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Einundzwanzigstes Kapitel.

Der Kristallberg. – Die Spuren im Schnee. – »Ich sage, der Berg hier will anfangen zu speien.«

 

Zwei Tage später ging die »Seeschlange« an der eisumstarrten Küste der Edelsteininsel zu Anker.

Schon von weitem hatten unsere Abenteurer die Spitze des Berges in schwachem, seltsamem Glanze funkeln sehen. Es schien, als ob eine rötliche Feuersglut durch eine Decke von glitzerndem Eise schimmerte.

»Das ist der Kristallberg!« hatte Johann Bernsdorf gerufen. »Friedrich, wir haben unser Ziel erreicht!«

»Kinder, ein Hurra dem Gedächtnis unseres Meergreises, des alten, braven Seeräubers Jackson!« war Philipp eingefallen, und ein brausender Jubelruf war die Antwort gewesen.

Jetzt lag der Schoner eine Kabellänge von der Insel entfernt vor Anker.

»Ja,« sagte Doktor Joost, als er mit den andern auf dem Achterdeck stand, »das ist der Berg, von dem eure Dokumente erzählen. Ich habe seinen Gipfel schon bunter schillern oder opalisieren sehen; es kommt dabei viel auf die Jahreszeit und den Stand der Sonne an. Ab und zu haben Fangmänner, von dem Glanz angelockt, den Gipfel erklettert, statt der erträumten Edelsteine aber immer nur Stücke fast wertlosen Bergkristalls als Beute mitgebracht. Ein paar Tonnen Walfischtran sind kostbarer als jene ganze Kuppe.«

»Das mag sein«, versetzte Johann. »Die Kuppe hat für uns auch weiter keine Bedeutung, als daß sie uns als Merkzeichen dienen sollte. Immerhin ist der Anblick überraschend, auch erklärt er den Namen Edelsteininsel. Ich bin jetzt überzeugt, daß wir unsere Expedition nicht vergebens gemacht haben. Wir werden vielleicht lange nach dem auf Jacksons Plan angegebenen Ort suchen müssen, aber wir werden ihn finden. Und je eher wir die Bergkletterei beginnen, desto besser.«

»Ganz meine Meinung«, sagte der Schiffer. »Noch ist die Zeit günstig, da keine unwillkommenen Beobachter in der Nähe sind. Dort drüben kreuzt ein Walfischfänger, der aber hat hier unter Land nichts zu suchen ... Am Strande sehe ich ein Boot, wohl ein Umiak ... jetzt ist's hinter dem Eise verschwunden.«

Man setzte das Großboot aus und machte alle Vorbereitungen zur Bergbesteigung. Man kam überein, daß sämtliche Bernsdorfs, dazu Lot, Hiob und der Steuermann, an Land gehen, der Kapitän, die Matrosen und der Doktor Joost aber an Bord bleiben sollten.

Mit allem Nötigen versehen, machte sich das Expeditionskorps auf den Weg. Mit dem ersten Schritt auf festem Boden begannen die Mühseligkeiten und Strapazen. Man hatte ein Gewirr von Eisblöcken zu überklettern, und erst als dies nach stundenlanger Anstrengung überwunden war, begann der eigentliche Aufstieg.

Der Berg bestand, wo er frei von Eis und Schnee war, aus schwärzlichem, lavaähnlichem Gestein, auf dem sich nirgends eine Spur von Vegetation zeigte. Ab und zu rauschten aus Spalten und Klüften Vögel in solcher Menge hervor, daß die Kletterer in Gefahr kamen, durch den plötzlichen Anprall in die Tiefe gerissen zu werden.

Nach langer, schwerer Arbeit wurde auf einer weniger abschüssigen Stelle Halt gemacht.

»Hier wollen wir eine Weile lagern und unser Abendbrot einnehmen«, sagte Friedrich Bernsdorf. »Dem Stande der Sonne nach muß es beinahe Mitternacht sein.«

Die Rast währte ungefähr eine Stunde; gegen 1 Uhr morgens stieg man mit frischen Kräften weiter.

»Ist es nicht seltsam,« bemerkte Karl, »daß wir so wenig Schnee vorfinden? Man sollte doch meinen, hier bliebe der Schnee jahraus, jahrein unverändert liegen.«

»Die Sommerwärme ist hier und in den übrigen Gegenden gleicher Breite stärker, als man zu glauben geneigt ist«, antwortete der Vater. »Dazu fehlen die nächtlichen Abkühlungen, da die Sonne hier ja monatelang nicht untergeht, und so muß der Schnee allgemach verschwinden.«

Höher und höher klommen die kühnen Abenteurer. Endlich hatte man die Stelle des Berges erreicht, an welcher der schroffe Kegelgipfel, der eigentliche Kristallberg, sich steilwandig und vielfältig zerklüftet erhob.

Man lagerte sich zum zweitenmal, und einer und der andere begann trotz der durchdringenden Kälte ein wenig einzunicken.

Plötzlich aber fuhren sie erschreckt auf; ein Laut, wie ein nicht allzu ferner Schuß, war in ihre Ohren gedrungen.

»Hast du's gehört, Lot?« fragte Johann Bernsdorf den Schwarzen.

»Ja, Master, einen Knall wie von einer Büchse oder einer kleinen Kanone, mit Respekt zu sagen.«

»Vielleicht hat der Kapitän uns vom Schoner aus gesehen und wollte uns begrüßen«, sagte der Boß.

»So wird's sein«, stimmte der Steuermann bei. »Wie ist's, soll's weitergehen?«

»Erst wollen wir frühstücken«, schlug Karl vor. »Wir sind vorhin vier Stunden in einem Zuge geklettert, und ich bin rechtschaffen hungrig.«

Die Proviantbeutel wurden geöffnet, und man war beim besten Schmausen, als ein zweiter Schuß ertönte.

Diesmal war die ganze Gesellschaft ernstlich erschrocken. Man mutmaßte dies und das und kam endlich überein, daß diese Detonationen aus dem Innern des Berges gekommen seien.

»Vulkane sind und bleiben unruhige Gesellen, auch wenn sie längst erloschen scheinen«, sagte Karl. »Im allgemeinen aber soll man solche Geräusche als Warnungen betrachten, da sie zumeist einen bevorstehenden Ausbruch ankündigen.«

»Das trifft nur bei Vulkanen zu, die sich noch in ordnungsmäßigem Betrieb befinden,« entgegnete Philipp, »wie beim Vesuv und Ätna; dieser Kristallberg ist aber längst in den Ruhestand getreten, das sagte uns nicht nur der Doktor, das sehen wir ja auch selber.«

»Ei was, der Teufel traue solch einem alten Feuerspucker«, sagte der Steuermann. »Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er keinen heilen Zahn mehr im Maule hat, und so scheint mir's auch mit den Vulkanen zu sein.«

Während des Rastens wurde noch viel über die Detonationen hin und her geredet, und schließlich war jede Besorgnis wegen der Ursache derselben verschwunden. Mit erneuter Energie machte man sich wieder an den Aufstieg.

Der Bergkegel war sehr steil, man mußte den Atem zu Rate halten, und so fand während des Kletterns keine Unterhaltung statt. Um so stärker wirkte daher ein unerwarteter Aufschrei des Steuermanns.

»Was gibt's?« rief der Boß, im Klimmen innehaltend. »Habt Ihr Euch verletzt?«

»Nein,« lautete die Antwort, »aber Fußspuren habe ich gefunden, Fußspuren von Menschen, aber nicht von Eingeborenen!«

Robinson Krusoe konnte nicht entsetzter auf die Fußtapfen der Wilden im Sande niedergestarrt haben, als unsere Abenteurer diese Spuren im Schnee betrachteten. Menschen! Hier auf dem Kristallberg! Und zu dieser Zeit! Denn die Spuren waren ganz frisch.

Gar bald war festgestellt, daß drei Männer ganz vor kurzem denselben Weg, den auch die Bernsdorfs verfolgten, hier bergauf genommen hatten.

Keiner der Genossen zweifelte auch nur einen Augenblick ... Das konnten nur die Yankees gewesen sein!

»Wir sahen ein Boot unten am Strande, vergeßt das nicht«, sagte Friedrich. »Das war also kein Umiak gewesen. Wir müssen auf der Hut sein.«

Man hielt eine Beratung ab. Die jungen Männer stimmten dafür, den Aufstieg ohne Verzug fortzusetzen, die älteren aber waren für ein vorheriges Absuchen des Terrains.

»Zögern wir, dann laufen wir Gefahr, die Schätze zu verlieren«, wendete Karl hiergegen ein.

»Gehen wir unvorsichtig vorwärts, dann büßen wir vielleicht unser Leben ein«, versetzte Friedrich Bernsdorf.

»Ich schlage vor, wir lassen unsere beiden Propheten die Sache entscheiden«, rief Philipp. »Lot und Hiob, was sollen wir tun? Steht Rede, kommt nicht erst nachher mit eurem ›Das hab' ich gleich gesagt‹, sagt's jetzt auf der Stelle.«

Die beiden Partner schauten einander an, dann nahm Lot das Wort.

» Look here«, Gentlemen,« sagte er, »ich will für meine Person reden; wenn Hiob sich dann einverstanden erklärt, um so besser. Ich rate: immer vorwärts! Kommt's dabei zum Kampf mit den verdammten Skunks, dann tüchtig drauf! Das ist meine Meinung, mit Respekt zu sagen.«

»Lot hat gut gesprochen, besser hätte ich es selber nicht gekonnt«, rief Hiob. »Vor den Yankeespitzbuben fürchten wir uns nicht; die haben wir schon einmal aufgehängt, die hängen wir auch noch öfter auf!«

»Meinetwegen, vorwärts denn!« sagte der Boß. »Aber haltet die Augen offen und den Revolver locker.«

»Noch eins, Onkel,« bemerkte jetzt Hans, der seit seinem Unfall eine ganz besondere Aufmerksamkeit auf die Veränderungen in der Atmosphäre und am Firmament verwendete, »ich fürchte, daß uns wieder ein Sturm bevorsteht. Sieh nur, wie bedrohlich dort die Wolken aussehen.«

Alles schaute nach der angegebenen Richtung. Der Steuermann erkannte sogleich die Richtigkeit von Hansens Beobachtung. Eine schwere Bö war im Anzuge; schon fuhren einzelne stärkere Windstöße heulend um den Berg und durch die Schluchten und wirbelten den trockenen Schnee zu zerstäubenden Säulen auf.

Es galt jetzt also vor allem, einen geschützten Ort zu suchen. Man fand einen solchen im Lee einiger Klippen, und kaum hatte sich die Schar hier zusammengedrängt, da brach das Unwetter mit Schneegestöber, Donner und Blitzen auch schon los, und zwar mit einer Heftigkeit, der nichts, was nicht festgewurzeltes Felsgestein war, standzuhalten vermocht hätte.

Stein- und Eismassen rollten und stürzten aus der Höhe krachend und prasselnd in die Tiefe, oft unmittelbar über den Schlupfwinkel unserer Abenteurer fort, so daß diese Gott dankten, zufällig einen solchen Schutz gefunden zu haben. Die ganze Atmosphäre war mit treibendem Schnee angefüllt; dumpf tönte das Brausen des Ozeans empor. Zum Glück lag der Schoner an der dem Winde abgekehrten Seite der Insel, so daß man für ihn nichts zu fürchten hatte.

Fünfzehn Minuten währte die Bö, dann legte sich das Unwetter ebenso schnell, wie es gekommen war, so daß die Genossen ihren Weg fortsetzen konnten. Von dem Schnee war fast nichts auf dem Gestein liegengeblieben.

Nach kurzem Klettern erreichte man eine verhältnismäßig ebene Stelle, in deren Mitte sich eine kreisrunde, schroff abfallende Vertiefung befand. Aus einem Felsspalt stieg ein dünner Rauch empor.

»Das ist der Krater«, sagte Johann Bernsdorf. »Der Vulkan ist noch nicht erloschen, wie der Rauch dort beweist. Ich traue dem Frieden nicht. Wenn wir nur nicht in Gefahr geraten.«

»Wollen's nicht hoffen«, versetzte sein Bruder. »Wie dem aber auch sei, jetzt müssen wir's darauf ankommen lassen.«

Damit zog er die Jacksonschen Pläne hervor und begann sich über das Terrain zu orientieren.

»Es stimmt alles genau«, sagte er endlich. »Der Krater ist hier, dort die Steinpyramide; die weitere Richtung gibt uns der Kompaß. Wenn also der Schatz existiert, dann befindet er sich irgendwo in der Nähe dieses Kraters.«

»Das ist doch eine sehr ungewisse Sache«, bemerkte Johann. »Weiter hinauf ist noch ein Krater, und der Plan gibt nicht an, welcher der rechte ist.«

»Dann müssen wir das herausfinden«, entgegnete Friedrich. »Untersuchen wir den oberen Krater zuerst.«

Mühselig schleppte man sich weiter hinauf. Der Weg, wenn von einem solchen die Rede sein konnte, wurde immer beschwerlicher. Ein dumpf rollender Donner brachte endlich die ganze Gesellschaft zum Stillstand.

»Was war das?« rief Johann.

»Das letzte Ende des abziehenden Gewitters«, antwortete der Steuermann.

»Ein Erdbeben war's!« rief Karl, der ganz bleich geworden war. »Ich spürte, wie der Boden zitterte.«

Erschrocken sah man sich an.

In diesem Augenblick wiederholte sich das dumpfe Gedonner. Es schien aus dem Mittelpunkt der Erde zu kommen.

»Master Karl hat recht«, sagte Lot mit einer Grabesstimme. »Der Berg hat sich bewegt. Ich denke, wir machen, daß wir nach dem Schoner zurückkommen.«

»Und geben den Schatz auf, nicht wahr?« rief Philipp. »Das fehlte noch!«

»Was nützt Euch der Schatz, Master Philipp, wenn Euch der Berg verschlingt?« entgegnete der Schwarze. »Wir haben Schüsse gehört und gedonnert hat's auch. Mag jeder darüber denken, was er will. Ich habe schon verschiedene Erdbeben und vulkanische Ausbrüche erlebt, in Venezuela und in Peru, ich kenne das. Ich sage, der Berg hier will anfangen zu speien.«

»Und ich muß Lot beistimmen«, nickte Stevens, sich unruhig umschauend. »Laßt uns umkehren.«

»Sind wir denn Feiglinge?« rief Heinrich. »Sollen wir uns durch Lots Unkengeschrei ins Bockshorn jagen lassen? In den Eingeweiden solcher Vulkane rumort es stets mehr oder weniger laut, ohne daß die Leute, die zum Beispiel auf dem Ätna wohnen, sich sonderlich darum ängstigen.«

»Sehr richtig«, stimmte Philipp bei. »Sollen wir vielleicht mit eingekniffenem Schweif davonlaufen? Das ist meine Sache nicht!«

»Besser das, als nachher, wenn's zu spät ist, nicht mehr davonlaufen können«, brummte Lot. »Mir ist's ja gleich, ich bleibe auch hier, wenn's sein muß.«

Ein neues, drohendes Rollen erdröhnte im Innern des Berges, und diesmal verspürten alle das Zittern des Bodens.

»Ich denke doch, wir machen uns auf den Rückweg«, nahm jetzt der Boß das Wort. »Ich kann eine weitere Verantwortlichkeit nicht übernehmen ...«

Er wollte noch weiter reden, der Anblick einer hohen, schwefelblauen Flamme, die plötzlich dem oberen Krater entstieg, ließ ihn jedoch verstummen. Die Flamme war sogleich wieder verschwunden.

»Habt Ihr das gesehen, Master?« rief Lot. »So fängt der Ausbruch an! Ich kenne das! Erst kommt das Gas ...«

Er vermochte nicht zu endigen, denn der Boden unter seinen Füßen hob und verschob sich so plötzlich und gewaltsam, daß er taumelnd zur Seite stürzte, und über und neben ihm fiel in wirrem Durcheinander die ganze Gesellschaft.

Zugleich entstand ein betäubendes Getöse; eine Feuergarbe schoß aus dem oberen Krater gegen das Firmament empor, schwarzer Qualm wälzte sich seitwärts über die Insel und hinaus über das Meer, ein Hagel von Steinen und Asche prasselte hernieder, teils im Schnee verzischend, teils die Bergeshänge hinabrasselnd und klappernd; Donnerschläge erkrachten wie Salven schwerer Geschütze ... dann war alles wieder still.

Die Eruption hatte kaum drei Minuten gedauert, während derselben aber waren unsere Abenteurer eine Strecke von mindestens hundert Meter bergabwärts gekollert. Atemlos, zerstoßen und zerschunden lagen sie nun am Fuße einer kleinen Wand, scheu und ängstlich schauten sie sich nach dem Krater um, und dabei betasteten sie ihre Gliedmaßen, ob sie noch vorhanden und heil wären.

Lot war der erste, der wieder zu Worte kam.

» Oh Lord! Habe ich das nicht gleich gesagt?« rief er wie im Triumph.

»Das hast du, Partner«, antwortete Hiob, mit beiden Händen seinen Schädel reibend.


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