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Zwar hatt' ich mir fest vorgenommen, des andern Morgens ein Augenzeuge von dem Zweikampf zu seyn, zu welchen Sir Edmund seinen angeblichen Nebenbuhler aufgefordert hatte. Doch ganz gegen meine Gewohnheit verschlief ich die bestimte Stunde. Allerdings verdros mich dies ein wenig; doch tröstete mich der Gedanke, daß ich ia nur in Edmunds Wohnung gehen dürfte, um bald zu erfahren oder zu errathen, wie der Handel abgelaufen sei. Da aber auch Lädi Leonorens neue Wohnung mir bekannt war, da sie mir in der Nähe lag, und ich gleichfalls gern gewußt hätte: ob dies reizende Geschöpf noch Zorn über die gestrige Beleidigung, oder Reue über ihren raschen Schritt empfinde; so entschlos ich mich, sie zuerst heimzusuchen, und fand im Verfolg, daß ich mich zu nichts bessern hätte entschließen können.
Die Lädi war so eben aufgestanden, und befand sich noch in ihrem leichtesten Morgenkleide. Sie schien höchst schwermüthiger Laune zu seyn. Die Spuren von der Rache ihres Gemals waren noch auf ihrem Gesichte kentlich genug; und doch war sie so reizend, daß ich mit Edmund fühlte: es müsse unsäglich weh thun, eine solche Gattin zu verlieren. Aus einigen einzelnen Worten schloß ich, daß sie würklich im innern Kampfe liege: ob sie durch ihre Flucht auch recht gethan habe, oder nicht? Vielleicht hätte sie noch zusammenhängender und deutlicher gesprochen, wäre nicht eben Betti mit dem Frühstück ins Zimmer getreten. In dieses Mädchens Gesichtszügen stand gleichsam mit leserlicher Schrift eine wichtige Neuigkeit geschrieben, und sie rief, so wie sie nur die Thüre hinter sich zugemacht hatte:
»O Madam, ich habe Ihnen die seltsamsten Dinge zu erzälen! Von wem glauben Ewr. Herrlichkeit wohl, daß ich soeben ihn gesehn habe?«
Leon. Wie soll ich das errathen? Ich bitte dich; wen?
Betti. Den nämlichen Bedienten, der Ihnen gestern das Briefchen brachte, worüber unser Herr so böse ward. – In meinem Leben bin ich nicht so bestürzt gewesen.
Leon. Bestürzt? Warum? Wo sahst du ihn denn?
Betti. In der Küche unten! – Ich wolte eben den Theekessel vom Feuer nehmen, da kam er hinein, und sprach mit Frau Clips. Sein Herr wohnt da in den Zimmern neben uns.
Leon. Neben uns? – Gütiger Gott, kann ein unglücklicheres Ohngefähr sich denken lassen? Eben derienige Mann, dessen Gegenwart ich am meisten meiden muß, wohnt in einem Stockwerk mit mir! – Glaubst du denn, daß er dich kante?
Betti. O ia, ganz gewiß! – Erinnern sich Ewr. Herrlichkeit, daß grade ich sowohl das Briefchen ihm abnahm, als auch die Antwort überbrachte. Er muß mich daher ia kennen; und gesezt, er wäre so vergeslich, so hat gewiss Frau Clips aus der Schule geschwazt; denn ich hörte, daß sie im Gespräch mit ihm den Namen Lädi Warhite nente.
Leon. Beim Himmel, ich muß sinnlos gewesen seyn, als ich diesem Weibe nicht verbot, irgend iemand zu erzälen, daß ich hier sei. – Ich muß augenblicklich wieder fort. Mein Unglück wär' entschieden, erführe mein Gemahl, oder einer seiner Freunde: daß ich mit Sir Heinrich eine Nacht hindurch unter einem Dache zubrachte.
Betti. Ewr. Herrlichkeit haben Recht. – Während Sie frühstücken, will ich ausgehn, und nach einem andern Quartiere mich umthun.
Leon. Ei wer spricht hier noch vom Frühstück? Du must sogleich gehn. Ich bin außer mir, wenn ich bedenke, wo ich mich befinde.
Betti. Nicht doch, meine theure gnädige Frau, Sie beunruhigen sich alzusehr und ohne Grund. Sir Heinrich ist ausgegangen, wie es scheint; und wenn diese iungen muntern Herren einmal ausgehn, kommen sie selten vor Abend wieder. Ich wette drauf, wir halten wieder unsern Auszug, ehe er noch eine Silbe von unserm Einzug erfährt.
Leon. Du schwazzest, wie ein Kind; eben weil er so früh ausging, kömt er sicher bald wieder, um sich anzuziehn. – Fort, fort! Geh! schaff ein andres Zimmer! Ich wolt' um alles in der Welt nicht, daß er mich hier sähe.
Da Betti spürte, daß es ihrer Lädi ein Ernst sei, ging sie ins Nebenzimmer, fuhr (so hurtig, als es nur einem Kammermädchen möglich ist,) in ihre Kappe und Handschuh; kam aber nochmals, und fragte Leonoren: In welchem Theile der Stadt sie wohl am liebsten wohnen möchte? Diese versicherte: Ihr sei alles gleich; nur wünsche sie Zimmer, die auf den Strom hinausgingen, damit man sie so wenig als möglich sähe. Auch befahl sie ihr, Frau Clips hinaufzusenden. – Das Mädchen ging, und die Wirthin kam. Die Lädi sagte ihr: daß Familienumstände sie nöthigten, nochmals auszuziehn, und daß sie höchlich bitte, niemanden ein Wort von ihr zu erzälen. Frau Clips bedauere ienes, und versprach dieses. Das Gespräch kam auf andre unbedeutende Gegenstände, und hätte sich wahrscheinlich bald, durch Leonorens Schuld, die wenig Lust zum Schwazzen hatte, geendigt, als man an der Saalthüre klopfen hörte. Frau Clips sah heraus, was es gäbe, und rief sehr erschrocken:
»Lieber Himmel, dies war Sir Heinrich, den sein Bedienter aufschlos. Seine Kleidung war über und über voll Blut; sein Arm in der Binde. – Ha! sicher – sicher hat er sich geschlagen. Ich dachte doch gleich, daß von so etwas die Rede war, als er so früh ausschlich. – Verzeihn Ewr. Herrlichkeit, ich muß doch laufen und sehn: ob er vielleicht etwas nöthig hat.«
Lädi Leonore, als sie Sir Heinrichs Namen und den Zustand, in welchem er sich befände, vernahm, war viel zu erschrocken, als ihre Wirthin zurückhalten zu können. Sie versank vielmehr, als sie sich allein befand, wieder in ein tiefes Nachdenken. Ein paar einzelne Zähren schlichen sich langsam vom Auge. Sie befand sich ohngefähr eine halbe Stunde lang in dieser stillen Schwermuth, und würde sich wahrscheinlich noch länger drinnen befunden haben, hätte sie nicht endlich ein bescheidnes Klopfen an ihrer Thüre aus ihren Gedanken geweckt. Sie rief: Herein! aber sie erschrak nicht wenig, als dieser Hereinkommende – Sir Heinrich war. Sie fuhr zusammen, zitterte, und sagte endlich mit furchtsamer Stimme:
»O warlich, Sir, einen Besuch von Ihnen zu einer solchen Stunde kont' ich mir nicht vermuthen.«
S. Heinr. Wenigstens hof' ich, Milädi, auf Ihre Vergebung. Auch würde ich mich nicht aufdringen, hätt' ich nicht eine Nachricht zu hinterbringen, die Ihnen doch vielleicht nüzlich seyn könte. – Ich sah diesen Morgen Ihren Gemahl.
Leon. O Gott, mein Herz! Ich zittre für die Folgen dieser Zusammenkunft.
S. Heinr. Besorgen Sie nichts, Madam. – Sir Edmund ist unverlezt, und ich trug nur ein kleines Merkmal von seinem Anschlag auf mein Leben davon.
Leon. Sie haben sich also geschlagen?
S. Heinr. Nur mit dem äussersten Widerwillen kont' ich meinen Degen gegen den Gemahl von Lädi Leonoren ziehn. Aber lesen Sie dies Billet, und Sie werden selbst den Zwang einsehn, in welchem ich mich befand.
Er übergab ihr hier das Ausfoderungsbillet. Sie las es, und rief:
»Unbilliger, unsinniger Kopf! – Aber dem Himmel sei Dank, daß es nicht schlimmer abgelaufen.«
S. Heinr. Ja wohl, verdient der Himmel allein meinen Dank. – Nicht meiner Ueberlegenheit im Fechten, nicht der Großmuth meines Gegners, blos einer Art von Wunder verdank ich die Erhaltung meines Lebens.
Leon. Und wie das? Ich bitte, Sir, erzälen Sie mir alles.
S. Heinr. Ich weiß nicht, ob ich zum Erzäler tauge; auch dürften einige Ausdrücke bei Vorfällen dieser Art Ihrem schönen, sanften Geschlechte unbekant seyn doch will ich Ihrem Befehle gehorchen, so gut ich kann. – Ich fand mich pünktlichst am bestimten Orte ein; doch hatte seine Ungedult ihn noch früher hingeführt. Ich wolte ihn, bevor wir zogen, aus einem Irthume reissen, der meinem guten Namen, Ihrer und seiner eignen Ruhe so nachtheilig war; doch er verweigerte es durchaus, meinen Worten Gehör zu geben, und ging mit der Wuth eines ergrimten Löwen auf mich los. Aus seiner Art zu fechten, sah ich leicht, daß er mit der Absicht gekommen sei: Einer von uns beiden müsse auf dem Platze bleiben. Da ich keines von beiden wünschte, so begnügte ich mich eine Zeitlang, seine Stöße nur auszupariren, und machte keinen Gebrauch davon, das er mir zu verschiednenmalen im Eifer offenbare Blößen gab. Doch eben diese meine Mäßigung erbitterte ihn immer noch mehr. Er ging mir noch stärker zu Leibe, und es gelang ihm, mir am rechten Arme, dicht über dem Gelenke an der Hand, eine Wunde beizubringen. Da dies mich hinderte, länger in ihr den Degen zu führen, so nahm ich ihn in die linke Hand, und rief meinem Gegner zu: Sie sehen, Sie, ich bin wehrlos, und die Entscheidung unsers Handels muß auf ein andermal ausgesezt bleiben. – »O nein, antwortete er, ich werde nicht Thor genug seyn, einen Vortheil zu entsagen, den ich einmal erworben habe.«
Leon. Ha, der Unwürdige!
S. Heinr. Er war, indem er dies sagte, einige Schritte zurückgetreten; aber iezt grif er mich von neuen und mit verdoppelten Kräften an. Vergebens sucht' ich mich zu decken. Ein so ungleicher Streit hätte sich in der nächsten Minute zu meinem Verderben endigen müssen; doch eben, als er in Begrif stand, mich am Boden anzuspießen, rettete mich ein ungehoftes Glück. Einige Personen, deren Fenster auf den Artilleriepark hinausgingen, hatten gleich Anfange unser Duell wahrgenommen, und waren herbeigeeilt, um allen Unfall zu verhüten; eben iezt kamen sie herzu, fielen meinem Gegner in Arm, und dienten mir zur Brustwehr. –
Leon. Aber mein Mann – was that er?
S. Heinr. Er ging voll Unwillen von dannen. Vorwürfe und Schmähreden meiner Befreier über sein unedles Betragen verfolgten ihn soweit er hören konte; kaum vermocht ich es, sie von Thätlichkeiten gegen ihn abzuhalten. – Aber, Madam, indem ich Ihnen erzäle, wie unbillig er gegen mich verfahren, läßt mich Ihr Hiersein befürchten, daß er noch ungerechter gegen Sie gehandelt habe.
Leon. Wenigstens so, daß die Welt noch unbilliger als er seyn müßte, wenn es mir verargt würde, daß ich nie mehr mit ihm leben mag. – Gleichwohl, Sir, würde es auch sehr nachtheilig für meinen guten Namen seyn, erführe man, daß wir seitdem uns sahen. Ich muß Sie daher bitten, wenn ich hier weggegangen seyn werde, mit keinem weitern Besuch sich zu bemühen.
S. Heinr. Es ist hart, für andrer Fehler zu büßen; aber seyn Sie versichert, Madam, ich werde nie etwas thun, wodurch Sir Edmunds übles Betragen entschuldigt werden könte. – Uebrigens schmeichle ich mir, das Andenken unsrer ehemaligen Liebe wird nicht so ganz erloschen seyn, daß nicht wenigstens Freundschaft zwischen uns bestehen könne. Ich hoffe daher auf die Erlaubnis, dann und wann Ihnen schreiben zu dürfen.
Leon. Fast zweifle ich, ob auch dies sich zieme.
S. Heinr.: Nein, Milädi, die Gunst, um die ich Sie ersuche, kann weder Ihre Tugend, noch selbst Ihre Verbindlichkeit gegen den zärtlichsten Gatten beleidigen. – Dennoch, um aller Misdeutung unsers unschuldigen Briefwechsels vorzubeugen, werd' ich solche Vorsicht treffen, daß er für alle Welt ein Geheimnis bleiben soll.
Leon. Wohlan, Sir, ich kann Ihnen diese Probe Ihrer Theilnahme, und mir selbst den unschuldigen Trost bei meiner traurigen Lage nicht versagen. Ihre Briefe sollen angenommen und beantwortet werden. Beides mit so viel Vergnügen, als eine Frau unter meinen Umständen zu fühlen vermag.
Indem er antworten wollte, kam Betti von ihrer Wanderschaft zurück. Sie stuzte ein wenig, als sie Sir Heinrichen sah, und wolte Anfangs, als ihre Gebieterin sie fragte: Ob sie den Auftrag verrichtet habe? im nächsten Zimmer Rechenschaft ablegen. – Der Lädi Versicherung aber, daß sie Zutrauen genug in diesen Herrn sezze, machte auch dem Mädchen Muth, und sie sagte: daß sie in der Norfolksstraße bei einem reichen Schneider, den sie nante, drei schöne Zimmer gemiethet habe. – Mehr brauchte Sir Heinrich nicht zu wissen. Als ihn daher Leonore nochmals sie zu verlassen bat, that er es ohne Widerspruch, und der Abschied war auf seiner Seite so ehrfurchtsvoll, auf der ihrigen so zurückhaltend als möglich. Doch spürte ich gar deutlich, daß während diesem Gespräche in beider Herzen eine bisher entschlafne Neigung wieder aufwache. Vorzüglich trug die unedle Art, mit welcher Sir Edmund auch gegen ihn sich aufgeführt, viel dazu bei, sein Andenken – das doch vielleicht sich sonst wieder verbessert hätte – in iener ersten schwarzen Farbe zu erhalten.
Da noch von gestern her die meisten Habseeligkeiten der Lädi unausgepackt waren, so brauchte ihr heutiges Ausziehn noch weniger Zeit und Umstände. – Ein ansehnliches Geschenk vergütete der Frau Clips die gehabte Mühe. Aber ihrer Verschwiegenheit traute man nicht genug, um die neue Wohnung ihr mitzutheilen. Die Dame iezt zu begleiten, fand ich nicht erst nöthig, weil ich nicht hoffen konte, vor der Hand viel wichtiges bei ihr zu sehen, oder zu hören.
Durch das algemeine Stadtgespräch erfuhr ich wenige Tage nachher: daß sie sich einen Sachwalter angenommen, und entweder ihr Eingebrachtes zurück, oder wenigstens die iährlichen Zinsen davon verlange. Sir Edmund verwarf Anfangs alle Vorschläge dieser Art; doch auf das Zureden seiner Freunde, und vorzüglich seiner Mutter, ließ er sich endlich bereden, eine gänzliche Scheidungsakte zu unterschreiben; vermöge derselben wurden ihr iährlich, so lange sie lebte, fünfhundert Pfund ausgesezt; beim Sterbefall aber solte ihr ganzes Vermögen an ihn zurückkommen.
Da ich indessen die arme Lädi oft besuchte, so fand ich, daß sie während dieser Unterhandlungen mit ihrem gewesenen Gemahl, ihrem Vorsazze treu blieb; und daß Sir Heinrich, so oft er auch darum bat, nie vorgelassen ward. Doch, so wie ihr Handel geschlichtet war, besuchte er sie altäglich. Die Folgen davon waren, wie man vorhersehn konte; ihre Freundschaft ward wieder Liebe. Endlich reisten sie beide zusammen nach Paris, und dort machen sie zusammen nur ein Haus.
Dieser lezte Schritt gab den mannigfachen Feinden und Feindinnen der reizenden Lädi Leonore völlig gewonnenes Spiel. In aller Augen war nun der Verdacht ihres Gemahls und sein Zweikampf gerechtfertigt. In aller Augen hatte sie Schuld und Unrecht. Aber ich bin überzeugt: bei einem Gemahl, der ihre Liebe mit Zutrauen oder auch blos mit Billigkeit vergalt, würde sie für das Muster einer guten Ehefrau gegolten, keiner Versuchung Raum gegeben, und das Glück ihres Gemahls gemacht haben. Dürfte ich die Ehemänner wohl bitten, in diesen Spiegel zu schauen? Dürfte ich sie an die Worte eines Dichters erinnern: daß derienige, der eine Schöne auch treu zu erhalten wünscht, Liebe allein zum Vorlegeschlos ihres Herzens erwälen dürfe.
Ende des ersten Theils.