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Die jungen Abenteurer beim Studium. – Das »Nordlicht«. – »Die Toten sind auferstanden!«
Während der nächsten Tage war das Wetter nebelig und unfreundlich, dazu wurde es immer kälter. Der Kurs der »Seeschlange« war jetzt absolut nördlich, und mühsam arbeitete sich das kleine Fahrzeug gegen die Strömung der Davis-Straße und das mit derselben herabtreibende Eis vorwärts.
Die Mannschaft hatte alle Hände voll zu tun, aber auch unsere jungen Helden waren nicht müßig. Sie saßen in der warmen Kajüte und studierten eifrig teils Navigation, teils allerlei Werke über die Reisen berühmter Nordlandfahrer, über den Walfischfang, über die Eingeborenen von Grönland und über die Fauna und Flora der arktischen Gegenden. Sie mühten sich rechtschaffen und mit großem Ernst, zu Anfang wenigstens, allein, so recht wollte ihnen dieses Studium, das so ganz verschieden war von ihrer bisherigen Lebensweise, doch nicht schmecken.
»Wißt ihr, Kinder,« begann Philipp eines Tages, als der Vater und der Onkel an Deck waren, »mir geht schon lange etwas im Kopf herum. Wir lernen eigentlich viel zu viel.«
»Sehr richtig«, stimmte Heinrich überzeugungsvoll bei.
»Du bist also auch meiner Meinung, Heinz, das ist schön von dir«, redete Philipp weiter. »Ich behaupte, ein Lehrgegenstand ist genug für jeden von uns. Zum Beispiel: ich übernehme das Gebiet der Walfischfängerei und studiere das gründlich; Karl lernt die Fauna und Flora, Heinrich die Geologie, Hans die Lebensweise der Eingeborenen – wäre das nicht viel praktischer? Denn es ist doch gar keine Frage, daß all dieser Krempel für einen zu viel ist!«
»Allerdings, lieber Sohn,« sagte Karl, »unsere Väter erwarten aber von uns, daß wir von allen Gegenständen uns so viel aneignen, daß wir zur Not überall Bescheid wissen.«
»Zur Not – das ist nicht hin und nicht her! Bedenke doch, Karl, wie soll man sich diese Unmasse Wissenschaft in den Kopf rammen! Nein, teilen wir uns die Arbeit, und wenn wir gefragt werden, dann gibt der Antwort, in dessen Gebiet die Frage einschlägt. Ist das nicht einfach?«
»Ganz schön und gut«, entgegnete Heinrich. »Wenn nun aber mein Vater etwas über die Eskimos von mir wissen will, soll ich ihm dann aus der Geologie antworten?«
»Nicht doch, die Eskimos gehören in Hansens Gebiet, der antwortet dann für dich. Es kommt ja auf einen Versuch an.«
Sie redeten noch eine Weile hin und her über diese wichtige Angelegenheit, ohne daß ein fester Beschluß gefaßt wurde. Die Sache hatte doch allerlei Bedenken. Im allgemeinen aber war man dem Vorschlage nicht abgeneigt, und ein Versuch konnte nicht viel schaden.
»Ich möchte wohl wissen, aus welchem Grunde das Meer hier so grün ist«, fragte Heinrich gelegentlich, als der Schoner sich der grönländischen Küste so weit genähert hatte, daß man das Land deutlich erkennen konnte. »Grönland ist nichts weniger als grün, ein Widerschein oder so etwas Ähnliches kann es daher nicht sein. Du, Karl, Fauna, Klima und dergleichen schlagen ja wohl in dein Fach; also los mit der Erklärung.«
»Das ist bald gesagt«, lachte Karl. »Ich habe keine Ahnung. Wenn du dich aber einen Augenblick gedulden willst, dann schlage ich mein Buch auf und gebe dir daraus Bescheid ... Hier haben wir's: ›Kleine, fast unsichtbare Lebewesen von der Spezies Medusa finden sich so zahlreich im Wasser, daß dasselbe durch sie an vielen Stellen eine olivengrüne Färbung erhält.‹ Nun weißt du's. Halt, hier steht noch mehr: ›Dieses grüne Wasser wird mit Vorliebe von den Walen aufgesucht, die hier die reichsten Jagdgründe finden‹ Der Walfisch ist ja wohl Philipps Gebiet.
»Gewiß, und ich wollte nur, daß wir uns auch einmal dieses Sports befleißigten«, erwiderte Philipp. »Leinen und Harpunen haben wir ja genug an Bord, auch Fässer für den Tran. Es wäre ein Hauptspaß, wenn wir einige von diesen Zetazeen erwischten.«
»Was für Dinger?« rief Heinrich. »Gib doch dem armen Fisch keine Ekelnamen! Wenn du einen Stiefel einen Stiefel nennst und eine Kappe eine Kappe, dann nenne einen Wal gefälligst auch einen Wal.«
»Wale sind keine Fische«, warf Hans ein.
»So? Dann frage einmal Karl. Fische sind Tiere, die im Wasser leben. Wale leben im Wasser, sie haben Flossen und einen Fischschwanz, sie schwimmen und tauchen, da müssen sie doch Fische sein, nicht wahr, Karl?«
»Stelle dich doch nicht dümmer als du bist«, entgegnete der Gefragte. »Die Wale haben warmes Blut, das weiß jedes Kind.«
»Dann alle Achtung vor den Walen«, sagte Heinrich. »Sich in dieser Hundekälte und noch dazu im Wasser warmes Blut zu bewahren, das ist eine anerkennenswerte Leistung!«
»Schiff in Sicht!« dröhnte eine Stimme an Deck.
»Hurra!« schrien die jungen Burschen und stürmten die Treppe hinauf, froh, den Büchern den Rücken kehren zu dürfen.
Das Wetter hatte sich aufgeklärt.
Die hohe, eisumgürtete Küste Grönlands zeigte sich schroff und dunkel an der Steuerbordseite. Zur Linken, backbord, war in dem daselbst noch wallenden Nebel ein Schiff in schwachen Umrissen zu erkennen.
Ein eigentümliches, knirschendes Getön erfüllte die Luft. Dasselbe kam von den treibenden und aneinander reibenden und stoßenden Eismassen, die einen großen Teil der Meeresoberfläche bedeckten. Dieses Getön war so stark, daß ein Anrufen des fremden Schiffes, trotz der Nähe desselben, vergeblich gewesen wäre.
Nach und nach verschwand der Nebel gänzlich.
Man erkannte nun in dem Schiffe eine schmucke Brigg mit schrägen, schlanken Masten, deren Spitzen sich nach Yankeeart hoch über das Takelwerk erhoben; alles an dem Fahrzeuge war so straff und sauber, daß man es fast für ein kleines Kriegsschiff halten konnte.
Die Brigg hatte Klüver und Stagsegel, Fock, Vormarssegel, Vorbramsegel, Großmarssegel, Großbramsegel und Besan stehen; sie durchpflügte mit ihrem starken Buge das Treibeis und schob die einzelnen größeren Hummocks mit Leichtigkeit zur Seite. Von ihrer Besatzung war nur wenig zu sehen.
»Wes Geistes Kind mag sie sein?« fragte Johann Bernsdorf den Schiffer. »Ein Walfischfänger sicher nicht, auch kein Fahrzeug der Hudsonsbai-Gesellschaft; ein Kriegsschiff ist sie auch nicht – ich werde nicht klug aus ihr.«
»Jedenfalls ist sie ein fixer Segler«, antwortete Kapitän Armstrong. »Sie führt auch Geschütze, zwei sehe ich ganz genau; sie ist also bewaffnet.«
»Ein Pirat!« flüsterte Philipp seinem Bruder Karl zu.
»Unsinn!« entgegnete dieser. »Hier herum gibt's keine Piraten!«
»Ein Kreuzer, ein Regierungsschiff wird's sein«, meinte Friedrich Bernsdorf. »He, Lot, komm einmal her, du weißt ja in diesen Gewässern besser Bescheid, als jeder andere.«
»Der?« sagte der Schiffer wegwerfend. »Der soll hier Bescheid wissen? Wenn ich Euch nicht sagen kann, was für ein Schiff das ist, dann kann der's gewiß nicht!«
Lot kam herbei; er hatte die Worte des Schiffers gehört.
»Verzeihung, Kapitän«, begann er. »Man weiß manchmal nicht, was in einem schwarzen Gentlemen steckt, mit Respekt zu sagen. Borgt mir Euer Glas, wenn Ihr so freundlich sein wollt.«
Er nahm das Teleskop und richtete dasselbe mit großem Ernst auf den fremden Segler.
»Hm«, brummte er. »Das habe ich ja gleich gesagt – fragt Hiob.«
»Das kann ich bezeugen«, rief der Mulatte, der ebenfalls herzugetreten war. »Ich hab's aber auch gesagt. Du, Lot, sagt' ich –«
»Halte deinen Mund!« unterbrach ihn der Farmer. »Kannst du dich aus der Brigg vernehmen, Lot?«
»Ja, das kann ich, Master Johann; auch Hiob kann's, nicht wahr, Partner?«
»Nun, so redet doch, einer von euch beiden.
»Die Brigg ist das ›Nordlicht‹«, antworteten die Genossen wie aus einem Munde.
»Das ›Nordlicht‹! Die Flibustier!« riefen alle Anwesenden in höchstem Erstaunen.
»Seid ihr eurer Sache ganz sicher?« fuhren die Bernsdorfs auf ihre Dienstmannen ein.
»So sicher, als wir farbige Gentlemen sind«, beteuerte Lot. »Die Piraten sind hinter uns hergejagt, und nun kommt's zur Seeschlacht.«
Kapitän Armstrong sah den Schwarzen ganz verwundert an.
»Was schwatzt denn der von Piraten und von Seeschlacht?« fragte er. »Was hat denn das ›Nordlicht‹ mit uns oder wir mit ihm zu tun?«
Johann und Friedrich Bernsdorf traten beiseite und redeten leise und eifrig miteinander. Sie hatten den Schiffer über den eigentlichen Zweck der Reise bisher noch im unklaren gelassen; jetzt war jedoch der Augenblick gekommen, wo sie ihn ganz in ihr Vertrauen ziehen mußten.
Sie ersuchten ihn daher, mit ihnen in die Kajüte hinunter zu kommen, da sie ihm eine wichtige Eröffnung zu machen hätten.
»Was liegt an?« fragte der Schiffer den Mann am Ruder.
»Nord halb West«, lautete die Antwort.
»Gut. Rufe mich, wenn der Wind schralt oder wenn das Eis sich anstaut.«
» Ay, ay, sir!« antwortete der Mann vorschriftsmäßig.
Noch einen Blick warf der Schiffer in die Runde, dann stieg er in die Kajüte hinab, wo die Brüder ihn erwarteten.
Alle drei nahmen am Tische Platz.
Johann zog ein Papier aus der Brusttasche und entfaltete dasselbe.
»Habt Ihr jemals von einer Edelsteininsel gehört, die sich an dieser Küste befinden soll?« fragte er den Schiffer.
» No, sir. Niemals.«
»Ist Euch ein solcher oder ein ähnlicher Name auch niemals in der Sprache der Eingeborenen Grönlands begegnet?« forschte Friedrich.
»Nein. Warum?«
»Weil wir diese Reise unternommen haben, um die Edelsteininsel zu finden.«
Der Kapitän zog die Augenbrauen in die Höhe und sagte:
»Ach so!«
»Ja«, nickte Friedrich Bernsdorf.
»Hm!« machte der Schiffer. »Und die Brigg?«
Die Brüder sahen einander an, dann richteten sie ihre Blicke auf den Schiffer.
»Warum erwähnt Ihr jetzt die Brigg?«
»Weil das Fahrzeug Euch wenig Freude zu machen scheint, und weil ich daher annehme, daß da Leute an Bord sind, die Eure Absicht kennen und dieselbe zu vereiteln suchen werden.«
»Ihr seid ein scharfsinniger Mann, Kapitän Armstrong.«
»Muß ich sein, namentlich hier oben in diesen Gewässern. Und nicht nur scharf von Sinnen, sondern auch sonst scharf und schneidig, was schon mancher erfahren hat, der mir oder meinen Freunden verquer in den Weg gekommen ist!«
»Bravo!« sagte Johann lächelnd. »Wir werden einander bald verstehen.«
»Ohne Zweifel. Euer Schwarzer, der Lot, erkannte die Brigg, er hat sie also vorher schon mal gesehen. Sie muß ihn besonderes interessiert haben, sonst hätte er sich das Fahrzeug nicht so genau gemerkt. Sie ist also so eine Art von Knüppel, den man Euch zwischen die Beine zu werfen gedenkt. Hab' ich recht?«
»Kapitän Armstrong, ich mache Euch mein Kompliment.«
»Mr. Bernsdorf, ich danke Euch. Das genügt.«
Die Brüder machten sich nun ohne weiteres daran, den Schiffer in alle Einzelheiten ihres Planes einzuweihen. Sie zeigten ihm die Karten und auf denselben nach Länge und Breite die Lage der Edelsteininsel.
»Das ist nicht weit vom Kap Morton«, sagte Armstrong. »Die Franklin-Bai ist kein angenehmer Ort, zuzeiten wenigstens. Jetzt sind die Walfischfänger da.«
Die Bernsdorfs schauten verwundert auf.
»Wir glaubten, jene Gegend sei ganz öde und verlassen«, versetzte Friedrich.
»Da hattet Ihr Euch allerdings geirrt«, lächelte der Schiffer. »Um diese Zeit fehlt's dort nicht an Gesellschaft. Aber von Topasen und Opalen oder gar Diamanten, die dort herumliegen sollen, habe ich noch nie etwas gehört. Inseln sind da genug, dicht an der Küste, einige auch mit Bergen und Gletschern darauf. So nahe am Lande aber bin ich noch nicht gewesen, es wimmelt nämlich dort von Bären und Wölfen.«
»Angenehme Aussicht«, meinte Johann.
»Ja, Mr. Bernsdorf; ich würde keinem Menschen empfehlen, so aufs ungewisse dorthin zu gehen.«
»Ihr haltet also unsere Sache für aussichtslos?«
»Nein, das nicht. Es gibt ja viele Dinge in der Welt, die ich nicht kenne. Soll es also keine Edelsteininsel und keine Opal- und Topasberge geben, bloß weil ich davon noch nichts gehört habe? Außerdem aber bin ich auch so selten in jenen Gegenden gewesen, daß ich sie eigentlich so gut wie gar nicht kenne. Wie aber liegt die Sache mit der Brigg?«
»Auf jenem Fahrzeug befinden sich unsere Feinde, die alles aufbieten werden, unseren Zweck zu vereiteln, ja, uns zu vernichten, um dann selber die Schätze zu heben, von denen in diesen Papieren die Rede ist«, belehrte ihn Johann Bernsdorf. »Die Brigg ist von einem Menschen ausgerüstet und befehligt, der vor keiner Untat zurückscheut.«
Darauf erzählte er dem Kapitän von der unerhörten Grausamkeit, die man gegen seinen Sohn Philipp ausgeübt hatte, indem man einen amerikanischen Adler aus demselben machte, aber er verschwieg auch nicht, daß Lot und Hiob den Knaben gerächt und die beiden Missetäter aufgehängt hatten.
Der Schiffer hörte aufmerksam zu.
»Die Banditen sind mir nicht ganz unbekannt,« nahm er dann das Wort, »wenigstens erinnere ich mich, ihre Namen in Verbindung mit allerlei Schurkereien öfter gehört zu haben. Jetzt ist es aber Zeit, daß wir wieder an Deck gehen.«
Die Brigg hatte, wie zu erwarten war, den Schoner in Sicht behalten. Auch sie segelte in derselben Richtung die Davis-Straße hinauf, wo sie allerdings viel mehr mit dem Treibeis zu kämpfen hatte als der letztere.
Kapitän Armstrong schloß hieraus, daß ihr Führer kein sonderlich geschickter Seemann sein könne, zum mindesten aber, in diesen Gewässern noch fremd sein müsse.
Der Wind hatte den Nebel vollständig zerstreut, zugleich aber auch dem Treibeis, in welchem sich ganze Eisfelder und auch kleine Eisberge befanden, eine solche Richtung gegeben, daß der Kapitän Grund zu der Annahme fand, die ganze Masse könne sich vereinigen und die Brigg in nicht zu langer Zeit einschließen.
Er redete noch mit den Brüdern über diese Möglichkeit, als Lot, der an der Reling stand, plötzlich mit seinem langen Arm winkte.
»Horch!« rief der Neger. »Die Brigg ruft uns an!«
Im nächsten Augenblick scholl aus der Ferne ein Ruf über das Wasser.
»Schoner ahoy!« tönte es. »Wer seid ihr?«
»Die ›Seeschlange‹!« antwortete der Schiffer mit seiner mächtigen Stimme. »Wer seid ihr?«
»Brasset back! Wir wollen zu euch an Bord kommen!« lautete die ausweichende Entgegnung.
»Sehr liebenswürdig«, murmelte Philipp.
»Haben keine Zeit!« schrie Armstrong. »Treffen uns wohl weiter oben.«
»Brasset back!« wiederholte der andere in befehlendem Ton. »Wenn ihr nicht wollt, dann zwingen wir euch!«
»Geht zum Teufel, Ihr Großmaul! Zwingt uns doch, wenn ihr könnt!«
Der trotzige Ruf Armstrongs dröhnte wie eine Posaune über das Meer und weckte das Echo an den Eisbergen.
Die »Seeschlange« setzte ruhig ihren Weg fort; sie war aber kaum einige Faden weiter gesegelt, als an der Schanzkleidung der Brigg eine rundliche Wolke weißen Dampfes aufpuffte, zugleich erdröhnte ein Schuß, und eine Kugel kam über das Treibeis gehüpft, um eine Strecke vor dem Buge des Schoners im Wasser zu verschwinden.
»Das ist stark!« sagte Johann Bernsdorf entrüstet. »Die Spitzbuben schießen auf uns, und wir können uns kaum wehren!«
»Das fragt sich«, entgegnete sein Bruder. »Gutwillig werden wir uns nicht zur Zielscheibe machen lassen. Die Halunken setzen ein Boot aus, wie ich sehe. Ich denke, wir erwarten sie zunächst, um zu hören und zu sehen, wie weit ihre Unverschämtheit geht, und was sie eigentlich im Schilde führen.«
Die anderen waren damit einverstanden, und der Kapitän gab den Befehl, das Schiff beizudrehen, das heißt, die Rahen so zu brassen, daß die Fahrt gehemmt wurde.
Philipp, der mit seinen jungen Gefährten dem Manöver neugierig zugeschaut hatte, trat jetzt an den Schiffer heran.
»Wollt Ihr denn jene Leute zu uns an Bord kommen lassen?« fragte er.
»Fällt mir nicht ein, Master Phil«, war die Antwort. »Zunächst wird es finster, ehe das Boot uns erreichen kann, denn wir treiben mit der Strömung unmerklich aber doch ziemlich schnell vorwärts, was die Esel gar nicht in Betracht zu ziehen scheinen, denn sonst hätten sie mit dem Aussetzen des Bootes noch gewartet. Außerdem schiebt sich das Eisfeld dort zwischen uns und sie; es wird lange dauern, ehe sie da herumkommen. Warten wir also erst mal ruhig ab.«
Philipp kehrte zu den andern zurück.
»Unser alter Kapitän weiß, was er tut«, sagte er. »Ich denke aber, es kann nicht schaden, wenn wir unsere Gewehre und Revolver aktionsbereit machen.«
Das war ein Vorschlag, dem die Knaben gern entsprachen, sah er doch so verlockend kriegerisch aus.
Die Mannschaft war inzwischen vorn bei der Back zusammengetreten und besprach den Fall von ihrem Standpunkte aus. Lot und Hiob führten dabei das große Wort.
Die Leute hatten bereits genug über den eigentlichen Zweck der Reise erfahren, und so lag ihnen alles daran, daß die Unternehmung von Erfolg gekrönt würde, damit auch sie ihren Anteil an den zu hebenden Schätzen erhielten. Sie waren daher fest entschlossen, jeden Widerstand, auf den man stoßen würde, mit allen Kräften zu bekämpfen, und dies um so energischer, wenn derselbe von solchen Subjekten, wie der berüchtigte Joseph Britton und seine Helfershelfer waren, ausgehen sollte.
Die Knaben hatten ihre Waffen kampfbereit gemacht und gesellten sich nun zu den Matrosen. Der Schiffer und die beiden Bernsdorfs waren unter Deck gegangen, um einen Blick in die Karte zu werfen.
»Können wir den Wichten denn keinen Denkzettel geben, Lot«, fragte Hans, das Boot der Flibustier beobachtend, das zwischen den treibenden Hummocks nicht mehr aus noch ein zu wissen schien.
»Nur wenn wir auf sie feuern, sonst nicht, Master Hans,« antwortete der Neger, »denn an Bord werden sie schwerlich kommen. Hiob sagt, er glaube nicht, daß sie ahnen, daß wir sie erkannt haben; er meint, sie wollen sich uns gegenüber als ein Regierungsfahrzeug aufspielen. Hahaha! Sie können ja auch nicht wissen, daß wir, Hiob und ich, hier an Bord sind!«
Damit schlug der Schwarze sich selbstbewußt auf die breite Brust.
»Du meinst also, daß sie uns mit dem Boot nicht erreichen werden?«
»Oh, erreichen werden sie uns vielleicht, aber an Bord kommen werden sie nicht, denn wir werden ihnen ein paar Stücke Roheisen aus dem Ballast ins Boot schmeißen, wenn sie längsseit liegen – hahaha! Dann sollt ihr bloß sehen, Master Hans, wie schnell sie in den Grund zu den Fischen fahren! Was, Hiob?«
»Ja, Lot, so machen wir's«, nickte der Mulatte; »so haben wir's immer gemacht, und was wir sagen, das tun wir auch.«
»Seht doch,« rief Philipp, »das Boot hat eine Öffnung im Eise gefunden und kommt jetzt schnell auf uns zu! Die Sache wird doch ernst, wie mir scheint, denn ich sehe eine Menge bewaffneter Menschen darin.«
»Sie sollen uns nicht unvorbereitet finden«, warf Stevens, der Steuermann, ein, der dem Gespräch zugehört hatte. »Ist das Geschütz klar, Leute?«
» Ay, ay, sir!« lautete die Antwort. »Klar und gefechtsbereit, bloß noch nicht geladen.«
»Bringt es aufs Achterdeck; wir wollen den Piraten zeigen, daß wir mindestens ebenso gut bellen und beißen können, wie sie.«
Die Matrosen gehorchten, und unsere jungen Freunde legten beim Transport des Dreipfünders eifrig mit Hand an. Derselbe wurde nun auch geladen, vorläufig aber nur mit Pulver und einem tüchtigen Wergpropfen.
»Da es jetzt doch den Anschein hat, als sollte es ohne Kampf nicht abgehen,« sagte Karl, »so denke ich, wir benachrichtigen unsere Väter und den Kapitän. Was meinst du, Philipp?«
»Ich hoffe, daß es nicht so schlimm werden wird«, antwortete dieser. »Reiche mir, bitte, das Teleskop.«
Er lugte lange und aufmerksam nach dem Boote.
»Hans,« sagte er dann, »schau' du einmal hin. Ich kann mich täuschen ... Mein Gott, ich zittere am ganzen Leibe! ... Die Toten sind auferstanden! ... Hans, wen siehst du im Boot?«
»Was gibt's?« riefen die anderen, durch Philipps Worte und Gebaren in Aufregung gebracht. »Was soll da sein?«
Hans richtete das Fernrohr auf das immer näher kommende Boot.
Es währte eine geraume Zeit, ehe er es wieder absetzte.
Endlich wendete er sich um und reichte das Glas seinem Bruder Heinrich.
»Diesmal wird's böse«, sagte er ganz ruhig. »In dem Boot sitzen Christian Nelson und Loskins, munter und fidel. Lot und Hiob müssen das Aufhängen also doch noch nicht richtig verstehen. Lauf in die Kajüte, Karl, und melde die Neuigkeit.«