Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die Kaiserin Eugenie hatte ihren Morgenspaziergang in Biarritz beendet, sie hatte sich heiter und lächelnd unter der zahlreichen Gesellschaft auf der Strandpromenade bewegt, welche von der vornehmsten und elegantesten Gesellschaft Frankreichs und Spaniens gebildet wurde, sie hatte alle ihre Bekannten angeredet und für jeden ein heiteres Wort, einen freundlichen Scherz gehabt, so daß diese so aufmerksam beobachtende Gesellschaft die Überzeugung gewonnen hatte, der Gang der politischen Angelegenheiten müsse ganz vortrefflich und befriedigend sein, und die Lage der Dinge in Spanien könnte durchaus keine ernsten Besorgnisse einstoßen. Denn man wußte ja, wie große Zuneigung die Kaiserin für die Königin Isabella hegte, welche sie stets halb scherzend, halb ernsthaft »ma souveraine« zu nennen pflegte, und es war ja ganz unmöglich, daß Ihre Majestät so heiter und so ruhig sein konnte, wenn die Lage der Königin wirklich ernste Besorgnisse einzuflößen imstande gewesen wäre; auch war die bereits offiziell angekündigte Zusammenkunft der beiden Höfe nicht dementiert worden und die Kaiserin hatte mehreren spanischen Damen in leichten Anspielungen von der Freude gesprochen, welche sie bei dem Gedanken empfinde, so bald die Königin persönlich begrüßen zu können. Die ganze Badegesellschaft war daher in heiterer, fröhlicher Stimmung, man verabredete Partien und Réunions, und die dort anwesenden Diplomaten sprachen in Briefen und chiffrierten Telegrammen nach allen Richtungen hin ihre Überzeugung aus, daß die so plötzlich eingetretenen Ereignisse in Spanien durchaus keine ernsten, beunruhigenden Folgen haben würden.

Ihre Majestät trat in ihr Wohnzimmer, welches zwar mit der Einfachheit eines Badeaufenthaltes möbliert war, aber dennoch in einer Menge von Necessaires, Mappen und Kassetten jene tausend Kleinigkeiten enthielt, mit welchen eine Dame von der Stellung und dem Geschmack der Kaiserin stets umgeben ist, und dessen weit geöffnete Fenster der frischen Meeresluft freien Eingang gewährten.

Mademoiselle Marion, ihre vertraute Vorleserin, eine junge Dame von etwa zweiundzwanzig Jahren, frisch und elegant, von regelmäßigen Gesichtszügen mit großen, treuherzig und intelligent zugleich blickenden Augen, folgte ihr.

Kaum hatte der Kammerdiener die Tür geschlossen, als die Kaiserin in rascher, ungeduldiger Bewegung den einfachen Hut, welchen sie getragen, und den zierlichen Stock mit geschnitztem Elfenbeinknopf, auf welchen sie sich bei ihren Promenaden zu stützen pflegte, auf einen Divan warf, und sich wie ermüdet durch den langen Spaziergang auf einen in der Nähe des offenen Fensters befindlichen Fauteuil niedersinken ließ.

Die lächelnde Heiterkeit verschwand von ihrem Gesicht und machte einem Ausdruck sorgenvoller Unruhe Platz.

»Noch immer keine günstigen Nachrichten,« sagte sie, tief aufatmend, indem sie langsam ihre Handschuhe auszog und dieselben Fräulein Marion reichte, – »ich bin in fieberhafter Unruhe, dieser unglückselige spanische Aufstand greift zerstörend in alle meine Pläne ein. Vergebens habe ich den Kaiser gebeten, entschieden für die Sache der Königin Isabella einzutreten; schon allein seine bestimmte Erklärung würde genügen, um den Dingen eine günstige Wendung zu geben, denn alle diese Führer des Aufstandes, dieser Prim, dieser Serrano, werden keine Neigung haben, sich mit Frankreich zu brouillieren. Und was wollen sie? – Sie wollen einfach Minister sein, und sie würden vielleicht noch lieber Minister unter der Königin Isabella, als unter unklaren und unsicheren republikanischen Verhältnissen sein. Außerdem ist ihre Macht noch gering, das Volk sehnt sich nach Ruhe, ein großer Teil der Armee würde sich für die Königin schlagen; würde der Kaiser nur eine Division absenden, um sie sicher nach Madrid zu geleiten, so wäre alles gewonnen. Und welche Prinzipien im Innern von Spanien zur Geltung kommen, wird der Königin eben so gleichgültig sein, als es für unsere Pläne ebenfalls gleichgültig sein kann. Aber alles vergebens,« rief sie, unmutig die Hände ineinander schlagend, »der Kaiser hat eine abergläubische Furcht vor jeder Einmischung in die spanischen Angelegenheiten. Er hält mir fortwährend das Beispiel seines Oheims vor. Als ob das nicht ganz etwas anderes wäre,« fuhr sie immer lebhafter sprechend fort, »damals wollte der Kaiser eine fremde, unpopuläre Regierung in Spanien einsetzen und erhalten, während es sich jetzt nur darum handeln würde, die Königin gegen den tollkühnen Handstreich einiger ehrgeiziger Abenteurer zu schützen. O,« rief sie zornig mit dem zierlichen Fuß auf den Boden tretend, »man nennt uns das schwache Geschlecht – aber wahrlich, die Männer haben unrecht, sich allein Kraft und mutige Entschlossenheit zuzutrauen. Wäre ich heute Regentin von Frankreich, ich würde nicht im unentschlossenen Zögern die Ausführung des so lange vorbereiteten, so gut angelegten Planes gefährden lassen. Die Königin Isabella freilich«, fuhr sie nach einer Pause fort, »vermag sich auch nicht zu dem einzigen Entschluß aufzuraffen, welcher ihr Heil bringen kann, sie wagt es nicht, die Entscheidung herauszufordern und, wie wir ihr so dringend angeraten, nach Madrid zurückzukehren, um sich an die Spitze der ihr treu gebliebenen Untertanen zu stellen, sie zögert und zögert: wie man uns meldet, ist der Zug, welcher sie nach Madrid führen soll, schon viermal am Perron von San Sebastian vorgefahren, und jedesmal ist die Königin im letzten Augenblick wieder unschlüssig geworden, – es ist, als ob die Hand des Verhängnisses jedesmal im Spiel wäre, wenn es sich darum handelt, Frankreich wieder auf die Höhe seiner alten Stellung emporzuheben.«

»Könnten denn Eure Majestät«, sagte Fräulein Marion, »nicht noch einmal versuchen, auf die Entschlüsse der Königin einzuwirken, Ihren Rat –«

»Was hilft ein Rat,« rief die Kaiserin heftig, »wenn er nicht befolgt wird, wenn die Kraft und der Entschluß zur Ausführung dessen fehlen, was die Verhältnisse gebieterisch fordern! Und ich bin überzeugt,« fuhr sie fort, »daß auch in diesem spanischen Zwischenfall wiederum jene dämonische Macht die Hand im Spiel hat, welche seit einer Reihe von Jahren überall dem Einfluß der Macht Frankreichs vernichtend entgegentritt – ich bin überzeugt, daß auch diese Bewegung durch Fäden geleitet wird, deren Ende in Berlin liegt.«

Sie versank in tiefes Nachdenken, während ihre Finger in unruhigen, nervösen Bewegungen zitterten.

Nach einem kurzen Schlage an die Tür trat der diensttuende Kammerdiener ein und meldete Herrn Damas-Hinard, den Privatsekretär Ihrer Majestät.

Die Kaiserin neigte leicht den Kopf, und Herr Damas-Hinard trat in den Salon ein. Sein geistvolles, scharf geschnittenes Gesicht mit klaren, aufmerksam beobachtenden Augen zeigte jene gleichmäßige, unveränderliche Ruhe, welche das Leben an den Höfen erzeugt.

Er hielt einen versiegelten Brief in der Hand und näherte sich mit tiefer Verbeugung der Kaiserin, welche, ohne sich aufzurichten, ihm zunickte und ihren Blick fragend auf ihn heftete.

»Soeben, Madame«, sagte Herr Damas-Hinard, »hat ein Herr Lenoir, welcher aus Paris kommt und mich dringend zu sprechen verlangte, mir diesen Brief für Eure Majestät übergeben. Er sagt mir, daß er von der Marchesa Pallanzoni gesendet sei, welche die Ehre habe, Eurer Majestät bekannt zu sein, und welche ihm aufgetragen habe, ihren Brief unverzüglich in Eure Majestät Hände gelangen zu lassen, da derselbe Mitteilungen von größter Wichtigkeit enthalte, welche die Marchesa aus Dankbarkeit für die Gnade und Huld, mit der Sie sie aufgenommen, zu machen sich für verpflichtet halte.«

»Die Marchesa Pallanzoni«, sagte die Kaiserin nachsinnend, »ist eine sehr schöne, sehr elegante und sehr liebenswürdige Dame, – sie wurde mir durch den römischen Grafen Rivero empfohlen,« fuhr sie fort, einen Blick auf Mademoiselle Marion werfend, welche in ehrerbietiger, bescheidener Haltung in einiger Entfernung von ihrer Gebieterin stand, – »ich habe nicht geahnt, daß diese Dame sich mit ernsten Angelegenheiten beschäftigen könnte, und bin sehr neugierig, was sie mir melden kann. Geben Sie.«

Sie streckte die Hand aus und empfing den Brief, welchen der Privatsekretär gebracht hatte; langsam erbrach sie das zierliche Siegel.

»Eure Majestät hatten vorhin die Gnade«, sagte Herr Damas-Hinard, »den Namen Rivero zu nennen, der Graf ist soeben angekommen und hat mich gebeten, ihn Eurer Majestät zu melden und zu fragen, ob Sie ihn empfangen wollten. Er bemerkte dabei, daß er den dringenden Wunsch habe, Eure Majestät so bald als möglich zu sprechen, und daß er glaube, es läge auch im Interesse Eurer Majestät selbst, ihn sogleich anzuhören.«

»Die wichtigen Mitteilungen drängen sich ja förmlich,« sagte die Kaiserin leicht lächelnd, indem sie den Brief der Marchesa aus der Enveloppe hervorzog, – »vom Grafen Rivero kann ich allerdings wohl eher bedeutungsvolle Nachrichten erwarten, als von dieser schönen italienischen Dame.«

Sie faltete den Brief auseinander und begann zu lesen. Immer ernster wurden ihre Züge, immer gespanntere Aufmerksamkeit lag in den Blicken, mit welchen sie Zeile für Zeile den Brief verfolgte. Als sie denselben beendet, wandte sie sich zu ihrem Privatsekretär und sprach: »Sagen Sie dem Grafen Rivero, daß ich bereit sei, ihn zu empfangen.«

Herr Damas-Hinard ging hinaus.

»Das ist sehr merkwürdig,« sagte die Kaiserin zu Mademoiselle Marion gewendet, indem sie noch einmal den Inhalt des Briefes durchflog, den sie soeben erhalten, »diese Marchesa Pallanzoni ist mir durch den Grafen Rivero als eine italienische Legitimistin empfohlen worden, und nun schreibt sie mir, sie halte es für ihre Pflicht, mir mitzuteilen, daß sie dringend Verdacht habe, der Graf Rivero spiele ein falsches Spiel und stehe mit dem spanischen Aufstande in irgendeiner Verbindung. Sie sei dem Grafen«, fuhr die Kaiserin, immer in den Brief blickend, fort, »sehr dankbar dafür, daß er sie in Paris eingeführt habe, und daß er ganz insbesondere sie mir empfohlen habe, indes ihre Ergebenheit für mich mache es ihr zur Pflicht, mich auf jenen Verdacht aufmerksam zu machen, der in ihr aufgestiegen sei, da sie wisse, daß ich dem Grafen früher besonderes Vertrauen geschenkt habe; es würde mir übrigens leicht werden, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Mitteilungen über den Grafen zu konstatieren, wenn ich ihn mit Rücksicht auf den gegebenen Wink beobachten ließe, und die Marchesa hoffe, daß ihre Voraussetzungen sich als falsch erweisen möchten, da es ihr schwer sei, trotz ihrer Wahrnehmung daran zu glauben, daß ein Mann, den sie stets als einen eifrigen Vorkämpfer der heiligen Sache der Kirche gekannt habe, plötzlich zu einem Gegner dieser Sache geworden sei.«

»Es ist ja ein sehr günstiges Zusammentreffen,« sagte Fräulein Marion, »daß Eure Majestät den Brief gerade in dem Augenblick erhalten, in welchem der Graf hier eintrifft. Sie werden, auf diesen Wink gestützt, leicht Gelegenheit haben, sich selbst zu überzeugen.«

»Ich habe so festes Vertrauen zu diesem Grafen Rivero gehabt,« sagte die Kaiserin nachdenklich, – »er war mir so gut empfohlen von allen meinen Verwandten in Italien, selbst vom Kardinal Bonaparte. Sollte er wirklich auch falsch und treulos sein? Freilich«, fuhr sie fort, »schon bei Gelegenheit der Luxemburger Sache, – er hat mir allerdings damals einen großen Dienst geleistet, – aber doch sprach er damals schon Ideen aus, die mich im hohen Grade verwunderten, – nun, wir werden ja sehen.«

Herr Damas-Hinard trat wieder ein, ihm folgte der Graf Rivero im einfachen Morgenpromenadeanzug, der für Biarritz geltenden Etikette gemäß. Der Graf näherte sich mit tiefer Verbeugung der Kaiserin, welche ohne aufzustehen ihn mit einer anmutigen Neigung des Kopfes begrüßte – Herr Damas-Hinard und Fräulein Marion zogen sich zurück.

»Ich freue mich sehr, Herr Graf,« sagte die Kaiserin im heiteren Konversationston, »Sie hier in dem schönen frischen Biarritz wieder zu sehen – Sie sind lange von Paris fort gewesen – gedenken Sie auch hier in den wohltätigen Fluten des Meeres den Staub der großen Hauptstädte abzuspülen, und in der reinen Luft neue Kräfte für die Kämpfe des Lebens zu sammeln, denen Sie sich mit so vielem Eifer hingegeben haben?«

»Ich habe einen längeren Aufenthalt in Italien und in der Schweiz gehabt, Madame,« erwiderte der Graf, indem er auf einem Sessel Platz nahm, welchen die Kaiserin ihm mit einer artigen Handbewegung bezeichnete, »und bin zur Ordnung verschiedener persönlicher Geschäfte nach Paris gekommen, – ich wollte nicht verfehlen, mich in Eurer Majestät gnädige Erinnerung zurückzurufen. Dies ist der einzige Grund, der mich nach Biarritz geführt hat. Ich freue mich. Eure Majestät heiter und glücklich zu sehen,« fuhr er fort, seine Blicke fest auf die Kaiserin richtend, »ich darf also wohl voraussetzen, daß die Nachrichten, welche bei meinem kurzen Aufenthalt in Paris zu mir gedrungen sind, nicht in ihrer ganzen Ausdehnung begründet waren?«

»Welche Nachrichten?« fragte die Kaiserin in naivem Ton, indem sie ihre Augen vor dem festen Blick des Grafen niederschlug.

»Man erzählt in Paris allgemein,« erwiderte der Graf, »daß die in Spanien so plötzlich ausgebrochene Revolution sehr bedenkliche Fortschritte mache und daß die Regierung der Königin Isabella ernstlich gefährdet sei. Ich kann dies jedoch«, fuhr er fort, »nicht glauben, denn bei der großen Teilnahme, welche, wie ich weiß, Eure Majestät für die Königin hegen, würden Sie nicht so ruhig und heiter sein, wenn irgendwelche ernste Besorgnisse vorhanden wären.«

Die Kaiserin bewegte sich in einer gewissen leichten Verlegenheit unruhig hin und her, es schien, daß der fortwährend auf sie gerichtete feste und forschende Blick des Grafen, der in ehrerbietiger Haltung vor ihr saß, sie peinlich berührte.

»Nach den Mitteilungen, welche uns aus San Sebastian zugekommen sind«, erwiderte sie, ohne den Grafen anzusehen, »scheinen jene Nachrichten, welche, wie Sie sagen, in Paris verbreitet waren, allerdings sehr übertrieben zu sein. Die Bewegung in Spanien ist eines jener Pronunciamientos ehrgeiziger Generale, wie sie während der Regierung der Königin schon oft vorgekommen sind, ohne jemals einen ernstlichen Erfolg zu haben. Der größte Teil des Volkes und der Armee steht fest zur Königin, und ich hoffe, daß Ihre Majestät bald nach Madrid zurückkehren werde, um völlig Herrin über diesen Aufstand zu werden, welcher in unerhörter Undankbarkeit gerade von denen erregt ist, die alles, was sie sind, nur der Königin verdanken.«

Sie hatte mit augenscheinlicher Zurückhaltung gesprochen, – es schien, daß sie noch etwas sagen wollte, doch schwieg sie, ergriff einen großen Fächer, welcher auf einem Tisch neben ihr lag, und ließ dessen Glieder leicht hin und her spielen.

»Wenn die Königin Isabella«, sagte der Graf ernst, »Herrin über diesen Aufstand wird, so wird dazu doch große Sorge und Tätigkeit erforderlich sein, und die Regierung Ihrer Majestät wird ihre ganze Kraft und Wachsamkeit auf lange Zeit nach Innen zu richten haben, damit würden denn allerdings auch Projekte und Pläne zusammenbrechen, über welche ich ebenfalls einige Andeutungen in Paris empfangen habe und die ich, wie ich Eurer Majestät offen gestehen muß, für sehr bedenklich und gefährlich halten würde.«

»Was für Pläne?« fragte die Kaiserin mit demselben naiven Ton wie vorher, »wir sind hier so ganz in die Stille des Badelebens versenkt, daß ich in der Tat kaum weiß, was dort im Mittelpunkt der Politik vorgeht.« Ein kaum merkbares Lächeln zuckte einen Augenblick um die Lippen des Grafen, sogleich aber wurde er wieder ernst, und wie mit festem Entschluß einen bestimmten Gegenstand verfolgend, sprach er:

»Die Andeutungen, welche mir gemacht wurden, Madame, ließen mich vermuten, daß es in der Absicht der Regierung Ihrer Majestät der Königin Isabella liegen könnte, ihre Tätigkeit über die Grenzen Spaniens hinaus auszudehnen. Man sprach von einer Ablösung der französischen Besatzung in Rom durch spanische Truppen, – vielleicht nur eine ganz müßige Kombination,« fuhr er fort, »dennoch aber hat mich selbst die Andeutung derselben peinlich überrascht und tief bestürzt. Und wie in der Hand der Vorsehung so oft das Böse dem Guten dienen muß, so könnte diese plötzlich ausgebrochene Bewegung in Spanien, welche die Königin zwingt, ihre Aufmerksamkeit und ihre Kraft nach innen zu wenden, vielleicht ein Glück sein, wenn sie dazu dient, ein so gefährliches Projekt, wenn es wirklich bestanden haben sollte, zu vereiteln.«

Die Augen der Kaiserin flammten einen Augenblick in dunkler Glut auf, schnell aber schlug sie den Blick wieder nieder, mit gleichgültiger Ruhe sprach sie, indem ihre innere Bewegung nur in einem leichten Zittern der Stimme bemerkbar wurde:

»Sie wissen, Herr Graf, daß ich mich nur wenig um die Einzelheiten der Politik kümmere, – Sie wissen aber auch, daß ich im großen und ganzen sehr bestimmte Ansichten über das habe, was ich für die Aufgabe Frankreichs in der Zukunft halte. Ich weiß nicht, ob und was an jenem Projekt, von dem man Ihnen gesprochen, wahr sein mag. Ich würde es aber kaum für ein Unglück ansehen können, wenn der Schutz des heiligen Vaters, den Frankreich in diesem Augenblick ausübt, von einer anderen katholischen Macht, wie Spanien zum Beispiel, übernommen würde. Sie begreifen vollkommen, in wie hohem Grade dieser Schutz Roms, welcher in ruhigen Zeiten nur wenige Kräfte in Anspruch nimmt, die Aktionsfähigkeit Frankreichs nach jeder anderen Richtung hin lähmt, denn im Augenblick einer italienischen Krisis würde sich Italien trotz aller Verträge auf Rom stürzen und uns zwingen, dasselbe preiszugeben oder eine große Armee dorthin zu senden, welche uns nach anderer Richtung hin fehlen würde. Frankreich leidet schon lange,« fuhr sie fort, die blitzenden Augen auf den Grafen richtend, »unter dem Druck einer Situation, welche ihm die Ausübung seines legitimen Einflusses unmöglich macht, und ich glaube, daß man im Interesse Frankreichs ebenso wie im Interesse des heiligen Stuhls, für dessen Sache Sie mit so vielem Eifer gearbeitet haben, eine Kombination mit Freude begrüßen müßte, welche es Frankreich möglich machen würden, mit seiner vollen und ungeteilten Kraft in die europäische Politik einzugreifen –«

»Ich sehe«, sagte der Graf ruhig, »keine andere Richtung, nach welcher hin Frankreich seine ganze Macht aufzubieten gezwungen sein könnte, als wenn es in einen Konflikt mit dem sich neu konstituierenden Deutschland geriete, einen Konflikt, welcher in diesem Augenblick nur durch Frankreich hervorgerufen werden könnte und zu dessen Beschwörung Eure Majestät, wie Sie sich gnädigst erinnern werden, schon früher, als es sich um die Luxemburger Angelegenheit handelte, meine Mitwirkung anzunehmen die Güte hatten.«

»Damals«, rief die Kaiserin, immer mehr aus ihrer anfänglichen Zurückhaltung heraustretend, »handelte es sich um eine elende Abschlagszahlung, mit welcher man die Ansprüche Frankreichs für alle Zukunft ein für allemal abkaufen wollte, –das durfte nicht geschehen, das wäre ein elender, Frankreichs und des napoleonischen Kaisertums unwürdiger Handel gewesen, ein Handel, durch welchen man alle diejenigen Interessen preisgegeben hätte, zu deren Schutz Frankreich berufen ist, insbesondere die Interessen des heiligen Stuhls und der katholischen Kirche. Darum habe ich damals alles aufgeboten, um jenen Handel zu verhindern, und ich bin Ihnen stets aufrichtig dankbar, Herr Graf, daß Sie mir darin beigestanden haben. Etwas ganz anderes aber wäre es,« fuhr sie immer lebhafter fort, »wenn es sich darum handelte, nicht eine Abfindung, eine unwürdige Kompensation zu verlangen, sondern mit der vollen und gesammelten Macht Frankreichs in die Schranken zu treten, um jene verderbliche Entwicklung aufzuhalten, welche Deutschland unter die Herrschaft dieses protestantischen Preußens bringt, und welche in ihren weiteren Stadien der Einheit und Macht der römisch-katholischen Kirche in besonders hohem Grade verderblich werden muß – dann allerdings würde es mir sehr wichtig erscheinen, uns eine Zersplitterung unserer Kräfte zu ersparen, und könnte man für die Dauer eines solchen Entscheidungskampfes den Schutz des heiligen Vaters gegen das herandrängende Italien einer anderen katholischen und zuverlässigen Macht übertragen, so würde dies eine Kombination sein, welche jeder Freund der Kirche und Frankreichs nur mit Freude begrüßen könnte. Da ich nun«, fuhr sie mit einem verbindlichen Lächeln fort, »Sie, Herr Graf, für einen Freund Frankreichs halte, wie ich Sie als einen eifrigen Diener und Verteidiger der Kirche kennen gelernt habe, so bin ich ein wenig befremdet darüber, daß jene Kombination – von deren Möglichkeit wir soeben gesprochen« – fügte sie mit wieder hervortretender Zurückhaltung hinzu, »Ihnen bedenklich und gefährlich erscheinen kann.«

Der Graf schwieg einen Augenblick, dann sprach er in sehr ernstem und nachdrücklichem Ton:

»Da Eure Majestät die Gnade haben, sich der Unterredung zu erinnern, welche zwischen Ihnen und mir bei Gelegenheit der luxemburger Angelegenheit stattfand, so werden Sie sich auch gewiß erinnern, wie ich schon damals meine geringen Dienste zu Ihrer Verfügung stellte, nicht nur, um die Kompensation, von welcher damals die Rede war, auszuschließen, sondern um den ernsten und entscheidenden Konflikt zu vermeiden, welcher nach meiner Überzeugung damals schon hätte entstehen müssen, wenn jene Sache nicht noch zur rechten Zeit durch einen für beide Teile befriedigenden Vergleich beigelegt worden wäre.«

»Aber«, rief die Kaiserin, »glauben Sie denn, daß jener Konflikt vermieden werden kann, glauben Sie denn, daß Frankreich ruhig die Aufrichtung eines deutschen Reichs unter preußischer Herrschaft an seinen Grenzen dulden dürfe – glauben Sie denn, daß das Lebensinteresse der römischen Kirche es gestatte, ein protestantisches Deutschland in die Reihe der ersten Großmächte Europas eintreten zu lassen?«

»Erlauben mir Eure Majestät«, sagte der Graf, indem er das Haupt emporrichtete und mit einer gebietenden Bewegung die Hand gegen die Kaiserin ausstreckte, »erlauben mir Eure Majestät, zunächst die kirchliche Frage beiseite zu lassen und nur die politischen Verhältnisse in Betracht zu ziehen. Ich habe früher bereits Eurer Majestät mit aller Offenheit meine Ansicht über die vor allen Dingen zu berücksichtigende Frage der Macht ausgesprochen; diese Ansicht steht auch heute noch bei mir fest, sie ist durch die unmittelbare Anschauung der Verhältnisse, welche ich auf meinen Reisen gewonnen habe, nur bestärkt worden, – ich bin überzeugt,« fuhr er mit erhöhtem Ton fort, »daß in einem großen Entscheidungskampf Frankreich von Deutschland geschlagen werden würde – daß also gerade das, was ein solcher Kampf verhindern sollte, durch denselben herbeigeführt werden würde, nämlich die Erhebung Deutschlands zur ersten und dominierenden Macht in Europa.«

Die Kaiserin zuckte zusammen, hoch richtete sie ihren Kopf empor, ihre Blicke flammten in zorniger Entrüstung, ein höhnisches Lächeln zuckte um ihre Lippen.

»Frankreich geschlagen!« rief sie – »die französische Armee, welche seit zwei Jahren zu einer nie vorher dagewesenen Stärke herausgeführt worden ist, geschlagen von Preußen! – o, mein Herr Graf, Frankreich ist nicht Österreich! Die so übermütigen Sieger von Königgrätz werden es mit Schrecken empfinden, welcher Unterschied es ist, den Nachkommen der Soldaten von Jena gegenüberzustehen oder der schlecht geführten Armee des Marschall Benedek!«

»Eure Majestät sprechen von Preußen,« erwiderte der Graf vollkommen unberührt durch die heftige Erregung der Kaiserin, – »ich glaube, daß Eure Majestät sich täuschen, – nicht der preußischen Armee würde Frankreich in einem solchen Entscheidungskampfe gegenüberstehen, – obgleich auch dies schon ein sehr gefährlicher und nicht zu unterschätzender Gegner ist –, sondern dem ganzen Deutschland mit seiner so waffenkräftigen und kriegslustigen Jugend, – dem ganzen Deutschland, welches getragen ist von dem Gedanken der nationalen Einigung und Macht, von dem Gedanken der Wiedererweckung der alten kaiserlichen Herrlichkeit, welcher wie eine heilige Legende im Herzen eines jeden Deutschen schlummert, – und dieses Deutschland würde ein furchtbarer, wie ich überzeugt bin, ein unüberwindlicher Gegner sein, um so unüberwindlicher, als es für ein großes im Zuge der Völkergeschichte liegendes Prinzip in die Schranken treten würde, für ein Prinzip, welches auch Frankreich anerkannt hat und für welches französisches Blut in Italien geflossen ist.«

Die Kaiserin unterdrückte mit heftiger Willensanstrengung ihr innere Bewegung, ihr Blick streifte flüchtig den Brief der Marchesa, welchen sie auf den kleinen Tisch neben sich gelegt hatte. Sie zwang ihr Gesicht zu gleichgültig lächelnder Ruhe und fuhr in völlig verändertem Ton fort:

»Wenn Sie eine so geringe Meinung von der Waffenkraft Frankreichs haben, Herr Graf –«

»Ich habe keine geringe Meinung von der Macht Frankreichs,« fiel der Graf ein, »ich habe nur eine noch höhere, eine über alles hohe Meinung von der unbesieglichen Kraft einer Nation, welche, wie Deutschland, in diesem Augenblick von einem großen, das ganze Volk erfüllenden Gedanken bewegt ist, wenn eine fremde Gewalt diesem Gedanken hemmend entgegentritt.«

»Gut,« sagte die Kaiserin, »wenn Sie also glauben, daß es unmöglich ist, der Vollziehung dieser deutschen Einigung entgegenzutreten, was glauben Sie dann, daß geschehen müsse, um Frankreich und die katholische Kirche vor dem verderblichen Einfluß dieser neu emporsteigenden Macht zu schützen?«

»Ich habe darüber nachgedacht,« erwiderte der Graf, »und ich glaube, daß das Resultat, zu dem ich gekommen bin, vollkommen richtig ist.«

»Nun?« fragte die Kaiserin mit einem unwillkürlichen höhnischen Zucken ihrer Lippen.

»Wenn man eine Macht,« erwiderte der Graf, »von welcher man einen gefährlichen Einfluß besorgen zu müssen glaubt, sich gegenüber erstehen sieht, – wenn man sodann zu der Überzeugung kommt, daß es unmöglich ist, die Entwicklung dieser Macht zu verhindern oder sie wieder zu zerstören, so muß man darauf denken, sich mit ihr in freundlicher Weise zu verbinden, um ihr das Interesse oder die Möglichkeit zu nehmen, schaden zu wollen oder zu können.«

»Und wie wollen Sie«, fragte die Kaiserin weiter, »ein solches Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland herstellen? Denn nur eine dieser Mächte kann die erste in Europa sein.«

»Preußen«, erwiderte der Graf, »und Deutschland, welches sich mehr und mehr in immer festerer Gliederung um diesen so kräftigen und fest gefügten Staat gruppiert, repräsentiert das Prinzip der germanischen Nationalität. Frankreich hat nach meiner Überzeugung die Aufgabe, statt einen furchtbaren und, wie ich glaube, für seine eigene Stellung verderblichen Rassenkampf heraufzubeschwören, der gefürchteten Übermacht des germanischen Prinzips dadurch entgegenzutreten, daß es sich selbst an die Spitze der lateinischen Rassen stellt, welche zugleich innig verbunden sind mit dem Interesse der römischen Kirche.«

»Hat Frankreich das noch nötig?« fragte die Kaiserin rasch, »ich glaube, seine Stellung an der Spitze der lateinischen Rassen ist unbestritten.«

»Sie ist unbestritten«, erwiderte der Graf mit unbeugsamer Ruhe und Festigkeit, »so lange Frankreich die Hand auf Rom gelegt hat, so lange es die letzte Vollendung dieses auf revolutionärer und antikirchlicher Basis entstandenen Königreichs Italien verhindert, – und so lange es unbesiegt in Europa dasteht. Wenn aber Frankreich Rom aufgibt, so wird das Königreich Italien sich vollenden, der Mittelpunkt der katholischen Kirche, wie sie jetzt besteht, wird zertrümmert werden, und wenn dann Frankreich geschlagen werden sollte, wenn die Furcht, welche jetzt noch die ganze Welt vor seiner militärischen Macht erfüllt, verschwunden ist, – so werden zunächst die lateinischen Rassen der geschlossenen siegreichen germanischen Macht gegenüber ohnmächtig werden. Germanen und Slaven, welche schon jetzt sich die Hand reichen, werden gemeinsam die Welt beherrschen, und die Kirche wird auseinanderfallen. Jene spanischen Truppen, welche man nach Rom schicken könnte, werden niemals die Macht haben, einen Damm gegen die Nationalerhebung Italiens zu bilden, niemand wird den heiligen Stuhl als den Mittelpunkt der römischen Kirche schützen können als Frankreich allein, und Frankreich nur so lange, als es keinen gefährlichen, vernichtenden Kampf nach anderer Seite provoziert. – Wenn nach solcher furchtbaren Katastrophe«, fuhr er fort, »das lateinische Element sich je wieder erheben sollte, so wird nicht mehr Frankreich an seiner Spitze stehen, sondern Italien, und nicht mehr die einige katholische Kirche wird die geistige Lebenskraft der lateinischen Völker bilden, denn sie wird verschwunden sein, sobald ihr Mittelpunkt in Rom von der nationalen italienischen Bewegung überflutet ist. Glauben mir Eure Majestät,« fuhr er mit innigem und eindringlichem Ton fort, »Frankreichs Aufgabe ist es nach meiner Überzeugung, nicht nur der deutschen Einheitsbewegung nicht feindlich entgegenzutreten, sondern vielmehr sich mit derselben zu verständigen und zu verbinden, die Herstellung des deutschen Reiches unter Preußen zu begünstigen und mit diesem neuen germanischen Reich auf feste und klare Bedingungen hin einen dauernden Frieden zu schließen, zu gleicher Zeit aber unter allen Umständen Rom festzuhalten. Rom, Madame, hat für Frankreich nicht nur eine kirchliche Bedeutung, es ist von hoher politischer Wichtigkeit, denn nur durch Rom wird Frankreich imstande sein, an der Spitze der lateinischen Rassen dem neuen germanischen Reich Achtung gebietend gegenüber zu treten.«

»Aber Rom selbst,« fragte die Kaiserin, welche den Worten des Grafen mit hoher Aufmerksamkeit gefolgt war, aber sich immer mehr wieder in ihre frühere Zurückhaltung zu verschließen schien, – »glauben Sie denn, daß Rom, daß der Papst, daß die katholische Kirche mit einem protestantischen Kaisertum in Deutschland in Frieden leben könne?«

Ein eigentümlicher Ausdruck von innerer Bewegung, fast von Begeisterung, erleuchtete das Gesicht des Grafen, seine dunklen Augen öffneten sich groß und schienen wie prophetisch in Visionen der Zukunft zu blicken.

»Das deutsche Kaisertum, Madame«, sagte er, »ist nicht protestantisch, kann nicht protestantisch sein. In nicht zu ferner Zeit vielleicht«, fuhr er fort, »wird man in der Welt, wird man überhaupt kaum mehr von einem Gegensatz zwischen protestantisch und katholisch sprechen; es wird sich nur noch um die christliche Religion auf der einen Seite – und um den heidnischen Dienst der menschlichen Vernunft auf der anderen Seite handeln, und das germanische Reich wird der Mittelpunkt und der Hort des Christentums sein; dort wird die Religion ihren Schutz finden gegen die herandrängenden Geister der Verneinung. Halb Deutschland ist katholisch, fast ganz Deutschland ist christlich, niemals wird die katholische Kirche in Deutschland Feindschaft finden. Was dem deutschen Volke feindlich werden könnte, – was ihm bereits feindlich gewesen ist, – was es mit Mißtrauen erfüllt, das ist die römische Herrschaft über die Kirche, weil es instinktmaßig fühlt, daß in dieser römischen Herrschaft zugleich die lateinische Nationalität die Führung über die germanische in Händen hält. Soll die Kirche einig bleiben, soll sie ihre Macht behalten, so muß sie mit hoher Klugheit jede Feindseligkeit gegen die Entwicklung des germanischen Reichs vermeiden. Sie muß das alte, in der Geschichte des Mittelalters begründete Mißtrauen verscheuchen, sie muß Deutschland die Hand reichen und nur mit geistlichen Mitteln dort ihren Einfluß zu üben versuchen; dann wird sie gerade in Deutschland eine mächtige und kräftige Stütze finden, und gerade, weil der Träger des deutschen Kaisertums ein protestantischer Fürst sein wird, – wird man ihr dort um so schonender, um so freundlicher entgegenkommen. Wir stehen vor einer großen Entscheidung, fuhr er fort, – »wenn die römische Kirche dieselbe richtig erfaßt, wenn sie sich zurückzieht auf das ihr gehörende Gebiet, wenn sie die Grenzen zwischen sich und dem Staatsleben selbst scharf und genau herstellt und sorgfältig achtet, so wird es ihr gelingen können, nicht nur ihre heutige Herrschaft zu behaupten, sondern sie überallhin auszudehnen, wo überhaupt christlicher Glaube und christliches Leben unter den Völkern vorhanden ist, – so wird es ihr vielleicht gelingen, jene traurige Spaltung wieder verschwinden zu lassen, welche seit drei Jahrhunderten die Christenheit voneinander trennt. Wenn sie aber die hohe Aufgabe, welche die Zeit gestellt, nicht begreift, wenn sie es versucht, ihre Herrschaft durch äußere Mittel erhalten zu wollen, wenn sie sich dem Strom der Zeit entgegenstellt, statt ihn zu führen, zu lenken und zu beherrschen, dann, Madame, wird diejenige Form der Kirche, welche bisher bestand, auseinanderfallen, und Gott wird auf neuen Wegen und in neuen Formen sein Reich auf Erden herstellen. Mit der römischen Kirche aber«, fuhr er in festem Ton fort, »wird auch das Übergewicht der lateinischen Rassen in Europa zusammenbrechen, und die germanische Macht wird auch dem Christentum neue Bahnen öffnen. Darum, Madame«, sprach er nach einem augenblicklichen Schweigen, »fürchte ich die große Katastrophe, von welcher Eure Majestät vorhin zu sprechen die Gnade hatten, denn diese Katastrophe würde in gewaltsamer Erschütterung alles bisher Bestandene zertrümmern – darum würde ich, wenn andere Kombinationen, von welchen ich vorhin gesprochen und welche Eure Majestät«, fügte er mit einer leichten, kaum bemerkbaren Ironie hinzu, »völlig unbekannt waren – wenn diese Kombinationen bestanden haben sollten, die Ereignisse in Spanien fast mit Freude begrüßen, weil sie dieselben unmöglich machen und den Gang der Weltgeschichte innerhalb der Grenzen desjenigen Weges halten würden, auf dem es nach meiner Überzeugung allein möglich ist, die Notwendigkeiten der Zukunft mit den heiligen und ehrwürdigen Traditionen der Vergangenheit zu vereinigen und zu versöhnen.«

Die Kaiserin schwieg einige Augenblicke und ließ den Fächer, welchen sie noch immer in der Hand hielt, vor ihrem Gesicht hin und her gleiten, so daß er den Ausdruck ihrer Züge verbarg.

»Ich freue mich, Herr Graf,« sagte sie dann, »daß Ihr Besuch mir Gelegenheit gegeben hat, über alle diese Dinge mit Ihnen zu sprechen. Sie wissen, wie hohen Wert ich auf Ihre Meinung lege, ich habe auch heute wieder neue und sehr interessante Aufschlüsse in dem gefunden, was Sie mir gesagt«, fügte sie mit einem eigentümlichen Blick über den Rand ihres Fächers hinüber hinzu.

Der Graf stand auf.

»Wenn Eure Majestät«, sagte er, »wirklich in meinen Bemerkungen Richtiges und Wahres gefunden haben, oder wenn Sie sich bei näherem Nachdenken davon überzeugen sollten, daß ich recht habe, so würden Eure Majestät, wie ich glaube, sowohl Frankreich als dem römischen Stuhl und der Kirche einen großen Dienst leisten, wenn Sie die Gnade haben wollten, Ihren Einfluß dahin zu verwenden, daß auch Seine Majestät der Kaiser die Überzeugung von der Notwendigkeit friedlicher und freundlicher Beziehungen mit Deutschland und von der Verderblichkeit eines Konflikts gewinnen möchte. Ich werde mir erlauben, eine Audienz bei Seiner Majestät nachzusuchen. Ich weiß indes nicht, ob es mir vergönnt sein wird, demselben ausführlich über alle Gesichtspunkte meine Meinung zu sagen, welche ich soeben vor Eurer Majestät erörtern zu dürfen die Ehre hatte.«

»Sie kehren nach Paris zurück?« fragte die Kaiserin in leichtem Ton, ohne auf die Bemerkungen des Grafen zu erwidern.

»Zu Befehl, Madame«, erwiderte dieser, indem er sie etwas befremdet ansah.

»Ich werde mich immer freuen, Sie wiederzusehen, Herr Graf«, sagte die Kaiserin mit einer Miene, welche andeutete, daß die Audienz zu Ende sei.

Der Graf verneigte sich mit ruhiger und würdevoller Höflichkeit und zog sich zurück.

»Die Warnung dieser Marchesa Pallanzoni ist begründet,« rief die Kaiserin heftig aufspringend, als sie allein war, – »o, wie kann man sich in den Menschen täuschen, ich habe das Vertrauen mehr und mehr verlernt, seit mein Schicksal mich auf den Thron berufen, aber an diesen Grafen Rivero habe ich geglaubt – und auch er ist abgefallen, auch er ist geblendet von der Macht des Erfolges, auch er wendet sich von der heiligen Sache ab, der er einst so ergeben war.«

Schnell verließ sie ihr Zimmer und eilte hinüber nach der Wohnung des Kaisers, unmittelbar dem Huissier folgend, welcher ihr die Tür öffnete und sie dem Kaiser meldete.

Napoleon stand neben dem geöffneten Fenster und blickte gedankenvoll auf das Meer, er wandte langsam den Kopf um, ein traurig ernster Ausdruck lag auf seinem Gesicht, und er schien so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er es vergaß, seiner Gemahlin entgegenzugehen und sie mit seiner gewohnten Höflichkeit zu begrüßen.

»Haben Sie Nachrichten aus Spanien?« rief die Kaiserin lebhaft.

»Ich habe soeben die entscheidende Nachricht erhalten,« erwiderte der Kaiser mit dumpfer Stimme, »die Königin hat sich entschlossen, San Sebastian zu verlassen und sich auf französisches Gebiet zurückzuziehen. Ich habe ihr unmittelbar geantwortet und ihr das Schloß von Pau zur Verfügung gestellt, – damit ist alles aus,« fügte er hinzu, »jeder Widerstand gegen die Revolution in Spanien ist unmöglich geworden. Der arme Graf von Girgenti!« fügte er hinzu, »er war nach Spanien geeilt, um sich an die Spitze seines Regiments zu stellen, sein Mut und seine Entschlossenheit sind vergebens; wenn die Königin selbst ihre Sache aufgibt, so kann niemand sie retten. In einer Stunde wird sie den Bahnhof von La Régresse passieren, um sich nach Pau zu begeben.«

Die Kaiserin sank wie gebrochen in einen Fauteuil nieder.

»O, mein Gott,« rief sie, »das ist ein furchtbarer Schlag! Alle unsere Pläne sind vereitelt, alle unsere Hoffnungen zerstört! Unsere Feinde haben es verstanden, uns an den empfindlichsten Punkten zu treffen.«

Sie versank einige Augenblicke wie ermattet in tiefes Schweigen, während der Kaiser immer gedankenvoll auf die langsam heranrollenden Wellen des Meeres hinausblickte.

»Aber wenn die Königin herkommt«, rief die Kaiserin, »könnte man nicht noch einmal versuchen, sie zur Umkehr zu bestimmen? Es ist vielleicht noch nicht alles verloren.«

»Es ist alles verloren,« sagte der Kaiser, »nachdem die Königin den französischen Boden betreten hat, wird es ihr nicht mehr möglich sein, die spanische Grenze zu überschreiten. Von nun an gehört Spanien der Revolution.«

»Aber was sollen wir tun?« rief die Kaiserin, die Hände ringend.

»Die unabänderliche Fügung des Schicksals hinnehmen,« erwiderte Napoleon, »vorsichtig abwarten, was sich dort entwickeln wird, uns von jeder Aktion, selbst von jedem Schein der Einwirkung auf die dortigen Verhältnisse sorgfältig zurückhalten.«

»Wir müssen auf den Bahnhof,« rief die Kaiserin, »um die Königin zu empfangen!«

»Ich habe eben darüber nachgedacht,« erwiderte der Kaiser, »ich würde diese Begegnung lieber vermeiden, – indes man muß dem Unglück, auch dem selbstverschuldeten und dem so eigensinnig heraufbeschworenen Unglück gegenüber die Pflicht der Höflichkeit erfüllen. Wir werden die Königin auf dem Bahnhof begrüßen, aber ich bitte Sie,« sagte er mit ernstem, nachdrücklichem Ton, »bei dieser Begegnung jedes Wort der Politik sorgfältig zu vermeiden und Ihre Äußerungen ganz streng auf den Ausdruck der Teilnahme an dem Unglück der Königin zu beschränken. Wollen Sie sich vorbereiten, wir müssen sogleich nach dem Bahnhof fahren, der kaiserliche Prinz soll uns begleiten.«

»O, welch' ein harter Schlag!« rief die Kaiserin. »Schwer wird es sein, die Stellung wieder zu gewinnen, welche wir heute in einem Augenblick verloren. Wie traurig, daß die Herrscher heutzutage nichts anderes mehr verstehen, als beim ersten Wehen des Sturmes ihre Throne aufzugeben!«

Sie erhob sich, um das Zimmer zu verlassen, an der Tür begegnete sie Pietri, welcher schnell und mit ganz bestürzter Miene eintrat. Er hielt ein Telegramm in der Hand, begrüßte mit tiefer Verneigung die Kaiserin und näherte sich zögernden Schrittes dem Kaiser.

»Was bringen Sie?« fragte Napoleon, »Sie machen eine Miene, als wäre es mir heute bestimmt, nur Unglücksnachrichten zu vernehmen.«

»Leider, Sire«, sagte Pietri, während die Kaiserin wieder in das Zimmer zurückgetreten war, »habe ich Eurer Majestät eine sehr traurige und sehr schmerzliche Nachricht mitzuteilen.«

»Sprechen Sie,« sagte Napoleon ruhig, »ich bin es gewohnt, daß ein Unglück nie allem kommt.«

»Sire,« sagte Pietri langsam und mit stockender Stimme, als wollten die Worte nicht über seine Lippen treten, »der Marquis de Moustier zeigt an, daß der Graf Walewsky im Hotel de la Ville de Paris in Straßburg, wo er auf der Rückreise von Deutschland abgestiegen war, unmittelbar nach seiner Ankunft an einem Hirnschlag gestorben sei.«

Der Kaiser erfaßte krampfhaft, als sei er von einem plötzlichen Schwindel befallen, den Griff des Fensterflügels, er ließ langsam den Kopf gegen die Fensterbrüstung sinken und blieb schweigend stehen.

Die Kaiserin näherte sich ihm, legte die Hand auf seine Schulter und sagte mit dem Ausdruck inniger Teilnahme:

»Behalten Sie Ihren Mut und Ihre Festigkeit, mein Freund, jeder ist dem Tode verfallen und früher oder später muß ja jeden sein Schicksal ereilen!«

Der Kaiser antwortete nicht. Nach einigen Augenblicken richtete er sich langsam empor, sein Gesicht war bleich, seine Lippen zuckten in unendlich schmerzvoller Bewegung, und seine großen, feucht schimmernden Augen blickten voll tiefer Wehmut auf seine Gemahlin.

»Ich habe gesagt,« sprach er mit leiser Stimme, »daß ich gefaßt sei, neue Unglücksbotschaften zu hören – aber das Schicksal hat stets die Macht, unsere Erwartungen im Guten und im Bösen zu übertreffen, – auf diese Nachricht war ich nicht gefaßt.«

»Ich begreife Ihren Schmerz«, sagte die Kaiserin, »und ich teile ihn. Aber dieser Schmerz trifft nur den Menschen, nicht den Kaiser, der Graf war ja allen Geschäften fern, und sein Tod macht keine Lücke in dem Gefüge des Kaiserreichs.«

»Kann man den Kaiser von dem Menschen trennen?« sagte Napoleon traurig – »und dann«, fuhr er fort, »dieser Schlag trifft nicht nur den Menschen und das menschliche Gefühl, – er trifft den Kaiser ebenso hart – Mocquart ist tot, Morny ist tot – nun auch Walewsky, er war einer der letzten jener alten Freunde, welche mit mir diesen Thron aufgerichtet haben, – welche mit mir stehen und fallen mußten, welche die Wurzeln ihrer Existenz in keinen anderen Boden schlagen konnten, als in den des Kaiserreichs, und von ihnen allen,« fuhr er fort, indem er mit der Hand einen in seinen Wimpern hängenden Tränentropfen zerdrückte, – »von ihnen allen war er der treueste. Er war eine edle Natur, ein großes und treues Herz, und dann«, sagte er seufzend, »in seinen Adern floß das Blut des großen Kaisers, er konnte keine anderen Interessen haben als diejenigen des Namens Napoleon. Nun, er ist hingegangen, – ein Zweig nach dem andern fällt ab, und ich stehe da, ein trockener, absterbender Stamm. Ist das eine Mahnung, gerade in diesem Augenblick, in welchem der so vorsichtig aufgebaute Plan scheitert, durch den ich alle Niederlagen der letzten Zeit wieder gut machen wollte?«

Er versank in trübes Sinnen und schien die Anwesenheit der Kaiserin und Pietris völlig zu vergessen.

»Der Verlust ist schwer und hart,« sagte die Kaiserin, »und um so härter, als er mit diesem unglücklichen Ereignis in Spanien zusammentrifft. Aber«, fuhr sie mit einem Ton des Vorwurfs in ihrer Stimme fort, »Sie können doch wahrlich nicht sagen, daß Sie allein dastehen, haben Sie nicht mich? – haben Sie nicht Ihren Sohn, der täglich mehr sich entwickelt, um als die sicherste und natürlichste Stütze neben Ihnen zu stehen? – haben Sie nicht Freunde wie Pietri, welche bereit sind, alles für Sie zu opfern?«

Der Kaiser wendete sich zu seinem Geheimsekretär und sagte, indem er seine Gemahlin mit einem sanften, freundlichen, aber tief traurigen Blick ansah:

»Wie ist der Graf gestorben, haben Sie nähere Nachrichten?«

Pietri blickte auf das Telegramm, welches er in der Hand hielt.

»Der Graf«, sagte er, »kam mit seiner Frau und seiner Tochter im Hotel de la Ville de Paris an, er hatte drei Kammerfrauen und zwei Diener bei sich. Die Gräfin war sehr leidend und mußte ihres kränklichen Zustandes wegen in ihr Zimmer getragen werden. Der Graf traf dabei selbst alle erforderlichen Anordnungen, schritt auf der Treppe von Stufe zu Stufe neben seiner Gemahlin her und unterhielt sich mit derselben. Er war vollkommen wohl und niemand bemerkte etwas außergewöhnliches in seiner Erscheinung; im ersten der im Hotel für ihn reservierten Zimmer sprach er noch einige Augenblicke mit seiner Gemahlin, welche dort auf ein Kanapee gelegt wurde, trat dann in das Nebenzimmer und rief plötzlich mit lauter Stimme: ›Ein Glas Wasser! Schnell einen Arzt!‹ Man eilte zu ihm. Er saß in einem Lehnstuhl und war bereits tot; als die Ärzte herbeikamen, öffneten sie ihm die Adern, aber es floß kein Blut mehr.«

Der Kaiser senkte das Haupt auf die Brust.

»Er ist glücklich,« flüsterte er, »er ist in der vollen Lebenskraft dahingeschieden, ihm ist das langsame Absterben erspart worden, und er ist allen irdischen Sorgen entrückt.« –

Der Kammerdiener trat ein und meldete, daß der Wagen des Kaisers bereit stehe, um nach dem Bahnhof zu fahren. Ohne ein Wort weiter zu sprechen, ergriff der Kaiser seinen Hut, reichte der Kaiserin seinen Arm und führte sie auf die große Freitreppe der Villa.

Ihre Majestät ließ sich eine einfache Mantille und einen Strohhut reichen.

Der kaiserliche Prinz, welcher damals zwölf Jahre alt war und in seiner ganzen zarten Erscheinung wie in seinem bleichen Gesicht noch die Spuren der langen Krankheit zeigte, die er durchgemacht hatte, erwartete seine Eltern und bestieg mit ihnen die offene Kalesche.

Ein Ordonnanzoffizier des Kaisers und eine Dame der Kaiserin folgten in einem zweiten Wagen.

Man fuhr schnell nach dem Bahnhof von La Négresse; obgleich nur wenige Stunden vorher die Ankunft der Königin Isabella bekannt geworden war, so befanden sich doch auf dem Perron bereits eine gewisse Anzahl der in Biarritz anwesenden spanischen Badegäste, – doch waren bei weitem nicht alle gekommen, um die flüchtige Königin zu begrüßen, von welcher man nach menschlicher Berechnung kaum annehmen konnte, daß sie jemals wieder in ihr Reich und auf ihren Thron zurückkehren werde.

Der Kaiser war während der ganzen Fahrt traurig und schweigsam geblieben, sein Blick war fortwährend durch einen feuchten Schimmer umhüllt. Auch die Kaiserin blickte finster in die sonnige, freundliche Herbstlandschaft hinaus, und nur der kleine Prinz atmete lächelnd mit tiefen Zügen die reine, frische Meeresluft ein.

Die Majestäten begrüßten schweigend und ernst die auf dem Perron versammelte Gesellschaft, und nachdem sie wenige Minuten, ohne jemanden anzureden, auf und nieder gegangen waren, fuhr der Zug der Königin von San Sebastian heran.

Die Königin, in tiefe Trauer gekleidet, verließ ihren Waggon und warf sich sogleich, in lautes Schluchzen ausbrechend, in die Arme der Kaiserin. Der König Don Francesco folgte ihr mit dem unzerstörbaren, zufriedenen Lächeln auf seinem gleichgültigen Gesicht.

Im Gefolge befanden sich Herr Mon, der bisherige Botschafter der Königin in Paris, sodann der Graf von Ezpeleta, ein alter, ruhig und kalt blickender Hofman, der Kammerherr Albacete und mehrere Damen, sowie der Graf Castelnau, der Kammerherr Dumanoir und der Linienschiffsleutnant Conneau, welchen der Kaiser an die Grenze geschickt hatte, um die Königin zu begrüßen; der Intendant Marfori mit seinem gelblich bleichen Gesicht, den schwarzen blitzenden Augen und dem schwarzen Bart blieb zur Seite stehen.

Die vier Kinder der Königin verließen einige Augenblicke später den Waggon, der zwölfjährige Prinz von Asturien, ein zarter Knabe in einem schwarzen Sammetanzug, eilte auf den kaiserlichen Prinzen zu, der ihn zärtlich umarmte. Die kleinen Infantinnen, von ihrer Gouvernante geführt, näherten sich heiter lachend und plaudernd dem Kaiser und der Kaiserin.

Nach einiger Zeit erhob sich die Königin aus den Armen der Kaiserin und reichte dem Kaiser die Hand, welcher diese an seine Lippen führte.

»Ich bedaure«, sagte Napoleon ernst und traurig, »von ganzem Herzen die Veranlassung, welche mir die Gelegenheit gibt, Eure Majestät hier auf französischem Boden zu begrüßen. Ich beklage es tief, daß Sie sich nicht haben entschließen können, dem Rate zu folgen, den ich mir erlaubte, Ihnen in St. Jean de Luz zu geben und nach Madrid zurückzukehren. Ich fürchte, daß der Sieg der Revolution wenigstens für den Augenblick nicht mehr zu verhindern sein wird, und bitte Eure Majestät, meine Gastfreundschaft auf dem Schlosse zu Pau annehmen zu wollen, das ich vollständig zu Ihrer Verfügung stelle und wo alles zu Ihrer Aufnahme bereit ist.«

Die Königin weinte abermals laut, bevor sie die Kraft zur Antwort finden konnte.

»Ich war bereits zweimal im Begriff, nach Madrid zurückzukehren,« sagte sie dann, »immer hat man mir gesagt, daß meine Freiheit und vielleicht auch mein Leben auf diesem Wege in Gefahr sei, und daß es vor allen Dingen für mich darauf ankäme, nicht persönlich in die Gewalt der Aufrührer zu fallen. Darum habe ich mich entschlossen, zuerst die Sicherheit auf französischem Boden aufzusuchen, um mir die Freiheit meiner Entschließungen zu bewahren.

»Was aber soll nun werden?« fragte sie mit angstvollem Blick auf den Kaiser, indem sie die Hände ineinander faltete.

»In einem Augenblick wie der jetzige«, sagte Napoleon ernst, »ist es meine Pflicht, mit aller Aufrichtigkeit zu Eurer Majestät zu sprechen. Ich glaube nicht, daß es, soweit wie die Dinge nun einmal gekommen sind, für Eure Majestät möglich ist, sich persönlich den Thron zu erhalten oder ihn wieder zu gewinnen. Mein Rat ist, daß Sie sogleich nach Ihrer Ankunft in Pau vertraute und zuverlässige Personen nach Madrid senden, um zu versuchen, mit Prim und Serrano ein Abkommen zu treffen, dem – Ihre Abdikation und die Proklamierung des Prinzen von Asturien unter der Regentschaft derer, welche jetzt die Macht in Händen haben, zugrunde liegen müßte. Doch ist es notwendig,« fuhr er fort, »daß Eure Majestät Ihre Entschlüsse schnell fassen, und daß diese Verhandlungen begonnen und zu Ende geführt werden, bevor man in Madrid definitiv die Republik proklamiert hat. Ich glaube nicht, daß Prim und Serrano dies wünschen, ich glaube, daß sie vielleicht gern bereit sein werden, auf der Basis, welche ich soeben anzudeuten die Ehre hatte, mit Eurer Majestät sich zu verständigen, und so kann es vielleicht gelingen, den spanischen Thron für Ihr Haus zu retten und dies arme Land vor Anarchie und Bürgerkrieg zu bewahren.«

»Ich soll verhandeln?« rief die Königin, indem der Ausdruck flammenden Zorns an der Stelle der bisherigen Niedergeschlagenheit auf ihrem Gesicht erschien, »ich soll verhandeln mit jenen Rebellen, mit jenen Verrätern, mit jenen Undankbaren, die durch meine Wohltaten allein alles geworden sind? – wer bürgt mir dafür, daß, wenn ich auf meine Rechte verzichtet habe, sie meinen Sohn auf den Thron erheben? – wer bürgt mir dafür, daß sie dazu die Macht haben, selbst wenn sie es wollten?«

»Eure Majestät«, sagte der Kaiser mit kalter Höflichkeit, »müssen am besten beurteilen können, was in Ihrer Lage am zweckmäßigsten zu tun ist. Ich kann Ihnen nur meinen Rat erteilen, – ob Sie ihn befolgen wollen oder nicht, muß von den eigenen und wohlüberlegten Entschlüssen Eurer Majestät abhängen.«

»Eure Majestät«, sagte die Kaiserin schnell, indem sie ihrem Gemahl einen bittenden Blick zuwarf, »werden hier in der schmerzlichen Aufregung des Augenblicks keinen Entschluß fassen können. Ich bitte Sie, sobald Sie in Pau einige Ruhe gewonnen haben werden, den Rat des Kaisers zu prüfen und«, fügte sie mit sanfter Stimme hinzu, »ihn womöglich zu befolgen, – so schmerzlich es ist, sehe ich doch in der vorgeschlagenen Kombination die einzige Möglichkeit, die Dinge noch so viel als tunlich zum Guten zu wenden.«

»Ich werde alles überlegen«, sagte die Königin finster, »und gewiß die Interessen meines Hauses über diejenigen meiner Person stellen, doch muß ich die vollkommene Sicherheit gewinnen, daß durch ein persönliches Opfer, das ich zu bringen bereit sein werde, die Zukunft meines Hauses und meines Sohnes gesichert wird.«

Der Kaiser hatte sich seitwärts zu Herrn Mon gewendet.

»Ich freue mich, Herr Botschafter«, sagte er, »Sie in diesem so schweren Augenblick hier an der Seite Ihrer Souveränin zu erblicken.«

»Ich werde bis zum letzten Augenblick meine Pflicht tun, Sire,« erwiderte der Botschafter, – »ich will nach Paris zurückkehren, um die Gräfin von Girgenti zur Königin nach Pau zu geleiten. Dann«, fügte er schmerzlich hinzu, »wird die Mission, welche ich bisher die Ehre hatte bei Ihrer Majestät zu erfüllen, zu Ende sein. Herr Olozaga bereitet sich schon vor, an meine Stelle zu treten, und ich glaube, daß die provisorische Regierung von Madrid ihm sehr bald die Vollmachten senden wird, um Spanien am Hofe Eurer Majestät zu repräsentieren.«

Der Kaiser neigte leicht das Haupt ohne zu antworten.

»Der Zug steht zu Eurer Majestät Verfügung, es sind bereits einige Minuten über die Aufenthaltszeit vergangen«, sagte der Graf Ezpeleta, indem er sich mit dem Hut in der Hand seiner Gebieterin näherte. Der Kaiser reichte der Königin den Arm und führte sie zu dem Waggon. Don Francesco folgte mit der Kaiserin, stumm nahmen die Herrschaften voneinander Abschied. Alle stiegen ein, die Türen der Waggons wurden geschlossen. Noch einmal winkte die Königin aus dem Waggon, die Lokomotive pfiff und schnell brauste der Zug dahin, welcher diesen letzten Zweig des einst so glanzvollen Hauses Bourbon in die Verbannung dahintrug, nachdem der einzige Thron, den dasselbe noch eingenommen, unter ihm zusammengebrochen war.

Einen Augenblick sah der Kaiser dem in der Ferne verschwindenden Zuge nach, dann führte er die Kaiserin zu dem an den Perron heranfahrenden Wagen.

»Die Arbeit eines Jahres ist verloren«, sagte er in düsterem Ton, indem die Pferde anzogen. »Das Schicksal durchkreuzt mit unerbittlicher Verneinung alle meine Pläne, man muß von neuem anfangen – wird ein neuer Fehlschlag das Ende der neuen Arbeit sein?«

Er sank in die Kissen des Wagens zurück. In finsterem Schweigen fuhr man nach Biarritz.


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