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XI.
Ohnmasgebliche Betrachtungen über das Vorherige. Le Bris fernere Schicksale.

Es war ein sonderbares Gemisch von Empfindungen, das die Lesung dieses Aufsazzes bei mir erregte. – Ich konte Miß Bettys Betragen, bei dem aufrichtigen Gemälde, das sie von ihrem Leben machte, unmöglich ganz rechtfertigen; doch noch minder schien sie mir der Verdammung werth zu seyn. Es wäre wahre Ungerechtigkeit, wenn man ihre anfängliche Neigung gegen ihren schändlichen Lehrer einem verderbten Triebe zuschriebe. Die Künste, die er zu ihrer Verführung anwandte, – die Unvorsichtigkeit ihres Vaters, der sie einem solchen Menschen übergab, und ihm gleiche Liebe, gleichen Gehorsam mit sich selbst bei ihr einräumte; – die Art, wie le Bris von Schritt zu Schritt sie leitete, die gänzliche Unwissenheit mit allen Gebräuchen der feinern Welt, mit allen Pflichten ihres Geschlechts, in der sie aufgezogen worden; alles dies würde selbst bei der kunstlosesten Schulrede zu ihrer Vertheidigung gnügen; und für ihre misgeleitete Unschuld, selbst wenn sie stärker noch gefehlt hätte, nur Mitleid auffodern.

Doch nicht ganz so tadellos dünkte mir ihr Betragen, als Sir James mit ihr gebrochen hatte. Daß auch gegen ihn die Schaam den Mund ihr verschlos, das kann man ihrer Weiblichkeit verzeihen; und wohl möglich, daß der männliche Stolz auch durch diese unschuldigen Schwächen sich beleidigt gefühlt, und Sir James die Hochachtung verloren hätte, welche allein die Dauer der wahren Liebe befestigt. Aber als Betty allen den rauschenden Freuden sich Preis gab, nur um den Gram über den Verlust ihres Geliebten zu verbergen; als sie an Ausschweifungen Theil nahm, zu denen sie sich zwingen muste, da opferte sie die Zierden des weiblichen Karakters, Bescheidenheit und Klugheit auf; opferte sie dem verderblichsten aller Triebe, dem Stolze auf. – Eben so wenig kann ich ihres Lebens lezte Auftritte, und die Einsamkeit, wozu sie sich selbst verdamte, billig sprechen. Denn es herschte nicht das Bedauern über zeither verschwendete Jugend, es herschte ein Unwillen und ein Hader mit dem Schicksal selbst darinnen. Ihre Entschlossenheit hätte erst den eigennüzigen Bösewicht strafen, und dann in bessrer Gesellschaft Trost und Vergessenheit ihrer bisherigen Widerwärtigkeiten suchen sollen.

Aber in ungetheilter Stärke traf mein Haß eben diesen heuchlerischen Buben; und ich beschlos, die Rache, die iene Geopferte ihm zugedacht hatte, nun selbst auszuführen; ihn durch einen öffentlichen Druck dieser Papiere, der verdienten Schande Preis zu geben. Doch indem ich es schon thun wolte, grif ein höheres Gericht mir vor. – Dieser Elende muste in Bettys Brief an ihre Freundin ohne Zweifel die paar Zeilen, wo sie vom Ringe, und von der Verordnung sprach, die sie desfalls getroffen, in seiner Bestürzung übersehen haben; denn sicher wäre er sonst verschlagen genug gewesen, ihn wieder an seinen vorigen Ort zu bringen. Sir James hingegen erinnerte sich dieses Vermächtnisses bald, und da er ihn unter den übrigen Juwelen nicht fand, stelt' er genauere Untersuchung an. Le Bris, weil er die Schlüssel in Verwahrung gehabt, war ziemlich einer der Ersten, der darum befragt ward, und der auch ganz dreist antwortete, daß Miß ihm diesen Ring geschenkt habe. – »Das kann nicht seyn! rief der andre; denn drei Tage vor ihrem Tode befahl sie durch ein eignes Billet, daß ihre Freundin ihn erhalten, und daß ich selbst ihr ihn übergeben solle.« – »So muß sie nothwendig damals schon Abwesendheiten gehabt haben, antwortete der Geistliche. Sei dem aber, wie ihm wolle, so sei Gott vor, daß ich mir etwas zueignen könte, worauf ein andrer auch nur einen zweifelhaften Anspruch hätte.« Mit diesen Worten bot er den Ring ihm an, den Sir James auch ohne weitre Umstände hinnahm.

Dieser Vorfall, so dreist und grosmüthig dabei der Heuchler seine Rolle spielte, erneuerte den Verdacht, den Sir James schon wegen seiner Nichte Baarschaft gehegt hatte. Ihr Haushofmeister bewies aus seinen Rechnungsbüchern, daß er ihr ohngefähr acht Tage vor ihrem Tode zweihundert funfzig Pfund baar, und mehr als zweimal so viel in Banknoten an rückständigen Pachtgeldern ausgezahlt habe. Daß sie mitlerweile soviel baares Geld ausgegeben haben solte, schien unglaublich; noch unglaublicher, daß sie auch die Noten verwechselt hätte. Keiner ihrer Bedienten wuste eine Silbe davon. Man schickte in die Bank, zeigte die Nummern an, und suchte ihre Zalung zu hemmen. Diese Vorsicht kam zu spät. Sie waren zwei Tage früher schon vorgezeigt und versilbert worden.

Sir James, nicht einen Augenblick mehr zweifelhaft, daß hier ein Betrug obwalte, besprach sich mit seinen Freunden. Ich selbst war einer davon, und rieth ihm, aus leicht zu errathenden Gründen, stärker als alle übrigen, bei der Gerechtigkeit Hülfe zu suchen. Ich wolte dann, durch Bekantmachung meiner Papiere die Bestürzung ienes Elenden mehren. Doch le Bris, entweder von dieser Klage benachrichtigt, oder von seinem eignen Gewissen aufgefordert, wolte es zu dieser Untersuchung nicht kommen lassen. Er floh aus dem Königreiche; legte den priesterlichen Rock, – den man so lange schon von seinen entweihenden Schultern hätte reißen sollen, – selbst ab; und war willens nach Jamaika zu gehn, dort sich anzukaufen und Handlung zu treiben. Doch die Vorsicht wolte ihn seinen schändlich erworbnen Raub nicht genießen lassen. Schon nahe der Küste überfiel das Schif, worauf er sich befand, ein schrecklicher Sturm; es scheiterte; und wiewohl nur wenige ertranken, so war er doch unter diesen wenigen. – Von seiner eignen Mutter habe ich diese Nachricht. In äußerster Dürftigkeit war sie von ihm, so lange Miß Betty lebte, wahrscheinlich um allen Klagen vorzubeugen, kläglich ernährt worden. Doch iezt hatte er sie in ihrem höchsten Alter, ohne Geld und ohne Trost dem Siechthum und dem Hungertode blos gestellt. – Thränend erzälte sie mir sein Ende. Doch nicht seinem Tode sowohl, als seiner schändlichen Seele galten diese Thränen. – Ist Miß Betty, die um ihre Jugend, ihren Geliebten, ihre treflichen Aussichten auf ehliche Glückseeligkeit, ia um ihr Leben selbst von einem solchen Scheinheiligen Lotterbuben betrogen ward, wohl dessen von ihnen, meine Leserinnen werth, warum sie sterbend noch wenigstens eine Freundin bat? – Ihres Mitleides?



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