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Zwei Stunden später versammelte sich in dem Empfangssalon Alexander Dumas' eine kleine Gesellschaft zu einem jener Diners, welche so gesucht und berühmt waren, sowohl wegen der eigentümlich vortrefflichen Küche, als wegen der wunderbar anziehenden und reizenden Plauderei, welche der geistsprühende Wirt anzuregen und zu unterhalten verstand.
Der Salon war einfach mit großen Fauteuils möbliert, ein langer Diwan lief an der Wand her, ein Pianino stand in der einen Ecke, von großen reichen Blattpflanzen umgeben. In die Wände gefügt sah man große Medaillons in feinen Goldrahmen, welche in sauberer und korrekter Ölmalerei Szenen aus Goethes Faust zeigten, nach den Kartons von Kaulbach von Madame Marie Dumas gemalt, welche durch diese Dekoration dem sonst so einfachen Salon einen ganz besondern und außergewöhnlichen Charakter zu geben verstanden hatte.
Die Dame des Hauses in einfacher Sommertoilette von weißem Stoff mit gelben Bändern und Schleifen empfing ihre Gäste mit aller Anmut der Dame der großen Welt und zugleich mit all der freimütigen Leichtigkeit und Ungezwungenheit, welche der Künstlerin und der Tochter des berühmten Schriftstellers eigentümlich war.
Sie saß in einem Fauteuil neben dem Kamin, – ihr zur Seite die Marchesa Pallanzoni, deren vornehme und distinguierte Schönheit womöglich noch frischer und reizender geworden war. Sie trug ein weißes, mit ganz kleinen schwarzen Sternen durchwehtes Kleid von leichter Seide, ein einfaches Kreuz von Gold an schwarzem Band um den schlanken Hals und schwarze Samtbänder um die schönen Handgelenke.
Die Marchesa ließ ihre dunkeln Augen mit dem Ausdruck einiger Verwunderung über die Wandgemälde gleiten und sprach mit liebenswürdigem Lächeln:
»Ich hätte kaum erwarten sollen, in Ihrem Salon, Madame, und im Hause Alexander Dumas' diese schmachtende Mondscheingestalt des deutschen Gretchens zu finden.«
»Ich habe selbst diese Panneaux gemalt,« erwiderte Madame Dumas, »und ich muß Ihnen gestehen, daß ich es mit besonderer Vorliebe getan habe. Ich verstehe es leider nicht, die deutschen Dichter in ihrer Sprache zu lesen, und ich höre von meinen Freunden aus Deutschland, daß ein großer Teil ihres eigentlichen Geistes durch die Übersetzung verloren geht, – aber doch liebe ich diese Dichtungen, die mich anmuten wie Klänge aus einer andern fremden Welt. – Das deutsche Gretchen ist eigentlich doch das Bild der reinsten Weiblichkeit, – vielleicht würde eine solche Erscheinung, wenn man ihr im wirklichen Leben begegnete, sehr langweilig sein, da sie doch dann nicht immer Sentenzen und reizende Naivitäten sprechen könnte, – als Gestalt der Dichtung aber spricht sie mich ungemein an.«
»Zu solchem Gretchen«, sagte die Marchesa, »gehört aber auch vor allen Dingen, daß sie schön sei, denn denken Sie sich nur, welche Figur würde ein Gretchen spielen ohne die schlanke ätherische Gestalt, ohne die großen blauen Augen, das blonde Haar, den zarten Teint und den frischen Mund! Da ziehe ich doch den französischen Typus der Weiblichkeit vor, der seinen Reiz behält auch ohne die physische Unterstützung von Jugend und Schönheit.«
Der Regierungsrat Meding und der Leutnant von Wendenstein traten ein, – die Augen der Marchesa öffneten sich einen Augenblick weit, als sie den jungen Mann erblickte, – es sprühte daraus hervor wie ein Funke elektrischen Lichts – um ihre Lippen zitterte es wie triumphierende Freude, – dann schlug sie die Augen wieder zu Boden und erwartete ruhig die Begrüßung der Herren, welche Madame Dumas ihr vorstellte.
»Ich erinnere mich, den Herrn von Wendenstein im vorigen Jahre gesehen zu haben,« sagte sie mit einem leichten, beinahe höhnischen Lächeln, – »er erzeigte mir sogar die Ehre, mich einigemale zu besuchen, – seit jener Zeit aber habe ich ihn nicht wieder gesehen.«
Der junge Mann blickte die Marchesa beinahe mit Schrecken an. Er hatte sie nicht wieder gesehen, seit er im vorigen Jahre vor ihr gekniet und fast ihre Lippen auf den seinen gefühlt hatte – seit jener Zeit war sein Herz erfüllt von den Bildern einer lieben stillen Vergangenheit, – das Leben in der Schweiz, wo er mit der hannoverischen Emigration in ruhiger Stille den Winter verbracht, hatte ihm die Eindrücke seines ersten Aufenthaltes in Paris wie einen schnell vorübergeflogenen Traum erscheinen lassen, wenn auch immer aus dem Grunde seiner Seele die lockenden Bilder wieder aufgetaucht waren, welche seine Sinne so glühend erregt hatten. Seit er aber mit dem Kommando der hannoverischen Emigration, welche man jetzt die Welfenlegion zu nennen begonnen hatte, wieder zurückgekehrt war in diese berauschende Atmosphäre von Paris, hatten ihn jene Bilder mehr und mehr wieder umschwebt und oft schon hatte er sich, in träumende Gedanken versunken, plötzlich vor dem Hause der Marchesa wieder gefunden, hinaufblickend nach den Fenstern jener Räume, in welchem sich ihm eine so wunderbar süße Blume mit betäubendem Duft erschlossen hatte.
Es durchzuckte ihn wie ein Blitz, als er, der Einladung Alexander Dumas folgend, sich hier plötzlich der Frau gegenüber befand, welche mehr, als er es selbst sich gestand, seine Gedanken erfüllte.
Er stammelte einige Worte, um mit seiner Abwesenheit zu entschuldigen, daß er nicht wieder zurückgekehrt sei, welche von der Marchesa mit leichtem Achselzucken und spöttischem Lächeln aufgenommen wurden, während zugleich ein ganz flüchtiger Blick ihrer halb sich aufschlagenden Augen etwas wie einen Schimmer von Bedauern ausdrückte.
Herr von Wendenstein hatte alle Fassung verloren und seine Verlegenheit hätte nicht unbemerkt bleiben können, wenn nicht die übrigen Eingeladenen in schneller Folge eingetreten wären.
Lord Haughton war zuerst erschienen, ein mittelgroßer Mann von etwa fünfzig Jahren, seine Züge waren ausdrucksvoll und geistreich, – trugen aber nicht den Charakter der scharf geschnittenen Profile der alten englischen Aristokratie, sein etwas langes und dunkles Haar hing glatt an den Schläfen herab und sein sanftes Auge blickte klar und ruhig beobachtend umher.
Dem vielgereisten Engländer folgte Herr Narischkin, ein junger Russe von jener ersten Familie des Reiches, welche nie einen Titel angenommen hat, aber den Rang vor allen Fürsten behauptet. Seine Gemahlin, eine schöne junge Frau mit dunkelblondem Haar und tiefblickenden schwärmerischen Augen, in zartes Grau gekleidet, setzte sich neben die Damen, – Monsieur Clay Ker Seymer, Sekretär der englischen Botschaft und seine Gemahlin, eine hochblonde Engländerin mit lebhaften geistvollen Augen, vervollständigten die Gesellschaft.
»Wissen Sie wohl,« sagte die Marchesa Pallanzoni, sich an Madame Marie Dumas wendend, – »daß ich Ihrem Vater böse bin? Es ist nicht galant, daß er uns seine Gesellschaft entzieht, er sollte in diesem Punkt eben so freigebig und großmütig sein, wie in allen anderen.«
»Mein Freund Dumas«, sagte Lord Haughton, »hat niemals die Bedeutung der Zeiteinteilung gekannt, – ich wette, er sitzt in seinem Zimmer, in irgendeine Lektüre oder Arbeit vertieft, und hat vollständig vergessen, daß wir hier sehnsüchtig auf seine Gesellschaft warten.«
»Ich muß meinen Vater verteidigen, Mylord,« erwiderte Madame Marie lächelnd, – »ich bin überzeugt, er beschäftigt sich in diesem Augenblick sehr angelegentlich mit seinen Gästen, indem er dafür sorgt, daß sie etwas zu essen bekommen, – ich glaube, daß mein Vater in der Küche ist und das Diner bereitet.«
»Alexander Dumas kocht?« rief Madame Clay Ker Seymer erstaunt und auf allen Mienen zeigte sich ungläubiger Zweifel.
»Wollen wir ihn in seiner kulinarischen Werkstätte überraschen?« fragte Madame Marie Dumas aufstehend, – »folgen Sie mir – Sie werden sehen, wie der Schöpfer des d'Artagnan und des Père Gorenflot seine Theorien praktisch ausführt.«
Lachend und scherzend folgte ihr die ganze Gesellschaft.
Die Marchesa Pallanzoni blieb ein wenig zurück, so daß sie in der Türe fast den Herrn von Wendenstein streifte.
»Es ist nicht schön, seine Freunde so schnell zu vergessen«, sagte sie leise, mit einem Blick voll feuriger Glut, und schnell folgte sie den übrigen Damen.
Der junge Mann fühlte, wie eine Blutwelle nach seinen Schläfen strömte, und keines klaren Gedankens fähig, schritt er hinter der Gesellschaft her, einen langen Korridor entlang, an dessen Ende Madame Marie eine Türe öffnete und, sich zur Seite stellend, ihre Gäste in eine große und helle Küche eintreten ließ, ausgerüstet mit einer unvergleichlichen Batterie de Cuisine, glänzend von hellpoliertem Kupfer, schimmerndem Porzellan und weißem Holzgerät.
In der Mitte dieses Raumes, einige Schritte von dem weißen, mit glänzendem Messingreif eingefaßten Herd, stand ein großer, mit schneeigem Leinentuch überdeckter Tisch und vor demselben erblickte man Alexander Dumas in untadelhafter Dinertoilette, die Spitzen der Ärmel seines Fracks und die weißen Manschetten ein wenig aufgeschlagen. Vor ihm auf dem Tisch standen mehrere Porzellanschalen mit Löffeln von Silber und Horn und eine große Anzahl Flaschen mit dem grünlich goldgelben Olivenöl von Nizza, dem duftigen Essig von Bordeaux und allen jenen Saucen und Essenzen, welche die kulinarische Chemie in England und Amerika so vortrefflich zu bereiten versteht. Neben dem Tisch stand eine hübsche kräftige Frau von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, eine weiße Schürze über dem einfachen Kattunkleid von fast eleganter Sauberkeit und lauschte mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit den Bemerkungen, die der berühmte Küchenmeister in abgebrochenen Sätzen machte.
Als die Gesellschaft mit einem allgemeinen Ausruf des Erstaunens über das so unerwartete und außergewöhnliche Bild, das sich ihr darbot, in der Küche erschien, blickte Alexander Dumas auf, grüßte mit dem liebenswürdigen Lächeln seine Gäste und sprach, ohne sich in seiner Beschäftigung einen Augenblick stören zu lassen:
»Verzeihen Sie, meine Damen und meine lieben Freunde, daß ich Ihnen nicht entgegenkomme und Ihnen nicht einzeln die Hand drücke, – aber ich bin so sehr mit Ihrem körperlichen und moralischen Wohl beschäftigt, daß ich glaube, Sie werden mir die äußere Form der Höflichkeit in diesem Augenblick erlassen, da deren Beobachtung mich in meiner Arbeit stören müßte.«
»Es ist eine etwas kühne Behauptung, mein lieber Dumas,« sagte Lord Haughton lachend, »daß Ihre gewiß sehr nützliche und für unsere Gaumen und unsere Zungen sehr wohltätige Beschäftigung auch dem moralischen Teil unserer Existenz heilsam sein soll. Die Moralprediger warnen uns ja vor der Gourmandise als vor der größten Feindin der moralischen Kraft der Seele.«
»Sie haben unrecht– wie in so vielen anderen Punkten ihrer aszetischen Theorien,« erwiderte Alexander Dumas, indem er ein Ei am Rande eines Glases zerschlug, vorsichtig den Dotter abklärte und in eine der Porzellanschalen fließen ließ, – »Sie haben vollkommen unrecht – denn ein hungriger und schlecht ernährter Mensch ist böse – allen schlechten Leidenschaften zugänglich, – ein Mensch aber, der sich mit groben, schlecht präparierten Nahrungsstoffen ernährt hat – wird dumm und unfähig, seine und edle Gefühle zu empfinden. Ich habe stets an mir beobachtet,« fuhr er fort, indem er das Eigelb mit seinem Pfeffer und Salz durchrührte und es mit ganz sein im Mörser zerstoßenem Fleisch von scharf gebratenen Bekassinen zusammenknetete, – »daß die verschiedenen Nahrungsstoffe, die wir zu uns nehmen, ihren ganz bestimmten Einfluß auf unser Denken und Empfinden ausüben, – sie bestimmen sozusagen die Tonart, in welcher die Saiten unseres Seelenlebens anklingen – vorausgesetzt natürlich, daß jene Stoffe möglichst von den rohen Teilen ihrer Materie befreit sind.
»Ich werde heute zum Beispiel«, fuhr er fort, »die Ehre haben, Ihnen eine bisque aux écrevisses servieren zu lassen, – die bisque aux écrevisses ist eines der vortrefflichsten Nahrungsmittel, das ich kenne, es gibt Ihnen die Lebenskraft zweier Elemente –in der Bouillon die Kraft des Rindes, das sich auf der Erde von den Blumen und Kräutern der Wiesen ernährt, und zugleich den seinen Geschmack der Krebse, die auf dem kühlen, dunkeln Grunde des Wassers leben. Das Wasser ist die träumende, flutende und rauschende Poesie, – die Erde und ihre Marschen und Wiesen, das ist die Realität mit ihrem Reiz und ihren Genüssen – und so haben wir für die zwei Rosse, welche Plato vor den Wagen der menschlichen Seele spannt, in der Krebssuppe für jedes das angemessene Futter, natürlich werden sie nach solcher Nahrung mutiger anspringen, als nach einem boeuf bouilli aux pommes de terre.
»Ein Glas Madeira, Madame Humbert, und die Trüffelpurée«, sagte er, sich zu seiner Köchin wendend, welche mit eifriger Pünktlichkeit ihm das verlangte reichte.
»Platos Theorien angewendet auf die Küche Alexander Dumas,« rief Lord Haughton lachend – »das beweist, daß die großen Geister aller Zeiten sich berühren und ergänzen, und wäre es auch nur durch das Medium einer bisque aux écrevisses!«
»Unser großer Meister hat recht,« rief die Marchesa Pallanzoni, – »was er soeben sagte, ist mir aus der Seele gesprochen, – es ist, was ich lange gedacht habe und wofür ich so schwer Verständnis gefunden. – Zum ersten Male sehe ich das Küchenhandwerk, – denn ein Handwerk ist die an stets gleiche Rezepte und Vorschriften gebundene Speisenbereitung – zum ersten Male sehe ich hier das Küchenhandwerk zur hohen und freien Kunst erhoben, – doch wie könnte auch etwas nicht zur Kunst werden, was die schöpferische Hand Alexander Dumas berührt und mit seinem Geiste durchdringt!«
Alexander Dumas winkte der schönen Frau mit der Hand zu und dankte durch ein verbindliches Kopfnicken für das Kompliment, während er zugleich sorgfältig und aufmerksam seinen Teig mit der Trüffelpurée vermischte und langsam mit dem Madeira befeuchtete.
»Hier sehe ich«, fuhr die Marchesa fort, »zum ersten Male die Inspiration des Genius in die Kochkunst eintreten, und so habe ich mir immer das Ideal des Genusses vorgestellt, der bei dem Menschen auf der Höhe seiner Entwicklung an die Stelle der tierischen Ernährung treten soll. – Der Geschmack hat ebenso seine Grundtöne wie das Gehör, und diese Töne sind an gewisse Stoffe gebunden, wie die Töne der musikalischen Skala an die Saiten der Instrumente, – diese Töne in immer neuen Kombinationen zu einfachen und wieder kunstvoll verschlungenen Verbindungen zusammenzufügen, ist die Aufgabe des Kochkünstlers, und wie der Komponist Lieder, – Symphonien, – Opern schreibt, so sollte auch der Kochkünstler dem Sinne des Geschmacks, der doch ebenso edel ist, als der des Gehörs, Genüsse bieten, die sich der Gesellschaft, der Zeit und dem Orte anpassen, statt jenes ewigen Einerlei von Wiederholungen.«
Alexander Dumas verneigte sich nunmehr sehr tief gegen die Marchesa und sagte:
»Es gibt für den schaffenden Künstler nichts Schöneres und Erhebenderes, als von edlen Geistern verstanden zu werden, – dies Glück haben Sie mir gegeben, Frau Marchesa, – das Diner, das ich Ihnen heute zu servieren die Ehre haben werde, ist eine Komposition, welche den Titel führen soll: Hommage à la beauté et à l'ésprit – der Schönheit und dem Geiste, dessen liebenswürdige Vertreterinnen ich heute an meinem Tische sehe,« fügte er mit einer Verbeugung gegen Madame Clay Ker Seymer und die Fürstin Narischkin hinzu. – »Sie haben recht,« fuhr er dann fort, »den Genuß der Zunge möglichst von den rohen Fasern der Urstoffe zu reinigen, – das ist die Aufgabe der Kochkunst, – was war die Ambrosia der Olympier anders als die Quintessenz alles Wohlgeschmacks, in ätherischer Reinheit von dem Element der Schwere befreit, das den irdischen Körper immer wieder zum Staub der Erde herabzieht, – könnten wir diese Quintessenz wieder erreichen, so wäre das Elexier des Lebens erfunden, an dessen Aufsuchung von Nostradamus und Albertus Magnus bis zu Cagliostro so viele Geister ihre Kraft und Arbeit verschwendeten.«
»Sie haben aus schönem Munde so hohe Anerkennung gefunden,« sagte Lord Haughton, »daß ich mich begnügen werde, Ihnen meine Bewunderung durch meinen Appetit zu beweisen, – erlauben Sie mir nur eine kleine kulinarische Anekdote zu erzählen, welche beweist, daß Ihre Theorie der Konzentrierung der Genüsse auch schon früher von verständnisvollen Gourmands anerkannt wurde. – Zur Zeit des ersten Kaiserreichs hatte man eine kulinarische Erfindung, welche man rôti à I'Impératrice nannte. Man nahm eine in Milch gebadete Sardelle, that sie in eine Olive, die Olive in eine Lerche, die Lerche in eine Wachtel, die Wachtel in ein Rebhuhn, dies in eine Poularde und so weiter, bis das ganze Raum in dem Innern eines holsteinischen Ochsen fand – Alles wurde am Spieß gebraten, und der gourmand incroyable aß zuletzt – die Sardelle.«
Alle lachten. Alexander Dumas blinzelte mit etwas sarkastischem Ausdruck den Lord an und sprach mit leichtem Achselzucken:
»Ben trovato, Mylord, – aber nicht richtig, – denn die Sardelle wird höchstens den Geschmack der Olive annehmen, – beiläufig eine sehr unvollkommene Komposition, etwa einem Quinten- oder Septimenakkord vergleichbar, – wie die Marchesa sagen würde, – die Sache wäre richtig, wenn man die feinsten und konzentriertesten Säfte dieses ganzen Konvoluts von Fleisch in eine Tasse Bouillon vereinigen könnte.«
Er hatte seinen Teig vollendet und auf seinen Wink reichte ihm Madame Humbert eine Platte, auf welcher sorgfältig aneinandergereiht eine Anzahl von fonds d'artichauds sich befanden.
»Sehen Sie hier, meine Damen«, sagte er, »diese Artischoke – das Werk Borgias ist getan – sie sind ihrer Blätter entkleidet, – das paßt ja mit der Situation der Gegenwart, denn die Artischokenblätter Italiens sind ja ebenfalls verspeist,« fügte er lächelnd hinzu, – »ich fülle den Fond,« fuhr er fort, indem er mit einem silbernen Löffel vorsichtig den Teig in die Höhlung des Grundes einer Artischoke strich, – »mit dieser Purée von Bekassinen, – der Lust der wahren Jäger, – wie das nicht anders sein kann bei einem, das Waidwerk in Wald und Feld so sehr liebenden König wie Seine Majestät Viktor Emanuel. Dieser Teig ist durchsetzt mit einer Purée der Trüffeln von Perigord – das läßt in unserem Geiste die Erinnerung aufsteigen an Lamoignon und Tartuffe, die übrigens eine sehr gebildete Zunge besaßen, – und auch das gehört dazu – denn die Form, welche heute die italienische Artischoke erfüllt, ist noch voll von einer starken Purée von Tartuffes, die hinter dem von Molières Meisterhand gezeichneten Urbild nicht zurückstehen.«
»Hüten Sie sich,« rief die Marchesa Pallanzoni, mit dem Finger drohend, »ich liebe diese Tartuffes –«
»Daran tun Sie unrecht,« sagte Alexander Dumas mit feinem Lächeln, auf ihre schönen, perlmutterweißen Schultern und Arme blickend, – »einer jener Tartüffes könnte so viele Reize mit dem berühmten Tuch bedecken wollen, und das wäre ein zu großer Verlust für die Welt, – unser junger Freund ist derselben Meinung,« fügte er hinzu, zu Herrn von Wendenstein sprechend, dessen Blicke in glühender Bewunderung an der Gestalt der Marchesa hingen. Die junge Frau sah zu ihm hinüber und ein kaum merkbares Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Den Arrak auf die Aalmatelote im Augenblick des Anrichtens, nachdem sie mit dieser Sauce durchgerührt ist«, sagte Alexander Dumas zu Madame Humbert, welche verständnisvoll den Kopf neigte und ihm dann eine Schale von weißem Porzellan mit frischem Wasser und eine Serviette reichte.
Er tauchte die Hände in das Wasser, trocknete sie sorgfältig und schlug seine Manschetten und Ärmel wieder zurück.
»Und nun, meine Herrschaften, zu Tisch!« rief er, reichte der Marchesa Pallanzoni den Arm und führte sie durch den Korridor zurück.
Die übrige Gesellschaft folgte.
Der Neger öffnete die Flügel der Türe des Speisesaals, dessen Vorhänge herabgelassen waren und dessen Boden ein dicker persischer Teppich bedeckte. Auf silbernen Armleuchtern brannten Wachskerzen, in deren gelblich zitterndem Licht das weiße Porzellan, das helle Krystall und das glänzende Silber schimmerten. Ein mächtiges Buffett von altem Eichenholz trug altes gemaltes Glasgeschirr und Majoliken von seltener Schönheit.
Man setzte sich in ungezwungener Reihe zu Tisch.
Die Marchesa nahm ihren Platz neben Alexander Dumas, – warf einen schnellen Blick umher und rief Herrn von Wendenstein zu:
»Kommen Sie hier an meine Seite, mein Herr, – ich muß Sie für Ihre Untreue gegen Ihre Pariser Freunde dadurch bestrafen, daß ich Sie zwinge, einen ganzen Abend meine Gesellschaft zu ertragen.«
Herr von Wendenstein eilte zu ihr und setzte sich an ihre Seite.
Der Neger allein servierte mit einer seltenen Präzision und Gewandtheit.
Nach der bisque aux écrevisses, welche allgemeine Bewunderung fand, erschien eine Schüssel in bläulichen Flammen brennend.
»Eine Inspiration, Madame,« sagte Alexander Dumas zur Marchesa, – »welche Ihren Beifall finden muß, da Sie es gewohnt sind, Flammen unter Ihren Blicken auflodern zu sehen, – ich habe das alte Pariser Nationalgericht, die Aalmatelote, sehr wesentlich durch eine Sauce meiner Komposition verbessert und sie dann durch schnell darüber gegossenen Arak in Flammen gesetzt. Diese Flammen werden die Fetteile besser verbinden und der abgebrannte Arrak dann das Gericht mit einem besonderen Aroma durchdringen, – außerdem gewinnt das ganze einen Hauch von Poesie – der Aal, der Bewohner des kalten Elements, wird hier zum Salamander, der in der Flammenläuterung sich vorbereitet, seine Substanz in dem menschlichen Körper, dem edelsten Organismus der Schöpfung, aufgehen zu lassen.«
»Wann wird man Ihre prachtvolle Stimme in der Oper hören, Madame?« fragte Madame Marie Dumas die Prinzessin Narischkin.
»Ich habe noch nicht die Erlaubnis dazu erhalten,« erwiderte die junge Frau, – »ich wollte unter dem unscheinbaren Namen Sina Paoli auftreten, – aber am Hofe in St. Petersburg findet man auch das nicht passend, – ich habe meine Bitte abermals wiederholt und bin sehr gespannt, ob ich endlich die Erlaubnis erhalten werde.«
»Ich rate Ihnen, meine kleine Somnambule zu befragen,« rief Alexander Dumas, – »ich habe da eine junge Person entdeckt, welche nach wenigen Strichen in magnetischen Schlaf verfällt und mit wunderbarer Clairvoyance die verborgensten Dinge sieht. Ich besaß einen alten, einen sehr wertvollen Ring, den ich verlor und wegen dessen ich meine Domestiken in Verdacht hatte – endlich fragte ich meine kleine Hellseherin und sie gab mir genau den Ort in dem Schubfach eines Schrankes an, wo der Ring unter anderen Gegenständen verborgen lag.«
»Also Sie sind auch ein wenig Balsamo?« fragte Lord Haughton.
»Ich bin jede Figur meiner Romane eine Zeitlang gewesen,« erwiderte Alexander Dumas, – »leider auch Monte Christo – leider – denn mir stand keine unterirdische Schatzkammer zu Gebote.«
»Der Somnambulismus ist überboten,« bemerkte Madame Narischkin, – »man darf jetzt nur noch den Spiritismus kultivieren, – ich habe vor kurzem eine Mademoiselle Lesueur gesehen, in der Rue de Bondy an der Place du Chateau d'eau – sie zitiert alle Geister, die man von ihr verlangt, und diese Geister erzählen die wunderbarsten Sachen.«
»Bei uns in England beschäftigt man sich viel mit dem Spiritismus,« sagte Madame Clay Ker Sevmer, – »meine Freundinnen haben mir sehr merkwürdige Dinge geschrieben, – ich wäre sehr neugierig, einmal eine Probe zu sehen.«
»Alle diese Dinge sind töricht,« sagte Lord Haughton, – »aber die Physiognomik ist mir sehr interessant und ebenso die Wissenschaft der Hände, über welche Desbarolles ein Buch geschrieben. Ich vermag zwar nicht an die Bedeutung der Hand linien zu glauben, aber die Form der Hände ist gewiß sehr charakteristisch für die Beurteilung der Menschen.
»Ich habe in einem Journal in England«, fuhr er fort, »eine sehr geistreich geschriebene Abhandlung darüber gelesen, – wo man die Hände einteilte in physical-Hand – die unterste Stufe – breit mit kurzen, stumpfen Fingern, psychical-Hand – lang effiliert, aber weich und formlos – und motor-Hand, plastisch geformt, kräftig und nervös gewölbt. Die erste Hand gestikuliert gern mit der inneren Fläche und nach oben gekrümmten Fingern wie bittend, – die zweite bewegt sich in anmutigem leichten Spiel, – die dritte endlich spannt sich gebietend und herrschend in kraftvollem Griff.«
Unwillkürlich blickte jeder aus der Gesellschaft auf seine Hand.
Die Marchesa reichte ihre schlanken rosigen Finger dem Herrn von Wendenstein und fragte:
»Nun, mein Herr, zu welcher Kategorie gehört meine Hand?«
Der junge Mann mußte diese schöne warme Hand ergreifen; als er sie hielt, stützte die Marchesa ihren schlanken, mit blauen Adern durchzogenen Arm leicht auf den seinen, und indem er sich vorbeugte, um ihre Hand zu betrachten, fühlte er ihren Atem sein Haar streifen.
»Bei dieser Hand«, sagte er mit gepreßter Stimme, »ist die Bitte und der Befehl gleich unwiderstehlich,« Und die Augen aufschlagend, begegnete er einem schnellen Blick der jungen Frau und glaubte zu fühlen, daß ihre Finger sich in leichtem Druck an seine Hand schmiegten.
Die Unterhaltung wurde allgemein. Mit unnachahmlicher Geschicklichkeit verstand es Alexander Dumas, aus jedem Geiste sprühende Funken zu entlocken, gleichgültigen Bemerkungen eine pikante Wendung zu geben, – die edlen Gewächse von Chateau d'Yquem und Lafitte ließen die Augen glühen und von allen Lippen sprudelnde Scherze strömen. Ein gewaltiger Puter mit Trüffeln gefüllt und von Trüffelbergen umgeben, aus denen seine goldbraune Brust sich verlockend emporhob, wurde auf die Tafel gestellt.
Alexander Dumas ließ ihn sich reichen.
»Ehre, dem Ehre gebührt,« sprach er, – »ich überlasse niemand, den dinde zu zerlegen, es ist mein Ehrenamt und ich trage meinen Gästen gegenüber die Verantwortung, daß dies Meisterwerk der Kochkunst, diese Krone aller Braten, richtig behandelt wird.«
Er prüfte die Schärfe des großen Messers, das ihm der Neger reichte, und mit geschickter Hand teilte er den prächtigen Vogel mit sorgfältiger Unparteilichkeit, jedem aus der Gesellschaft eine saftige Schnitte des weißen und ein Stück des dunklen Fleisches mit einer reichen Fülle der duftigen Erdschwämme vorlegend, deren Entdeckung die menschliche Gesellschaft einem verachteten Tiere verdankt, das schon die Helden der Ilias mit seinen fetten Rückenstücken nach der männermordenden Feldschlacht beim geselligen Mahle erfreute.
»Ich habe«, sprach Alexander Dumas weiter, »in bezug auf die Behandlung des dinde viel von einem alten Edelmann aus der Provinz gelernt, der auf seinem Schlosse allein mit seiner Küche und seinem Keller lebte, und der die Zucht und die Zubereitung dieses herrlichen Vogels zu einem Gegenstande seines besonderen Studiums gemacht hatte. – Einst«, fuhr er fort, – »erzählte er mir von einem ganz besonders vortrefflichen Exemplar, das er auf ganz außergewöhnlich sorgfältige Weise gebraten hatte, nachdem er es drei Tage in einer Purée von Trüffeln hatte dünsten lassen. ›Und dann‹ schloß er mit einem Seufzer wehmütiger Erinnerung – ›haben wir ihn gegessen‹. Ich fragte: ›Wie viel Personen hatten Sie bei Tisch?‹ – ›Wir waren zwei‹, erwiderte er ganz ruhig – ›der dinde und ich.«
»Gut, daß Ihr gastrosophischer Freund heute nicht hier ist,« rief Lord Haughton lachend, – »wir würden diesem dinde gegenüber Statistenrollen spielen, – und das wäre in der Tat zu bedauern.«
Der leichte französische Champagner wurde in hohen schlanken Krystallkelchen serviert. Hoch perlte der Schaum empor.
»Ich dulde es nicht,« rief Alexander Dumas, »daß man diesen edlen altfranzösischen Wein nach der neuen deutschen und russischen Mode–verzeihen Sie, meine Herren, – in Eis kühlt, – er soll Schaum haben, er soll nichts sein als Duft und Aroma, – und das Eis nimmt ihm die Blüte seines Wesens, – der Regent ließ ihn auf heißen Marmorplatten wärmen, um nur Schaum zu haben, – und vielleicht hatte er recht – jedenfalls wußte er besser zu leben, als die heutige Generation, welche dies edle Getränk aus Gläsern trinkt, die nur für das Bier bestimmt sind, das den Geist einschläfert und das Blut mit Schlamm und Hefe verdickt.«
Die Damen stimmten ihm zu und schlürften den duftigen Schaum. Nach dem Dessert von Früchten und leichtem Biscuitgebäck erhob man sich, um in dem Salon noch eine Stunde in leichter Unterhaltung zu verplaudern. Alexander Dumas war unerschöpflich, immer neue Gesprächsthemata zu finden und jedes Thema auf die reizendste und überraschendste Weise zu variieren.
Als die Gesellschaft endlich aufbrach, näherte sich die Marchesa Pallanzoni Herrn von Wendenstein.
»Ich bin allein,« sagte sie halb leise, aber im Tone gewöhnlicher Konversation, – »darf ich Sie um Ihren Schutz bei der Rückfahrt bitten, mein Wagen wird Sie dann nach Hause bringen.«
Der junge Mann zuckte zusammen, ein halb scheuer, halb glühender Blick traf die schöne Frau, welche ihn voll in die Augen sah, stumm verneigte er sich und reichte der Marchesa den Arm.
Sie stiegen in den Wagen, – in raschem Trabe erreichten die schnellen Pferde die Wohnung der Marchesa an der Place Saint Augustin. Die junge Frau hatte sich in ihren leichten Schal gehüllt und lag in der Ecke der offenen Viktoria, Herr von Wendenstein saß schweigend neben ihr, bei jeder Schwingung des leichten Wagens fühlte er die Berührung des so zarten und anmutigen Körpers der Marchesa.
Der Wagen hielt.
Herr von Wendenstein sprang herab und reichte der Dame die Hand.
Sie sprang leicht vom Tritt herab und legte ihren Arm in den des jungen Mannes, indem sie durch die Türe schritt, welche der Lakai offen hielt.
Sie stieg, immer von ihm geführt, die Treppe hinauf, durchschritt den Salon und kam in jenes kleine Boudoir, in welchem er einst am Tage vor seiner Abreise nach der Schweiz mit ihr gesessen hatte, und das durch eine von der Decke herabhängende Ampel matt erleuchtet war.
»Wein von Alicante in Eis gekühlt, – und frische Früchte,« befahl sie der Kammerfrau, – »erwarten Sie mich einen Augenblick,« sagte sie zu Herrn von Wendenstein in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete, und verschwand durch eine kleine maskierte Tür, die in ihr Toilettenzimmer führte.
Der junge Mann war in einem Zustand unbeschreiblicher innerer Verwirrung. Vor ihm stieg aus der Vergangenheit in dieser Umgebung der berauschende Augenblick herauf, der ihm ein heißes Glück so nahe gezeigt hatte, – die Erinnerung an die ferne Heimat und an alles, was dort sein Herz fesselte, regte sich zwar in den Tiefen seiner Seele, aber diese Erinnerung berührte ihn fast kalt und abstoßend, während er mit tiefen Atemzügen den Parfüm dieses Boudoirs einatmete, der ihm zu dieser alle seine Sinne, all sein Fühlen und Denken fesselnden Frau zu gehören schien, wie der Duft der Rose zu ihrer purpurfarbenen Blüte.
Die Kammerfrau brachte eine Kristallkaraffe mit dem dunkeln goldschimmernden Wein von Alicante, in einer Schale voll großer klarer Eisstücke, sie stellte dazu einen silbernen Korb mit frischen Früchten der Jahreszeit und zwei Becher von venetianischem Glas.
Dann ging sie schweigend wieder hinaus.
Herr von Wendenstein nahm ein Stück Eis und hielt es an seine glühende Stirn und seine brennenden Wangen, – aber das Eis vermochte nicht diese Glut zu kühlen, – es schmolz schnell an dem Feuer des wallenden Blutes, das in Flammenströmen durch die Adern des jungen Mannes rollte.
Die Türe nach dem Toilettenzimmer öffnete sich, – die Marchesa kam zurück.
Die Flechten ihres Haares waren gelöst und hingen zu beiden Seiten des schönen bleichen Gesichts herab, aus dem die großen schwarzen Augen in wunderbarem Glanze hervorleuchteten.
Sie trug ein weites weißes Kleid vom allerleichtesten Stoff, die weiten herabhängenden Ärmel ließen die schlanken Arme, die noch weißer beinahe erschienen, als das Kleid, fast bis zur Schulter herauf entblößt. – Um den Hals herab weit ausgeschnitten, sah man durch ihr Gewand die Atemzüge ihres Busens durch den fast bis zum Gürtel herabgehenden Spitzenstreif.
Herr von Wendenstein erhob sich und trat ihr entgegen, die Blicke starr und trunken auf diese fast feenhaft schöne Erscheinung gerichtet.
Sie sprach kein Wort, trat zu dem Tisch und füllte zwei Kelche mit dem Wein, der seine belauschende Glut unter der Kälte des Eises verbarg.
Sie berührte den einen Kelch mit den Lippen und reichte ihn dem Herrn von Wendenstein.
Dieser stürzte ihn auf einen Zug hinunter.
Die Marchesa setzte sich auf ihre Chaiselongue und dem stummen Befehl ihres Blickes gehorchend, ließ sich Herr von Wendenstein auf ein kleines Tabouret zu ihren Füßen sinken.
Sie sah ihm mit einem langen Blick in die Augen.
»Warum sind Sie nicht wieder gekommen, als Sie mich im vorigen Jahre verließen?« fragte sie mit flüsternder Stimme.
Er wollte ihr erzählen, daß er im Dienst seines Königs Paris verlassen habe, – daß er erst vor kurzem zurückgekehrt sei, – aber die Stimme versagte ihm, – er ergriff ihre Hände und drückte sie an seine brennenden Lippen.
»Verzeihung – Verzeihung!« war alles, was er sagen konnte.
»Verzeihung?« – sagte sie leise, – »werden Sie wieder fortgehen?«
Und sie beugte den Kopf zu ihm herab, so daß die Flechten ihres Haares über seine Schultern fielen.
»Niemals!« rief er mit halb erstickter Stimme und seine zitternden Lippen berührten die ihren, – er trank den heißen Atem ihres Mundes.
Plötzlich fuhr sie empor.
»Was ist das?« rief sie mit flammendem Blick und ergriff ein Medaillon, das er an seiner Uhrkette trug.
Es durchschauerte ihn bis ins innerste Mark.
»Ein Porträt einer Freundin«, sagte er tonlos.
»Wer mein Freund ist, hat keine anderen Freundinnen!« rief sie mit einem Ton voll wilder Leidenschaft und stolzer Herrschaft.
Mit einem heftigen Ruck riß sie das Medaillon von der Kette, warf es zu Boden und mit einer Kraft, die man diesem zarten, zierlichen Fuß nicht zugetraut hätte, zertrat sie es in Stücke.
Es war das Bild Helenens.
Der junge Mann fühlte in seinem Herzen fast einen körperlichen Schmerz, einen Augenblick stand er wie betäubt und blickte starr zu Boden auf die Trümmer dieses Erinnerungszeichens, das ihn bisher wie ein Talisman begleitet hatte.
Als er die Augen wieder aufschlug, war die junge Frau auf die Chaiselongue zurückgesunken, sie hatte die Arme geöffnet und aus ihren Blicken strömte eine Flut von verzehrendem Feuer zu ihm herüber.
Er sah nur diesen Blick – nur diese geöffneten Arme – und über das zertretene Bild hin stürzte er zu ihren Füßen.
Sie schlang ihre Arme um ihn, zog ihn sanft zu sich empor und ihre Lippen brannten aufeinander.