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Die Wintersaison war glänzend in Paris, die ganze elegante Welt bewegte sich in ununterbrochenen Festen, die Salons der Minister versammelten an den Empfangsabenden alles, was die große Welt an vornehmen und berühmten Namen vereinigte, die großen Rezeptionen des Kaisers, die kleinen Montagsbälle der Kaiserin fanden ohne Unterbrechung statt und bildeten den glänzenden Mittelpunkt des buntbewegten Lebens, das die große Weltstadt in ihrer in so mannigfaltig zusammengesetzten Farben schimmernden Gesellschaft entwickelt.
Der Kaiser war gesünder und kräftiger als seit langer Zeit, er hatte für jeden ein heiteres, scherzhaftes Wort und war in den kleinen ausgewählten Kreisen der Hofgesellschaft von einer hinreißenden Liebenswürdigkeit.
Scheinbar war die Politik vollständig von der Oberfläche des Lebens verschwunden, die spanische Angelegenheit, welche eine Zeitlang alle Welt beschäftigt hatte, war aus der Mode gekommen, wie das in Paris meist nach kurzer Zeit mit fast allen großen und kleinen Angelegenheiten zu geschehen pflegt.
Die Königin Isabella war angekommen und hatte zunächst im Hotel du Pavillon Rohan ihre Wohnung genommen. Sie war lange Zeit der Gegenstand der öffentlichen Neugier gewesen, der Hof und die ganze Diplomatie hatten sie mit ausgezeichneter Höflichkeit begrüßt; dann hatte man noch einige Zeit von den Plänen gesprochen, welche sie für den Umbau und die Ausschmückung des Hotels Basilewsky an der Avenue du Roi de Rome aufstellen ließ, das sie gekauft hatte. Dann waren andere Dinge an die Tagesordnung gekommen. Man sprach wenig mehr von der Königin, und da dieselbe keinen regelmäßigen Empfang hielt, so war sie auch in der Gesellschaft des Hofes und der Diplomatie bald vergessen.
So schien alles auf das beste und friedlichste geordnet. Alle Welt tanzte, plauderte und sprach von den neuen Erscheinungen der Theater und von den Opernbällen, welche diesen Winter mit besonderem Glanz wieder aufgenommen wurden, und der drohende Sturm, welcher im Herbst so nahe daran gewesen war, Europa zu erschüttern, blieb in die Tiefen des Geheimnisses und der Vergessenheit gebannt.
Der Kaiser Napoleon hatte, von dem General Fleury begleitet, seinen Morgenspaziergang auf der Terrasse des Tuileriengartens gemacht.
Nicht wie sonst folgte ihm sein treuer, großer Neufundländer, der langsam und gravitätisch hinter seinem Herrn herzugehen pflegte und zuweilen mit der feuchten, breiten Nase an die Hand des Kaisers stieß, die sich dann jedesmal liebkosend auf seinen langhaarigen Kopf legte.
Nero war krank, ernsthaft krank, er hatte das Maß des Alters seiner Rasse erreicht. Es war wenig Hoffnung, ihn zu retten. Er lag in der Wohnung des Kammerdieners, in der Nähe des kaiserlichen Zimmers in den Tuilerien, unter der Behandlung der ersten Veterinärärzte von Paris.
Der Kaiser besuchte ihn oftmals am Tage und hatte die höchste Belohnung für seine Rettung ausgesetzt.
Napoleon war ernst und traurig und zwischen allen Gegenständen, über die er sich mit dem General auf seinem Spaziergang unterhalten hatte, waren immer wieder Äußerungen der Besorgnis um das treue Tier laut geworden, das so lange Jahre sein Begleiter gewesen.
Als er seinen Spaziergang beendet hatte und zu seinen Gemächern heraufstieg, wurde ihm gemeldet, daß der Staatsminister Rouher soeben erschienen sei und um Audienz bitte.
Der Kaiser entließ den General Fleury und befahl, indem er sich mit dem Ausdruck einer starken, aber wohltätigen und angenehmen Ermüdung in seinen Lehnstuhl sinken ließ, den Staatsminister einzuführen.
Herr Rouher trat in seiner würdevollen und feierlichen Haltung ein, indem er an der Tür des Kabinetts einem Lakaien eine große Mappe abnahm, welche derselbe ihm bis dorthin nachgetragen hatte, und näherte sich mit tiefer Verbeugung dem Kaiser.
»Mein lieber Minister,« rief Napoleon, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, »setzen Sie sich sogleich hier zu mir, ich bin sehr ermüdet von meinem Spaziergang – das heißt, der Körper ist ermüdet, mein Geist aber ist frisch und kräftig und ich bin bereit zu hören, was Sie mir bringen werden, – »das jedenfalls etwas Gutes sein wird – denn,« fügte er verbindlich den Kopf neigend hinzu, »mit der Meldung der unangenehmen Dinge pflegen Sie ja doch immer zugleich die Mitteilung zu verbinden, daß dieselben beseitigt sind.«
Herr Rouher hatte mit ernster und gemessener Bewegung die Hand des Kaisers ergriffen, dann setzte er sich mit dem ihm eigenen Aplomb demselben gegenüber und öffnete die mit Papieren starkgefüllte Mappe, welche er neben sich auf den Boden gestellt hatte.
»Eure Majestät werden beurteilen, ob das, was ich Ihnen zunächst mitzuteilen habe, gut oder nicht gut sei, richtig ist es jedenfalls, und ich habe, wie Eure Majestät die Gnade hatten zu bemerken, auch diesmal mich allerdings bemüht, sofort den Schwierigkeiten und Gefahren entgegenzutreten.«
»Schwierigkeiten und Gefahren,« fragte der Kaiser lächelnd, – »woher sollten die kommen in dieser Zeit der Bälle, der Diners, der Routs? – in dieser Zeit, in welcher man selbst von Berlin her, wo uns doch sonst immer eine oder die andere kleine hämische Überraschung bereitet wird, nichts anderes zu berichten hat, als die Beschreibung der großen Feste im weißen Saal und der kleinen Bälle, welche die Königin Augusta im königlichen Palais veranstaltet.«
»Die Gefahren, von welchen ich Eurer Majestät sprechen will,« sagte der Staatsminister, ohne auf den scherzhaften Ton des Kaisers einzugehen, »steigen aus den Kreisen herauf, in welchen es keine Diners und keine Bälle gibt und für welche die Feste des Hofes und der Aristokratie nur eine Quelle immer neuen Hasses, immer neuer Erbitterung bilden.«
»Ah,« sagte der Kaiser, »sind meine guten Freunde, die Arbeiter, wieder unruhig? Beginnt die Internationale wieder einmal über die Bühne zu schreiten, um,« sagte er, sich lächelnd die Hände reibend, »meiner guten Bourgeosie wieder einen tüchtigen heilsamen Schrecken einzuflößen?«
»Ich sehe die Sache ernster an, Sire,« erwiderte Herr Rouher, indem er einen starken, mit mehreren Beilagen versehenen Bericht aus seiner Mappe hervorzog, »und ich glaube, Eure Majestät werden mir recht geben, wenn Sie die Ausdehnung und gefährliche Wendung genau kennen, welche jene Bewegung der Arbeiter genommen –«
»Jener Kongreß,« fiel der Kaiser ein, »welcher in Brüssel stattfand, hat diesen kleinen Armand Levy mit seiner Idee, die Internationale zu einer Art von Armee für mich zu machen, abfallen lassen – ich weiß das, die Idee war gewiß ganz gut gemeint, aber doch nicht praktisch. Man kann von jenen Leuten in der Tat nicht verlangen, daß sie sich offen für Agitatoren des Kaisertums erklären sollen. Und wenn sie es tun wollten, wie sollte ich mich dazu stellen? Das würde ja an allen Höfen Europas ein Mißtrauen hervorrufen, das ich nie mehr zu besiegen imstande wäre – nein, nein, auf solche Weise kann man diese Sache nicht angreifen. Jene Idee war eine Exzentrizität, die bei meinem heißblütigen Vetter Napoleon ihren Ursprung hatte. Ich habe sie gehen lassen, weil sie doch keine reellen Folgen haben konnte – so ist es denn auch gekommen – und auch ich bin zufrieden damit.«
Herr Rouher hatte den Kaiser mit einigen leichten Zeichen von Ungeduld aussprechen lassen.
»Es ist nicht der Kongreß von Brüssel, Sire,« sagte er, als Napoleon geendet, »über den ich Eurer Majestät Vortrag halten wollte. Nach jenem Kongreß, welcher das Gefüge der alten Internationale gesprengt hat, ist der Kongreß in Basel gefolgt, und auf diesem Kongreß in Basel ist an die Stelle der Internationale der französischen Gründer eine ganz neue Assoziation getreten, welche nicht wie jene die Möglichkeit der Führung und Leitung darbietet, deren Organisation die höchste Gefahr für den Bestand der staatlichen Ordnung in sich schließt.«
»Nun?« sagte der Kaiser, indem ein kaum bemerkbares ungläubiges Lächeln um seine Lippen spielte.
»Sire,« fuhr der Staatsminister fort, »auf jenem Kongreß in Basel hat Michel Bakunin –«
»Bakunin,« sagte Napoleon mit eigentümlichem Ton, »dessen man nicht habhaft wurde, als er im vorigen Jahr hier erschienen war, um seine Lehren zu predigen?«
»Was ich noch heute sehr bedaure, Majestät,« sagte Herr Rouher mit fester Stimme. »Dieser Bakunin also hat dort unter Zustimmung der großen Majorität die allgemeine Liquidation der Gesellschaft, wie er es nennt, proklamiert, das heißt die absolute Aufhebung jedes Privateigentums, jedes Erbschaftsrechts.«
»Und darin sehen Sie eine Gefahr?« fragte der Kaiser, »Je toller die Grundsätze sind, die man proklamiert, um so weniger gefährlich erscheint mir die Sache, um so mehr wird sie nur dazu dienen, dieser ganzen liberalen Bourgeoisie die Sehnsucht nach dem Schutz einer starken und kräftigen Autorität einzuflößen.«
»Eure Majestät dürfen nicht vergessen«, sagte der Staatsminister, »daß diejenigen, welche ein Interesse an dem Umsturz der gegenwärtigen Besitzverhältnisse haben, eine große Majorität bilden und daß, so wahnsinnig jene Grundsätze sein mögen, immer Hunderttausende von Armen sich zu ihrer Verteidigung erheben werden. Die Gefahr liegt in der Organisation dieser Kräfte, und diese Organisation, Sire, ist in Basel festgestellt worden. Die alten Zweigvereine sind aufgelöst –«
»Von uns aufgelöst«, fiel der Kaiser ein. »Ich fürchte, daß das ein Fehler gewesen ist.«
»Die neuen Vereine,« sprach Herr Rouher weiter, – »ich habe darüber die genauesten polizeilichen Nachforschungen anstellen lassen, sind bereits über ganz Frankreich verbreitet. Sie haben überall ihre Syndikate und Klubs, sie nennen sich die Gewerksföderationen und haben den Widerstand gegen alle bestehenden Gewalten zum Zweck und Ziel. Bakunin hat ihnen den Geist eingehaucht, den Geist der tartarischen Zerstörung, und der Zimmermann Louis Champigny aus Paris hat sie organisiert. In seiner Denkschrift über die Organisation sagt er, daß die Verbände dieser Widerstandsvereine die zukünftige Kommune bilden und daß im gegebenen Augenblick die bestehende Regierung durch die Syndikate der Gewerkvereine ersetzt werden soll. Damit ist also eine organisierte Macht geschaffen, welche nicht nur die bestehende Autorität untergraben und ihren Sturz vorbereiten soll, sondern welche auch bereit und fähig ist, demnächst an ihre Stelle zu treten. Dies, Sire, ist etwas ganz anderes, als jene Sekte philosophierender Arbeiter, dies ist eine revolutionäre Korporation, welche auf den Umsturz aller bestehenden Rechte und Gesetze offen hinarbeitet, und zwar, wie sie sagen, durch eine ernste und unterirdische Aktion, dies ist die wirkliche Kommune, welche sich in den geheimen Vereinen vorbereitet, um bei der ersten großen Verwirrung in das Stadthaus einzuziehen und die Geschichte von 1793 wieder zu beginnen.«
Der Kaiser hatte ernst und aufmerksam zugehört, ohne daß jedoch der sorglose ruhige Ausdruck von seinem Gesicht verschwunden wäre.
»Und was denken Sie,« fragte er, »daß man tun müßte, um dieser Gefahr zu begegnen, welche, ich muß es Ihnen gestehen, mir gerade durch die Extravaganz und Gemeingefährlichkeit der proklamierten Grundsätze geringer erscheint als diejenige, welche in der stillen und friedlichen Agitation der früheren Vereine lag.«
»Sire,« sagte Herr Rouher, »ich habe auch in diesem Fall, wie Eure Majestät vorhin die Gnade hatten anzuerkennen, gehandelt, sobald ich die Gefahr gesehen und erkannt habe. Ich habe die Sitze aller dieser Gewerkvereine ermittelt und habe sie durch die Polizei auflösen lassen, alle Papiere, die man dort gefunden, sind mit Beschlag belegt, die Listen der Mitglieder sind in meinen Händen, und das, was an Schriften, an Protokollen, an Zirkularen dort gefunden worden, gibt vollkommen genügendes Material zum ernsten Einschreiten der Gerichte.«
Ein Ausdruck von Unzufriedenheit und Verstimmung erschien auf dem Gesicht des Kaisers, er ließ die langen Enden seines Schnurrbarts mehrmals durch die Finger gleiten und sagte dann, ohne den Blick zu dem Staatsminister zu erheben:
»Glauben Sie denn, daß man durch Schließung der Lokale, durch Konfiskation einzelner und zwar gewiß nicht der geheimsten und wichtigsten Papiere die Sache selbst unterdrücken könne? Halten Sie es für möglich, zu verhindern, daß diese Leute in anderen Lokalen wiederum zusammenkommen?«
»Das wird man sicher verhindern können, Sire,« sagte Herr Rouher, »wenn man sofort, nach den in meinen Händen befindlichen Listen, die einflußreichsten Mitglieder der Widerstandsvereine verhaften läßt und sie vor Gericht stellt. Die Mitglieder jener doktrinären Internationale sind damals nur zu ganz geringen Strafen verurteilt worden, sie waren auch nur wegen nicht gesetzlicher Anmeldung ihrer Vereine angeklagt, da in den von ihnen ausgesprochenen Theorien eigentlich nichts Strafbares lag. Diesmal aber würde die Sache anders werden. Die Führer dieser Widerstandsvereine erklären dem Staat und der Gesellschaft den Krieg bis zum äußersten, und diese Leute würden zu langer Gefängnishaft verurteilt werden. Wenn man die Anzuklagenden richtig auswählt, so wird man sicher sein, das ganze Gewebe wenigstens auf lange Zeit hinaus zu zerstören. Später wird man dafür sorgen können, daß es nicht wieder geknüpft werde. Die Verhaftungen müßten aber schnell vorgenommen werden, da die Leute jetzt gewarnt sind, und die am meisten Schuldigen wahrscheinlich schnell sich in Sicherheit zu bringen versuchen werden.«
Der Kaiser blickte noch immer schweigend vor sich nieder und blieb auch, als der Minister geendet, noch einige Augenblicke in dieser Stellung, während Herrn Rouhers forschende Blicke mit brennender Ungeduld auf ihm ruhten.
»Ich kann,« sagte er dann mit einer gewissen Zurückhaltung, als sei es ihm peinlich, der Ansicht des Staatsministers entgegenzutreten, »ich kann Ihre Auffassung nicht teilen, mein lieber Rouher. Sie sagen selbst, daß diese Vereine eine große Verbreitung haben, ich würde also durch eine Verfolgung der Mitglieder derselben einem großen Teil der Bevölkerung Frankreichs den Krieg erklären, und ich muß Ihnen aufrichtig sagen: ich habe der heimlichen und offenen Feinde außerhalb der Grenzen meines Landes so viele, daß ich gern mit meinem Volk selbst im Frieden leben möchte. Ich kann auch jene Bewegung in der Tat nicht für so gefährlich halten; einzelne Führer mögen, um krasse Schlagwörter aussprechen zu können, die extremsten und radikalsten Theorien aufstellen, der der Menge der Arbeiter werden dieselben kaum wirkliche Verbreitung finden. Ich fürchte, man würde einen Schlag ins Wasser tun und nur den europäischen Mächten das willkommene Schauspiel geben, das im Innern meines Landes eine Macht bestehe, gegen welche ich in Kampf treten muß, und dieser Kampf selbst würde vielleicht die Bedeutung und Gefahr jener Vereine erst schaffen, indem man sie zum Widerstände, den sie bis jetzt nur theoretisch proklamiert haben, geradezu zwingen würde.« Herr Rouher hatte unruhig und finster den Worten des Kaisers zugehört.
»Die Vorbereitungen zum Widerstande, welche jene Vereine bereits treffen,« sagte er, »sind höchst praktischer Natur, und die Folgen derselben werden bei der ersten Gelegenheit in erschreckender Weise zutage treten.«
»Nun,« sagte der Kaiser, »dann wird es Zeit sein, mit den Mitteln der Gewalt gegen sie einzuschreiten. Ich fürchte, daß man jetzt nur reizen würde, ohne den Gegner zu vernichten – und das ist immer ein politischer Fehler.«
»Sire,« sagte Herr Rouher, »ich bitte Eure Majestät inständigst, sich nicht, wie ich seit einiger Zeit zu bemerken glaube, von gewissen liberalen Doktrinen beeinflussen zu lassen. Frankreich, Majestät, bedarf einer Hand von Eisen in einem Handschuh von Sammet, um regiert zu werden. Nur das starke, rücksichtslose persönliche Regiment kann unsere unruhige Nation im Zügel halten und leiten. Bewegungen, wie die, auf welche ich Eurer Majestät Aufmerksamkeit zu lenken mir erlaubt habe, müssen im Keim erstickt werden, denn sie verbreiten sich in unserer Nation mit rapider Geschwindigkeit, und wenn sie erst in ihren letzten Konsequenzen der Regierung gegenüberstehen, so wird jeder Widerstand gegen dieselben vergeblich sein.«
Bei den ersten Worten des Staatsministers hatte der Kaiser die Augen von unten herauf schnell aufschlagend, denselben mit einem kurzen und scharfen Blick angesehen.
»Seien Sie überzeugt, mein lieber Rouher,« sagte er mit einem gewissen treuherzigen, offenen Lächeln, »daß keine Doktrin auf mich Einfluß gewinnen kann. Ich bin mein ganzes Leben über der Mann der Tat und der Praxis gewesen, und ich kenne meine Franzosen sehr gut; ich weiß, daß die liberale Phrase keine Macht über sie übt. Aber hier handelt es sich nicht um Rücksicht auf liberale Theorien, sondern um wirkliche politische Klugheit, wenn ich diese Sache nicht weiter verfolgen will.«
Er sprach diese Worte in festem und entschiedenem Ton, welcher einen unabänderlichen Entschluß andeutete.
»Wenn ich dieses Netz von Anklage und Verfolgung über das ganze Land nicht ziehen will, so tue ich es nicht aus Furcht vor dem Angriff der liberalen Phrase, sondern weil ich überzeugt bin, daß ich durch einen solchen Akt jene Leute erst wirklich zu meinen unversöhnlichen Feinden machen würde, was sie jetzt, wie ich überzeugt bin, noch nicht sind.«
»Eure Majestät haben zu befehlen«, sagte Herr Rouher, indem er seinen Bericht ergriff, um ihn wieder in seine Mappe zu stecken. »Ich habe getan, was ich im Interesse Eurer Majestät für notwendig erachtete, und ich bitte Eure Majestät, mich von der Verantwortung freizusprechen, wenn jemals aus der weiteren Entwicklung dieser neuen kommunistischen Internationale schwere Gefahren für Frankreich und das Kaiserreich erwachsen sollten.«
»Sie haben wie immer,« sagte der Kaiser, indem er sich etwas vornüber neigte und Herrn Rouher seine Hand bot, – »Sie haben wie immer mit unermüdlichem Eifer und schärfster Wachsamkeit mein Interesse wahrgenommen. Ich danke Ihnen dafür von Herzen und bitte Sie, meine abweichende Ansicht nicht übel zu nehmen. Wollen Sie mir den Bericht hier lassen, ich will die Sache genau studieren, vielleicht werde ich Ihnen dann recht geben. Und seien Sie dessen sicher, wenn dies geschehen sollte, so werde ich sogleich und ohne jeden beschränkten Eigensinn meine gewonnene bessere Einsicht Ihnen mitteilen.«
Herr Rouher verneigte sich schweigend. Der Ausdruck seines Gesichts zeigte immer noch, daß er durch die Weigerung des Kaisers, auf seine Vorschläge einzugehen, tief verletzt war – er war in seiner langjährigen Laufbahn als Minister nicht oft daran gewöhnt, einen bestimmten Widerstand gegen seine Maßnahmen der inneren Politik Frankreichs beim Kaiser zu finden – er mochte vielleicht hier zum erstenmal auch dem Kaiser selbst gegenüber das Wehen jenes neuen Geistes empfinden, welcher am Hofe sich fühlbar zu machen begann, und von welchem die öffentliche Meinung bereits behauptete, daß seine Strömungen neue Ideen und neue Männer zur Regierung bringen würden. Er legte den umfangreichen Bericht neben dem Kaiser auf den Tisch und sagte, indem er sich erhob:
»Ich bitte Eure Majestät, mir zu erlauben, daß ich die übrigen untergeordneten Gegenstände, über welche ich Ihnen heute noch Vortrag halten wollte, verschieben darf – sie sind nicht eilig, und ich möchte vor allem, da Eure Majestät eine weitere Verfolgung der Internationale für jetzt nicht befehlen wollen, dem Generalprokurator, dem ich bereits aufgetragen hatte, alles Nötige vorbereiten zu lassen, die erforderliche Weisung geben.«
»Tun Sie das, mein lieber Herr Rouher«, sagte der Kaiser. »Und«, fügte er lächelnd hinzu, »lassen wir diese armen Leute vorläufig noch in Freiheit, sie flattern ja doch an einem Faden, den wir in der Hand haben und den wir jeden Augenblick anziehen können. Vor allen Dingen nehmen Sie noch einmal den Ausdruck meiner Dankbarkeit für Ihre Wachsamkeit und Vorsicht. Sie werden es ein wenig natürlich finden,« sagte er mit verbindlichster Liebenswürdigkeit, »daß ich nicht so leicht geneigt bin, mich vor diesen Dingen zu fürchten, da ich ja Sie an meiner Seite habe und da ich Ihnen die Kraft zutraue, über alle meine Feinde siegreich Herr zu werden.«
Herr Rouher verneigte sich bei diesen liebenswürdigen Worten des Kaisers, ohne daß jedoch dieselben einen Eindruck auf ihn zu machen schienen.
»So lange ich an der Seite Eurer Majestät stehe,« sagte er mit fester Stimme, »soll allerdings so leicht kein Feind bis zu Ihrem Thron herandringen, und der erste Erfolg der Gegner des Kaiserreichs müßte der sein, mich zu verdrängen, denn dann erst würden sie imstande sein, zu weiteren Angriffen vordringen zu können.«
Er grüßte den Kaiser mit tiefer, ehrfurchtsvoller Verbeugung und ging dann mit festen, geraden Schritten hochaufgerichtet hinaus.
Napoleon blickte ihm einige Augenblicke schweigend nach.
»Er fühlt,« sagte er dann, »daß ich ein System vorbereite, in welchem für ihn kein Platz mehr ist. Er möchte mich in diese große Verfolgung der Internationale hineinziehen, das würde auf lange hinaus das Einschlagen anderer Wege für mich unmöglich machen, das würde einen Krieg heraufbeschwören, bei dem ich die strenge und straffe persönliche Gewalt nicht aufgeben könnte, das würde ihn unerschütterlich in seiner Stellung befestigen. – Was er über die Art, Frankreich zu regieren, sagt,« sprach der Kaiser weiter, indem er sich in fast liegender Stellung in seinen Lehnstuhl senkte, – »ist wahr, niemand weiß das besser als ich. Und doch, doch muß ich liberale Institutionen zur Grundlage meiner Regierung machen, wenn ich nicht durch einen auswärtigen Krieg das erschütterte Prestige wiederherstellen kann. Denn«, sagte er seufzend, »ich muß darauf rechnen, daß ich selbst jeden Tag diese Welt verlassen kann; wenn dann die ganze Maschine des Kaiserreichs auf rein persönlichem Regiment beruht, so müßte mein armer Sohn unter dieser Last zusammenbrechen, welche oft für meine alten und erprobten Schultern zu schwer wird, – dieser Rouher ist ein treuer Diener, er würde mit keinem anderen Regiment paktieren – und doch muß ich ihn entfernen, denn mit den alten Personen kann man keine neuen Institutionen machen. Und mit den neuen Personen? Nun, wir werden ja sehen. Im Grunde wird doch immer derjenige der persönliche und unumschränkte Herrscher bleiben, der die andern nach seinem Willen zu lenken versteht.«
Er sann lange nach.
»Ein Krieg? – Ja,« sagte er dann, »der Krieg möchte besser sein, wenn ich seines Erfolges sicher wäre. Die Kombination, welche mir diesen Erfolg zu sichern schien, ist gescheitert, und bis ich neue Kombinationen schaffen kann, wird vielleicht viel Zeit vergehen. Da bleibt mir,« sagte er seufzend, »nichts anderes übrig, als im Innern für alle Fälle den Thron mit Institutionen zu umgeben, welche die Zukunft meines Sohnes sichern. Und wenn dann,« sprach er mit leuchtenden Blicken, »wenn dann dennoch die Konstellationen der Politik mir sich günstig gestalten sollten, wenn ich dann durch den wohlvorbereiteten und siegreichen Krieg zum Ziele gelangen könnte, dann würde es ja immer noch Zeit sein, die Zügel wieder fest anzuziehen und alle jene Phantome des liberalen Nebels vor der strahlenden Sonne des Ruhmes und des Sieges verschwinden zu lassen.« Er bewegte eine kleine Glocke.
»Der General Türr«, sagte er zu dem eintretenden Kammerdiener, »hat mir seine Ankunft anzeigen lassen und mich um Audienz ersucht. Ich hatte ihn um diese Stunde hieher bitten lassen.«
»Der General Türr ist im Vorzimmer, Sire«, erwiderte der Kammerdiener.
»Lassen Sie den General eintreten«, sagte der Kaiser, indem er sich erhob und einige Schritte nach der Tür hin machte.
Der General Türr trat in das Kabinett. Ein eleganter schwarzer Überrock umschloß seine hohe, schlanke Gestalt, er trug die Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch. Er verneigte sich tief vor dem Kaiser und ergriff in ehrfurchtsvoller Bewegung dessen mit Herzlichkeit dargebotene Hand.
»Nun, mein General,« sagte Napoleon, indem er zu seinem Lehnstuhl zurückkehrte, während der General Türr auf seinen Wink neben ihm Platz nahm, – »Sie kommen von Wien?«
»Und von Pest, Sire«, erwiderte der General mit Betonung.
»Wollen Sie damit sagen,« fragte der Kaiser, »daß Pest wichtiger sei als Wien, – daß dort mehr der Mittelpunkt Österreichs liege, als in der alten Kaiserstadt?«
»In dem Augenblick, in welchem ich dort war, Sire,« erwiderte der General, »war dies gewiß der Fall, denn Seine Majestät der Kaiser war in Pest, – und wo der Souverän sich befindet, ist doch jedenfalls der Mittelpunkt der Monarchie.«
»Das muß ich. zugeben,« sagte der Kaiser lächelnd – »aber gewiß werden es nicht alle Minister Ihnen einräumen – Herr von Beust war in Wien?«
»Ja, Sire,« – erwiderte der General – »und ich habe ihn dort gesehen und sehr eingehend mit ihm gesprochen, bevor ich nach Pest zu Seiner Majestät reiste.«
Der Kaiser blickte schnell zu dem General hinüber, – es war, als ob eine kleine Ecke des dichten Schleiers, der seine Augen umhüllte, sich lüftete, als ob ein leichter, schnell vorüberfliegender Blitz aus diesen so matten und gleichgültigen Augen aufleuchtete.
»Sie hatten,« sagte er leichthin, »als Sie vor Ihrer Abreise nach Wien hier waren, eine Idee, – eine sehr gute Idee, welche der König Viktor Emanuel billigte, wie Sie sagten, und welche Sie weiter verfolgen wollten –«
»Diese Idee, Sire,« fiel der General ein, – »welche die in Salzburg angebahnte und durch die unglückliche Erhebung Garibaldis zerstörte Tripelallianz zwischen Frankreich, Österreich und Italien wieder auf einer praktisch ausführbaren und möglichen Basis aufnehmen soll, – beschäftigt mich noch immer – und mehr als je, – nachdem ich in Wien und Pest über dieselbe gesprochen habe.«
»Ah,« sagte der Kaiser, – »Sie haben also in der Tat Gelegenheit gefunden, – wie Sie es beabsichtigten, über diesen Gedanken zu sprechen, – das interessiert mich sehr – wie nahm der Graf Beust die Sache auf?«
»Graf Beust, Sire«, erwiderte der General, »nahm sie gar nicht auf, – oder vielmehr, er wagte es nicht, sich klar auszusprechen, ohne zu wissen, wie der Kaiser über einen so delikaten Punkt dächte, – den er mir nicht bei seinem Herrn zu berühren geneigt schien.«
»Und warum nicht?« fragte Napoleon, – »der Kaiser Franz Joseph war ja schon früher von der Nützlichkeit freundlicher Beziehungen zu Italien überzeugt und hat alles getan, um die Vergangenheit vergessen zu machen.«
»Gewiß, Sire,« erwiderte der General, »auch wird der Kaiser weiter in diesem Sinne handeln, soweit es sich um freundliche äußere Beziehungen handelt, – aber, Sire, – schon der plötzliche Tod der Erzherzogin Mathilde hat auf Seine Majestät einen tiefen Eindruck gemacht – fast wie eine warnende Mahnung des Himmels, – und dann – wenn Eure Majestät sich zu erinnern die Gnade haben wollen, handelte es sich bei der von mir angeregten Allianz um eine Gebietsabtretung–«
»Das italienische Tirol ist ja aber seiner Nationalität nach völlig italienisch, – die Abtretung dieses Gebietes würde doch nur die letzte Konsequenz eines bereits anerkannten Prinzips sein,« – fiel der Kaiser ein. »Gewiß, Sire,« sagte der General Türr, – »aber gerade dies Gebiet ist innig mit den habsburgischen Traditionen verwachsen, – und dann, – die Kaiser von Österreich haben von den deutschen Kaisern her in ihre Titel das Semper Augustus übernommen, – das man mit: – allezeit Mehrer des Reiches – übersetzt, – und – der Kaiser Franz Joseph empfindet es tief und schmerzlich, daß die Ereignisse Seiner Regierung – gerade diesen Titel so wenig rechtfertigen.«
»Nun, – dies Bedenken ließe sich ja überwinden,« sagte Napoleon halb für sich, – »es wäre leicht – doch sprechen Sie weiter, mein lieber General, – Herr von Beust also –«
»Der Graf von Beust, Sire«, fuhr der General fort, »wollte auf eine Diskussion des Gedankens, den ich ihn aussprach, nicht eingehen, – überließ es mir aber – und schien es zu wünschen, daß ich nach Pest gehen möge, um Seiner Majestät dem Kaiser die Sache vorzutragen.«
»Sie hatten den Plan bestimmt formuliert?« fragte Napoleon.
»In einer kurzen Skizze, Sire,« erwiderte der General, – »es würde ja auch für die Ausführung nur eines sehr einfachen Traktats von wenigen Sätzen bedürfen – und zwar würden nach den Gesichtspunkten, die ich in meinen verschiedenen Unterredungen mir festgestellt habe, zwei Eventualitäten ins Auge zu fassen sein, – entweder Schutz- und Trutzallianz zwischen Österreich und Italien gegen sofortige Abtretung Tirols, – oder Italiens militärische Intervention für den Fall, daß Österreichs Aktion in einem Kriege gegen Norddeutschland durch eine fremde Macht gehindert werden sollte, – gegen das Versprechen, nach dem Kriege das südtirolische Gebiet abzutreten.«
»In Florenz, Sire,« fuhr der General fort, während der Kaiser, den Ellbogen auf das Knie gestützt und den Kopf seitwärts geneigt, aufmerksam zuhörte, – »in Florenz würde man die eine wie die andere Eventualität akzeptieren, – in Wien würde vielleicht die letztere mehr Aussicht auf Annahme haben, da durch dieselbe das Geheimnis bis zum entscheidenden Moment gewahrt bleiben könnte.« Der Kaiser nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopf.
»Und Sie waren also in Pest,« fragte er dann, »und haben mit dem Kaiser Franz Joseph über Ihre Ideen gesprochen? – Wie hat Seine Majestät dieselben aufgenommen?«
»Sire,« erwiderte der General Türr, indem er die langen Enden seines prachtvollen Schnurrbarts langsam durch die Finger gleiten ließ, – »es fand eine der lebhaftesten und heftigsten Szenen statt, die ich mich erlebt zu haben erinnere, – bei dem Gedanken, noch einen Teil der alten Besitztümer des habsburgischen Hauses dahingehen zu sollen, brach die ganze innere Bitterkeit hervor, welche den so ritterlichen, so mit seiner ganzen Kraft voll selbstloser Hingebung für die Größe seines Hauses lebenden und strebenden Kaiser erfüllt, in dem Gefühl, daß gerade unter seiner Regierung ein Stück nach dem andern von den Erwerbungen seiner Vorfahren verloren gegangen ist –«
»Von Erwerbungen,« fiel Napoleon ein, »die seine Vorfahren besser niemals gemacht hätten, – ich verstehe die schmerzlichen Empfindungen des Kaisers, ich verstehe die Empörung seines edlen Stolzes, – aber er sollte begreifen, daß jene Besitzungen Österreich niemals Nutzen gebracht haben, und daß die Verhältnisse im Jahre 1866 sich viel besser und günstiger für Österreich gestaltet hätten, wenn er längst vorher jener fatalen Erwerbungen sich entäußert und dafür die Allianz Italiens eingetauscht hätte! – Sollte denn Seine Majestät dafür nicht empfänglich sein?«
»Gewiß, Sire,« erwiderte der General, – »ich ließ die erste heftige Erregung vorübergehen und machte dann den Kaiser auf die Gesichtspunkte aufmerksam, welche Eure Majestät soeben auszusprechen die Gnade hatten. Ich erlaubte mir, weiter darauf hinzuweisen, daß im Falle einer großen erfolgreichen Aktion es leicht werden würde, an die Stelle der verlorenen Besitzungen andere Gebietserwerbungen treten zu lassen, welche dem Interesse Österreichs mehr entsprächen –«
»Das ist es, – das ist es!« fiel Napoleon lebhaft ein, – »und – wie wurden Ihre Bemerkungen aufgenommen?« »Ich glaube, Sire,« sagte der General, »daß auf dieser Basis die Sache sich realisieren ließe, – doch müßten Eure Majestät die Vermittlung übernehmen, denn zu einer direkten Verhandlung mit Italien wird man in Wien nicht die Hand bieten, – so ist denn auch sowohl vom Kaiser als vom Grafen Beust eine bestimmte und direkte Antwort solange zurückgehalten worden, bis Eure Majestät Ihrerseits zu der ganzen Sache – wenn auch zunächst nur persönlich – klare Stellung genommen haben. Ich muß deshalb, wenn diese Angelegenheit einem praktischen Resultat zugeführt werden soll,« – fuhr er fort, den Blick fest und scharf auf den Kaiser richtend, – »Eure Majestät bitten, sich bestimmt erklären zu wollen und mir auszusprechen, was ich als Ihre Ansicht in Wien mitteilen kann, wenn ich wieder dahin zurückkehre –«
»Ah,« sagte Napoleon, – »Sie wollen wieder dorthin zurückkehren?«
»Wenn ich meinen Plan und meine Ideen von Eurer Majestät gebilligt finde, – gewiß,« erwiderte der General, – »dann hoffe ich auch dort festeren Boden zu finden, – und, Sire,« sagte er mit lebhaftem Ton, »ich wünsche von ganzem Herzen, daß der besprochene Plan zur Ausführung kommt, denn er allein gibt die nachhaltige Kraft, welche erforderlich ist, um den großen Kampf siegreich auszufechten, bei welchen, Österreich ebensosehr beteiligt ist, als Eure Majestät selbst, – den großen Kampf zwischen den zwei Kaiserkronen –« »Den zwei Kaiserkronen?« fragte Napoleon, erstaunt aufblickend.
»Ja, Sire,« fuhr der General fort, – »den zwei Kaiserkronen, denn darum handelt es sich ja doch eigentlich bei allen Kämpfen der Gegenwart, – ob die Krone Karls des Großen auf dem Haupte des Herrschers der Franken oder der Germanen endgültig ruhen solle.«
Ein leichtes Lächeln spielte um die Lippen des Kaisers.
»Eine originelle Auffassung, mein lieber General,« – sagte er dann, indem seine Augen sich weit öffneten und leuchtend und klar in das geistvolle Gesicht des Generals blickten, der im Tone tiefer Überzeugung gesprochen hatte, – »eine originelle Auffassung, – aber es liegt viel Wahrheit in derselben.«
»Es ist, Sire,« rief der General, »nach meiner Überzeugung die einzig wahre Auffassung der Lage in Europa! – Als Eurer Majestät großer Oheim«, fuhr er dann fort, – »den Bau des französischen Kaisertums gründete, – da mußte das römische Kaisertum deutscher Nation zerbrechen, denn diese zwei Kaiserkronen haben keinen Platz nebeneinander im abendländischen Europa. Die ganze Politik Frankreichs durch das Mittelalter hindurch richtete sich gegen das deutsche Kaisertum, und das Werk des großen Cäsars unseres Jahrhunderts war die Krönung dieser Politik, – die deutsche Kaiserkrone versank – die französische erhob sich. – Eure Majestät sind der Eibe des Werkes Ihres Oheims geworden, – auf Ihrem Haupte ruht seine Krone – sie muß die erste in Europa bleiben, – oder –«
Er vollendete nicht.
Napoleon, der mit äußerster Spannung zugehört hatte, schlug einen Moment die Augen nieder, um sie dann sogleich wieder mit fragendem Ausdruck zu dem General zu erheben.
»Preußen arbeitet nun daran, Sire,« sprach der General Türr weiter, »die deutsche Kaiserkrone, welche das Haus Habsburg verloren hat, für sich wiederherzustellen, – und ich, – so wenig ich als Ungar wünsche, daß der König von Ungarn wieder deutscher Kaiser werde, kann doch auch niemals wünschen, – und zwar weder als Ungar noch als Italiener, – daß überhaupt das germanische Kaisertum wiederhergestellt werde. Eure Majestät aber vor allen«, fuhr er mit schärferer Betonung fort, – »müssen im Interesse Frankreichs und Ihres Thrones alles aufbieten, daß jene deutsche Kaiserkrone, deren Reif schon in diesem Norddeutschen Bunde geschmiedet wird und nur noch der Vollendung harrt, – daß diese Krone nicht wieder sich erhebe, – denn neben ihr, – Sire, – verzeihen Sie meine Freimütigkeit, – würde dem kaiserlichen Frankreich kein Platz mehr in Europa bleiben. Deshalb, Sire, bitte ich Sie, mir eine bestimmte Erklärung über die Verbindung der drei Mächte zu geben, welche ein gleiches Interesse daran haben, daß das germanische Kaisertum nicht wiedererstehe, – und deren Koalition die Macht haben würde, diese Gefahr abzuwenden.«
Napoleon war bei den Worten des Generals immer ernster geworden, – er hatte mehrmals das Haupt geneigt, als stimme er diesen Worten bei, – dann schien er einige Augenblicke zu überlegen und sprach endlich mit klarer Stimme, langsam und ruhig jedes Wort betonend:
»Es ist wahr, mein lieber General, daß in diesem Augenblick ein Krieg nicht in drohender Nähe sich zeigt – aber ich halte ihn für unvermeidlich, – denn weder die deutsche Frage, – die Frage der zwei Kaiserkronen, wie Sie dieselbe nennen,« fügte er mit leichter Verneigung hinzu, – »noch die orientalische Frage können in ihrem gegenwärtigen Stadium bleiben. – Das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich ist eine unerläßliche Vorbedingung für jede Aktion, – um aber ein solches Bündnis zu schließen und wirksam zu machen, muß man das Bündnis mit Italien hinzufügen, – wie ich stets ausgesprochen und betont habe. – Sie sagen mir nun, mein lieber General,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, – »daß der König Viktor Emanuel bereit ist, seine wohlwollende Neutralität zu garantieren, und selbst eine offensive und defensive Allianz zu schließen, wenn man ihm das italienische Tirol geben will.«
Der General nickte bestätigend mit dem Kopf.
»Nun wohl,« sprach der Kaiser weiter, indem er seine Worte noch schärfer und deutlicher betonte, – »Österreich scheint – und zwar mit Recht – Kompensationen für eine solche Gebietsabtretung zu verlangen. Ich nehme dieselben im voraus an, – sei es nach der Seite des Orients, sei es – nach Schlesien hin.«
Der General rieb sich unwillkürlich mit dem Ausdruck zufriedener Genugtuung die Hände.
»Ich autorisiere Sie, mein lieber General,« fuhr Napoleon fort, »diese meine Worte sowohl dem Kaiser als Herrn von Beust zu wiederholen, – man kann fest auf mich rechnen.«
»Mit dieser Erklärung Eurer Majestät«, rief der General Türr, »kehre ich beruhigt und freudig nach Wien zurück, – auf dieser Basis werde ich, wie ich hoffe, meine Idee durchführen.«
»Vergessen Sie aber nicht,« fiel Napoleon schnell ein, »die ernsteste Aufmerksamkeit auf den Orient zu richten. Es gibt weder eine griechische Frage, noch eine Frage der Fürstentümer, – es gibt nur eine einzige große orientalische Frage – die man lösen muß, gründlich und endgültig lösen: – wir kennen genau die Pläne und Intriguen Rußlands, aber um dem allen ein Ende zu machen, muß ich mit Österreich in fester Allianz gemeinsam handeln. Fügen Sie hinzu, daß, um in direkte Verhandlungen über alles zwischen uns Besprochene zu treten, ich nur eine Eröffnung von seiten des Wiener Hofes erwarte, – sei es durch Gramont, – sei es durch den Fürsten Metternich.«
»Die Erklärungen, welche Eure Majestät mir zu geben die Gnade haben,« sagte der General, »lassen nichts zu wünschen übrig, – ich freue mich besonders, daß Eure Majestät so großes Gewicht auf die Frage des Orients legen, – meine Landsleute in Ungarn sind schwer für eine Aktion zu erwärmen, welche in ihrem Erfolg die Möglichkeit zeigt, daß Österreich wieder in Deutschland festen Fuß fassen könnte, – aber, Sire, – zeigen Sie den Ungarn nur den Ohrzipfel eines Russen, – und das ganze Land wird in kriegerischen Flammen stehen!«
Der Kaiser schwieg.
Der General erhob sich.
»Haben Sie Madame Ratazzi gesehen?« fragte Napoleon, – »würde sie und ihr Gemahl geneigt sein, die Ideen, über welche wir gesprochen, durch ihren Einfluß zu unterstützen?«
»Ich habe meine Schwägerin gesprochen, Sire,« erwiderte der General, »sie würde mit Freuden alle Pläne Eurer Majestät unterstützen, – um so mehr, da sie« – fügte er mit leichtem Zögern hinzu – »den großen Wunsch hegt, daß ihr Gemahl zum Botschafter Italiens am Wiener Hofe ernannt werde.«
Napoleon stand langsam auf und fuhr mit der Hand über seinen Schnurrbart.
»Nun,« sagte er, »dazu wäre ja die beste Gelegenheit, wenn durch ihre und Herrn Ratazzis Mitwirkung die Allianz Italiens mit Österreich auch bei den italienischen Parteien Zustimmung und Unterstützung fände, – sie hat kleine Differenzen mit der Kaiserin, die ich sehr bedaure, – ich werde sie besuchen und versuchen, das alles auszugleichen.«
»Dann werden Eure Majestät ihrer Unterstützung gewiß sein«, erwiderte der General.
»Auf Wiedersehen also, mein lieber General,« sagte der Kaiser, – »auf baldiges Wiedersehen, – ich wünsche von Herzen, daß Sie zustande bringen möchten, worüber wir in Salzburg vergeblich verhandelt, – die soldatische Offenheit hat ja schon öfter erreicht, woran alle diplomatische Feinheit scheiterte.«
Er reichte dem General die Hand, dieser berührte dieselbe mit ehrerbietiger Verneigung und ging hinaus.
»Madame Ratazzi Botschafterin in Wien,« sagte der Kaiser lächelnd, als er allein war, – »nur in ihrem Kopf kann ein solcher Gedanke Platz finden, – die ganze alte Aristokratie Österreichs mit ihrer exklusiven Grandezza würde aus der Fassung geraten – doch mag sie immer in dieser Hoffnung sich wiegen, – wenn sie dafür meine Pläne unterstützt, – später werden wir ja dann sehen.«
Ein kurzer Schlag gegen die Tür ertönte, – rasch trat der General Fleury in das Kabinett, – schmerzliche Bewegung in seinen Zügen.
»Sire,« sagte er, als der Kaiser betroffen und erschrocken zu ihm hinblickte, – »ich habe Eurer Majestät eine traurige Nachricht zu bringen, – der arme Nero –«
»Ist es vorbei?« fragte der Kaiser, den Kopf auf die Brust senkend.
»Er lebt noch,« – sagte der General, – »aber in wenig Augenblicken wird das treue Tier geendet haben.«
»Er lebt noch?« rief der Kaiser, – »ich muß ihn sehen – ihm das letzte Lebewohl sagen, – er, das dankbarste, das treueste Geschöpf, soll sich nicht über die Undankbarkeit seines Herrn beklagen!«
Schnell, in fast jugendlich elastischer Bewegung schritt er hinaus, – der General folgte ihm. Der Kaiser ging durch das Vorzimmer, öffnete nach einigen Schritten auf dem Korridor eine kleine Tür und trat in ein einfaches Zimmer, in dem auf einem großen Polster, mit weißen Wollendecken bedeckt, der prachtvolle schwarze Neufundländerhund lag, der so lange der treue Gefährte des Beherrschers von Frankreich gewesen war.
Der mit der Wartung des kranken Tieres betraute Lakai, – des Kaisers Kammerdiener und der Tierarzt umstanden das Lager mit trüben und traurigen Blicken, denn der kluge, sanfte Hund war von allen Hofbedienten geliebt.
Nero, der sonst in so fröhlichen Sprüngen seinen Herrn begleitet hatte, lag bewegungslos auf seiner weißen Decke, seine Augen waren geschlossen, sein abgemagerter Körper schien schon leblos zu sein.
Als der Kaiser schnell in das Zimmer trat, zogen sich der Lakai und der Kammerdiener nach dem Fenster hin zurück, – der Tierarzt näherte sich ehrerbietig und sagte: »Ich glaube, es ist vorbei, Sire, ich habe schon seit einiger Zeit keinen Atemzug mehr bemerkt.«
»Nero, mein armer Nero!« rief Napoleon, indem er zu dem Lager des kranken Hundes herantrat und die Hand auf dessen großen zottigen Kopf legte.
Ein leises Zucken zeigte sich in den Ohren des Tieres, – die Spitze seines Schwanzes bewegte sich einige Male hin und her, und langsam öffnete er die Augen.
»Er lebt noch!« rief der Kaiser, »vielleicht kann er noch gerettet werden?«
Er blickte fragend auf den Tierarzt hin, der schweigend die Achseln zuckte.
Napoleon nahm den Kopf des Hundes in seine beiden Hände und hob ihn langsam empor. Der arme Nero streckte die Zunge hervor, um die Hand des Kaisers zu lecken, immer weiter öffnete er die Augen und sah seinen Herrn mit einem langsam und allmählich brechenden Blick an, der weit über den Ausdruck des tierischen Auges hinaus in einen letzten Gruß alles zusammenfaßte, was an Liebe, Dankbarkeit und Treue in ihm lebte und in wehmutsvoller Klage zu beweinen schien, daß ihm die Sprache fehle, um demjenigen, den er nicht mehr sehen sollte, Lebewohl zu sagen. Dann wurden die Augen gläsern und starr, – der Hund streckte sich mit einem krampfhaften Zucken lang aus, – schwer sank sein Kopf von der Hand des Kaisers herab.
Eine Träne fiel vom Auge des Kaisers auf das schwarze Haar des armen Tieres.
»Ich werde nie diesen Blick vergessen,« sagte er leise, – »scheint es doch, als ob des Tieres Seele im letzten Augenblick seines Daseins schon zu einer höheren Ordnung der Wesen sich erhebt.«
Längere Zeit blickte er schweigend auf den toten Nero nieder.
»Lebe wohl, mein armer Freund,« sagte er dann, noch einmal mit der Hand über den Kopf des jetzt starr und steif daliegenden Hundes streichend, – »lebe wohl – du hast mich selbst geliebt – du wärest mit mir in Not und Verbannung gegangen – lebe wohl! – – Man soll ihm einen Stein setzen,« sagte er, – »ich werde den Platz bestimmen, an dem man ihn zur Ruhe legen wird.«
Und leicht mit dem Kopf grüßend verließ er das Zimmer.
»Ich will allein sein,« sagte er sanft und freundlich zum General Fleury auf der Schwelle seines Kabinetts, – »sorgen Sie dafür, daß mir niemand gemeldet wird.
»Ich verliere die Freunde einen nach dem andern,« rief er, in seinen Lehnstuhl zusammensinkend, – »jetzt auch diesen, – vielleicht den treuesten – den uneigennützigsten. – O, ich bin müde, – ich sehne mich nach Ruhe des Geistes – nach Frieden – o, nach Frieden, – meine Freunde verlassen mich, – aber meine Feinde bleiben – näher und näher rücken sie an mich heran, – dies Wort des Generals Türr hat mich wunderbar erfaßt, – er hat Recht, – trotz aller meiner Sehnsucht nach Stille und Frieden werde ich ihn kämpfen müssen, diesen immer deutlicher am Horizont der Zukunft heraufsteigenden Kampf – den Kampf – der zwei Kaiserkronen.«