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Noch war Mollis Schicksaal viel zu unentschieden, als daß ich desfalls unbekümmert hätte bleiben können. Nur andre wichtige Geschäfte hielten mich vier und zwanzig Stunden lang von ihrer Wohnung entfernt. Mitlerweile, hofte ich, würde manches der Entwickelung sich genähert haben; und ich fand, daß der Erfolg selbst meine Hofnung, iedoch von einer andern Seite her, übertroffen hatte.
Ich kam ins Haus, als grade Konrads Wagen davor stille hielt. So eilfertig, als Alter und zurückgebliebne Reste des Podagra nur erlaubten, stieg Konrad aus, die Treppen hinauf, und begab sich sofort in Murcios Zimmer.
»O wie gut, rief dieser, daß Sie kommen; ich werde Ihres Raths mit ieder Minute mehr bedürftig. Mein ungerathnes Kind hat mich weder einer Antwort, noch einer Abbitte gewürdigt. Der Termin der Gnade ist verflossen; ich kann sie nicht länger unter meinem Dache dulten; und laufe doch, wenn ich sie ausstoße, Gefahr, nur noch größre Schande von ihr einzuerndten. Ich will sie daher zu einer Muhme im äußersten Winkel von Cornwallis schicken. Dort mag sie in der Einsamkeit Reue lernen und Buße thun. Der Brief an ihre Tante ist schon halb geschrieben, und ist hier, wenn sie ihn lesen wollen.«
»Ich schmeichle mir, antwortete Konrad, daß die Nachricht, welche ich mitbringe, Ihnen manchen Kummer und den Schluß dieses Briefs, Ihrer Tochter aber eine so weite Reise ersparen soll. Ich habe ihren begünstigten Liebhaber entdeckt.«
Murcio. Wie? Wäre das möglich? Ums Himmels willen, wo und wer ist er?
Konr. Jemand, auf den Sie wohl nicht rathen dürften, wiewohl ich ihn hier schon oft erblickte – Dorimon.
Murcio. Dorimon! Unmöglich! – Doch ia, seit seiner Zurückkunft von Reisen hat er hier einigemal seinen Besuch gemacht. Fanni, seine Schwester, und Molli sind zusammen in der Kostschule aufgewachsen, und können nicht leicht auf zweimal vier und zwanzig Stunden sich trennen. Dennoch – dennoch kann ich Dorimon nicht für ihren Verführer halten. Seine Glücksumstände sind weder so tief unter den ihrigen, noch so hoch über denselben, daß er nicht anständig hätte um sie werben sollen, hätt' er würklich einige Neigung gefühlt. Seine Grundsäzze aber sind so unbescholten, daß – – Wiewohl, wozu dies alles? Geben Sie mir dafür lieber den Grund Ihrer Vermuthung an.
Konr. Von Herzen gern! – Wie ich schon gestern Ihnen sagte, hatt' ich den iungen Mann, der von Miß Molli wegging, nicht im Gesicht gesehn; aber ich folgte ihm ein gutes Stück von Ihrer Straße nach, merkte mir seinen Wuchs, und vorzüglich das Kleid, das er trug, und das durch einen günstigen Zufall von einer Art war, wie ich hier noch niemals wahrgenommen habe. Es war ein seidner Zeug, dunkle Olivenfarbe der Grund, rothgestreift, und mit einem Rande von schöner geschmackvoller Stickerei; es war vom neusten französischen Schnitt; auch sein Haarbeutel und das leichte Spielstöckchen in seiner Hand hatt' ich mir sehr genau gemerkt. Ich schlos daraus, es sei ein Ausländer, oder einer unsrer iungen Lüstlinge, der von seiner großen Reise erst zurückgekommen sei. – Aber in eben diesem Kleide habe ich, vor einer halben Stunde ohngefähr, Dorimon aus dem Kaffeehause erblickt, und ein sonderbarer glücklicher Umstand hat meine Ueberzeugung noch gewisser gemacht. Denn da einer seiner Bekanten die Farbe dieses Kleides lobte, gab er zur Antwort: Er wolle fast drauf schwören, daß es noch das einzige in seiner Art in ganz England wäre; denn er hab' es ganz nach seiner Fantasie in Paris machen lassen, und sei zu kurze Zeit wieder hier, als daß man ein Muster davon habe nehmen können.
Murcio Ich muß gestehn, es ist viel Wahrscheinlichkeit in Ihrer Vermuthung. Nur seh ich noch nicht, welche Maasregeln zu ergreifen sind, so lang' es uns an gänzlicher Gewisheit fehlt.
Konr. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so laden Sie ihn, unter irgend einem scheinbaren Vorwande zu sich; geben Sie ihm im Gespräch einige ferne Winke von einer Heirath mit Ihrer Tochter; und richten Sie sich dann in Ihren weitern Betragen nach der Antwort, die er Ihnen giebt.
Murcio. Ich nehme Ihren Rath an. Ich will mich stellen, als hätt' ich nicht den geringsten Verdacht gegen Molli und ihn; ich will auf die liebreichste Art ihm den Vorschlag zu einer Verschwägerung thun; und ich kann dies um so eher, da schon lange unsre beiderseitigen Familien in guten Verständnis zusammen lebten.
Die Hofnung, auf diese Art seine eigne Ehre und die Ehre seines unglücklichen Kindes wieder herzustellen, war so mächtig, so ungedultig in dem armen Alten, daß er nicht einmal, wie Konrad ihm rieth, bis zum nächsten Morgen warten konte, sondern sofort seinen Bedienten zum Dorimon sendete, und ihn bitten ließ: daß er, wenn er nicht sonst schon versagt sei, einer nöthigen Angelegenheit halber sich zu ihm bemühen wolle. – Die Gespräche, die Pläne, die Zweifel und die gehobenen Einwürfe, die während der Abwesenheit des Bedienten auf die Bahn kamen, würden sehr überflüssig hier auf dem Papiere stehn; denn mir selbst hätten sie fast beim Anhören schon etwas Gähnen verursacht. Kurz, der Bote kam wieder, meldete: daß er den Dorimon gefunden, und daß dieser versprochen habe, in wenigen Minuten aufzuwarten. Konrad nahm unter manchen Seegenswünschen seinen Abschied. Murcio aber sezte sich in die Miene und in die Stellung, die er zu seinem Vorhaben dienlich erachtete.
Dorimon kam, und fast hätt' ich mich, meiner Unsichtbarkeit ohngeachtet, verrathen: denn es ward mir schwer ein Lachen zu unterdrücken, als ich ihn in eben dem Kleide hereintreten sah, das wie ich wußte, sein Ankläger gewesen war, und nun sein Freiwerber seyn solte, wiewohl er auf keines von beiden nur mit dem entferntesten Gedanken muthmaßen konte. Kaum waren die ersten gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen von beiden Seiten gewechselt, so ließ sich Murcio in einem ziemlich weitläuftigen Eingang von der Hochachtung und Zuneigung ein, die er stets für Dorimons Vater und auch für ihn selbst, als einen iungen hofnungsvollen Mann empfunden hätte; und fügte hinzu: Er wundre sich doch ein wenig, daß er noch um gar keine iunge Lädi sich zu bewerben scheine, da er doch schon in seinem fünf und zwanzigsten Jahre stehe? – Dorimon erwiederte: Heirath habe ihm bisher eine Sache zu seyn geschienen, die noch Aufschub leide; und zwar um so eher, da er eine Schwester habe, die seine häusliche Wirthschaft ihm vollkommen gut besorge. – »Aber würden Sie wohl, fuhr Murcio im Gespräche fort, auch dann keine Abneigung haben, Ihren freiledigen Stand zu verändern, wenn sich ein Frauenzimmer fände, Ihnen an Geburt und Rang nicht ungleich, von der Natur nicht verwahrloßt, und im Herzen Ihnen nicht ungeneigt?« – Dorimon stuzte ein wenig bei dieser Frage, und antwortete endlich: Wenn alle diese Vortheile sich zeigten, so sei wenigstens sein Herz noch ungebunden genug, um sich solcher bedienen in können
»Und was würden Sie wohl von meiner Tochter Molli für ein Urtheil fällen?«
Dor. Daß sie ein Engel in ihrer Art ist; ob schon weit über meine Hofnungen erhoben.
Murcio. Lassen wir diese Komplimente, Dorimon! Sprechen Sie unverstelt mit mir. Würde Ihnen eine solche Gattin behagen?
Dor. Nur behagen? – Ich würde die Hand segnen, Sir, aus der ich sie empfienge.
Murcio. So empfangen Sie solche aus der meinigen. Ich nehme Sie bei Ihrem Worte; und gebe Ihnen wieder mein Wort dafür, nebst einer Aussteuer von sechstausend Pfund, wenn Ihnen diese hinlänglich dünkt.
Dor. Auch ganz ohne Mitgift würd' ich den Besiz von Miß Molli für meine höchste Glückseeligkeit ansehn; doch nehm' ich allerdings, Sir, Ihr Anerbieten an, und werde die Heirathsartikel darnach einzurichten wissen.
Murcio. Die wir aufsezzen können, sobald es Ihnen beliebt! Ich dächte, morgen früh. – Nicht wahr, Herr Sohn?
Dor. Je eher, ie lieber! Aber Sir, wollen Sie mich nicht zu Miß Molli führen, daß ich mich ihr zu Füßen werfen und aus ihrem eignen Munde die Bestätigung meines Glücks erhalten kann?
Murcio. O von dieser Seite machen Sie sich keine Sorge! Um aufrichtig zu seyn, ich hatte Molli anfangs für einen andern Eidam bestimt; aber sie schlug seine Hand aus, und wagte es, selbst meinem Unwillen zu trozzen. Endlich entdeckt' ich, daß Neigung zu Ihnen die Ursach ihres Ungehorsams sei, und eben diese Ursach machte, daß ich bereitwillig war, ihr zu verzeihn. Noch aber weiß sie keine Silbe davon, daß ich ihre Liebe billige, und ich will Ihnen das Vergnügen gönnen, ihr selbst die Nachricht davon zu hinterbringen.
Er schellte bei diesen Worten, befahl den Bedienten, der hereinkam, Miß Molli ins Sprachzimmer zu rufen; nahm Hut und Stock, und sagte nochmals: daß er den Derimon iezt allein lassen wolle, daß er ihn aber morgen früh zur Beendigung ihres Geschäfts erwarte. Kaum war er hinweg, so trat seine Tochter, der er freilich absichtlich ausgewichen war – ins Gemach; aber in einer Gemüthsunruhe, die über allen Ausdruck geht. Sie stand in der Erwartung, daß iezt der ganze heftigste Zorn ihres Vaters über ihr ausbrechen werde. Ihre Augen, von Thränen und Nachtwachen roth, waren auf den Fußboden geheftet; alle Glieder ihres schönen Körpers zitterten; mit bebendem, zögernden Schritt nahte sie sich. Noch sah sie nicht, wer zugegen sei; bis Dorimon aufsprang, ihr entgegen eilte, sie bei der Hand faßte, und ausrief:
»O reizende Miß Molli, wie sehr entzückt mich die Güte ihres Vaters! – Wie unvermögend bin ich, ihm meinen grenzenlosen Dank dafür abzustatten, daß er so eben mir die Erlaubnis gab, Ihnen zu gestehen; daß ich Sie anbete.«
Molli. (erstaunt) Ums Himmels willen, Dorimon, was wollen Sie damit sagen? Wo ist denn mein Vater?
Dor. Er ist ausgegangen, um mir ganz ungestört den glücklichen Augenblick zu gönnen, wo ich eine Leidenschaft Ihnen entdecken soll, die auch seiner väterlichen Einwilligung sich freut.
Molli. Sie mir eine Leidenschaft! Und mit seiner Einwilligung? Bei Gott, Ihr Verstand hat gelitten; oder ich selbst bin nicht bei Sinnen. – Ums Himmels willen, erklären Sie mir dies Geheimnis!
Er war im Begrif ihr zu antworten, als seine Schwester Fanni herein getrippelt kam. Durch das weggeschickte Mädchen hatte sie alles, was vorgegangen war, erfahren, und war nun äußerst besorgt, wie ihre Freundin sich dabei nehmen würde. Molli, so wie sie ihre Fanni erblickte, flog in ihre Arme und rief:
»O meine theuerste – theuerste Freundin, was hätt' ich nicht darum gegeben, dich gestern Abend bei mir zu sehn!«
Fanni. Auch ich wünscht es nicht weniger. Aber wie ich sehe, haben die Sachen schon eine andre Gestalt gewonnen. Ich begegnete deinem Vater an der Hausthüre. Der alte Ehrenmann schien wieder in seiner schönsten Laune zu seyn. Er sagte: ich solte nur heraufgehn, ich würde dich und meinen Bruder beisammen finden.
Dor. Ja wohl beisammen, beste Schwester! Und ich hoffe, wir sollen nie wieder getrennt werden.
Fanni. Nie wieder getrent werden? Wie das?
Dor. Weil ein unauflösliches Band uns verbinden soll. – Murcio, der edelmüthige Murcio hat mir bereits sein Wort gegeben. Morgen früh sollen die Ehepackten aufgesezt werden; es fehlt nichts zur Vollendung meines Glücks, als die Einwilligung dieses Engels.
Fanni. Wie? Und war dies das Geschäfte, weswegen er so eilfertig dich holen ließ?
Dor. Ich weis von keinem andern.
Fanni brach hier in ein so unmäßiges Lachen aus, daß sie eine geraume Weile hindurch kein Wort zu sprechen vermochte. Vergebens fragte sie Dorimon einigemal um die Ursache desselben. Nur abgebrochen konte sie endlich dies ihm antworten.
»O ich habe das Räthsel gelöst – vollkommen gelöst! Diese Heirath, Bruder – bedank dich bei mir; sie ist mein Werk! – Ich und die Kleider, die du hier trägst, sind die Freiwerber gewesen. – Du wirst wissen, liebe Molli, daß grad' in diesem Kleide Sir Konrad mich aus dem Hause gehn sah; daß er – o, es ist mir alles klar, wie der Tag!«
Mit ungewissen Blicken sah Dorimon iezt bald auf seine angebliche Braut, bald auf seine Schwester. Auf wiederholtes Bitten erfuhr er endlich von der leztern: Welche Kriegslist gegen Konrads Bewerbung gespielt worden sei. Fanni fand hier zu manchem Scherz, Dorimon zu manchen Lachen Stof; aber Miß Molli hing ganz beschämt ihr Köpfchen, und schien keinen Antheil daran nehmen zu wollen. Ihr neuer Liebhaber, als er diesen Ernst wahrnahm, wandte sich daher zu ihr, und sagte:
»Die Erzählung meiner Schwester hat allerdings viel Unerwartetes für mich; aber mit ihr verfliegt auch die süße, stolze Hofnung, die ich vorher mir machte; als ob einige Neigung für mich in diesem schönen Busen sich befinde. Das Anerbieten Ihres Vaters berechtigte mich zu dieser. Jezt, da ich sehe, daß alles bisherige ein Misverständnis war, iezt erwart' ich mit Zagen aus Ihrem Munde den Ausspruch: Ob diese neue Verbindung ihres Beifalls genieße, oder nicht?«
Molli zupfte, immer noch verlegen und verschämt, an der Spitze von ihrem Halstuch, und – schwieg. Fanni nahm an ihrer Statt das Wort: »Oho, Schwesterchen, rief sie, besinne dich nicht alzulange. Dann wäre ia alles verrathen! dann wäre nichts gewisser, als daß dein Vater die runzlichte Hand von Sir Konrad mit deinem weißen Händchen zusammenschmiedete. Entschließ dich daher, und entschließ dich kurz: Ist deine Abneigung gegen meinen Bruder so groß, daß du lieber deines greißen Liebhabers ekles Lager besteigen wilst?«
Diese Frage trieb Miß Molli, so zu sagen, ihr ganzes Blut ins Angesicht. – Ein so unvermutheter Glückswechsel, erwiederte sie endlich mit Stocken, wird mich hoffentlich entschuldigen, wenn ich nicht so schnell und so gradezu antworten kann. Gleichwohl gesteh' ich gern, ich werde nicht Herz genug haben, zum zweitenmal meinem Vater ungehorsam zu seyn; und ich liebe die Schwester viel zu sehr, als eine Abneigung gegen den Bruder zu verspüren.
Mit ungeheuchelten Entzücken ergrif Dorimon hier ihre Hand, und küßte sie wohl zwanzigmal. Tausend Betheuerungen seiner Zärtlichkeit folgten darauf. Es schien, daß mit ieder Minute der Eindruck derselben stärker für das Herz der Schönen würde. Ehe eine Viertelstunde verging, gestand Molli: daß ihr längst schon Dorimons Person und Gesellschaft nicht gleichgültig gewesen sei; und daß ihr dieses väterliche Gebot die Aussicht eines gewünschten Glücks eröfne. Dorimon und Fanni freuten sich innig über dies Geständnis. Ich aber entfernte mich, weil ich doch keine Veränderung mehr für heute vermuthete.