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Mein liebster Eduard!
Aus einem unverantwortlichen Eigensinn will mein Vater mich ihren Armen, will mich allem dem, was mir auf Erden theuer ist, entreissen. Ich soll eine Nonne, oder besser gesagt, eine Märtirerin werden. Nicht Bitten, nicht Thränen können seinen Vorsaz erschüttern. Vergebens habe ich beide zu seinen Füssen verschwendet. Er besteht auf meiner Opferung; und nur die Flucht kann mich einem Schicksale entziehen, gegen welche alle Unfälle, die nachher mich treffen können, mir minder schrecklich dünken. – Eduard! wenn Sie noch Mitleid – denn ach, ich darf auf Liebe nicht mehr hoffen – aber wenn Sie noch Mitleid gegen ein Mädchen empfinden, das so warm, so innig an Ihnen hing, so stehn Sie iezt bei dieser Entweichung mir bei. Ich habe keine Freundin, keine Vertraute, auf die ich bei einer solchen Bedrängnis mich stüzzen könte; nur vier und zwanzig Stunden sind mir noch übrig, und es ist mir dann unmöglich, meinem Untergange auszuweichen. Schon iezt bin ich eine Gefangne auf meinem Zimmer; morgen mit dem frühsten soll ich in einen verschlossenen Wagen nach Dover gebracht, und von da aus nach Dünkirchen eingeschift werden. Meine Aufseherin ist eine Person, deren Wachsamkeit ich gewiß nicht zu hintergehn, und deren Treue ich nicht abzukaufen vermag. Ich bin sicher, sie wird nicht eher aus ihrem Gesicht mich lassen, bis ich ohne Rettung in den verhaßten Mauern eines Klosters mich eingesperrt befinde. Und dann – – Gott, welche Aussicht für immer!
Ein Mädchen, das seit kurzem erst in unsern Diensten steht, und die mein Schicksal iammert, verspricht mir diesen Brief Ihnen sicher zu überbringen. Noch mehr, sie verspricht mir auch Sorge zu tragen, daß das Hausthor diese Nacht offen bleibe, und daß alle Thüren, durch die ich gehen muß, in ihren Angeln mit Oel bestrichen, nicht knarren sollen. Wenn alles schläft, bin ich daher zur Flucht entschlossen; und hoffe, daß sie um so eher mir gelingen wird, da mein Vater iezt nicht in der Laune ist, Gesellschaft bei sich zu sehen; und meine Aufseherin der morgenden Reise wegen, früh sich legen dürfte. Reut Sie daher die Mühe, und eine unruhige Nacht für eine Unglückliche, die sie ihre Braut sonst nanten, nicht; wollen sie eines Mädchens sich annehmen, die durch keinen wissentlichen Fehltritt ihr Geschick verschuldet, so erwarten sie mich in der nächsten Nacht zwischen zwölf und ein Uhr an der Ecke unsrer Straße, die rechter Hand gegen den Markt sich wendet. Auch beschwöre ich Sie dann, mich an einen sichern Ort zu bringen, wo die Nachforschung meines erzürnten Vaters mich nicht zu finden vermag. Dort will ich von dem Wenigen, was ich mitzunehmen berechtigt bin, und von der Arbeit meiner Hände, so gut ich kann, und so lange mein Geschick es dultet, mich ernähren. Wenn ihre Zärtlichkeit iemals wahrer Art war, so werden Sie dieser Bitte halber nicht schlechter von mir denken; werden vielmehr meine unglückliche Lage bedauern, die zu einem solchen Schritt – Gott nur weiß, mit welcher Herzensangst – mich treibt. Ich bitte blos um eine Zeile Antwort, damit ich weiß, was ich von Ihrer Gütigkeit zu hoffen habe. Mit weinenden Augen, doch mehr noch mit blutendem Herzen
die verlorne, unglückliche
Isabelle.
Der iunge Mann schien von der Lesung dieses Briefe äusserst gerührt zu seyn. Er schlug sich vor die Stirn; er schritt mit kreuzweis gefalteten Armen in seinem Zimmer auf und ab! Er rief einmal über das andere: »Ja wohl unglückliche, beweinenswürdige Isabelle! Welcher unseelige Geist tobt in dem Gehirn deines Vaters? – Und könte ich wohl so grausam seyn, den Beistand dir zu versagen, um den du mich bittest? Nein! Nein! Zwar seh ich einen Wirbel von Unannehmlichkeiten vor mir. Doch Liebe, Ehre und Edelmuth gebieten mir; und ich stürze mich hinein. – Mein Vater zwar – folge draus was da wolle; ich muß dich vor dem Schicksal retten, das dich bedräut.« Er rief seinem Bedienten; er befahl ihm, der Ueberbringerin dieses Schreibens zu sagen: daß sie an der Thüre des nachbarlichen Hauses auf Antwort warten solle; damit sein Vater sie nicht sehen, nicht nachforschen möchte, was sie wolle. Dann eilte er in sein Kabinet, verschloß es, und schrieb folgende Antwort:
Meine ewig theure Isabelle.
»So unerwartet auch dieser Glückswechsel kömt, und so groß mein Schmerz darüber ist, so bin ich doch, wie ich sehe, nicht ganz unglücklich, weil Sie keinen Theil dran haben. Aber warum waren sie so unfreundlich, da zu bitten, wo Sie Ihrer Ueberzeugung nach, meiner Zärtlichkeit befehlen konten? Ich habe mich ganz Ihrem Dienste geweiht, und kein Wechsel kann ein Herz Ihnen rauben, daß von so vieler Schönheit sich besiegt, von so mannichfaltigen Verdiensten festgehalten fühlt. – Ja, meine reizende Isabelle, ich bin unveränderlich der Ihrige; und auf meine Liebe und meine Ehre können Sie in ieder Angelegenheit iezt und künftig sich verlassen. Ich eile sofort, einen Ort zu Ihrer Sicherheit ausfindig zu machen; und noch vor der bestimten Stunde werde ich sehnlichst auf Ihre Ankunft warten. Der Himmel selbst begünstige Ihre Flucht; und bringe meine geliebte Isabelle wohlbehalten in die ofnen Arme Ihres getreuen und ewig beständigen
Eduard.«
Kaum hatte er diesen Brief gesiegelt und abgefertigt, so trat sein Vater wieder ins Gemach. Ich wunderte mich, daß seine Miene in den wenigen Zwischenminuten schon wieder so heiter geworden sei; aber ich wunderte mich noch mehr, als er seinem Sohn zurief:
»Guten Muth, Eduard! Du bist unter keinem unglücklichen Stern gebohren, wie ich merke! Was Du auf einer Seite verliehrst, gewinst Du doppelt auf der andern wieder.«
»Wie das, mein Vater?«
Sir William. Der Mann, dessen Ankunft man mir kurz vorher meldete, war Herr Countwell, mein alter Freund, und ein reicher Banquier, wie Du weißt. Er wünschte mir unter andern zu Deiner Heirath Glück, und ich sagte ihm, daß sie sich zerschlüge. War meinst Du, daß er hierauf erwiederte?
»Wie kann ich das wissen.«
Sir W. Zu einer andern Zeit würdest Du doch vielleicht es errathen. Er both mir seine Mündel, Miß Emilie Montague, an. Ein Mädchen, das vollkommen liebenswürdig seyn soll; Gebieterin über ihre Hand; und – freue Dich, Eduard! – auch über dreißigtausend Pfund. Das ist mehr als noch einmal so viel, was der alberne Freecourt seiner Tochter mitgeben und hinterlassen konnte.
»Und ist doch nicht Isabelle! – Ich danke Ihnen, mein Vater, für Ihre väterliche Vorsorge, und Herrn Countwell für sein freundschaftliches Erbieten. Doch Sie wissen, ich habe Isabellen lange und gewiß innig geliebt. Sie wird auch lange, wo nicht immer, im Besiz meines Herzens bleiben.«
Sir W. Possen! die Gedanken davon kann man Deinem Alter, doch die Ausübung selbst keinem, er sei Jüngling oder Mann, verzeihen! – Weiber sind wie die Nägel: eine vertreibt immer die andere; und Dein Herz müste sehr verhärtet seyn, wenn der Klang von dreißigtausend Pfunden es nicht erweichen könte. Erinre Dich, daß nach meinem Tode Deine Einkünfte nicht über sechszehnhundert Pfund sich belaufen; und daß überdies noch einige Schulden auf meinen Gütern haften, in welchen die Verschwendung Deines ältern verstorbnen Bruders mich verwickelten. Emiliens Vermögen würde alles wieder gut machen. Doch zu zeitig wäre es, wenn ich iezt in Dich dringe. Nur erinre Dich, daß ich nie – und solte ich meinen Unseegen Dir geben – eine Aussöhnung mit Freecourts Hause dulten würde.
Er entfernte sich hier, und auch ich wolte ein gleiches thun. Aber Eduard, sobald er allein sich befand, stelte, von inrer Unruhe getrieben, einen so raschen, ungestümen Spaziergang auf und nieder an, daß ich gern in meinen Winkel blieb, um nicht gegen ihn zu stoßen. Als er im Verfolg müder, und seine Gedanken etwas ruhiger geworden, schellte er nach seinen Bedienten, schloß als er kam, sorgfältig selbst die Thüre ab; und vertraute ihm Isabellens Vorsaz, sein Versprechen, und seine Besorgnis um einen sichern Ort. Der Bursche, der mehrmals schon seines Herrn Nothhelfer gewesen seyn mochte, dachte eine geraume Weile nach. Zulezt antwortete er: Er habe eine Schwester, die seit kurzem Witwe geworden; ihre ganze Familie bestehe in einem Kinde, das sie noch stille, und einem Bauermädchen, das sie bediene. Ihr Häuschen liege in einer etwas einsamen, entfernten Gegend der Stadt; und sei freilich klein, doch sauber und sicher. Wolle die Lady, wenigstens einstweilen, mit einer so schlechten Wohnung sich begnügen, so stehe er dafür, daß sie unentdeckt bleiben werde. – Eduard war höchlich über dies Hülfsmittel erfreut: die Bediente ward sofort iede dazu nöthige Anstalt zu treffen beordert; und ich entkam zu gleicher Zeit einer Gefangenschaft, die mir beschwerlich zu werden anfing.
Doch Sir Eduard selbst, so pünktlich er auch zu seyn glaubte, war es doch minder als ich, im Betreff der Hauptsache. Denn noch fehlten einige Minuten an zwölf Uhr, als ich schon der angegebenen Ecke gegenüber meinen Posten unter einer Laterne nahm; bald darauf sah ich auch ihn, von seinem Bedienten begleitet, ankommen. Wir mochten eine Viertelstunde ohngefähr gewartet haben, so öfnete sich Freecourts Hausthüre. Schon an der furchtsamen leisen Eröfnung hätte man spüren können, daß eine Liebe, des Betrugs noch ungewohnt, hier thätig sei; und gleich darauf sahen wir Isabellen selbst herausschlüpfen. Ihre zitternde Knie trugen sie kaum; sie hatte ein Bündel unter ihrem Arme. Sie sah sich so ängstlich um, daß es fast schien, sie wisse nicht, ob vorwärts, oder rückwärts ihr Weg gehn solle. Doch iezt erblickte sie ihr Geliebter, eilte herbei, und befahl seinem Bedienten das Päckgen ihr abzunehmen. Sie flog in seine Arme; nannte ihn ihren Engel, ihren Befreier, und stammelte: »Eduard! können Sie die Unruhe mir verzeihen, die ich ihnen mache?« – Er umarmte sie und erwiderte: »Nennen Sie wohl Unruhe, was ich für meines Lebens gröstes Glück erachte! Mit mir! Mit mir! Geliebte. Ich hoffe, kein Vater soll iemals uns scheiden!« Ich konte nichts bestimtes weiter hören, denn der Bediente war dazwischen; auch waren sie bald an der Kutsche, die ihrer wartete, und so schnell, wie der Bliz, hinweg fuhr. Ihr zu folgen, besaß ich weder Kraft noch Lust; aber meinen Gedanken Raum zu geben, hatte ich desto mehr Zeit und Anlaß.
Mein stärkster Tadel traf nothwendig den ältern Freecourt. Diesen Unwürdigen, der so lange auf seiner Seele ganz sorglos einen Mord getragen hatte, und der nun, da sein Gewissen erwachte, genug abergläubische Einfalt besaß, um einen Traum für göttliche Erscheinung zu halten; ia der glauben konte, dann seine Seele zu lösen, wenn er seine einzige liebste Tochter sich aufzuopfern zwänge. Doch auch Isabellen konte ich ihres gethanen Schritts halber eben so wenig loben; ia kaum entschuldigen. Daß sie vor dem Grab eines Klosters zurückbebe, war freilich bei einem Frauenzimmer von ihren Jahren, ihren Gefühlen, sehr natürlich; doch daß sie sich so ganz ohne Furcht in die Arme eines iungen Mannen warf, den sie aufs zärtlichste liebte; von dem sie wieder zärtlich geliebt sich wuste, das nahm mich Wunder. Entweder muste sie ganz der Gefahr vergessen, der sie sich blos stellte; oder ein unbegrenztes Vertrauen auf ihre Tugend hegen; und beides war fehlerhaft. Unwahrscheinlich war es auch, daß sie nicht wissen solte, daß man noch minder wider seinen Willen zur Nonne, als zur Frau gemacht werden kann. Nur mit der Hälfte des Muthes, den sie bei ihrer Entweichung bezeugte, durfte sie beim Eintritt in die klösterlichen Mauern ihre Abneigung gegen den Schleier bezeugen: und ihre Einkleidung blieb dann möglich. Ihr Vater konnte vielleicht auf eine Weile sie tirannisiren; aber da dies nicht mit dem Quell seiner Thorheit übereinstimmte, so muste er wahrscheinlich bald sich ändern.
Auch wegen Eduards war ich besorgt. Daß er iezt sie liebe, glaubte ich gern, und fürchtete aus eben diesem Grunde destomehr für ihn und sie. Doch daß er so gelinde seinem Vater widerstand; daß er wärmer schrieb, als er gesprochen hatte; daß er an einem so kümmerlichen Ort seine Geliebte dulten konte; alles dies brachte eine Ahndung in mir hervor, die ich gern unterdrückt hätte.
Ich suchte des andern Morgens das Häuschen auf, wohin Isabelle sich geflüchtet hatte; und nach der Beschreibung, die gestern Eduards Bedienter davon gemacht hatte, erkannt' ich es gar leicht. Die Thüre, wie es bei Häusern gemeiner Leute gewöhnlich ist, stand offen. Als ich die Treppe hinaufkam, war auch das Zimmer, wo sie herbergte, leicht zu erkennen, denn es gab nur das einzige. Ich traf die unglückliche Schöne in einem anständigen Nachtgewand, und in einer schwermüthigen Stellung sizzend. Ihr Haupt lehnte sie an die Ecke eines Brodschranks, der mit seinen trostreichen, angemahlten Sprüchen die Stelle einer Vorrathskammer vertrat; wenigstens schloß ich es aus einem kärglichen Stückchen Butter und den Ueberbleibseln eines Pfennigbrods. – Häufige Seufzer hoben die Brust; Thränen träufelten dann und wann aus den Augen. Ich hatte sie oft in ihrem Glück mit Wohlgefallen gesehen; aber so reizend, wie iezt, noch niemals. – Traurig muste allerdings einer iungen, in Weichlichkeit erzognen Lädi, ein solcher Wechsel dünken. Denn wiewohl der Bediente Recht gehabt, als er sagte, daß die Wohnung seiner Schwester reinlich sei; so trug doch alles in ihr die Miene der äußersten Armuth.
Indem sie so, in Kummer gleichsam verloren saß, vernahm sie ein Geräusch auf der Treppe, und ward aufmerksam; hörte genauer, und bekam im nächsten Augenblicke eine höhere Röthe auf ihre Wangen, einen hellern Stral in ihren Augen. Was sie hofte, ließ gar leichtlich sich errathen; und sie hatte sich nicht geirrt, die Thüre ging auf, und Eduard trat herein. Eh sie noch aufspringen konnte, flog er zu ihr hin, umarmte sie; drückte manchen feurigen Kuß auf ihre Lippen; sagte ihr die zärtlichsten Sachen, und mischte doch auch manchen Ausdruck des Bedaurens mit ein: weil ihm die Nothwendigkeit ihren Aufenthalt zu verbergen, noch nicht erlaubt habe, für eine Wohnung zu sorgen, die würdiger ihren Reizen, ihrem Stande, ihren Verdiensten, und seiner Liebe sei. – So sehr sie die Miene der Zufriedenheit bei seiner Rede anzunehmen suchte, und so weit getrösteter sie gegen vorhin war, konnte sie doch einigen Thränen hervorzutreten nicht wehren. Sie warf sich an seinen Hals und rief:
»Ach, Eduard! Kein Bedauren weiter! Bieten Sie vielmehr alle ihre Beredsamkeit auf, mich zu lehren, wie ich in meine Lage mich schicken soll. – Um ruhig zu seyn, muß ich vergessen, was ich war; und nicht mehr zu seyn wünschen, als ich bin.«
Eduard. Und was könten Sie iemals anders seyn, als die Reizendste, die Würdigste ihres ganzen Geschlechts?
Isab. Nein! Nein! Auf Schmeicheleien dieser Art habe ich keinen Anspruch mehr. Ohne Namen, ohne Familie, ohne Stand und Hofnung bin ich ein Auswurf, ein Flüchtling. So muß ich künftig leben, und um iede Erinnerung meines vormaligen Zustandes zu vertilgen, habe ich meine Juwelen, und meine besten Haabseeligkeiten mitgenommen; ich will sie verkaufen, und mir dafür solche Kleider schaffen, die meiner Lage angemeßner sind.
Eduard. O quälen Sie doch mit solchen Reden ein Herz nicht, dem Sie theurer sind als das Blut, durch dessen Kraft es schlägt! Glauben Sie wohl, daß ich eine Erniedrigung, eine Beraubung dieser Art Ihnen gestatten würde? Nicht vermindert, eher vermehrt soll ihre Haabe werden. Denn alles was ich besizze, ist auch Ihnen geweiht.
Isab. Nein, Sir, das nehme ich nicht an.
Eduard. Sie es nicht annehmen! Isabelle, ist wahre Liebe so bedenklich? – Kann eine Wonne größer seyn, als sein Vermögen mit derienigen theilen, die man anbetet? – Wohlan, wenn Sie den Tribut Ihres feurigsten Liebhabers für unanständig achten, so fordern Sie wenigstens auf Rechnung Ihres Bruders. Mein edelmüthiger Karl wird, das weiß ich gewiß, ihre Verschreibung für gültig erkennen.
Isab. Ja, das wird er; und unter dieser Bedingung nur nehme ich Ihr Erbieten an, wenn die Vorsicht nicht indeß einen andern Weg mir zeigt.
Ed. Fürchten Sie kein Bedrängnis, Ihrer unwerth, dulten zu müssen. Ich hoffe, unser Misgeschick soll Prüfung nur, und überdies nur Prüfung von kurzer Dauer seyn. Ihr Vater wird seinen grausamen Entschlus bereuen; der meinige wird die Beschimpfung vergessen, die ihn iezt allerdings erbittert; und wir – theures, englisches Mädchen, wir werden dann glücklich seyn.
Isab. Ach mein Herz, Eduard, mein Herz prophezeit anders.
Ed. Es ist die Art einer edlen empfindsamen weiblichen Seele, öfterer zu fürchten als zu hoffen. Aber richtiger wird meine Ahndung, meine Vorhersagung seyn. – Gleichwohl, liebste Isabelle, weiß ich immer noch nicht, was Ihren Vater zu einem so harten Entschlus, zu einem so grausamen Wechsel antrieb; wenn ich Sie bitten dürfte – –
Isab. So ungern ich die Geheimnisse eines Vaters, oder besser zu sagen, seine Thorheiten errathe; so ist mir doch Ihnen etwas abzuschlagen unmöglich. – –
Ich sah hier voraus, daß Dinge wieder erzählt werden würden, die ich schon wußte, und entfernte mich. – »Arme Isabelle,« sprach ich bei mir selbst, »du gedenkst nicht einmal daran, daß ein Eid dich zum Schweigen verpflichtet! Ja wohl sorge ich, du wirst ihm nichts abzuschlagen vermögen, und er wird bald viel, alzuviel nur begehren.« – Eine Reise, die ich eben damals in den nördlichen Theil Englands einer Familien-Angelegenheit halber machen muste, entfernte mich auf drei Wochen von London; mithin auch von Isabellen. Aber kaum hatte ich von den Mühseeligkeiten des Wegs und der Jahreszeit durch eine einzige Nacht ausgeruht, so eilte ich wieder zu ienem Häuschen, und fand – – fand, daß meine Furcht nur alzugegründet gewesen sei. O wenn wilde Begierden das Herz eines Mannes beherrschen, was vermögen alsdann seine pralenden Grundsäzze der Ehre! was seine noch so gerühmte Tugend! – Was kümmert ihn dann das Glück und der gute Name eines Weibes, der er mit tausend Schwüren Liebe zusichert, und – doch sie betrügt! Seine Eide, selbst wenn sie aufrichtig im ersten Augenblick seyn solten, ach, sie sind ienen Worten gleich, welche die Sibille einst auf Baumblätter schrieb: wenn der Sturm der Leidenschaft in sie bläst, verfliegen sie da und dorthin in den Lüften. – Doch zur Sache selbst, damit ich nicht zum Schwäzzer werde!
Ganz ohne Hinderniß kam ich wieder zu Isabellens Zimmer; da ich es aber fest verschlossen fand, glaubte ich schon, sie sei entweder ausgegangen, oder ganz weggezogen, und wolte wieder mich wegbegeben: als ich drinnen das Geräusche zweier, etwas leise sprechender Personen vernahm. Ich horchte durchs Schlüsselloch; erkannte Eduards und Isabellens Stimme gar leicht, und beschloß zu warten, bis ein Zufall mir die Thüre öfnen würde. Einige Minuten drauf zog Eduard die Glocke; die Hausfrau eilte mit zwei Becher Chokolade, und einigen Biskuits herbei. Sie hatte den Schlüssel in ihrer Tasche, und dieser half sowohl mir, als ihr herein. Es war schon über zwölf Uhr des Morgens; doch war Isabelle noch nicht aufgestanden; vor ihrem Bette saß Eduard ohne Schuhe, mit unordentlichem Haar, im Nachtgewande. Ich staunte ein wenig, ihn so zu treffen; meine Zweifel, wenn ich noch einige hätte haben können, zerstreute seine Rede mit der Hausfrau, indem sie Chokolade herum gab, völlig.
»Nun, fragte er, hat Jeffery meinen Befehl, der Stiefeln halber, befolgt?«
Allerdings, Ew. Herrlichkeit! er hat solche sowohl, als auch den Huf der Pferde so kothig gemacht, daß man schwören solte, es hätte heute früh schon einen Ritt von zwanzig Meilen gesezt.
Eduard. Gut! denn da ich einmal meinem Vater weißgemacht, daß ich auf die Jagd gegangen sei, wär' es mir doppelt ärgerlich, wenn er mir es ansähe, daß ich aus dem Schlafzimmer einer Lädi käme. Aber geht und sagt dem Jeffery, daß er mich anziehen solle.
Eduard sprach dies alles mit muntern fröligem Tone; aber Isabelle ließ schwermüthig ihr Haupt hängen; kostete von der Chokolade nur wenige Tropfen; verbarg ihr Gesicht, als der Bediente mit den Stiefeln kam, hinter die Bettvorhänge, und sprach keine Silbe, bis er seinen Herrn bedient, und sich wieder entfernt hatte. Kaum sah sich Eduard allein, so ging er nochmals zu Isabellen ans Bette, umarmte sie zärtlich, gab ihr die süßesten Worte, und nahm Abschied. Nur mit Erwidrung seiner Liebkosungen antwortete sie ihm eine geraume Zeit; endlich lüftete sie ihr volles Herz durch den Ausruf:
O mein Eduard, köntest du iemals deiner Schwüre vergessen! Jemals verächtlich von deinem Sieg über mich denken! mich Leichtgläubige iemals meinem Gram überlassen! – O wie elend, wie überschwenglich, unaussprechlich elend wäre ich dann! Wie so ganz hättest du dann Isabellens Unglück gemacht!
Eduard. Und eben daher welcher ungütige, grundlose Verdacht! – Meine theure Liebe, kränke dich doch nicht selbst durch den Gedanken an solche Unmöglichkeiten! Könte ich, nach diesem Beweis deiner Zärtlichkeit, undankbar seyn? Undankbar gegen dieienige, die mich so glücklich macht? – O dann müste ich iedes Gefühl der Ehre verlohren haben; wäre unwerth ein Mann zu heißen! Selbst des Lebens, selbst des Odems wäre ich unwerth. -
Isab. Wohlan dann! – ich muß, ich will dir trauen – will nicht bereuen, was doch nun einmal geschehen ist. – Aber sag mir, wenn seh ich dich wieder?
Ed. Morgen, wenn mir's möglich ist! – Wo nicht, verlaß dich drauf, wenigstens Uebermorgen. – Sei versichert, bevor ich dich wiedersehe, wird iede Stunde mir ein Jahrhundert dünken. – Lebe wohl, sanftes, theures Mädchen! du Liebenswürdigste deines ganzen Geschlechts.
Sie drückte noch drei feurige Küsse ihm auf Wangen und Mund; und er ging. Aber in seiner Miene glaubte ich mehr ein frolockendes Gefühl seines Sieges, als die Empfindung der Zärtlichkeit oder der Hochachtung zu finden. Ich begleitete ihn, so schön die Gelegenheit war, die reizende Isabelle aufstehn und sich ankleiden zu sehen; so manchen Blick ins weibliche Herz mir vielleicht eine längre Behorchung ihres Selbstgesprächs gegönnt haben würde. Aber ich bedauerte wahrhaft das nun unglücklich gewordne Mädchen; eine Ahndung ihres künftigen Schicksaals, und warlich keine freudige, durchschauderte mich; und ich seufzte: O du, die zu ihrem Elend mit einem gefühlvollen Herzen begabt wardst, möchtest du nie, wie Monimie ausrufen müssen:
»Wie oft schwur er: eh solte die Natur
in ihren Lauf sich wandeln; Sonn' und Sterne
verlöschen; eh er seines Schwurs vergäße. –
Wohlan, Natur, beginn dein Sterbelied!
Verlösche Sonne! – Sterne fallt herab!
Denn er ist falsch! – Mein Heisgeliebter falsch!
Falsch, wie der Wind, wie Wasser und wie Wetter.
Ein Tieger er! und ich ein zitternd Lamm!
Ha, meine Brust – schon hat er sie zerfleischt;
zerfleischt mein Herz! – Bei iedem Seufzer quillt
mein Blut hervor, und durstig trinkt er's auf.«
So unwillig ich auf Sir Eduarden war, so schien mich doch ein gewisses innres Gefühl ihm nachzuziehn; und ich kam – weil er einen Umweg nahm, schier mit ihm zugleich in seinem väterlichen Hause an. – Er war kaum einige Minuten auf seinem Zimmer, so besucht' ihm sein Vater, dessen Liebling er war. Nach ein paar Erkundigungen: wie die Jagd abgelaufen, und nach ein paar Unwahrheiten, die er zur Antwort bekommen, lenkte er das Gespräch durch die Frage: Nun, Eduard, wie steht es um dein Herz? auf einen andern Weg.
Sir Eduard, der bei einem bösen Gewissen nicht gleich sicher war, ob sein Vater nicht gar hinter sein Geheimnis gekommen seyn könne, ward ziemlich roth, und bezeigte seine Befremdung über diese unvermuthete Frage.
»Wenigstens dünkt sie mir – fuhr der Alte fort, der himmelweit von einem ähnlichen Verdacht entfernt war – sehr natürlich. Ich wünschte zu wissen: ob du Isabellen, die nun gar, wie man sagt, ihrem Vater entwichen und nach Frankreich übergeschifft seyn soll, bald vergessen habest?«
Ed. (die Achsel zuckend) Vergessen nun wohl nicht.
Vater. Nicht! das ist schlimm! – Ich hofte es wenigstens seit ein paar Tagen. Denn auf deiner eingewölkten Stirne schien mir wieder ein heitres Wetter zu werden; und das hielt ich für ein gutes Zeichen. Glaube mir, lieber Sohn, noch viel an Isabellen denken ist Thorheit. Sobald Freecourt einen ungezognen Brief an mich schrieb, erklärte ich dir, daß aus dem ganzen Handel nie wieder etwas werden könte; und noch weniger kanst du ie wieder mit einer Entlaufnen dich abgeben. Vielleicht war es ihre Schande, die ihren Vater zum Bruche, und sie selbst zur Flucht bewog.
Ed. Mein Vater, wie ungütig ist dieser Argwohn.
Vat. So ist wenigstens der Rath weise: Vergiß Sie! – Das beste Mädchen, wenn wir sie verlieren, ist nicht zehn trauriger Minuten und nicht einer Thräne werth: Sich nach einer andern umsehn, das ist ein bewährteres Mittel als die China gegen das Fieber.
Ed. Und diese Unbeständigkeit – –
Vat. Fast solte man nicht glauben, daß du zu den iungen Männern von gutem Ton gehörst, wenn man so dich reden hört. – Denk an Emilien, an ihr Vermögen, an ihren Reiz; und du wirst überzeugt werden, daß du dir keinen günstigern Zufall hättest wünschen können, als die Aufhebung deiner Verbindung mit Isabellen.
Ed. Aber woher wissen Sie, daß Emilie einen solchen Antrag billigen würde?
Vat. Dafür laß mich und Countwell sorgen. – Er ist ein schlauer Mann, der noch nie etwas unternahm, ohne es auszuführen. Du brauchst Emilien in der nächsten Gesellschaft, die morgen veranstaltet werden soll, blos ein paar Schmeicheleien zu sagen, eine Sache, worauf du dich gar gut verstehst, sobald du Isabellen nur dir aus dem Sinne schlägst, und ich wette drauf, du wirst nicht abgewiesen.
Ed. Ich will mein möglichstes thun, mein Vater, um ihnen gehorsam zu seyn.
Vat. So recht, mein Sohn; so gefällst du mir! Und doch brauchst du nicht sowohl mir als deinem eignen Vortheile zu folgen. Die Reize von dreißigtausend Pfunden –
Durch einen Besuch ging hier die Thüre auf, und ich, des Unwillens so voll, daß ich nicht länger zu bleiben vermochte, nüzte die Gelegenheit hinwegzugehn. – »Nein, (rief ich, sobald ich mich allein sah) ich hielt dich für leichtsinnig und vielleicht für ungetreu, Eduard; doch in diesem Grade nicht. Der Nichtswürdige! Kaum von der Umarmung der armen Isabelle zu kommen, die alles – leider alles, ihm aufopferte; gegen die er sich selbst des schändlichsten Undanks anklagte, wenn er – – und er verspricht schon um eine andere zu werben. O es ist abscheulich! Und doch hat der alte Wellgrave Recht: es ist die Mode so!«
Ich nahm mir vor, weder das Haus, wo Isabella wohnte, noch Eduards väterliche Wohnung mehr zu besuchen. Ich bestrebte mich, die ganze Geschichte aus meinem Andenken zu verbannte. Aber die Gespräche der Stadt riefen sie nur alzuoft und alzutreulich mir zurück. Isabellens gänzliche Verschwindung war ein Räthsel, worüber lange die besten Gesellschaften sich zerriethen und zersannen. Fast niemand, als ich, wuste den wahren Grund davon, aber man erdachte sich mancherlei; und sonderbar genug, waren diesmal die meisten Erdichtungen minder abendtheuerlich als die Wahrheit selbst.