Johannes Richard zur Megede
Modeste
Johannes Richard zur Megede

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19

Das Kränzchen hatte sich für den Sommer in einen Reitklub verwandelt – Frau Murrmann präsidierte. Jedoch die eigentliche Königin war Modeste . . .

In Barginnen ein reges Kommen und Gehen: der junge Pescatore, der auf Herrn Ellers Gut die Landwirtschaft lernen sollte, doch nach seines neuen Chefs Ansicht gänzlich unfähig, eine Kuh von einem Pferde zu unterscheiden, aber mit einem unfehlbar sicheren Blick für die »Marjellens« auf dem Speicher begabt war. – Weiterhin Herr von Häwel, der regelmäßig seinen Sommerurlaub bei den Gadebuschschen Damen zu verbringen pflegte, »ostpreußischer Linientrottel«, wie Herr von Falkner kühl entschieden hatte, ohne jemals ein Wort mit dem guten dummen Jungen gewechselt zu haben. – Und zuletzt – geradezu das Ereignis der Gegend – Herr von Mieritz, Modestes Ballherr von einst, der urplötzlich zu den Insterkosaken versetzt worden war, um das Grenzregiment mit seinen Gardekürassierallüren zu veredeln. Zurzeit weilte er in Bussardshof, wo der vereinsamte Gutsherr über Frau und Tochter knurrte, die beide wegen Judiths ernstlich angegriffener Gesundheit nach Honnef am Rhein gegangen waren.

Die Unterhaltung zwischen den beiden Herren begann auch regelmäßig in demselben Stil: »Und mein Gichtbein? – Kein Mensch bekümmert sich drum . . . Heirate nicht, Fritze! – Macht nur im allerersten Anfang Spaß – dann aber wird man abgetan, wie der Mohr im ›Othello‹ oder im ›Fiesko‹ . . . weiß der Deiwel, ob's der Schiller oder der Shakespeare verbrochen hat . . . Nee, lieber Junge – wir sind ja unter uns Jungfrauen – so 'ne janz kleine oder meinetwegen auch 'ne janz jroße Amour mit 'nem hübschen ›Mächen‹ lohnt entschieden mehr! Werde uns mal die kleine Modeste einladen mit dem ollen Schweinehund als Appendix . . . Hat übrigens Jroschens, die Jöhre, kolossale Jroschens! Verliebter Racker nebenbei . . . Und wenn's denn durchaus sein muß, heirate sie auch meinetwegen – das heißt, wenn die Manichäergesellschaft durchaus nicht länger prolongiert. Denn Reichsjräfinnen mit Zechinen gehen jrundsätzlich nich nach Insterburg.«

Der alte Bussard lachte darauf sehr befriedigt, während sein Neffe Mieritz lächelte, jedoch viel weniger befriedigt.

»Schließlich, Onkel . . .«

Aber der Alte winkte ab: »Nee, lieber nich: ›schließlich‹! Weiß, worauf du raus willst, mein Junge. Judith, nich wahr?«

»Aber Onkel!«

»Lieber Junge, hab dich nich! Wegen deiner vorzüglichen Wirtschaftsführung bist d' nicht nach Insterburg versetzt worden – und von wegen meiner schönen Augen bist d' nicht nach Bussardshof auf Urlaub jekommen . . .«

Darauf beschloß Herr von Mieritz, sich Modeste Lindt doch etwas näher anzusehen. Die junge Dame war hübsch, elegant; sie ritt für eine Anfängerin fabelhaft schneidig – Eigenschaften, über die der Gardekürassier noch vor Jahresfrist sehr kühl gedacht hatte, mit denen aber der Insterkosak zu rechnen gezwungen war.

Modeste empfing diesen Löwen keineswegs kalt. Sie hatte unter der Vergangenheit gelitten, weit mehr, als sie vor sich selbst wahr haben mochte. Jetzt war das abgetan. Keine Liebestorheiten, keine Mädchenphantasien mehr – sondern vernünftig das Lindtsche Schicksal gewählt, dem sie ja doch nicht entging! Und je eher, je besser! Nur nicht denken, nur nicht grübeln – viel besser lustig ein Leben leben, das nur lustig ein Leben ist! Darum schwamm der Stern von Barginnen leichter und sicherer als je in dem seichten Fluß, für den er bestimmt schien.

Und es war auch eine Lust zu leben in dem schönen, klaren litauischen Sommer, der bereits das Korn gereift hatte und jetzt den Weizen bleichte – durch Feld und Wald zu streifen als kecke Führerin einer jungen Mädchenschar, die kindlich wähnte, ihre kleine Welt sei die Welt überhaupt.

*

Einmal – der Sommerrappe streckte sich im Galoppsprung so mächtig, daß nur Herrn von Mieritz' geübte Reitkunst neben ihm aushielt – hätte sie beinahe das »Glück« erhascht.

»Wer hat Ihnen eigentlich das kolossal schneidige Reiten beigebracht, gnädiges Fräulein?« fragte er.

»Irgend jemand,« scherzte sie. »Irgendein Inspektor, glaube ich . . . Das ist ja auch so gleichgültig!«

»Aber warum reiten Sie denn auf einmal Karriere? – Mein Brauner tut nächstens auch nicht mehr mit . . . Und haben Sie die Gnade, sich einmal umzusehen! Das Feld galoppiert ja vollkommen zerrissen. Die Stute von Fräulein von Gadebusch roart bis hierher.«

»Dann bleiben Sie doch zurück, Herr von Mieritz! . . . Wenn Ihr Herz bei Martha so engagiert ist . . .« spottete sie.

»Aber es ist ja gar nicht dort engagiert – im Gegenteil . . . Ich habe durchaus nicht die Absicht, dem guten Häwel ins Handwerk zu pfuschen. – Ich reite mit Ihnen allein am liebsten, gnädiges Fräulein.«

Da lächelte sie kokett: »Meinen Sie das wirklich so, Herr von Mieritz?«

»Aber warum eigentlich nicht? . . . Ich kann Ihnen sogar versichern, gnädiges Fräulein . . .«

Er hatte sein Pferd so nahe herangedrängt, daß sie seinen Atem auf der Wange spürte. Da parierte sie plötzlich zum Trab durch: »Dort kommt gleich eine Brücke, Herr von Mieritz. Wir müssen vorsichtig reiten.«

»Sie denken in der Tat, gnädiges Fräulein . . .«

»Nein, ich denke gar nichts,« antwortete sie mit veränderter Stimme. »Aber es ist eine Knüppelbrücke und sehr morsch. Die Pferde könnten leicht durchtreten.«

Herr von Mieritz sah seine Dame von der Seite an: »Sie sind unbegreiflich, gnädiges Fräulein.«

Modeste zuckte die Achseln: »Ich meinte sonst immer, daß gerade dies Unbegreifliche die Herren der Schöpfung besonders interessierte.«

»Bis zu einem gewissen Grade ja,« pflichtete er bei. »Aber bei Ihnen weiß man nie, wie man daran ist . . . Erst denkt man . . .«

Darauf hielt sie sich lachend die Augen zu: »Denken Sie nicht! Tun Sie mir den einzigen Gefallen! . . . Machen Sie es lieber wie ich: wenn ein Gedanke kommt, dann stecke ich rasch den Kopf in den Sand wie der gute Vogel Strauß – und weg ist er! . . . Da kommen übrigens die andern . . . Glauben Sie wirklich, daß Herr von Häwel seine Riesencousine anbetet?«

Herr von Mieritz schien pikiert. »Ich glaube gar nichts, mein gnädiges Fräulein.«

Sie lachte wieder. »Dann tun Sie genau dasselbe wie ich auch, Herr von Mieritz! . . . Übrigens, sind Sie mir böse?«

»Das kann ich leider gar nicht sein. Aber Sie haben so 'ne merkwürdige Art . . .«

Da reichte sie ihm, noch immer lächelnd, die Hand herüber: »Nicht böse sein, nicht böse sein!« Und zugleich rief sie über ihre Schulter weg den nachfolgenden Reiterinnen zu: »Reitet doch nicht so schrecklich langsam! . . . Es hätte beinah' ein Unglück gegeben.«

Die kleine Meyners, die mit ihrem Bräutigam die nächste heran war, nahm sofort Modeste beiseite: »Du, ihr habt euch vorhin die Hand gegeben . . . Ihr dachtet natürlich, ihr wäret allein . . . Seid ihr . . .? – Es würde mich furchtbar freuen.«

»Ja, es würde mich auch furchtbar freuen – furchtbar, liebe Annie!«

Modeste wollte noch weiterhöhnen, da kam auch schon das Gros gesprengt. Der Federhut der Frau Murrmann nickte. Die kluge Dame, deren alter Wallach nicht mehr auf jugendliche Reitkünste eingerichtet war, fragte zornig: »Wo sind wir eigentlich?«

»In Litauen,« gab Modeste schnippisch zurück.

»Es scheint mir auch so,« pflichtete Herr von Mieritz bei.

Das war dem wippenden Federhut zu viel. »Dieses unvernünftige Gejage! Ich bin sowieso katarrhalisch affektiert . . . Das ist überhaupt kein Samowarvivre, meine Herrschaften!«

Darauf blieb der Kavalkade natürlich nichts weiter übrig, als in ein ersticktes Gelächter auszubrechen, in das Frau Murrmann zu guter Letzt selbst mit einstimmte. Sie hatte zuweilen lichte Augenblicke, wo sie sich ihrer unseligen Leidenschaft für falsche Fremdwörter bewußt ward; aber sie konnte ebensowenig davon los wie ein Trunkenbold von der Schnapsflasche.

Über das Vorwerk ging's heim nach Barginnen, wo das gemütliche Abendbrot genommen werden sollte. Herr von Mieritz und Modeste Lindt ritten wieder beieinander – diesmal aber schweigsam und mit laschem Zügel. Bedauerten sie beide, den Tag nicht besser genützt zu haben? . . . Nächste Woche kehrte der »Insterkosak wider Willen« zum Regiment zurück; acht Tage später verschwand auch der junge Häwel. Damit zerfiel naturgemäß der Klub, und das alte einsame Leben begann wieder. Und jetzt fragte sich Modeste, verwundert über sich selbst, warum sie dem Mann das entscheidende Wort immer so jäh abgeschnitten hatte. Eigentlich mochte sie ihn gern. Er war sehr gewandt, sehr korrekt, haßte Litauen und galt allen als ein Falkner von Öd im kleinen, freilich ohne den gewissen geheimnisvollen Reiz, der den Panierherrn von Eyselin noch immer umfloß.

An einem Tümpel am Weg scheute der Sommerrappe plötzlich, wollte durchgehen – aber Modeste ließ sich die Zügel nicht nehmen. Gleichzeitig erhob sich aus den Binsen der alte Eller in wahrhaft räuberischem Jagdkostüm, den Lodenhut verschwitzt, die Leinenbluse verschlissen.

»Machen Sie mir die Enten doch nicht scheu, gnädiges Fräulein!« rief er langsam näher kommend. »Da sitzt man und sitzt man stundenlang . . .« Im Schilf schwirrte es, eine Ente strich knarrend ab. »Sehen Sie, da fliegt mein Sonntagsbraten! . . . Aber schad' nischt!« Und er begrüßte mit komischer Devotion den Trupp. »Reiten Sie nur so 'n armen alten Bauern nicht gleich in 'n Dreck wie im Mittelalter!« Und zu dem jungen Häwel gewendet, der mit einem Riesenmonokel prunkte, meinte er blinzelnd: »Sagen Sie mal, Herr Leutnant, sind Sie eigentlich mit dem Glasaug' auf die Welt gekommen? – Ah so! Das ist ja 'n Monokel! Können Sie denn auch schon niesen damit? Voriges Jahr, denke ich, trugen Sie's auf dem andern Aug'? . . .«

Die Damen lachten, und der Leutnant schaute etwas finster drein.

Darauf beschäftigte sich der alte Litauer eingehend mit Modestes Pferd. »Edler Gaul geworden . . . Und eine Reiterin! Ich glaub' wohl, daß dem Duschack, dem Romeit, die Reitstunden Spaß gemacht haben . . . So 'ne Schülerin kriegt man nicht jeden Tag zwischen die Finger.« Er drohte lächelnd. »Haben Sie auch immer gut gehorcht, gnädiges Fräulein? – Ich denk' ja. Ritten immer so hübsch nah' beieinander . . . Nu kommt jetzt zur feineren Ausbildung der Herr Leutnant von der Garde! – Löst eben immer im Leben einer den andern ab.«

Jedoch Modeste antwortete auffallend feindlich: »Lassen Sie diese Scherze.«

»So bös' auf einmal?« lamentierte er. »Ach Gott, am End' krieg' ich auf meine alten Tage noch Haue mit der Kardätsch'!« Und er tauchte wieder in das Schilf zurück. Von da rief er den Abreitenden nach: »Sagen Sie Ihrem Papachen, Fräulein Modeste, daß die Fohlen morgen früh von der Bahn abzuholen sind! . . . Er soll doch den Inspektor schicken . . . Oder kommen Sie lieber selbst – aber kommen Sie wirklich!«

Als die Kavalkade vor dem Barginner Schloßportal abgestiegen war, sagte Herr von Mieritz zu der sehr finster dreinschauenden Modeste: »Gnädiges Fräulein, Ihnen bekommt das wilde Reiten am Ende doch nicht.«

»Daß ich nicht wüßte! . . . Im Gegenteil . . .« Sie wurde im Augenblick sehr lustig. »Sie dürfen mich sogar zu Tisch führen, Herr von Mieritz.«

Das Abendessen war denn auch sehr amüsant und Modeste von überschäumendem Lebensmut. Der frühere Gardekürassier wagte aber keinen zweiten Vorstoß mehr, was den Stern von Barginnen schier verwunderte.

»Gefalle ich Ihnen so besser, Herr von Mieritz?«

»Ja und nein, meine Gnädigste. Als ich meine ersten tausend Taler glücklich verjeut hatte, war ich ungefähr in derselben Stimmung wie Sie heut.«

Indessen erging sich der alte Knochenmehlhändler an der Spitze der Tafel in hippologischen Plaudereien. Er hatte zuweilen einen trockenen Humor, den niemand bei ihm vermutete, und der deshalb um so mehr die Lachmuskeln reizte.

»Übrigens, Modeste,« rief er zu der Jugend herüber, »der alte Pisang hat also gesagt, daß die Fohlen schon morgen ankämen? – Da könntet ihr mitfahren, Kinder. Kleiner idyllischer Bahnhof. Und da du inzwischen ja eine große Reiterin geworden bist, wie ich allgemein höre, so wird dich so ein Fohlentransport schließlich auch interessieren . . . Verschiedene größere Güter verladen da. Bin selbst neugierig . . . Aber zu dem Zweck müssen wir natürlich höllisch früh raus . . . Wollen Sie mitkommen, Herr von Mieritz?«

Der frühere Gardekürassier ließ die Frage offen. Er war kein Mensch, der sich unnötig engagierte. Heute gefiel ihm aus Instinkt Modeste gar nicht.

Als die Gesellschaft früh wieder abgeritten war, nahm der alte Lindt in einer Anwandlung von Stolz und Zärtlichkeit den blonden Kopf seiner jüngsten Tochter zwischen beide Hände.

»Ja . . . nein . . . ich weiß nicht recht, Papa.«

»Kurz und gut, wenn er dir gefällt, brauchst du nicht erst besonders Mama oder mich zu fragen. Er hat in Berlin 'ne Dummheit gemacht, und es sollte ihm mal ad oculos demonstriert werden, daß der Garde doch schließlich nicht alles durchgeht. Im übrigen ist es, wie ich genau weiß durch Öd, eine sehr vornehme, freiherrliche Familie. Geldmajorat und so weiter, der betreffende Onkel Rückenmärker, also doch in greifbarer Nähe alles . . .«

Modeste machte ein etwas gelangweiltes Gesicht. »Gott, Papa, vorläufig hat er ja noch gar nicht angehalten. Und ich habe auch gar keine Eile . . .«

»Sollst du auch gar nicht!« meinte er versöhnlich und gab ihr den Kopf frei. »Ich hatte nur so bei Tisch den Eindruck, als wenn ihr beiden euch recht gut miteinander behagtet . . . Ich will auch nicht immer als Tyrann und Geizhals verschrien sein, weil ich's in der Tat nicht bin . . . Ich möchte im Gegenteil die Meinen glücklich machen, und dich ganz besonders, mein blonder Liebling. Und eben darum sollst du wählen, wie dir's ums Herz ist.« Er küßte sie väterlich aufs Haar.

»Papa, du bist heute so merkwürdig milde.«

»Bin ich immer, liebes Kind. Werde leider nur oft verkannt . . . Und nun geh zu Bett, mein Liebling! Und wenn du einmal in den nächsten Tagen als eine ganz andre aufwachen solltest, so wundere dich weiter nicht!«

Modeste wiegte verwundert ihr Haupt. »Andre? Aufwachen? . . . Was meinst du eigentlich? . . .«

»Das wird die Zukunft schon ausweisen.«

Modeste aber ging noch einmal hinunter in den Stall, nach dem Pferde zu sehen, das sie sehr liebte. Der braune Unhold war jetzt bei einem Förster in Dressur – zuweilen bangte sie sich auch nach dem Tier. Nachdem sie den Sommerrappen in seiner Box genügend gestreichelt und mit Schmeichelnamen belegt hatte, ging sie nachdenklich zurück in das Turmzimmer. Während des Gehens sagte sie wie geistesabwesend: »Ich bin heut zum letztenmal geritten.« Und gleich darauf tippte sie sich erwachend auf die Stirn. »Ich bin verrückt, reell verrückt! . . .«



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