicht persönlich bei mir anmeldet, meine schöne junge Dame, kümmere ich mich nicht um Eure Steinwürfe,« entgegnete ich, kaum noch fähig, das Erstaunen zu unterdrücken, das ich über den sich mir darbietenden Anblick empfand; »Ihr müßtet ganz andere Arme und Hände besitzen, wolltet Ihr mir von dort oben aus einen Stein zusenden, schwer genug, auch nur eine Falte in meinen Lederrock zu drücken.«

»Es ist zum Verzweifeln!« rief dieselbe Stimme, jetzt aber ungeduldig aus; »monatelang durchstreift man Wald und Prärie, ohne auf ein einziges weißes Gesicht zu stoßen. Ist man dann endlich so glücklich, einen wohledlen Herrn Lederstrumpf in seinem verborgenen Winkel zu überraschen, so tut er einer gelangweilten Abenteuerin nicht einmal den Gefallen zu erschrecken, sondern spricht und gebärdet sich so ruhig, als ob er sich im Mittelpunkt irgendeiner Hauptstadt befände! Hahaha! wenigstens eine Seele, die mich nicht für etwas Alltägliches ansieht,« fuhr die ausgelassene Sprecherin fort, als sie Schanhatta's ansichtig wurde, die mit ihrer gefüllten Kürbisflasche schnell nach dem Ufer hinauf gesprungen war und von dort aus mit einer seltsamen Mischung von Schreck und Verwunderung nach der Felswand hinüberstarrte, »wirklich eine fühlende Brust in dieser Wildnis, hahaha! Zwar nur einer Indianerin angehörend, aber einer Indianerin, die, nach ihrem Äußeren zu schließen, mindestens eine Prinzessin sein muß.«

Während dieser langen Rede, die mit jugendlichem Frohsinn und Mutwillen von der Felswand herabgehalten wurde, betrachtete ich die Fremde aufmerksamer; aber je länger ich auf sie hinsah, um so mehr erstaunte ich. Schien sich in ihr doch alles vereinigt zu haben, einen armen, seit Jahren fast ausschließlich in der Wildnis lebenden Streifschützen zu verwirren und in ihm Zweifel zu erwecken, ob er sich wirklich noch auf dem alten Erdball befinde oder plötzlich in den Olympos versetzt worden sei und dort von Frau Diana selbst begrüßt werde.

Dort oben stand nämlich ein junges Mädchen, das man bei einem oberflächlichen Hinblick sehr leicht hätte für einen früh entwickelten Jüngling halten können.

Knabenhaft war das blonde Haar, das in üppiger Fülle lose bis beinah auf die Schultern niederfiel und dort ringsum stumpf abgeschnitten war; knabenhaft erschien auch die kleine schottische Mütze mit der Schweiffeder eines Kriegsadlers; knabenhaft nahmen sich sogar das olivenfarbige Jäckchen mit den blanken Knöpfen, die leichte schottische Jagdtasche und das Pulverhorn aus; knabenhaft war endlich das vom Sonnenbrand auf dem frischen Antlitz zurückgelassene lichte Braun; aber nicht knabenhaft, im Gegenteil, durchaus jungfräulich war die Art, in der die Arme und der zierliche Oberkörper sich auf ein leichtes Gewehr stützten, und das helle melodische Lachen, mit dem die junge rätselhafte Fremde ihre schmollenden Worte von Zeit zu Zeit begleitete.

Als ich noch immer keine Miene machte, irgendetwas zu entgegnen, wurde der hübsche weibliche Nimrod noch ungeduldiger.

»Also nicht einmal einer Antwort halten mich der Herr Trapper für würdig?« rief sie aus, das Gewehr mit kundigem Griff über die Schulter werfend, »ich bin zwar nur ein schwaches Mädchen, Herr Hinterwäldler, aber doch immer stark und geübt genug, Euch eine Kugel durch Euren Kaffeekessel zu senden und das edle Gebräu, anstatt über Eure bärtigen Lippen, dort in das Feuer laufen zu machen. Was würden der edle Herr Lederstrumpf wohl dazu sagen?«

»Ich würde mich über Eure Geschicklichkeit freuen und die Sicherheit Eures Auges bewundern, meine schöne junge Dame,« antwortete ich aufs innigste ergötzt durch den frischen Lebensmut der unerschrockenen Jägerin, »aber ich würde mich auch verpflichtet halten, Euch ebenfalls einen Beweis von der Festigkeit meiner Hand zu liefern und die Adlerfeder von Eurer Mütze schießen und zwar genau da mit der Kugel abschneiden, wo der Bart beginnt, den Kiel zu schmücken.«

»Was höchst ungalant von Euch wäre, Herr Trapper, denn Ihr müßt wissen, die Feder rührt von einem Adler her, den ich selbst die Ehre hatte zu erlegen. Aber sagt, was ist das für eine reizende Wilde, die dort auf dem Ufer steht und zu mir heraufstarrt, als ob sie noch nie in ihrem Leben ein zivilisiertes Gesicht gesehen hätte?«

»Meine Adoptivtochter, schöne Fremde,« entgegnete ich kurz, »aber nun sagt auch Ihr mir, sind die Eurigen noch nicht bald heran?«

»Was kümmern Euch die Meinigen, und woraus schließt Ihr, daß ich nicht zu meinem Vergnügen die Wildnis ganz allein durchstreife?«

»Wäret Ihr allein, dann würdet Ihr eine weniger mutige Sprache führen und auch doch wieder Mut genug besessen haben, herabzukommen und meine Gastfreundschaft für Euch in Anspruch zu nehmen.«

»Weiter nichts?« antwortete die Fremde, indem sie auf den vor ihr liegenden Stein sprang und einen spähenden Blick in die Ferne sandte, »daß ich mich vor Euch nicht fürchte, will ich Euch beweisen, und wenn Ihr mir einen Trunk Wasser und vielleicht auch ein Scheibchen gebratenes Hirschfleisch verabreichen wollt, so bin ich nicht abgeneigt, von Eurer Gastfreundschaft Gebrauch zu machen.« So sprechend kletterte sie von dem Felsblock hinunter und im nächsten Augenblick war sie verschwunden.

Jetzt erst näherte Schanhatta sich mir wieder, und indem sie schüchtern zu mir emporschaute, fragte sie heimlich flüsternd, ob die Fremde ein Engel gewesen sei, wie diejenigen, von denen ich ihr einst erzählt habe.

»Ein Engel in dem Sinne, in dem du es meinst, war es nicht,« entgegnete ich belehrend, und zugleich blickte ich gespannt nach der Kluft hinüber, aus der die Jägerin hervortreten mußte, »es war einfach eine weiße, irdisch geborene Tochter, wie du eine rote oder vielmehr eine hellbraune bist. Fürchte dich also nicht vor ihr, und wenn sie dich fragt, so antworte offen und ohne Scheu, damit sie sieht, wieviel du bereits gelernt hast.«

»Ja, ich will,« antwortete Schanhatta, tief aufseufzend, als ob die Aussicht auf eine Zusammenkunft mit einer Weißen ihr Beklemmungen verursacht habe.

Die aufmunternden Worte, die ich noch weiter an sie richten wollte, wurden aber durch die Fremde abgeschnitten, die weiter abwärts aus einer Regenschlucht trat und sich mit eiligen Schritten näherte.

Wenn die rätselhafte Jägerin schon von der Felswand aus freundliche Teilnahme in mir erweckt hatte, so wurde diese zur Bewunderung gesteigert, als ich sie jetzt dicht vor mir sah. Nicht viel über Mittelgröße, auch nicht von auffallender Schönheit, bot sie doch ein so anmutiges Bild, daß ich sie stundenlang hätte ungestört betrachten mögen, wenn auch nur, um zu ergründen, in welchem ihrer Reize eigentlich der Zauber verborgen sei, den sie auf mich und nicht minder auf Schanhatta ausübte.

Ihre himmelblauen Augen, die noch nie geweint zu haben schienen, fesselten mich im ersten Augenblick allerdings am meisten; aber wäre die Stirne über ihnen nicht so weiß und die vollen Wangen nicht so rot und sonnverbrannt gewesen, hätte die beinah zu kleine Nase nicht einen so eigentümlichen, etwas nach oben weisenden Schnitt gehabt und nicht um den hübschen Mund ein so reizendes, schalkhaftes Lachen gespielt; hätten ferner die blendend weißen Zähne nicht so verlockend zwischen den roten, frischen Lippen hindurchgeschimmert und wären die halblangen blonden Haare nicht so üppig und nachlässig unter der kleinen Mütze hervorgequollen, die Augen allein hätten es kaum zu bewirken vermocht, daß man immer und immer wieder in das heitere Antlitz schauen mußte und vergeblich zu enträtseln strebte, was dieses, trotz seiner nicht klassisch regelmäßigen Formen, so überaus anziehend mache.

Dabei zeigte sich ihr Wuchs als vollkommen tadellos und ihre Hände waren so zart, daß man sich kaum zu erklären vermochte, wie sie die verhältnismäßig schwere Waffe zu führen vermochten; und Füße hatte sie so klein und in den Knöcheln so zierlich abgerundet, daß die perlengestickten Mokasins selbst meiner Schanhatta kaum zu groß gewesen wären. Ihr phantastischer Anzug trug natürlich mit dazu bei, ihre Reize in das günstigste Licht zu stellen, und wenn das Zeug auch bereits verschossen war und Dornen hin und wieder tüchtige Ausbesserungen notwendig gemacht hatten, so konnte man sich doch nichts Wohlkleidenderes denken, als diese willkürliche Zusammenstellung der schottischen Nationaltracht mit den malerischsten Teilen indianischer Ausrüstung.

Am meisten und am wohltuendsten überraschte mich an der jungen Fremden ihre Haltung und Bewegungen, die deutlich eine sorgfältige Erziehung verrieten. Auf mich aber machte dies einen um so tiefern Eindruck, weil ich bereits seit Jahren keine Gelegenheit mehr gefunden, freilich auch nicht gesucht hatte, mich in Sphären zu bewegen, in denen dergleichen heimisch.

»Mein Vater und meine Brüder werden sich nicht wenig wundern, mich so unverhofft in guter Gesellschaft zu finden,« begann die junge Jägerin, als sie bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen war, indem sie mir treuherzig, wenn auch über das ganze Gesicht lachend, die Hand reichte.

»Ich hoffe, Eure Angehörigen werden sich nicht um Euch ängstigen,« antwortete ich, die kleine Hand zum Willkommen kräftig drückend; »sollte das aber der Fall sein, meine schöne junge Dame, so würde ich mit Freuden bereit sein, sie aufzusuchen und sie über Euern Verbleib zu beruhigen.«

»Bemüht Euch nicht, Herr Hinterwäldler,« entgegnete das Mädchen mit einem neckischen Knicks, »wenn sie sich etwas ängstigen, so schadet das ihrer zur Bequemlichkeit hinneigenden Konstitution nicht viel. Sie können mich aufsuchen, und irre ich nicht, so ist dies derselbe Bach, an dem unsere Leute mit dem Wagen hinunterziehen sollten; sie müssen also über kurz oder lang bei uns eintreffen.«

»Man handelt unrecht, anderen ohne Not Besorgnis einzuflößen,« versetzte ich ernst, »und in dieser Gegend sind Besorgnisse vollkommen gerechtfertigt. Was meint Ihr, wenn Ihr statt meiner hier eine Anzahl eingeborener Krieger gefunden hättet, von denen Ihr ergriffen und mit fortgeschleppt worden wäret, ohne daß die Eurigen jemals eine Ahnung von Eurem Schicksal erhalten hätten?«

Die junge Fremde blickte mich einige Sekunden starr an; ich sah, daß sie erbleichte und dann schnell wieder errötete. Sie erbleichte, weil sie sich ohne Zweifel die Lage vergegenwärtigte, in die sie hätte geraten können; sie errötete, weil ich mich durch meine wohlgemeinte Warnung als einen mit ihr auf gleicher Bildungsstufe stehenden Mann verraten hatte. Ihre Verlegenheit verbarg sie indessen schnell hinter einem schlecht erheuchelten Trotz, und ihre Blicke von mir abwendend, rief sie aus:

»Wenn ich Euch sage, daß ich nicht wünsche, nicht will, daß man meine Angehörigen über meinen Verbleib aufklärt, so sollte Euch das doch wohl genügen.«

»Ganz wie Ihr wollt und befehlt,« entgegnete ich höflich, »jedenfalls werdet Ihr Euch überzeugt halten, daß Ihr mir herzlich willkommen seid, und ich gedenke, nicht eher von Eurer Seite zu weichen, als bis ich Euch bei Euern Angehörigen in Sicherheit weiß.«

»Mit andern Worten, Ihr wollt mich wie ein kleines Kind behandeln? Ah, ich danke schönstens, Herr Ritter, aber nichts für ungut; Euer freundliches Anerbieten nehme ich an, und hoffentlich wird es nicht lange dauern, bis die Meinigen hier eintreffen. Doch ich bin durstig, Herr Trapper,« fuhr sie mit einem unbeschreiblich liebenswürdigen Wesen fort, »kann ich durch Eure Güte nicht einen Trunk erhalten, ohne daß ich mich selbst an den Bach hinab bemühe?«

»Gern,« versetzte ich, erfreut darüber, daß sie überhaupt irgendetwas von mir verlangte, und dann mich Schanhatta zuwendend, die leise davongeschlichen war und eben eine Decke als Schlußstein über das luftige, von ihr errichtete Zelt ausbreitete, forderte ich sie auf, mir die Kürbisflasche zu reichen.

Wie der Wind eilte die Indianerin herbei, und indem sie mir die Flasche darbot, betrachtete sie jetzt aus nächster Nähe unsern Gast mit schüchterner Bewunderung.

»Welch liebliches Geschöpf,« bemerkte die junge Fremde, nachdem sie sich erfrischt hatte, mir die Flasche zurückgebend; »diese Augen, dieses prachtvolle Haar, in der Tat der erste Lockenkopf, den ich unter den Eingeborenen finde.«

»Macht mir das Kind nicht eitel, mein schönes Fräulein,« bemerkte ich, »Schanhatta versteht jedes Wort, sie ist eine arme, von aller Welt verlassene Waise, die ich an Kindes Statt angenommen habe.«

»Also eine Waise?« fragte die Fremde mit einer so innigen Teilnahme, wie ich bei ihrer heiteren, sorglosen Gemütsstimmung kaum erwartet hätte, und zugleich bot sie Schanhatta die Hand zum Gruß.

»Keine Waise,« antwortete Schanhatta, mit den großen, schwermütigen Augen auf mich deutend, »schöne bleiche Frau, er ist mir Vater, Mutter, Bruder, ich lebe durch ihn.«

»Solch liebes, dankbares Kind,« sprach die Fremde kaum verständlich vor sich hin.

»Und so gelehrig und so anstellig,« fügte ich lobend hinzu. »Doch wiederhole ich jetzt meine Einladung, meine mehr als einfache Häuslichkeit vollständig als die Eurige zu betrachten und Euch in deren Schatten zurückzuziehen.«

Einen Augenblick sann die junge Jägerin nach. »Gut, mein Herr,« sagte sie sodann heiter, jedoch mit dem Anstande einer durchaus gebildeten Dame, »Eure Einladung nehme ich mit herzlichem Dank an, und ich kann ja auch in der Tat nichts Verständigeres tun, als die Meinigen hier ruhig erwarten. Hoffentlich leistet Ihr mir Gesellschaft und beschirmt mich zugleich bis zur Ankunft meines Vaters gegen meinen verhaßtesten Feind, die Langeweile.« So sprechend schritt sie nach der Laube hin, in der Schanhatta eine Decke auf den Rasen ausgebreitet hatte, und nachdem sie Jagdtasche und Büchse abgelegt, ließ sie sich mit unnachahmlicher Anmut im Schatten des grünen Laubdaches nieder.

Schanhatta war unterdessen wieder an das Küchenfeuer zurückgeeilt, wo sie sich mit der Zubereitung unserer Mahlzeit beschäftigte, und da meine Pferde in geringer Entfernung unter meinen Augen weideten, ich außerdem eine Gesellschaft weißer Menschen in der Nähe wußte, so warf ich mich im Ausgang der Laube ebenfalls auf den Rasen, um mich endlich wieder einmal dem mir fremd gewordenen Genuß eines Gespräches mit einer gebildeten, offenbar den höheren Ständen angehörenden Dame hinzugeben.

»Hätte mir gestern jemand gesagt, daß ich heute den Besuch einer liebenswürdigen jungen Dame empfangen würde, einer Dame, deren zarte Finger mehr für die Tasten eines Klaviers als für den Kolben einer Flinte bestimmt zu sein scheinen, so würde ich es schwerlich geglaubt haben,« eröffnete ich die Unterhaltung, nachdem ich solange gewartet hatte, bis die Fremde die Mütze von ihrem Haupte entfernt und durch ein kurzes Schütteln die über ihre schneeweiße Stirne gesunkenen Haare zurückgeschleudert hatte; »ja, daß ich Euch so vor mir sehe, erscheint mir wie ein Wunder, und die rauhen Sitten des Fernen Westens entschuldigen es wohl, wenn ich offen frage, was Euch aus den glänzenden Zirkeln, in denen Ihr Euch unstreitig Euer ganzes Leben hindurch bewegtet, bis hierher geführt haben kann?«

»Die rauhen Sitten des Fernen Westens sind doch immer noch nicht rauh genug, daß ein Biberfänger darüber vergessen hätte, einer umherstreifenden Abenteurerin die allerschönsten Komplimente zu sagen,« lautete die mit lachendem Munde gegebene Antwort, »und dabei fragt Ihr so unbefangen, was mich hierher getrieben habe? Hahaha! Zuerst sagt Ihr mir, Herr Ritter von der Büchse und Stahlfalle, was Euch von Eurem fernen Heimatlande bis hierher verschlagen hat, und dann will auch ich gnädiglichst Auskunft erteilen; denn ehrlich gestanden, Ihr scheint mir ebensowenig für den Stand eines Trappers geboren und erzogen zu sein wie meine bescheidene Wenigkeit.«

»Meine Vergangenheit bietet zu wenig Lichtpunkte,« entgegnete ich plötzlich ernst gestimmt, »als daß deren Schilderung viel zur Unterhaltung eines heiteren Gemütes beitragen könnte. Erlaßt mir daher deren Erwähnung und begnügt Euch damit zu wissen, daß ich keine Heimat besitze, es sei denn, Ihr laßt Euch herbei, den schmalen Landstreifen zwischen dem Missouri und den Küsten der Südsee meine Heimat zu nennen.«

»Ah, so leichten Kaufes entschlüpft Ihr mir nicht, wenn ich nicht ebenso zurückhaltend sein soll! Nur immer heraus mit der Sprache!« rief sie lachend aus, »Geschichte gegen Geschichte. Zuerst sprechen Ihro edle Trapperschaft, und dann kommt die Reihe an die hochachtbare Jungfrau, die ihrem Vater in ihrem kurzen Leben schon so viel Ärger verursacht hat, daß er an der Hälfte mehr als genug gehabt hätte!«

»Aber wie, wenn ich, um ausführlich zu sein, Gräber öffnen müßte, in die ein ganzes Lebensglück gesenkt wurde?« fragte ich ernst.

»Dann nicht, dann nicht,« versetzte die Fremde hastig, indem sie mir die Hand bot, und ich glaubte zu bemerken, daß sie eine Träne zurückdrängte, die ihr wohl der Ausdruck, mit dem ich sprach, in die Augen getrieben hatte. »Nein, dann nicht,« wiederholte sie gleich darauf wieder in ihrer alten ausgelassenen Weise, »da wir ferner nicht die Verpflichtung haben, uns gegenseitig das Herz schwer zu machen, so sei Euch die Beichte erlassen. Ich dagegen will mich beeilen, so schnell als möglich Eure mich betreffende Frage in tiefster Devotion zu beantworten. Randbemerkung: ich halte Euch für einen verkappten Gentleman und nicht für einen fluchenden, schwörenden, rohes Fleisch essenden, unempfindlichen Hinterwäldler, also für einen Herrn von Diskretion, vor dem ich furchtlos mein ganzes Herz ausschütten darf.«

»Nun ist die Reihe zu danken an mir,« entgegnete ich jetzt ebenfalls wieder heiter, der Übermut meines holden Gastes hatte seinen Einfluß auf meine Stimmung nicht verfehlt, »und ich verspreche Euch, Ihr sollt Euch nicht in mir getäuscht haben; eh' Ihr indessen beginnt, gestattet mir, in gleicher unumwundener Weise zu offenbaren, für was ich Euch halte, wenn auch nur, um Euch Gelegenheit zu geben, meine Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe zu bewundern.«

»Zugestanden unter der Bedingung, daß Ihr mich mit den alltäglichen Floskeln, als: die Schönste ihres Geschlechtes, die Edelste, die Beste usw., verschont,« versetzte die Fremde, indem sie mir näher rückte und, ihr Haupt auf ihre Hände stützend, mir mit komischer Spannung in die Augen schaute.

»Zugestanden,« erwiderte ich in demselben Tone, worauf ich begann:

»Euer Name zuerst! Ihr müßt in der Taufe unbedingt Diana genannt worden sein.«

»Falsch, mein edler Ritter von Büchse, Messer und Biberfallen,« unterbrach mich das Mädchen mit Pathos, »mein Name ist irdischerer Natur, ich heiße Katharine, oder vielmehr Kate Dalefield, erfreue mich also eines Namens, den ich noch nie von einem Deutschen richtig aussprechen hörte.«

»Gut, dann habe ich mich geirrt. Also Miß Kate Dalefield, ich halte Euch für einen der liebenswürdigsten, kleinen Tyrannen, die jemals ihre Hausgenossen durch eine unverwüstlich heitere Laune zur Verzweiflung brachten.«

»Ihr könnt nicht so ganz unrecht haben,« versetzte Kate mit einem reizenden, halb verhaltenen Lächeln.

»Wohlan, im Anfall einer solchen heiteren Laune habt Ihr eines Tages erklärt, unter allen Umständen den wilden Westen bereisen zu wollen,« fuhr ich fort, »und da mußten denn Vater, Mutter, Brüder, Verwandte und Bekannte alles aufbieten, den Wunsch ihres liebenswürdigen Haustyrannen zu erfüllen, wenn sie in ihrem Leben überhaupt noch eine ruhige Stunde haben wollten.«

Um Kate's rote, etwas emporgekräuselte Lippen spielte ein neckisches, schadenfrohes Lächeln, doch unterbrach sie mich nicht, und ich fuhr fort:

»Man entschloß sich also, dem allgemeinen Lieblinge den Willen zu tun; die liebenswürdige Tochter des Hauses übte sich noch eine Zeitlang in männlichen Künsten, die das Leben in der Wildnis erleichtern, als da sind: Schießen, Reiten, Laufen, Springen, Hungern, Dursten –«

»Behüte der Himmel, daß ich zu Hause auch nur ein einziges Mal gehungert oder gedurstet hätte!« rief Kate hier mit erheucheltem Abscheu dazwischen, »nein, nein, soweit bin ich denn doch nicht gegangen. Allerdings trifft manches zu, was Ihr mit wunderbarem Scharfsinn aus meinem Äußern herauszulesen vorgebt, aber doch nicht alles; und so halte ich es denn für das Beste, wenn ich Euch den wahren Sachverhalt mit wenigen Worten erkläre. Haustyrann bin ich, das ist wahr, wozu wäre ich auch sonst wohl die einzige Tochter unter vier gerade nicht zarten Brüdern? Die Rocky Mountains und die Prärien wünschte ich zu sehen; auch das hat seine vollständige Richtigkeit. Nicht richtig aber ist, daß ich vor unserm Aufbruch erst Schießen, Reiten und Fechten gelernt haben soll. Ich hätte nicht vier Brüder besitzen müssen, um nicht schon in meinem zwölften Jahre mit dem ersten besten Farmerburschen um die Wette zu reiten und zu jagen. Nicht richtig ist ferner, daß die Reise einzig um meinetwillen unternommen wurde. Mein Vater, ein Offizier außer Diensten, hat wichtige Geschäfte auf Fort Union, wo eine Vereinigte Staaten-Besatzung steht, und da er noch rüstig ist, seine zwei Söhne ihm aber Tag und Nacht zuredeten – die andern beiden sind bereits in die Armee eingetreten – so entschloß er sich endlich dazu, die Fahrt nach dem bezeichneten Posten anzutreten. Daß ich mich nicht willig finden ließ, allein zurückzubleiben, versteht sich von selbst; tausend Pferde hätten mich nicht zu halten vermocht; und daß ich alle Ursache hatte, mich der Expedition anzuschließen, habe ich zur Genüge bewiesen, denn in den zwei Monaten, die wir uns bereits unterwegs befinden, bin ich noch von keinem unserer ganzen Gesellschaft im Aushalten von Beschwerden und im Jagdeifer übertroffen worden. Innerhalb einiger Wochen werden wir unser Ziel erreichen, und nach kurzem Aufenthalt daselbst begeben wir uns nach St. Joseph zurück, von wo aus wir unsere Reise den Missouri hinunter zu Dampfschiff weiter fortsetzen. So, mein Herr, nun wißt Ihr alles, was zu wissen Ihr nur immer wünschen könnt, und hier kommt Eure Pflegetochter, um, wenn ich nicht irre, uns zur Mittagstafel einzuladen.«

Überrascht sah ich mich um; die Indianerin trug jetzt einen ganz andern Ausdruck zur Schau, als bei ihrem ersten Zusammentreffen mit der Fremden. Schüchternheit sprach zwar noch immer aus ihren sammetweichen Zügen, doch trat diese weit hinter den freudigen Stolz zurück, der aus ihren sonst so sanften Augen leuchtete, als sie bald unsern Gast, bald mich aufmerksam betrachtete.

»Die bleiche, schöne Frau war durstig und sie hat getrunken; die bleiche, schöne Frau mit den Himmelsaugen ist hungrig und deshalb sehr froh, daß du mir etwas zu essen etwas Brot und Kaffee,« sagte Schanhatta mit ihrer tiefen, melodischen Stimme zu Kate Dalefield, indem sie nach dem Feuer hinüberwies.

»Sieh doch an, Schanhatta,« rief ich scherzend aus, »klingt es doch fast, als ob ich das leere Nachsehen haben sollte.«

Schanhatta blickte mich mit einer rührenden Verwirrung an, sie glaubte wirklich ein Versehen begangen zu haben. »Schanhatta gehört ihrem Herrn,« sagte sie sodann leise, »und wo sie ihren Fuß hinstellt, ist er der Gebieter.«

»Aber Ihr erschreckt ja das liebe Kind,« versetzte Kate emporspringend und ihren Arm durch den Schanhatta's ziehend, »komm, meine liebe braune Schwester, ich bin sehr hungrig und deshalb sehr froh, daß du mir etwas zu essen geben willst.«

Wiederum erfüllte es mich mit Bewunderung, daß sie, die kurz vorher noch mit so wenig Rücksicht von meinem Schützling gesprochen hatte, sich zu solcher Zärtlichkeit zu dem braunen Mädchen hinreißen ließ.

Aber mit um so größerer Freude beobachtete ich daher die beiden jungen Mädchen, als sie so vor mir herschritten. Sie sprachen nicht, aber in Schanhatta's aufrechter Haltung prägte sich der ganze Stolz aus, den sie darüber empfand, von einem weißen Mädchen liebevoll behandelt zu werden, während Kate mit sichtbarer Bewunderung die Indianerin heimlich von der Seite betrachtete und sich augenscheinlich an dem Anblick von deren schönem Profil weidete.

Vor dem Feuer ließ Kate sich nieder, ich nahm ihr gegenüber Platz, und die junge Mandanenwaise ging zwischen uns hin und her, sorgsam darüber wachend, daß wir stets mit den zartesten Teilen des dampfenden Hirschrückens versehen waren.

»Wie außerordentlich schön und wohlgestaltet ist Eure junge Gefährtin,« bemerkte Miß Dalefield, als nach Beendigung unserer Mahlzeit Schanhatta nach dem Bach hinabstieg, um einen frischen Trunk herbeizuholen, »und dabei so verständig, als ob sie wer weiß wie lange in zivilisierten Gegenden zugebracht hätte.«

»Die arme Waise, die Letzte der Mandanen, wie sie sich gern nennen hört, bereitet mir viel Freude,« entgegnete ich. »In Gedanken vergleiche ich sie oft mit einem Buche, dessen edler Inhalt nicht jedermann verständlich ist. Leider muß ich mich nur zu bald von meinem Liebling trennen, denn ließ ich mein begonnenes Werk halb beendigt, so würde sie dadurch um so unglücklicher werden.«

»Da kommt sie schon, ich würde Euch sonst gebeten haben, mir einiges über ihre Vergangenheit mitzuteilen,« versetzte Kate, als Schanhatta eben wieder über dem Ufer erschien; »diesmal aber ist es nicht Neugierde, was mich plagt,« setzte sie mit ihrem reizendsten schalkhaften Lächeln hinzu, »sondern aufrichtige Teilnahme mit dem freundlichen und dabei so bescheidenen Mädchen. Schon ihre sanften melancholischen Augen scheinen ein stummes und doch so beredtes Flehen um eine milde und nachsichtige Beurteilung zu enthalten.«

»Gern erzähle ich Euch Schanhatta's Geschichte, und daß sie selbst zugegen ist, hindert am wenigsten daran,« antwortete ich, meinem Schützling bedeutend, sich zu uns zu setzen, »sie hört ihre Lebensgeschichte nicht zum ersten Male aus meinem Munde; ich mache ihr sogar eine Freude damit. Ich glaube, mit der Schilderung der Rettung ›der Letzten der Mandanen‹ vermochte ich sie vom Tode zu erwecken.«

Während nun die Blicke der beiden scharf zueinander kontrastierenden Mädchen mit gleicher Spannung auf mir ruhten, beschrieb ich ausführlich, wie Schanhatta zu mir gekommen und durch mein zufälliges Eintreffen vor einem schrecklichen Untergange bewahrt worden war. Dabei ergötzte es mich, zu beobachten, wie ihre Gefühle sich auf verschiedene Weise äußerten. Schanhattas Mienen blieben ernst, nur ein tiefer Zug von Melancholie verriet, wie sehr sie durch die Erinnerung ergriffen wurde; sie hörte mir zu, regungslos und mit verhaltenem Atem. Miß Dalefield dagegen zeigte auf ihrem Antlitz einen beständigen Wechsel der Gefühle. Bald lächelte sie neckisch, bald sprach tiefes Mitleid aus ihren Augen, und bald blickte sie sogar ganz zur Seite, um heimlich eine Träne zu trocknen.

Eben sprach ich davon, im Herbst, nach beendigter Jagd wieder mein bekanntes Winterquartier aufsuchen und beim Eintritt des Frühlings Schanhatta endlich auf einer mir geeignet scheinenden Mission unterbringen zu wollen, als ich durch das Getrappel von Pferden unterbrochen wurde. Die Pferde selbst waren nicht sichtbar; sie befanden sich noch hinter der nächsten Biegung des hohen Talufers. Gespannt blickten wir nach dem Vorsprung hin, hinter dem hervor die Reiter erscheinen mußten.

 


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