Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25

Die Landung

Da die Indianer jetzt keinen Grund mehr hatten, ihre Absichten vor uns geheim zu halten, wir ihnen aber weder nach der einen, noch nach der andern Seite hin entschlüpfen konnten, so schritten sie nach Tagesanbruch sogleich ans Werk, weiter oberhalb ein größeres und für ihre Zwecke geeigneteres Floß zu bauen.

Wir waren eben übereingekommen, einen hinreichenden Vorrat von Treibholz nach der Südspitze der Insel hinunterzuschaffen, um daselbst die folgende Nacht hindurch einen weithin über die Wasserfläche leuchtenden Scheiterhaufen in Brand zu erhalten, als meine Blicke ein größeres, scheinbar von der Natur gebildetes Treibholzfloß streiften, wie deren fast zu jeder Zeit und an jeder Stelle des Missouri angetroffen werden. Es bestand aus mehreren, mit den Ästen ineinander verschränkten Bäumen und hatte, da von allen Zweigen dichte Massen von Moosflechten und dürrem Grase niederhingen, ganz das Aussehen, als wenn es bereits seit Jahren an irgendeinem Ufervorsprunge gelegen habe und neuerdings erst von den rastlosen Fluten losgewaschen worden sei. Aber mich befremdete, daß auch grün belaubte Bäumchen und Zweige zwischen dem dürren und von der Luft gebleichten Holzwerk hervorragten, was sonst nur nach heftigen Regengüssen, oder nachdem der Schnee in den Gebirgen geschmolzen war, der Fall zu sein pflegte.

»Habt Ihr eine Leine, so werft sie uns zu!« ertönte jetzt eine Stimme zwischen dem Gebälk zu uns herüber, als das Floß ungefähr noch hundert Ellen weit von der Spitze der Insel entfernt sein mochte.

Meine Gefährten saßen beim ersten Ton der Stimme wie erstarrt da; sie waren zu überrascht, als daß sie zu handeln vermocht hätten. Ich dagegen sprang empor, und in der nächsten Minute befand ich mich bei unserem Wagenkasten. Mit einem raschen Schnitt trennte ich den langen Rest der Leine von dem alten Rettungsboote, und als das Floß, hinter der Insel angekommen, der Strömung folgend eben nach dem jenseitigen Ufer hinüber lenkte, da stand ich in gleicher Höhe mit ihm bis an die Knie im Wasser, und gleich darauf fiel das eine Ende der von mir geschleuderten Leine quer über das Gebälk.

Alsbald erhoben sich hinter den moosbehangenen Zweigen drei junge rüstige Männer und zu meiner unaussprechlichen Freude auch die getreue Schanhatta. Ohne Zeit zu verlieren, schnürten sie die Leine um einen der Hauptträger ihres Fahrzeugs, ein Teil der auf der Insel befindlichen Gefährten war zu meinem Beistand herbeigesprungen, und langsam schwang sich das Floß vor der straff gehaltenen Leine und der andrängenden Strömung dem Ufer zu, und vorsichtig faßten die Ankömmlinge sodann festen Fuß auf den äußersten Treibholzstämmen.

Obgleich bei dem Landen eben nur auf eine günstige Gelegenheit und weniger auf die Späheraugen der Blackfeet hatte Rücksicht genommen werden können, waren wir doch während des ganzen Verfahrens durch die Insel selbst gegen letztere verdeckt geblieben; da aber das Floß nach nur kurzem Aufenthalt seine Reise fortsetzte und bald wieder in den Gesichtskreis unserer Feinde trat, so durften wir annehmen, daß nicht einmal deren Argwohn geweckt worden war.

Halbert, ein junger hübscher, kräftig gebauter Offizier mit wohlwollenden braunen Augen und einer gewissen selbstbewußten Haltung, entsprach ganz dem Bilde, das ich mir von ihm entworfen hatte; durch sein Äußeres sowohl als auch durch einen offenen, ehrlichen Charakter schien er wohl dazu geschaffen, ein Herz wie das der lieblichen Kate zu gewinnen.

Kate selbst stand etwas abseits, ich sah sie, sie dagegen sah mich nicht; sie hatte nur Augen für Halbert, und mit einem bezaubernden Ausdruck jungfräulicher Verschämtheit und rührender Besorgnis blickte sie zu ihm hinüber, der sie bis jetzt noch nicht bemerkt hatte.

Als ihr Vater aber Halbert mit väterlichem Stolz bei der Hand nahm und ihn, auf seine ängstliche Frage nach Kate, dieser zuführte, oh, wie ihr da das Blut in die Wangen stieg, wie ihre Augen sich vor innerer Glückseligkeit umflorten und ihr Busen sich heftig hob und senkte! Vergessen waren die Gefahren, die uns noch umringten, vergessen der einsame Pelzjäger, der vor wenigen Stunden erst von Liebe zu ihr gesprochen. Warum hätte sie meiner auch noch weiter gedenken sollen? Und mit welchem Recht hätte ich beanspruchen dürfen, in ihrer Erinnerung fortzuleben?

Eine Träne, seit Jahren die erste, stahl sich mir in die Augen, ich wollte niemand meine Schwäche sehen lassen und schlich heimlich und unbemerkt davon, um meinen Posten zwischen den Treibholzstämmen wieder einzunehmen.

Eben hatte ich mich hingesetzt, als das Knacken eines dürren Reises mich veranlaßte, hinter mich zu schauen.

Schanhatta, die treue Mandanen-Waise, hatte sich in meiner Nähe niedergekauert. Ihre großen melancholischen Augen ruhten mit Teilnahme auf mir, als ob sie in meinem wunden Innern zu lesen vermochte hätte. Auch sie war in dem Freudentaumel nicht beachtet worden; niemand hatte daran gedacht, ein Wort des Dankes für ihre geleisteten Dienste an sie zu richten.

Sie verlangte auch keinen Dank; aber ihre schwarzen Augensterne schienen doch heller zu strahlen, als ich meine Hand auf ihr Haupt legte und sie freundlich anblickte.

»Du bist ein braves Mädchen,« sagte ich, ganz versunken in das Anschauen des von so viel Liebreiz umflossenen lichtbraunen Kindes; »du hast mir eine große Herzensfreude bereitet und die Leute dort drüben glücklich gemacht; du wirst dereinst einen schönen Lohn in dem Bewußtsein finden, eine gute, edle Tat ausgeführt zu haben.«

»Schanhatta braucht keinen Lohn,« sagte sie mit sinnendem Ernst, »mein Beschützer hat gewünscht, daß die fremden Männer benachrichtigt wurden, und das ist genug für Schanhatta.«

Sie saß wieder hinter mir, eine melancholische indianische Melodie vor sich hinsummend, und ich blickte schweigend stromaufwärts, wo ich in der Ferne die unverrichteter Sache zurückkehrenden Späher bemerkte.

Niemand hielt es der Mühe wert, sich um uns zu kümmerm. Erst als die Blackfeet, infolge der ihnen zugegangenen Nachricht in ein wildes Rachegeheul ausbrachen und ein erbitterter Krieger seine Büchse auf mich abschoß, daß die Kugel nur wenige Schritte von mir sich krachend in einen morschen Baumstamm grub, eilte die auf so rauhe Art an ihre mißliche Lage gemahnte Gesellschaft herbei, um sich bei mir Rat zu holen.

Über die scheinbare Vernachlässigung konnte ich den Leuten nicht zürnen; das Wiedersehen war ja ein so freudiges Ereignis gewesen, und zu viel hatten sie einander mitzuteilen, um auch noch einem freudelosen, ziemlich verschlossenen Fallensteller viel Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als Halbert aber mit seinem offenen Wesen zu mir herantrat und mir, statt jeder Äußerung des Dankes, die Hand drückte und mich zugleich bat, ihm und seiner zukünftigen Gattin die Mandanen-Waise anzuvertrauen und ihnen zu gestatten, mit mir vereinigt über deren Wohlergehen wachen zu dürfen, da schwand, wie der Frühlingsschnee vor den warmen Sonnenstrahlen, aller Groll aus meiner Brust.

Kate war auf der geschützten Lagerstelle zurückgeblieben; offenbar hatte sie verhüten wollen, durch den Anblick ihres Glückes schmerzliche Erinnerungen in mir wachzurufen. Im Herzen dankte ich ihr für diese schwesterliche Rücksicht, doch fühlte ich mich auch wieder peinlich dadurch berührt, daß sie und vor allem derjenige, vor dem sie kein Geheimnis mehr hatte, mir nicht Kraft genug zutraute, meine Gefühle niederzukämpfen, oder daß man mich vielleicht gar bemitleidete.

Selbstverständlich konnten wir nicht lange beieinander weilen, ohne unsere Flucht in Betracht zu ziehen und die zunächst von uns einzuschlagenden Schritte nach allen Richtungen hin zu erwägen.

Zwei Umstände waren es, die unsere Lage vorzugsweise mißlich machten, nämlich erstens und hauptsächlich die bedeutende Übermacht der Blackfeet, die in ihren Reihen wenigstens ebenso viele Büchsen aufzuweisen hatten, wie wir besaßen, und dann, wenn es uns wirklich gelang, irgendwo unbemerkt zu landen, daß uns kein einziges Pferd oder Lasttier zu Gebote stand.

Denn auch Halbert und seine beiden Gefährten waren ohne Pferde. Sie hatten, um sich jederzeit nach einer beliebigen Seite des Stromes hinüberbegeben zu können, vorgezogen, die Reise von Fort Union aus in einem tragbaren Kanoe anzutreten. Es war dies dasselbe Kanoe, in welchem sie nach Schanhattas Eintreffen bei ihnen ihre Flucht ermöglichten, indem sie es schleunigst von allen Seiten mit einem schwimmenden Gerüst von dem im Überfluß vorhandenen Treibholz, Moos und dürrem Gras umgaben und sich dann, nachdem sie das eigentümliche Fahrzeug vorsichtig in die Strömung hinausgeschoben hatten, auf dem Boden dicht nebeneinander niederlegten.

Vorläufig bot uns die Insel Sicherheit genug; es fehlte uns nicht an Lebensmitteln, wir brauchten uns daher nicht zu übereilen, unsern Aufenthaltsort mit einem andern zu vertauschen. Die Reise stromaufwärts wurde von allen Seiten einstimmig aufgegeben; der Hauptzweck war durch das Zusammentreffen mit Halbert erreicht. Jetzt handelte es sich nur darum, in Sicherheit zu gelangen, wobei ich noch immer jedem feindlichen Zusammenstoß mit den Indianern vorzubeugen mich bestrebte.

Da Halberts Eintreffen keine Änderung in unserm frühern Übereinkommen hervorrief, so entschied ich mich dafür, während des Tages scheinbar nur Brennholz nach der Südspitze der Insel hinunterzuschaffen und bei dieser Gelegenheit solche leichte Baumstämme auszusuchen, die zu unsern Zwecken geeignet erscheinen würden.

Bald lag denn auch an der bezeichneten Stelle eine mehr als ausreichende Masse von Brennholz und daneben waren soviel Stangen und schlanke Stämme angehäuft worden, daß man mittelst ihrer beinah eine schmale Brücke nach dem nächsten Ufer hinüber hätte schlagen können. Außerdem hatte ich auch, in Ermangelung von Leinen, eine Anzahl geschmeidiger Weiden in Strickform zusammendrehen lassen, so daß es nur einer halben Stunde Zeit für uns bedurfte, um den Wagenkasten und das Kanoe flott zu machen, beide Teile durch ein Gerüst brückenartig miteinander zu verbinden, Sachen und Personen einzuschiffen und dann die Reise stromabwärts anzutreten.

Mit Spannung sahen wir nun dem Einbruch der Dunkelheit entgegen. Die Blackfeet verhielten sich ruhig, außer daß sie emsig an ihrem Floß bauten. Wir kochten und lebten in einer Weise, als wenn es für uns auf dem ganzen Erdball keine Indianer und am allerwenigsten Feinde gegeben habe. Wie sie uns, so suchten wir die Wilden eben durch unsere Ruhe zu täuschen. Die Blackfeet wären übrigens schlechte Indianer gewesen, hätten sie, nachdem ihnen die Kunde von Halberts Eintreffen geworden war, noch irgendwelche Zweifel über unsere Absichten hegen wollen.

Als die Sonne vor unsern Augen verschwand, mochte es wohl noch eine halbe Stunde bis zu ihrem wirklichen Untergange dauern. Ich zögerte daher nicht länger, sondern zündete selbst den Scheiterhaufen an und beauftragte die Negerin, darüber zu wachen, daß er ohne Unterlaß hoch emporflamme und in weitem Umkreise einen möglichst hellen Schein auf die eilenden Fluten des Missouri werfe.

Halbert übertrug ich sodann das Kommando über diesen Teil der Insel, und nachdem ich vor aller Augen eine Anzahl kürzerer, sich zu Fackeln eignender Äste mit dem einen Ende in die Glut geschoben und deren Bestimmung erklärt hatte, wies ich den einzelnen Schützen, selbst der unerschrockenen Kate ihre Posten an, von denen aus sie am bequemsten auf das voraussichtlich sehr dicht heranschießende und grell beleuchtete feindliche Floß der Indianer feuern konnten.

Begleitet von dem fremden Jäger und von Schanhatta begab ich mich darauf nach dem nördlichen Ende der Insel hinüber. Zu unserm Vorteil gereichte übrigens noch, daß Dalefield außer seinen Büchsen einige Doppelflinten bei sich führte, die, mit starken Rehposten geladen, in der Dunkelheit einen sichereren Schuß gewährten als die Büchsen. Ich selbst hatte mich ebenfalls zu der Büchse noch mit einem dieser Gewehre bewaffnet, und alles war mithin geschehen, den Indianern einen so warmen Empfang zu bereiten, daß sie nach dem Mißlingen des ersten Angriffs, nicht sobald wieder an eine Erneuerung desselben denken sollten.

Noch war die Dämmerung nicht vollständig in nächtliche Finsternis übergegangen, als alle ihre Posten einnahmen, und wenn die Negerin nicht jedes Stück Holz, das sie auf den Scheiterhaufen warf, mit einem ganzen Schwall von lauten Verwünschungen begleitet hätte, wäre es auf der kleinen Landscholle so still gewesen wie in den Wohnungen der Toten.

Auch in das Lager der Blackfeet schien nächtliche Ruhe eingezogen zu sein. Niemand rührte sich daselbst; die kleinen Feuer glimmten nur noch ganz verstohlen und kämpften sichtbar um ihr kurzes Dasein.

Ich hatte wieder meine alte Stelle auf dem Treibholzriff eingenommen; vor mir, an einen Baumstamm gelehnt, stand die Doppelflinte; auf meinen Knien ruhte meine Büchse. Schanhatta, deren scharfe Sinne mir an diesem Abend mehr wert waren als noch zwei Büchsen, saß neben mir, während Halberts Jäger sich hart am Rande des Wassers, ungefähr zwanzig Schritte von mir entfernt, so auf den Boden hingestreckt hatte, daß seine Augen sich fast in gleicher Höhe mit dem Spiegel des Stromes befanden, er also umso weiter über die vor ihm sich ausdehnende Wasserfläche hinzuspähen vermochte. –

Eine Stunde verrann, ohne daß die tiefe Stille durch irgendein verdächtiges Geräusch unterbrochen worden wäre. Die Nacht war milde und lieblich, und kaum vermochte man sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß unter ihrem Schleier sich Menschen gegenseitig in wildem unbarmherzigen Kampfe zu vernichten trachteten. In unbeschreiblicher Pracht wölbte sich der Himmel über die weite Landschaft. Milliarden von funkelnden Gestirnen erhellten matt die oberen Luftschichten; nahe dem Erdboden dagegen war es dunkel, so dunkel, daß man auf geringe Entfernungen die äußeren Umrisse der verschiedenen Gegenstände nicht mehr genau mit den Augen verfolgen konnte.

Die Baumgruppen auf den Ufern erschienen näher, größer und massiger, und gar wunderlich waren die Figuren, die sie mit ihren unregelmäßigen Außenlinien vor dem nächtlich geschmückten Hintergrunde bildeten. Hier glaubte man mächtige Elefanten zu erblicken, von denen einzelne ihre langen Rüssel grimmig emporhielten, dort wieder orientalische Minaretts, die, nach der einen Seite überhängend, jeden Augenblick umzufallen drohten. Weiter abwärts zeigten sich riesenhafte Berggeister, und neben diesen ragten wieder friedliche Heuschober und halbzerfallene Scheunen empor. Auch stattliche Dome mit runden Kuppeln schauten über die hohe, vielfach unterbrochene schwarze Waldmauer empor und zackige Gerüste, die hier an einen unvollendeten Bau, dort an eine Gauklerbude oder auch an einen unheimlich verzierten häßlichen Rabenstein erinnerten.

Und dazu ließ der Missouri unablässig seinen melancholischen Sang erschallen. So heimlich rauschte es nah und fern, so behaglich plätscherten die kleinen Wellen, gegen das sandige Ufer, so lustig spielten sie mit den zu ihnen niederhängenden grünen Zweigen und so unwillig murmelnd drängten sie sich zwischen den Zacken des Holzriffs hindurch, daß es nur eines geringen Grades von Phantasie bedurfte, um in dem Rauschen, Plätschern und Murmeln Worte zu erkennen, die in lauter schöne neue Lieder zusammenzustellen für einen Dichter ein leichtes gewesen wäre.

So waren die ersten Stunden der Nacht in einer steten Spannung hingegangen, und fast begann ich zu bereuen, nicht zur sofortigen Flucht von der Insel geraten zu haben, als Schanhatta ihre Hand leise auf meinen Arm legte und kaum vernehmbar lispelnd mich zum Lauschen aufforderte.

Was ihren Argwohn erregte, hatte ich indessen bereits vernommen. Die Blackfeet bereiteten sich zum Angriff vor und schoben mit vereinigten Kräften ihr Floß behutsam nach der Stelle hin, von der aus die Strömung es nach der Insel hinüberführen mußte.

Schanhatta drückte meinen Arm fester; ich verstand, was sie sagen wollte; sie hatte bemerkt, daß eine umfangreiche schwarze Masse sich von den Uferschatten trennte und von der Strömung mit großer Schnelligkeit auf die Südspitze der Insel zugetragen wurde. Ich erkannte das indianische Floß und das Herz zog sich mir krampfhaft zusammen, als ich bedachte, daß ein Kampf nunmehr unvermeidlich sei und ich zum erstenmal in die Notwendigkeit versetzt werden würde, einem Mitmenschen das Leben, sein höchstes Gut, zu rauben. Doch nur einen Augenblick währte diese Anwandlung von Schwäche; im nächsten fühlte ich mich wieder so ruhig und entschlossen, als wäre ich mit dieser Art von blutigem Handwerk bereits seit vielen Jahren vertraut gewesen.

Das Floß hatte jetzt die Höhe der Insel erreicht und trieb in der Entfernung von kaum fünfzig Schritten von mir auf die südliche Verlängerung derselben zu, als Schanhatta mir plötzlich zuflüsterte: »Niemand zu sehen«, und dann vor mir vorübergleitend ihre Aufmerksamkeit wieder dem dunkeln Wasserspiegel zuwandte.

Auch ich bemerkte, daß die Masse des Flosses, obwohl umfangreich genug, doch nicht die Höhe zeigte, die von einer Anzahl menschlicher Gestalten unbedingt zu erwarten gewesen wäre, und die Gefahr von einer andern Seite vermutend, lehnte ich mich, gleich Schanhatta, weiter nach vorn.

Anfänglich entdeckte ich nichts, nur eine Reihe von Treibholzstämmen löste sich in geringer Entfernung von der Insel auf, um wie gewöhnlich zu beiden Seiten der Strömung zu folgen.

»Blackfeet«, flüsterte Schanhatta mir zu, auf die schwarzen Punkte deutend.

»Blackfeet«, antwortete ich ebenso heimlich, indem ich mit der linken Hand das Doppelgewehr heranzog und es dem Mädchen darreichte.

»Bei Gott! hier kommen sie!« rief Halberts Jäger laut aus, und zugleich krachte sein Schuß über den Missouri hin und ein Indianer, der gerade vor ihm ans Ufer steigen wollte, sank tödlich getroffen in die Fluten zurück.

»Alle Hand bis auf zwei mit Fackeln hierher!« schrie ich jetzt nach dem Feuer hinüber, denn ich hatte bei dem Aufblitzen des Schusses einen flüchtigen Blick auf eine größere Anzahl indianischer Krieger erhascht, die alle durch Treibholzstücke, die zugleich ihre Waffen trugen, unterstützt und zugedeckt im Begriff standen, sich um die Insel herum zu verteilen, offenbar mit der wohlüberlegten Absicht, nachdem sie festen Fuß gefaßt, sich von allen Seiten auf unsere Gesellschaft zu stürzen. Einzelne Arme streckten sich sogar schon nach den Zacken des Holzriffs aus, um an diesen emporzuklettern.

Auf den Schuß schien das ganze Wasser lebendig geworden zu sein; und kaum hatte ich den übrigen Gefährten zugerufen, sich mir zuzugesellen, da erhob sich ringsum aus den Wellen ein so furchtbares Jauchzen und Heulen, daß mir jede Möglichkeit abgeschnitten wurde, noch weitere Anordnungen folgen zu lassen.

Augenscheinlich hatten die Blackfeet darauf gerechnet, das Riff und seine nächste Umgebung unbewacht zu finden, indem sie glaubten, durch den Scheinangriff des Flosses uns sämtlich nach dem anderen Ende hinübergelockt zu haben. Die Entdeckung, daß sie sich in ihren Erwartungen täuschten, rief keine geringe Verwirrung unter ihnen hervor.

Alles dieses hatte ich mit Gedankenschnelligkeit bemerkt, ebenso erriet ich, daß die Blackfeet durch ihr wildes Geheul nicht nur uns einzuschüchtern hofften, sondern sich auch gegenseitig anfeuerten, nicht mitten in dem begonnenen Werk innezuhalten.

Ich stand noch immer auf meinem Posten und spähte im Kreise herum, ob sich hier oder dort eine der wilden, racheschnaubenden Gestalten über das Riff erheben würde. Und sie erhoben sich; aber nicht eine oder zwei, sondern eine schwarze Masse kletterte nach den verworrenen Baumstämmen hinauf, und entsetzlich gellte der wilde Kriegsruf von drei Seiten, während Dutzende von Fäusten, bewaffnet mit Messer und Beil, über dem dichten Haufen emportauchten.

»Zurück, Mann! zurück, solange ich noch imstande bin, den Weg für Euch offen zu halten«, schallte mir jetzt des Jägers Warnungsruf in die Ohren, und gleichzeitig schmetterte er mit seinem Gewehrkolben einen Indianer zu Boden, der eben hinter mich springen wollte.

Zeit war allerdings nicht mehr zu verlieren, denn nur noch wenig Schritte trennten mich von den nächsten Angreifern, die, hätten sie sich anstatt auf dem Riff auf ebenem Boden befunden, mich längst würden überwältigt haben.

Meine Aufgabe, sie nicht vor dem Eintreffen meiner Gefährten das nahe Gebüsch gewinnen und sich daselbst zum Verderben aller zerstreuen zu lassen, war indessen erreicht; denn schon hörte ich Halberts und Dalefields Stimmen, die herbeistürmend mich beschworen, auszuharren.

Mit wachsendem Grimm stürmten die Indianer jetzt auf mich ein, aber sie fanden mich auf meiner Hut.

Schnell zurückweichend, hob ich meine Büchse und fast ebenso schnell stürzte auch einer der vordersten Krieger, von meiner Kugel getroffen, zwischen die hohlliegenden Baumstämme hin. Dem Schuß folgte augenblicklich das eigentümliche Wutgeheul, und mich nunmehr unbewaffnet wähnend, verdoppelten sie ihre Anstrengungen, meiner und Schanhattas habhaft zu werden.

Daß der Angriff ebensowohl der Mandanen-Waise wie mir galt, erklärte mir ein lauter Ausruf Schanhattas, die beim Aufblitzen des Pulvers Blackbird erkannt hatte und ohne Zweifel auch von ihm erkannt worden war.

Ein Sprung brachte mich von dem Riff hinunter auf festen Boden, gleich darauf hatte ich das Doppelgewehr aus Schanhattas Händen genommen, und ohne besonders zu zielen, feuerte ich beide Schüsse in den dichtesten Haufen hinein.

Wiederum stutzten die Angreifer, und gräßlich gesellte sich der Schmerzensschrei der Verwundeten zu dem Wutgeheul der verschont Gebliebenen. Als diese sich aber wieder von ihrer Bestürzung erholt hatten und aufs neue auf mich eindrangen, da war es zu spät für sie, sich noch in das Dickicht zu werfen, denn zwischen diesem und dem Riff erschienen vollen Laufs, in der einen Hand die Büchse, in der andern flackernde Feuerbrände schwingend, Dalefield und die Seinigen.

Doch nur ein Schuß wurde noch auf die räuberischen Wilden abgefeuert. Beim Anblick einer größeren Anzahl wohlbewaffneter Männer waren sie blitzschnell über das Holzwerk hin auseinandergestoben, und gleich darauf ertönte das Rauschen und Plätschern, mit dem der Missouri die Fliehenden aufnahm.

Dabei versäumten sie aber nicht, ihre Toten und Verwundeten mit ins Wasser hineinzuschleppen und sie dort ihrem Schicksal zu überlassen.

Sobald der letzte Blackfoot verschwunden war, forderte ich alle anwesenden Gefährten auf, sogleich nach beiden Seiten hin die Insel zu umkreisen und nach etwa Zurückgebliebenen zu durchforschen:

Ich selbst blieb auf meinem Posten zurück.

Die Mandanenwaise hatte sich mir zu Füßen ins Gras gekauert; sie fragte mich schüchtern, ob ich unverletzt geblieben sei, und dann neigte sie, wie um zu schlafen, ihr Haupt auf ihre emporgezogenen Knie. So verharrten wir beide regungslos.

 


 << zurück weiter >>