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Auf einer waldumkränzten Anhöhe vor der Stadt Gmunden, hoch über dem See und dem Traunstein gegenüber, liegt eine einfache zweistöckige Villa in italienischem Stil, welche unter dem Namen Villa Thun bekannt ist, weil sie in früherer Zeit einem Grafen von Thun gehörte.
In dieser einfachen Villa mit einigen kleinen Nebengebäuden hatte der König Georg V. seine Sommerresidenz aufgeschlagen. Vor der Villa, deren äußerer Eingang sich in einer Giebelseite befand, dehnte sich ein größerer freier Platz aus, der rund umher scharf nach dem Bergabhang zu abfiel, – aus dem Mittelsalon, dessen Glastüren geöffnet standen, führte eine breite Treppe auf diesen Platz hinab.
Mehrere Personen waren hier an einem freundlichen, hellen Frühlingsvormittage beschäftigt, das scheinbar so einfache und in seinen Kombinationen doch so schwierige Krockettspiel zu spielen. Die Haken waren in den Boden geschlagen und die Gesellschaft, – aus drei Herren und vier Damen bestehend, trieb mit den eleganten Hämmern die bunten Bälle mit all dem Eifer vorwärts, den dies Spiel bei den in die Feinheiten desselben Eingeweihten stets erregt.
Die Herren waren der Kronprinz Ernst August, dessen schlanke Gestalt fast zur Höhe seines Vaters emporgeschossen war, – der Rittmeister Vogler von den früheren hannoverschen Gardehusaren, des Prinzen Adjutant, – ein großer schöner Mann mit außergewöhnlich langem, mit magyarischer Sorgfalt gepflegtem Schnurrbart, und der Hauptmann von Adelebsen, des Königs Ordonnanzoffizier, ein mittelgroßer Mann mit etwas leberkranker Gesichtsfarbe und einem stereotypen Lächeln auf den blassen und schmalen Lippen.
Der Prinz Ernst August trug einen grauen Anzug mit bis zum Knie heraufreichenden Stiefeln, seine ganze Haltung war seit der Katastrophe von 1866 männlicher und fester geworden, ohne jedoch ganz die durch seine Jugend und rasches Wachstum bedingte Unsicherheit verloren zu haben. Sein frisches Gesicht trug die blühende Farbe der Gesundheit, und seine glänzenden Augen blickten freundlich und heiter – seine ganze Erscheinung war sympathisch, ohne jedoch an die ritterliche Anmut und königliche Würde seines Vaters zu erinnern.
Die Damen waren die Königin Marie, die Prinzessinnen Friederike und Marie und die Hofdame Fräulein von Wangenheim.
Die Königin war trotz ihrer fast weißen Haare anmutig und jugendlich in ihrer Haltung und ihren Bewegungen, – die Prinzessinnen erschienen in ihrer einfachen Sommertoilette noch frischer und sympathischer als sonst, – Fräulein von Wangenheim war eine angenehme und elegante Erscheinung mit feinem, geistreichem, aber etwas kränklichem Gesicht. Die Staatsdame Gräfin Wedel, – eine ältere Dame von vornehmem, würdigem Aussehen, Herzensgüte und Sanftmut auf den regelmäßigen Zügen saß mit einer Stickerei beschäftigt in der Nähe des Hauses und sah dem Spiel zu.
Soeben hatte der Kronprinz mit einem starken und geschickten Schlage seinen Ball weit voran durch zwei der gekrümmten Haken geschleudert, – derselbe kam im langsamen Auslaufen neben den Ball der Prinzessin Friederike zu liegen.
Rasch sprang diese heran, – setzte den Fuß auf ihren Ball und trieb mit einem kräftigen Schlage ihres Hammers den Ball des Prinzen weit hinaus, so daß er schnell dahinfliegend den Abhang hinunterstürzte.
»Du bist für's erste unschädlich gemacht, lieber Ernst,« – rief die Prinzessin lachend, – »wir ergeben uns nicht so ohne weiteres!«
Der Rittmeister Vogler wollte auf dem Wege, der um das Haus führte, hinuntereilen, um den Ball zu holen, – aber rasch war der Prinz den steilen Abhang hinuntergeklettert und nach wenigen Minuten kam er auf demselben Weg zurück, den Ball in der Hand – ein wenig mit Erde und Staub befleckt und ein wenig von dem Gestrüpp an den Händen zerkratzt.
»Wie unvorsichtig!« rief die Königin. »Ein guter Jäger darf vor keinem Wege zurückschrecken«, sagte der Prinz lachend und stellte seinen Ball an der Grenze des Abhanges wieder auf.
»Es ist merkwürdig,« sagte die Königin, indem sie ihren Ball, sorgfältig mit dem Auge die Entfernung messend, vorwärts trieb, – es ist merkwürdig, wie dies einfache Krockettspiel in Eifer versetzt, und wie es so tausend Wege ersinnen läßt, um den Gegnern einen boshaften Streich zu spielen –«
»Es ist wie die Politik,« bemerkte Fräulein von Wangenheim lächelnd, – »der Kampf erhitzt und macht persönliche Freunde zu erbitterten Gegnern –«
»Ja,« sagte die Königin seufzend, – »doch führt der politische Kampf leider zu anderen Resultaten als zu den harmlosen Siegen, die hier auf dem Croquet ground zu erfechten sind –«
»Sieg ist Sieg,« rief die Prinzessin Friederike mit leuchtenden Augen, indem sie ihren Ball dem letzten Haken entgegenrollte, – »und der Kampf, – die Anspannung der Kraft erfrischt den Geist – gleichviel ob es ein Spiel oder den hohen Ernst des Lebens gilt, – freilich ist das ernste Kampfspiel schöner, denn es gilt höheren Einsatz –«
»Und raubt die Ruhe und das Glück,« sagte die Königin ernst, – »wohl denen, die niemals mit der Politik und ihren Kämpfen zu tun haben. Wahrlich«, fuhr sie fort, – »wäre es nicht um das tausendjährige Recht des Hauses meines Gemahls, – um das Recht meiner Kinder, – ich könnte glücklich sein, hier zu leben in der stillen ländlichen Ruhe, in der friedlichen Einfachheit, die dem Herzen und dem Gemüt tausendmal mehr bietet als der sorgenvolle Glanz des Thrones –«
»Der aber Herrschaft und Macht gibt,« rief die Prinzessin Friederike, – »Macht, Gutes zu tun – und das Böse zu bekämpfen –«
»Ich bin heraus«, rief der Kronprinz jubelnd, seinen Ball durch den letzten Haken treibend.
»Das Spiel ist aus,« sagte der Hauptmann von Adelebsen, – »Eurer Königlichen Hoheit Partei hat verloren«, fügte er hinzu, sich gegen die Prinzessin Friederike verneigend.
»Ich muß mich trösten«, antwortete die Prinzessin lächelnd, und leise sprach sie halb für sich: – »Gott gebe, daß wir das große Spiel gewinnen.«
»Lassen Sie uns ein wenig durch den Wald gehen, Vogler«, sagte der Kronprinz; der Königin die Hand küssend, verabschiedete er sich und verließ mit seinem Adjutanten den Platz.
»Der König ist noch nicht ausgegangen?« fragte die Königin, nach dem Hause hinblickend.
»Seine Majestät arbeitet mit dem Geheimen Kabinettsrat«, erwiderte Hauptmann von Adelebsen.
»Der König sollte mehr an die Luft gehen,« sagte die Königin, – »er sitzt zuviel im Zimmer«, – schnell die Treppe hinaufsteigend, trat sie in den einfach möblierten Mittelsalon, der zugleich als Speisezimmer diente, und öffnete die Tür des daranstoßenden Wohnzimmers des Königs, welches in gleich äußerster Einfachheit ausgestattet war.
Georg V. in dunklem Zivilanzug saß auf einem Sofa vor einem großen Tisch, – neben ihm auf einem Lehnstuhl der Geheime Kabinettsrat Dr. Lex, – die kleine Figur in sich zusammengebückt, beschäftigt, nach des Königs Diktat zu schreiben.
»Die Luft ist so schön draußen, Männchen,« rief die Königin, rasch eintretend, – »laß das Arbeiten, – es ist ja«, fuhr sie mit schmerzlichem Lächeln fort, »wenigstens ein Vorzug der Verbannung, daß du jetzt keine drängenden Regierungssorgen hast und mehr uns und deiner Gesundheit leben kannst.«
Der König hatte sich beim Klange der Stimme seiner Gemahlin erhoben und streckte ihr die Hand entgegen.
»Der Kampf für mein Recht«, sagte er ernst, »legt mir ebensoviel Sorge und Arbeit auf als früher die Regierung meines Landes, – und vielleicht sind diese Pflichten noch heiliger und unabweislicher, – ich bin eben beschäftigt,« fuhr er fort, indem er sich wieder niedersetzte und die Königin neben sich auf das Sofa zog, – »an den Herzog von Cambridge zu schreiben, um in unsern Vermögensangelegenheiten ein Zusammenwirken der Agnaten zu erreichen –«
»Kann denn das Schwierigkeiten machen?« fragte die Königin, – »der Herzog ist ja sonst so verwandtschaftlich gesinnt, – ebenso wie der Herzog von Braunschweig, – und sie haben doch auch das eigene Interesse, der beabsichtigten Konfiskation entgegenzutreten.«
»Majestät halten zu Gnaden,« fiel der Kabinettsrat mit seiner scharfen Stimme ein, – »es handelt sich nicht um eine Konfiskation des königlichen Vermögens, sondern nur um eine Sequestration, – um eine Verwaltung für den Besitzer –«
»Mein lieber Lex,« sagte die Königin lächelnd, – »ich verstehe nichts von Ihren lateinischen juristischen Ausdrücken, – was ich verstehe, das ist, daß man unser Vermögen fortnehmen will, – ob Sie das nun Konfiskation oder Sequestration nennen, – wir haben jedenfalls nichts davon, – doch,« sprach sie wieder in erregtem Ton, – »du schreibst an Cambridge?«
»Mein guter Vetter«, sagte der König, – »hat eine sehr praktische Auffassung, – er sieht die preußische Herrschaft in Hannover als definitiv und unabänderlich konstituiert an und will, daß wir die preußischen Bedingungen der Vermögensverwaltung durch eine Kommission, in welcher ich ein, die Agnaten ein und Preußen ein Mitglied ernennen, annehmen sollen.«
Die Königin seufzte.
»Ein preußischer Kommissar zur Verwaltung unseres Vermögens!« sagte sie, – »doch vielleicht ist die erste Sorge, daß der Besitz überhaupt erhalten werde –«
»Ein Besitz, über den ich nicht nach meinem königlichen Recht verfügen kann, – ist eine Erniedrigung, die ich niemals akzeptiere, – lieber mag man mein Vermögen mir ganz nehmen!«
Der Kronprinz öffnete die Türe und trat rasch ein.
»Als ich eben mit Vogler den Berg hinabstieg, Papa,« sagte er, »begegnete mir Graf Platen, der soeben angekommen ist.«
»Ah!« rief der König, – »was bringt er – ist der Graf da?« – ich bitte ihn, sogleich zu kommen.«
Der Kronprinz öffnete die Türe, Graf Platen im einfachen Morgenanzug trat ein und begrüßte ehrfurchtsvoll die königlichen Herrschaften.
»Guten Morgen, lieber Graf,« rief der König, ihm die Hand reichend, die der Graf an die Lippen führte, – »was bringen Sie Gutes?«
»Gutes wenig, Majestät,« erwiderte Graf Platen achselzuckend, – »die Sequestration des Vermögens ist zum Gesetz erhoben.«
»Zum Gesetz?« fragte der König, »hat man dafür ein besonderes Gesetz erlassen?«
»Man mußte es,« erwiderte Graf Platen, »da kein bestehendes preußisches Gesetz auf diesen Fall paßte.«
»Das glaube ich!« rief der König achselzuckend.
»Die Sache wird dadurch unangenehmer,« sagte Graf Platen, – »weil nun zur späteren Freigebung des Vermögens abermals ein mit den Kammern zu vereinbarendes Gesetz nötig sein wird, und dadurch wird jede Transaktion mit der Krone Preußen und mit Seiner Majestät dem Könige Wilhelm ausgeschlossen.«
»Je klarer die Situation ist, um so lieber ist es mir«, sagte der König in festem Ton.
»Doch, Majestät,« fuhr Graf Platen fort, – »es wird notwendig sein, sogleich einen Protest gegen die Sequestration zu erlassen.«
»Gewiß,« rief der König, – »und zwar in der bestimmtesten und energischsten Form!« – womit motiviert man denn das vortreffliche Gesetz?« fragte er.
»Man führt an,« – sagte Graf Platen, – »daß Eure Majestät feindliche Handlungen gegen Preußen vornehmen und daß dazu der preußische Staat die Mittel nicht liefern könne, – insbesondere spricht man von der Emigration in Frankreich.«
»Das unglückliche Telegramm an Hartwig«, rief der König.
»Ich bin nun der Ansicht,« fuhr Graf Platen schnell fort, »daß jede feindliche Handlung Eurer Majestät gegen Preußen bestritten werden muß, – ganz insbesondere ist meiner Meinung nach hervorzuheben, daß die Emigration in Frankreich keinen militärischen Charakter habe und daß sie in keinem Zusammenhange mit Eurer Majestät stehe. Was die Form betrifft, so möchte ich kein öffentliches Manifest anraten, sondern vielmehr ein Schreiben an die vier Großmächte und die Souveräne Deutschlands, in welchem Eure Majestät mitteilen, daß Allerhöchstihre Vertreter protestiert haben und zugleich diesen Protest motivieren.«
»Hat denn Herr von Malortie protestiert?« fragte der König lächelnd.
»Er hat angezeigt,« erwiderte Graf Platen, »daß er bei der Übergabe der in seinen Händen befindlichen Vermögensobjekte protestiert habe –«
»Aber er hat alles ausgeliefert?« fragte der König.
»Er hatte die Verfügung, die Sachen hierher zu senden, zu spät bekommen«, sagte Graf Platen ein wenig verlegen.
»Zu spät«! flüsterte der König, den Kopf neigend, vor sich hin.
»Haben Sie einen Entwurf des Protestes mitgebracht?« fragte er dann.
»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Graf Platen, – »ich habe den Entwurf Herrn von Malortie zugesendet, und obgleich ihm völliges Stillschweigen lieber wäre, so ist er doch damit einverstanden.«
»So haben Sie die Güte, ihn vorzutragen,« sagte Georg V., – »die Königin und der Kronprinz werden ihn mit anhören, – sie sind ja auf das höchste dabei interessiert.
Die Königin setzte sich wieder auf das Sofa neben ihren Gemahl, der Kronprinz und Graf Platen nahmen gegenüber Platz.
Der Graf zog ein Papier aus der Tasche seines Rockes und las den Entwurf vor, welcher in einer ruhigen und gemessenen Sprache die Gesichtspunkte ausführte, die er vorher hervorgehoben hatte.
Der König hörte in aufmerksamem Schweigen zu.
»Ich muß Ihnen aufrichtig sagen, mein lieber Graf,« sprach er, als der Minister seinen Vortrag beendet, – »daß mir dieser Entwurf nicht besonders gefällt; er kommt mir mehr advokatorisch als königlich vor, – es ist die Sprache eines Angeklagten, der sich vor seinem Richter verteidigt, und ich erkenne keine Autorität in Preußen als Richter über meine Handlungen an. – Außerdem«, sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen, – »ist doch die Ausführung eigentlich nicht wahr, – denn ich will für mein Recht kämpfen, – und die Emigration –«
»Majestät,« sagte Graf Platen, – »gerade weil Allerhöchstdieselben kämpfen wollen, würde es nicht richtig sein, das Spiel dem Gegner gegenüber aufzudecken, – und außerdem würde eine zu bestimmte Betonung des feindlichen Standpunktes Eurer Majestät den von Preußen angeführten Gründen gewissermaßen recht geben und auf die europäischen Höfe einen weniger günstigen Eindruck machen, – auch jede Transaktion ausschließen –«
»Transaktion?« rief der König, – »welche Transaktion könnte denn überhaupt noch stattfinden? – nach meinem Gefühl würde ich lieber ganz einfach sagen: der Vertrag, den ich im September vorigen Jahres geschlossen, bezieht sich ganz ausdrücklich nur auf die Vermögensverhältnisse und schließt jede politische Abmachung aus, – was ich also politisch tun oder lassen könnte, darf niemals dem andern Kontrahenten das Recht geben, die Erfüllung des Vertrages zu sistieren oder mit Schwierigkeiten zu umgeben. Das scheint mir juristisch präziser, – und – ich wiederhole es, – es wäre wahrer und würdiger.«
»Ich glaube indes,« sagte Graf Platen, »daß es vorsichtiger ist, jede feindliche Tätigkeit Eurer Majestät überhaupt in Abrede zu stellen, – ich betone noch einmal,« fügte er hinzu, »die Rücksicht auf die fremden Höfe –«
»Was meinst du dazu?« fragte der König, sich zu seiner Gemahlin wendend.
»Ich meine, Graf Platen hat recht,« sagte die Königin ein wenig zögernd, – »die Vorsicht kann niemals schaden –«
»Und du Ernst?« fragte der König.
Der Kronprinz biß auf die Nägel seiner rechten Hand und sagte:
»Ich glaube auch, Graf Platen hat recht, – wozu sollen wir sagen, was wir tun oder tun wollen? – Sie sollen es beweisen, – schon wegen der verschiedenen Hochverratsprozesse sollten wir alle feindlichen Handlungen gegen Preußen in Abrede nehmen –«
Graf Platen biß sich auf die Lippen.
»Denken Eure Majestät,« rief er schnell, »daß man gegen mich jetzt auch einen Hochverratsprozeß eingeleitet hat!
Der König lächelte.
»Da bin ich ja bald von lauter Zuchthäuslern umgeben,« sagte er, – »doch,« fuhr er fort, – »was denken Sie zu tun? – die ganze Sache zu ignorieren –«
»Ich dachte, durch meinen Advokaten die Vorladung beantworten zu lassen,« sagte Graf Platen etwas zögernd, – »ich habe mir von Zachariä in Göttingen ein Gutachten erbeten, ob man in Berlin ein Recht habe, mich als preußischen Untertanen zu betrachten, – da ich doch bei der Annexion nicht in Hannover war, – in diesem Sinne dachte ich die Kompetenz des Forums zurückzuweisen –«
»Nun,« rief der König, »wenn Sie sich auf Erörterungen einlassen wollen, so kann ich Sie daran nicht hindern, – helfen wird es Ihnen nichts, – was sagen Sie, lieber Ler,« sprach er abbrechend, »zu dem Entwurfe des Grafen Platen?«
»Eure Majestät wissen,« erwiderte der kleine Kabinettsrat, »daß ich immer für Vorsicht und moyens termes bin.«
»Nun so mag denn der Protest so erlassen werden,« sagte Georg V., – »aber«; fügte er halb zu sich selber sprechend hinzu, »eigentlich gefällt es mir nicht, eine gerade und wahre Erklärung wäre mir lieber –«
Die Königin stand auf. Der König und alle Anwesenden erhoben sich ebenfalls.
»Wir müssen uns also recht einschränken,« sagte sie lächelnd, – »nun, – ich verspreche, eine recht sparsame Hausfrau zu sein.« Sie reichte dem Könige die Stirn zum Kuß und verließ, sich gegen den Grafen Platen leicht verneigend, das Zimmer.
»Düring schreitet mit seinen Vorbereitungen rasch vor,« sagte der König, als die Türe sich hinter Ihrer Majestät geschlossen hatte, – »und das ist mir sehr erfreulich, denn es scheint, daß eine ernste Katastrophe sich vorbereitet, – Sie haben die Berichte aus Paris gelesen, der Krieg scheint nahe bevorstehend –«
Graf Platen schmiegte sich zusammen und sagte mit einem schnellen Blick auf den Kronprinzen:
»Ich fürchte, Majestät, daß der Regierungsrat Meding sich einer Täuschung hingibt, – er scheint mir seine Eindrücke zu ausschließlich von der Kriegspartei in Paris zu entnehmen, – Herr von Beust versichert mich, daß an eine Aktion gar nicht zu denken sei, – Napoleon hat keine Allianzen –«
»Aber Meding schreibt,« sagte der König, – »daß« – er brach schnell ab.
»– Daß,« sagte er nach einer augenblicklichen Pause, »die kriegerischen Vorbereitungen in sehr bedeutendem Umfange getroffen würden, – daß die Festungen verproviantiert und sogar die Kriegskassen nach denselben abgeführt würden –«
»Von alledem bis zur wirklichen Aktion ist noch ein weiter Weg,« sagte Graf Platen, »und der Kaiser Napoleon wird noch lange nachdenken, bevor er diesen Weg geht. – Übrigens«, fuhr er nach einem augenblicklichen Zögern fort, »wollte ich mir erlauben, Eurer Majestät einen Vorschlag zu machen, um nähere Renseignements über die Vorgänge in Paris, die doch für Eure Majestät von der höchsten Wichtigkeit sind, zu vervollständigen und zu ergänzen. Der Regierungsrat Meding steht, wie ich schon zu bemerken die Ehre hatte, zu sehr in den eigentlich kaiserlichen bonopartistischen Kreisen, – es wäre doch gut, auch von anderer Seite unterrichtet zu werden –«
»Nun?« fragte der König.
»Der Graf Breda«, fuhr der Minister fort, – »hat sich bereit erklärt, nach Paris zu gehen, – er hat große Verbindungen dort und war früher in der französischen Diplomatie –«
»Graf Breda?« fragte der König, – »der in Feldkirch lebt, – und im vorigen Jahre bei der Ausarbeitung der Broschüre benutzt wurde, die – ich habe ihn gesprochen, – er schien mir nicht bedeutend.«
»Ich glaube, daß er scharf beobachten wird, – und er kennt das Terrain«, sagte Graf Platen.
»Und dann wird er nicht viel kosten,« bemerkte der Kronprinz, – »er will es sehr wohlfeil machen – wie er Klopp gesagt hat –«
»Nun, so schicken Sie ihn hin,« sagte der König, – »man muß Meding avertieren –«
»Der Graf Breda legt großen Wert darauf, ganz unbemerkt und still zu wirken, und mit den offiziellen hannöverischen Kreisen in keine Berührung zu kommen«, sagte Graf Platen schnell.
»Das ist eigentlich nicht in der Ordnung,« sprach der König, – »jedenfalls soll er dann sehr vorsichtig sein, damit keine Kollisionen entstehen, – denn Meding würde das übel nehmen, – und er würde recht haben, – wir sprechen noch darüber.«
Ein Schlag ertönte an der Tür.
Der Kammerdiener trat auf den Ruf des Königs eilig ein und meldete:
»Seine Königliche Hoheit der Graf von Chambord ist soeben vorgefahren.«
Rasch stand der König auf, nahm den Arm des Kronprinzen und schritt durch den Salon nach dem Eingangsvestibüle, das mit reichen Hirschgeweihen und Rehkronen geschmückt war.
Der letzte Träger der königlichen Legitimität von Frankreich war soeben dort eingetreten, geführt von dem Hofmarschall Grafen Wedel. Der Graf von Chambord, damals achtundvierzig Jahre alt, trug schwarzen Zivilanzug ohne Dekoration, – seine Gestalt war hoch und voll, fast etwas schwerfällig, seine Haltung, ruhig, phlegmatisch, aber edel und würdig, seine Bewegungen langsam, aber vornehm anmutig. Seine Gesichtszüge trugen den unverkennbaren Stempel der bourbonischen Rasse, – voll und stark, erinnerten sie in ihrer fast gleichgültigen Ruhe ein wenig an Ludwig den Sechzehnten, trotzdem aber lag in dem freundlich wohlwollenden Blick etwas von jener Hoheit und Majestät, mit welcher seit Ludwig dem Vierzehnten dies Geschlecht des blauen Blutes auf die Welt zu ihren Füßen herabzusehen gewohnt war.
Der Prinz trat mit einem leichten Nachziehen des Fußes rasch dem Könige entgegen und ergriff dessen dargebotene Hand.
Der Kronprinz blieb zur Seite stehen.
»Als Bewohner der Gegend auf meinem kleinen Bergschlosse«, sagte der Graf von Chambord, »habe ich nicht versäumen wollen, Eurer Majestät meinen Respekt zu bezeugen –«
Und mit leichter Verbeugung reichte der Graf dem Prinzen Ernst August die Hand.
»Ich freue mich unendlich, Eure Königliche Hoheit hier zu begrüßen,« sagte der König, ergriff den Arm des Prinzen und schritt mit ihm unter Vortritt des Kronprinzen nach seinem Zimmer.
»Du erlaubst, Papa,« sagte der Kronprinz, »daß ich mich bei Seiner Königlichen Hoheit beurlaube, um meine etwas zu ländliche Toilette zu verbessern –«
Der König nickte mit dem Kopf und mit tiefer Verbeugung gegen den Grafen Chambord verließ der Kronprinz das Zimmer.
Der Graf hatte den König zu seinem Sofa geführt und setzte sich in einen Lehnstuhl zu seiner Seite.
»Es liegt viel zwischen heute und der Zeit, da ich die Ehre hatte, Sie in Hannover zu begrüßen, Monseigneur,« sagte der König seufzend.
»Das Schicksal, Sire,« erwiderte der Graf von Chambord mit ernstem Tone, »hat zu allen großen Eigenschaften Eurer Majestät noch die Größe eines würdig und königlich ertragenen Unglücks hinzugefügt.«
»Ich hätte damals kaum geglaubt,« sprach der König weiter, »daß mir so bald Gelegenheit werden würde, das edle Beispiel Eurer Königlichen Hoheit nachzuahmen –«
»Sire,« – erwiderte der Graf, – »der größte Trost im Unglück, – und diesen Trost haben Eure Majestät wie ich, – ist der, keine Schuld an dem Unglück zu haben, – und keine Niedrigkeit begangen zu haben, um es zu vermeiden. – Eure Majestät«, fuhr er seufzend fort, – »sind immer noch glücklicher als ich, – denn Ihr Volk hängt an Ihnen in fester Treue, – während Frankreich den Enkel seiner großen Könige vergessen hat!« –
Der König schwieg.
»Wäre ich König von Frankreich gewesen,« sprach der Graf weiter, »so wäre diese Umwälzung der Rechtszustände in Deutschland nicht vollzogen, so lange der Degen Frankreichs noch im Sonnenlicht geblitzt hätte, – doch«, – fuhr er seufzend fort, – »ich habe nichts als gute Wünsche.«
»Glauben Eure Königliche Hoheit,« fragte der König, – »daß Frankreich, – auch das heutige Frankreich auf die Dauer ruhig zusehen könne, wie in Deutschland das alte Gleichgewicht und Vertragsrecht zerstört wird? – ich bin überzeugt, daß Frankreich früher oder später mit dieser neuen Übermacht Preußens in Europa in Konflikt geraten muß, und daß dann die Gelegenheit auch für mich kommen werde, für mein Recht von neuem die Waffen zu erheben!«
Der Graf von Chambord schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe das heutige Frankreich nicht,« sagte er langsam und ruhig, – »ich habe die Revolution verstanden, es war der Fieberwahnsinn eines kranken Volkes, – ich habe das erste Kaiserreich verstanden, – es war der Rausch des Ruhms und der überströmenden Kraft, – ich habe selbst das Julikönigtum verstanden, – es war die Angst des furchtsamen Kleinbürgers für sein Haus und seinen Geldkasten, – aber dies zweite Kaiserreich verstehe ich nicht, – sein Ruhm ist falsch, – seine Größe hohl, – weder die Aristokratie, noch die Bourgeosie, noch die Demokratie findet darin ihren Platz – es ist der marasmus senilis.«
Der König neigte schweigend den Kopf.
»Und doch, Monseigneur,« sagte er, »kann ich es nicht leugnen, daß Napoleon eine außergewöhnliche sympathische und anziehende Persönlichkeit ist, – er hat viel Geist und dabei wirklich fürstliche Instinkte.«
»Ich habe ihn lange beobachtet,« erwiderte der Graf von Chambord, – »denn ich verfolge die Geschicke Frankreichs mit der sorgfältigsten Aufmerksamkeit, – er ist für mich stets ein Rätsel geblieben. – Eure Majestät haben recht, – er hat die Neigungen eines legitimen Herrschers, – er möchte Ludwig den Vierzehnten fortsetzen, – aber die Quelle seines Ursprungs vergiftet seine Existenz – er bewegt sich fortwährend in unlösbaren Widersprüchen.«
»Und doch hat er eines mit Eurer Königlichen Hoheit gemein,« sagte der König lächelnd, – »das ist der tiefe Widerwillen gegen den Orleanismus –«
»Weil«, fiel der Graf von Chambord mit mehr Lebhaftigkeit als gewöhnlich ein, – »der Orleanismus mit der Demokratie, – welche doch die Quelle des Kaisertums ist, – sich ebensowenig vereinigen läßt, als mit der legitimen Monarchie. – Ich höre«, fuhr er fort, »so sehr viel Gutes von den Prinzen von Orleans, – der Graf von Paris soll ein vortrefflicher junger Mann sein, – aber diese Armen befinden sich in einer unendlich falschen Stellung, – die Verbrechen ihrer Vorfahren, an denen sie persönlich keine Schuld tragen, sind der Fluch des Hauses Bourbon; – mir hat«, sagte er seufzend, – »der Himmel die Erben versagt, – wenn die Prinzen von Orleans, meine natürlichen Nachfolger, das alte legitime Erbrecht des Hauses von Frankreich anerkennen wollten, – wir würden eine starke Macht bilden, – so, leider, ist das Blut Heinrich des Vierten geteilt in unvereinbarer Trennung, und Frankreich scheint für immer den Schwankungen der Regierungen des Zufalls anheimfallen zu sollen.«
Der König senkte den Kopf, wie den Gedanken seines Innern folgend.
»Es wird Eurer Königlichen Hoheit gewiß interessant sein,« sagte er dann, »von einem Versuche zu hören, der vor drei Jahren gemacht wurde, – um das zweite Kaiserreich mit der Legitimität zu versöhnen –«
Der Graf Chambord blickte erstaunt auf.
»In der Tat,« – sagte er, – »ein ganz außergewöhnlicher Gedanke.
»Eure Königliche Hoheit erinnern sich vielleicht,« sprach der König weiter, »daß ich Ihnen, als Sie mir die Ehre Ihres Besuches in Hannover erzeigten, einen gewissen Blache de Montbrun vorstellte, der französischer Lehrer des Kronprinzen war, und sich sehr offen als strenger Legitimist bekannte.«
»Gewiß, Sire,« erwiderte der Prinz, – »es tut mir stets wohl, Franzosen zu begegnen, welche die Traditionen der legitimen ruhmvollen Monarchie festhalten –«
»Nun,« fuhr der König fort, – »dieser Blache, welcher durch den Grafen Walewski früher empfohlen war, brachte mir eines Tages ein Programm, das ihm nach seinen Andeutungen durch Walewski zugegangen sein sollte.«
»Und dies Programm?« fragte der Prinz mit Spannung.
»Enthielt die Grundlage eines Vertrages zwischen Eurer Königlichen Hoheit und Napoleon.«
Der Graf von Chambord zuckte die Achseln.
»Es war zur Zeit,« fuhr der König seinen Erinnerungen folgend fort, – »als König Franz in Gaëta eingeschlossen war und der Admiral Barbier de Tinan mit der französischen Flotte vor der Festung lag. – Das Programm sagte nun folgendes: Eure Königliche Hoheit sollten, da das Haus Orleans durch eine doppelte nicht gesühnte Felonie seine Rechte verwirkt, den Kaiser Napoleon zwar nicht als successeur légitime, – doch aber als continuateur reconnu Ihrer Dynastie anerkennen, und dies allen französischen Legitimisten in einem Manifest anzeigen.«
»Ein sehr feiner Unterschied,« sagte der Graf lächelnd, – »continuateur reconnu –«
»Dagegen«, fuhr der König fort, – »würde der Kaiser Ihnen den Titel Majesté royale und jede von Ihnen zu wählende Residenz in Frankreich zugestehen, – auch alle Domänen Ihres Hauses restituieren. Vor allem aber wolle er sich verpflichten, den bourbonischen Thron in Neapel zu halten – und wenn Eure Königliche Hoheit es verlangen, auch den Herzogstuhl von Parma wiederherstellen.«
»Und das Programm war unterzeichnet?« fragte der Prinz.
»Nein,« sagte der König, – »doch frappierte es mich in hohem Grade, weil es genau und in einzelnen Stellen fast in wörtlichen Ausdrücken mit den Ideen übereinstimmte, welche Napoleon mir persönlich entwickelt hatte, als ich in Baden-Baden mit ihm zusammentraf. – Ich kann nicht leugnen,« fuhr der König nach einem kurzen Schweigen fort, während der Graf Chambord in tiefem Sinnen vor sich niederblickte, – »daß mich die Gedanken des Programms lebhaft ergriffen, – um so mehr, als nach einiger Zeit Blache mir einen Brief des Grafen Damremont zeigte, der früher bei mir von Napoleon akkreditiert war, – worin dieser damals in Disponibilität befindliche Diplomat sich bereit erklärte, auf Grund des Programms zu unterhandeln. Nach näherer Überlegung jedoch gelangte ich zu der Überzeugung, daß ich weder politisch noch persönlich der Vermittler zwischen Eurer Königlichen Hoheit und Napoleon sein könne, – und ließ die Sache fallen. Merkwürdig aber war, daß jedesmal, wenn die Frage an mich herantrat, der Admiral Barbier de Tinan sich vor Gaëta legte und die Annäherung der sardinischen Flotte verhinderte, – und erst nachdem ich mich von der Negoziation ganz zurückgezogen hatte, segelte er ab und überließ den König Franz seinem Schicksal.«
Der Graf von Chambord hatte in tiefem Ernst zugehört.
»Fast muß ich Eurer Majestät danken,« sagte er, als der König geendet, – »daß Sie mir keine Mitteilung von der ganzen Angelegenheit gemacht haben, – ich wäre in einen schweren Zwiespalt und inneren Kampf gekommen. Einem Zweige meines Hauses sein Recht und seinen Thron zu erhalten, wäre eine schwere Versuchung für mich gewesen, – um so mehr, als die Anerkennung Napoleons als continuateur reconnu nicht gegen das legitime Prinzip gewesen wäre und eigentlich«, sagte er mit traurigem Lächeln, »kaum etwas wesentlich Greifbares aufgegeben hätte. – Die Aussichten der Wiederherstellung des Königtums in Frankreich sind ja für die Gegenwart und die berechenbare Zukunft vollständig Null, – und lange zu warten habe ich keine Zeit, – mein Leben neigt sich zum Abend – meine Dynastie schließt mit mir ab, – die Orleans können niemals meine rechtmäßigen Nachfolger sein –«
»Man hat so oft von der Fusion gesprochen«, sagte der König.
»Fusion!« rief der Prinz, – »was will dies Wort sagen? – Es gibt nur eine Fusion,« sprach er mit tiefster Stimme, – »das ist die Anerkennung meines Rechtes durch die Prinzen von Orleans, – legitime Rechte auf den französischen Thron können sie nur als meine Nachfolger haben, – Verträge und Kompromisse mit ihnen schließen kann ich nicht! – Zu jener Unterwerfung hat man sich aber bis jetzt nicht bereit erklärt, – und ich gebe gern zu, daß das schwer ist für die Erben Egalités und Louis Philipps.
»Mit mir also schließt die direkte Linie meines Hauses ab,« sagte er wehmütig, »und ich hätte ohne persönliches Opfer die Bourbons in Neapel retten können, – vielleicht hätte man dies dort für meine Pflicht erklärt, – und doch,« rief er lebhafter, – »doch hätte ich es nicht tun können, – nach meinem Gewissen nicht tun dürfen.«
»Mein königliches Recht«, sprach er weiter, »ist ein heiliges Vermächtnis meiner Vorfahren, – ich habe keinen persönlichen Ehrgeiz, – keine Herrschsucht, – ich werde niemals – niemals etwas tun, was mein Vaterland Frankreich in Unruhe und Verwirrung stürzen kann, – ich würde niemals anders dorthin zurückkehren, als wenn die Nation mich ruft auf den Platz, der mir vor Gott und der Geschichte gebührt, – aber auch ebensowenig werde ich jemals mein Recht aufgeben.«
»Und«, fuhr er fort, immer mehr vom Zuge seiner Gedanken zu lebhafter Mitteilung fortgerissen, während der König Georg vorgebeugt mit dem Ausdruck hohen Interesses seinen Worten lauschte, – »trotz der Macht des Kaiserreichs, – trotz der Unwahrscheinlichkeit, welche die Grenzen der Unmöglichkeit streift, – trotz alledem liegt es in mir wie eine Ahnung, – wie eine inspirierte Zuversicht, daß doch noch einst das Recht meines Hauses siegreich zur Geltung kommen und der Thron des heiligen Ludwig in Frankreich wieder aufgerichtet werden wird. Die Entwicklung der französischen Zustände ist nicht abgeschlossen, – das Kaiserreich ist für mich ein glänzendes Provisorium, welches in sich die heterogensten Prinzipien vereinigt, die auf die Dauer nicht ohne Bruch und Konflikt nebeneinander bestehen können, – es hat keine Wurzeln im Volke trotz des suffrage universell – und beruht auf dem persönlichen Prestige dieses merkwürdigen, geheimnisvollen Mannes, – eine endliche wirkliche Beruhigung wird das französische Volk nur finden können, wenn die alte legitime Monarchie wieder ersteht, und mit ihr die großen Gedanken, welche Ludwig XVI. bei dem Beginn der seinen Händen entschlüpfenden Staatsbewegung zu verwirklichen strebte. – »Oh,« rief er, »wenn ich je berufen würde, den Thron meiner Väter zu besteigen, so werde ich wahrlich vielleicht ein reicheres Maß von Freiheit dem Volke entgegenbringen, als es jemals unter dem demokratischen Cäsarentum erhalten kann. – Nur meine Fahne, das heilige Vermächtnis der großen Vergangenheit, kann ich nicht aufgeben, – die Fahne Franz I. und Heinrich IV. kann keinen Gegenstand der Transaktion bilden, – und in ihre Falten gehüllt, will ich als der Letzte meines Hauses ins Grab steigen!«
König Georg beugte sich zu dem Prinzen hinüber und reichte ihm die Hand.
»Hier,« sagte er mit bewegter Stimme, – »hier im Exil, in der Einsamkeit des Waldes – leben in den Herzen zweier Fürsten die wahren Prinzipien der Monarchie, – während auf den Thronen Europas Fürstenwürde und Fürstenrecht so oft zum Gespött der Gegner wird, – schwach oder gar nicht verteidigt von den Trägern der Kronen! – wohin soll das endlich führen?«
»Vielleicht zu einer heilsamen Krisis und Regeneration,« – antwortete der Graf Chambord, – »vielleicht zum Chaos, – der einzelne kann nicht mehr tun, als streng seine Pflicht erfüllen, wie er sie in seinem Gewissen erkennt.«
Ein augenblickliches Stillschweigen trat ein.
»Haben Eure Majestät«, fragte der Graf von Chambord, »von dem großen Plan einer Bank sprechen hören, welche durch die Vereinigung einer großen Anzahl fürstlicher Vermögen gebildet werden soll? – der Herzog von Modena hat mir davon gesagt, – es ist ein alter Plan Langrands, welcher dadurch der Sache der Legitimität materielle Waffen zu geben gedachte.«
»Man hat sich an meinen Minister mit einem solchen Plan gewendet,« erwiderte der König, – »ich habe aber die Sache sofort zurückgewiesen, – meine Mittel sind nicht groß, – nachdem man mein Vermögen zum großen Teil mit Beschlag belegt, – und ich muß, was ich habe, zusammenhalten und disponibel haben, um für mein Recht handeln zu können, wenn es nötig ist – ich kann mich in keine Bankunternehmungen einlassen.«
»Ich muß gestehen,« sagte der Graf von Chambord, »daß ich einen Augenblick von der Idee, welche Langrand sehr klar und scharfsinnig entwickelt hatte, eingenommen und geneigt war, mich mit dem Herzog von Modena zu verbinden, – allein das Ende, welches die Langrandschen Unternehmungen gefunden, hat mich veranlaßt, mich ganz von der Sache zurückzuziehen. Es ist unsere Sache nicht, unsere Kraft in Börsenunternehmungen zu suchen. – Darf ich Ihrer Majestät der Königin meine Aufwartung machen?« fragte der Prinz, – »ich habe mit Bewunderung gehört, mit welcher Seelengröße und Ergebung sie ihre Leiden getragen hat, – ein Beispiel würdigen Mutes für alle fürstlichen Frauen.«
»Ich werde die Ehre haben, Monseigneur, Sie zur Königin zu führen«, sagte der König.
Und aufstehend bewegte er die Glocke.
»Ist Graf Wedel da?« fragte der König den Kammerdiener.
»Zu Befehl, Majestät.«
»Man soll die Königin von dem Besuch des Herrn Grafen von Chambrod benachrichtigen, – Graf Wedel wird uns hinaufführen.«
Er nahm den Arm des Grafen Chambord und folgte mit dem Prinzen dem voranschreitenden Hofmarschall in den oberen Stock zu den Gemächern der Königin.