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Bei ziemlich frühem Morgen fand ich mich des nächsten Tages ein. Von den beiden Hauptpersonen war zwar noch keine zu sehen; aber aus dem Gespräche der Bedienten im Vorgemache konte ich leicht alles, was indessen vorgefallen war, entziffern. Sir Edmund mochte zur gewöhnlichen Zeit bei der Abendtafel sich eingefunden haben; aber Lädi hatte sich herunter zu kommen geweigert; hatte selbst ihr Bette in einem obern Gemach sich aufschlagen lassen, und ein Billet, welches ihr Gemahl geschrieben, ungelesen und uneröfnet zurückgesendet. Voll Erstaunen über diese anhaltende Entschlossenheit, hatte er ebenfalls Mahlzeit und Schlafengehen verschmäht; war nach einem zweistündigen Spaziergange im Saale auf und ab, nach zehn geschriebnen und wieder zerrißnen Zetteln, endlich ausgegangen; hatte die Nacht hindurch ums Haus und auf den benachbarten Gassen sich herumgetrieben, und in iedem Betracht fast als ein Wahnsinniger sich betragen.
Von sehr verschiedner Meinung war das Hausgesinde über die Frage: Wer mehr zu bedauren sei; ihr Herr, oder ihre Frau? Und fast wäre es zwischen Kammerdiener und Kellermeister zu einem förmlichen Boxen gekommen, als Sir Edmund selbst durch seine Heimkunft meine Aufmerksamkeit an sich zog. Ich hatte ihn, nach dem Gehörten, mit wilder Miene, mit Unentschlossenheit in Worten und im Gange zu sehn vermuthet; aber zu meiner Verwunderung hatte ich noch nie so viel Ruhe in seinen Gesichtszügen erblickt. Er schien eine freudige Nachricht vernommen zu haben; und sein erster Gang war nach dem Zimmer, wo Leonore, wenigstens dem Namen nach, geruht hatte. Er klopfte einigemal leise an die Thüre desselben, und als sie ihm nicht geöfnet wurde, begab er sich ins Speisezimmer, und befahl einem seiner Bedienten, das Kammermädchen der Lädi aufzusuchen. Die Zofe erschien, und wie man an ihrem Gesicht spüren konte, nicht ohne ihre Furcht, auch von der üblen Laune ihres Herrn ein ihr beschiednes Theil davon zu tragen. Aber der Muth wuchs ihr, als er sie mit dem leutseeligsten Tone von der Welt fragte: Ob Lädi schon aufgestanden sei? – »Ja, Sir!« – »So sagt ihr, ich wünschte das Frühstück einzunehmen, und bäte sie zu bestimmen: ob der Thee in ihrem Zimmer, oder in dem sonst gewöhnlichen aufgegossen werden solle?« – Diese plözliche Veränderung nahm das Mädchen nicht wenig Wunder; sie entfernte sich, und kam wenige Minuten darauf mit der Antwort zurück: »Milädi lasse sich entschuldigen. Ein heftiger Kopfschmerz nöthige sie zu dem Wunsch, allein zu bleiben.«
»Das besorgt ich! Aber geh, und sag' ihr: Ich brächte eine Neuigkeit mit, die sie wieder gesund machen würde. – Doch nein, bleib! Ich will selbst gehn.« – Er eilte bei diesen Worten die Treppe hinauf, und eröfnete hastig die nun nicht mehr verschloßne Thür. In einer tiefsinnigen, traurigen Stellung saß Lädi am Tisch; als sie ihn so hereinprellen sah, erschrack sie ein wenig, faßte sich aber und sprach, bevor er sie noch anreden konte:
»Es ist hart, Frau im Hause zu heißen, und nicht einmal ein Zimmer zu haben, wo ich sicher für einen Mann seyn könte, der mich nur geheirathet zu haben scheint, um mich unglücklich zu machen.«
Sir Edm. O nein, sagen Sie dies nicht! – Ich will von nun an Sie des Gegentheils überführen. Nie sollen Sie wieder einen Grund haben, sich vor mir zu verbergen. – Ich gestehs, ich bin strafbar; ich habe Ihnen tausend Dinge gesagt, an die ich mich iezt zu denken schäme. Aber warum trieben Sie auch meinen Unwillen zu einer solchen Höhe? Warum verhehlten Sie mir die Schreiberin und den Inhalt eines Briefes, der mir so viel Sorge machte?
Leon. Und den Sie wahrscheinlich noch iezt mir gern entlocken möchten? Wie leicht wär' es mir, Ihren Argwohn in Schaam zu verwandeln; aber nie –
Edm. O ich weiß alles, mein Engel, ich weiß alles. – Ohne Sie eines Bruchs der Freundschaft schuldig zu machen hab' ich alles entdeckt.
Leon. Wie meinen Sie das?
Edm. Ich war diesen Morgen bei meiner Mutter, und sprach von unserm unseeligen gestrigen Zwist. Als ich die Ursach desselben erzählte, entfärbte sich sofort meine Schwester, vertheidigte Ihr Betragen mit vieler Heftigkeit, tadelte das meinige, und entdeckte endlich, als sie sich überstimt sah: daß sie selbst Ihnen diesen Brief übersendet, und dabei um seine Verbrennung gebeten habe.
Leon. Edelmüthige Lucie! O daß der Bruder doch die Denkungsart seiner Schwester hätte!
Edm. Schwester und Bruder sind nun ganz die Ihrigen. Lucie würde als Bruder wie Edmund, Edmund als Schwester wie Lucie handeln. Nur in der Verschiedenheit unsrer Geschlechter ist der Grund von unserm verschiednen Betragen. Die zärtlichste Freundschaft zittert so gut wie die glühendste Liebe, wenn sie auch die entfernteste Möglichkeit sieht, ihres Glücks verlustig zu werden.
Leon. Kann das Liebe seyn, wenn man mit einem so bittern Argwohn meine Tugend kränkt?
Edm. O nie fält in ruhigen Augenblicken mir nur der Gedanke bei: daß Sie sich und mich zu entehren vermöchten. Nur dann, wenn eine wüthende Leidenschaft sich meiner Seele bemeistert, hat Vernunft über Wort und Gedanken reine Kraft. – Ich weiß, ich weiß, wie tadelnswerth ich bin. Aber, Leonore, vergeben Sie mir einen Fehltritt, der nur aus der Größe meiner Liebe entspringt. Ach, ich liebe Sie so sehr, daß ich selbst die Luft beneide, die Ihre Lippen berührt; daß ich gern alles Ihnen, alles allein seyn möchte.
Leon. Und bedenken Sie nicht, wie unglücklich eine so grundlose Eifersucht mich machen muß? Daß Sie selbst meinen guten Namen zertrümmern? Daß es mich unendlich schmerzen muß, wenn man mich Schuldlose endlich zu den verworfnen Theil meines Geschlechtes zählt? – Sie wissen nun den Inhalt vom Briefe Ihrer Schwester –
Edm. O Leonore, mein Herz möcht' ich ausreissen; den lezten Tropfen meines Bluts möcht' ich vergießen, wenn ich denke, daß mein sinloser Argwohn so Sie kränken, so Ihre schöne Seele quälen konte. Zwar wüßten Sie, was ich diese lezte Nacht erlitt, alle Qualen der Hölle würden Ihnen leidlicher dünken! – und deshalb geschworen sei es hier vor den Ohren des Algegenwärtigen, es ist das leztemal gewesen, daß meine Eifersucht Sie verfolgte. Meine Mutter, meine Schwester wird Sie heute noch überführen, mit welcher Beschämung ich meinen Fehltritt erkannte; mit welchem innigen Vorsaz mich zu bessern ich hieher kam. – Nur diesmal – diesmal noch, Leonore, vergeben Sie mir!
Leon. Wenn ich versichert seyn könte, daß Sie gestern zum leztenmal auf meine Vergebung lossündigten –
Edm. Das können, das sollen Sie seyn! Und zum Beweis dessen treten Sie nun ganz wieder in Ihre ersten Rechte. Besuchen Sie Bälle, Schauspiele und Gesellschaften volkommen nach eigner Wahl, ohne eine andre Vorschrift als Ihre Wilkühr, ohne eine andre Begleitung, als die Sie selbst begehren; ohne einen andern Hüter, als Ihre eigne Tugend! Mein Zutrauen zu Ihnen ist von nun an so unbegrenzt, daß ich alles für gut erkenne, was Ihnen wohlgefällt.
Leon. Eben dann werd' ich die wenigste Freiheit mir nehmen, wenn Sie die höchste mir einräumten. Nur keinen Rückfall wieder! Oder erinnern Sie sich, was ein Dichter uns bei ähnlicher Gelegenheit sagen läßt:
Es ist im Frauen-Rechte ein Saz, der ewig gilt:
Die Treue dem zu brechen, der uns für untreu schilt.
Sie begleitete diese leztern Worte mit einem so zauberischen Lächeln, daß Edmund, wiewohl er noch nicht förmlich zu Gnaden aufgenommen war, sich doch nicht länger halten konte, sondern sie brünstig in seine Arme schloß; wohl zwanzig Küsse auf ihre Lippen drückte, und sie dann erst mit dem Ausdruck innigster Zärtlichkeit fragte: ob ihm verziehen sei? Sie beiahte es; schlang ihre schneeweißen Arme um seinen Nacken, und vergalt ihm seine Liebkosungen mit gleich starkem und aufrichtigen Feuer. Hand in Hand gingen sie dann ins Theezimmer hinab. Ich sah ihnen mit Vergnügen nach, und hofte würklich: Sir Edmunds Genesung würde diesmal ernstlich und dauerhaft seyn.