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An der Mündung der Nivelle in den Ozean im französischen Departement der Basses Pyrénées liegt die kleine Stadt St. Jean de Luz.
Um den schönen und geräumigen Hafen her dehnen sich hübsche und freundliche Häuser aus, ein Molenbau erstreckt sich in das Meer hinein; an der äußersten Spitze desselben erhebt sich ein Leuchtturm, am Tage weithin erkennbar und nachts noch weiter hinaus sein leitendes Licht über das Meer hinwerfend.
Die Mitternacht lag auf der kleinen Stadt, alles schlief in den ruhigen, stillen Häusern, alles schlief auf den im Hafen liegenden Schiffen, und nur das Meer, das niemals schläft, wie die sorgenden Menschenherzen, rollte seine Wellen langsam gegen die großen Quadersteine der Molen. Vom Leuchtturm her zitterte der helle Lichtstrahl weit hinaus auf die wallenden Nebel, welche auf den Fluten lagen. Das Wetter war still und ruhig, aber schwül hingen die Wolken vom Himmel herab, so dunkel und gewitterschwer, daß man selbst in der tiefen Nacht die schwarzen, am Himmel zusammengeballten Wolkenmassen erkennen konnte, zwischen denen nur selten hier und da auf wenige Augenblicke das Licht eines Steins matt hervorblitzte.
Der Schnellzug, welcher von Bayonne her über San Sebastian nach Pampelona geht und sich von dort in den Richtungen nach Brugos und Saragossa teilt, war an dem kleinen Bahnhof von St. Jean de Luz vorübergebraust.
Die Bahnhofsbeamten hatten sich in ihre bequemen ledernen Lehnstühle zurückgezogen und in leichtem Schlummer die Köpfe auf die Brust niedersinken lassen. Die wenigen Gasflammen erhellten nur trübe den Perron, auf welchem einige müde Unterbedienstete schläfrig auf und nieder gingen.
Da plötzlich erklang die Glocke des Telegraphen. Der Telegraphist, welcher vornüber geneigt vor seinem Tische saß und sich ebenfalls unter dem doppelt schweren Druck der, Mitternacht und der Gewitterschwüle befand, fuhr empor, rieb sich die Augen und verfolgte dann aufmerksam die Bewegungen der arbeitenden Maschine, welche nach wenigen Sekunden ihre Mitteilungen vollendet hatte. Rasch sprang er auf und eilte in das daneben liegende Dienstzimmer des Bahnhofsinspektors.
»Ein Extrazug von Bayonne!« rief er.
Der Bahnhofsinspektor fuhr empor, rieb sich ebenfalls, die Augen, stand langsam, die Arme dehnend, auf und fragte:
»Wann kommt er durch?«
»Durch?« fragte der Telegraphist, »er kommt hierher, er bleibt hier.«
»Er bleibt hier in St. Jean de Luz um Mitternacht? Wer um Gotteswillen kann auf den Gedanken kommen, mit einem Extrazug um diese Stunde nach St. Jean de Luz zu fahren?«
Er wollte langsam auf den Perron hinaustreten. Die Glocke des Telegraphen ertönte von neuem. Rasch eilte der Telegraphist auf seinen Posten.
»Ein Extrazug von San Sebastian,« rief er, ganz aufgeregt in das Zimmer des Bahnhofsinspektors zurückkommend, »auch für St. Jean de Luz, er bleibt ebenfalls hier.«
»So etwas ist mir doch noch nicht vorgekommen,« sagte der Bahnhofsinspektor in starrem Erstaunen, »solange ich den Posten hier habe.«
Mit fortwährendem Kopfschütteln ging er auf den Perron hinaus, die Weichensteller auf ihre Posten zu schicken.
Das ganze, wenig zahlreiche Personal auf dem Bahnhof war durch diese unerwartete Nachricht aus seiner trägen, beschaulichen Ruhe aufgeschreckt und blickte erwartungsvoll den Schienengeleisen entlang in das Dunkel der Nacht hinaus.
Nach wenigen Augenblicken hörte man das entfernte Pfeifen einer Lokomotive, dann immer näher heranbrausend die schnaubenden Töne des Dampfes, das Rasseln der Räder, und endlich näherten sich durch die finstere Nacht die beiden dunkelrot glühenden Lichter der Maschine dem Perron. Eine Lokomotive mit zwei Waggons fuhr heran, die Bahnhofsbediensteten eilten an die Schläge der Coupés, der Inspektor blickte neugierig in die hell erleuchteten Salonwagen.
Ein höherer Beamter der spanischen Bahn in seiner gestickten Uniform sprang aus dem zweiten Wagen und eilte dann diensteifrig an die bereits geöffnete Tür des ersten Coupés.
Aus demselben stieg zunächst ein kleiner, schwächlich gebauter Mann von einigen dreißig Jahren im dunklen Zivilanzug, sein bleiches, schmales Gesicht mit dem kleinen dunklen Schnurrbart hatte den Ausdruck gleichgültiger Heiterkeit, seine Augen blickten ein wenig unstät und scheu umher, ein kleiner grauer Hut bedeckte das kurzgelockte dunkle Haar. Er reichte einer kleinen, ziemlich korpulenten und ganz schwarz gekleideten Dame die Hand, deren Kopf mit einem dichten schwarzen Schleier verhüllt war, welcher das Gesicht frei ließ. Dies Gesicht war von einem edlen Oval, die Stirn rein und hoch gewölbt, die etwas starke Nase von klassischen Linien und die großen dunklen Augen blickten voll Geist und Gefühl unter den schön gezeichneten Augenbrauen hervor. Diese Augen waren vom Weinen gerötet und zitterten in feuchtem Glanz, bald traurig niedergeschlagen, bald zornig und herausfordernd umherblitzend. Zu diesem wahrhaft schönen und anmutigen Oberteil des Gesichts schien der Mund und das Kinn nicht ganz zu passen. Der Mund war groß und breit, starke, dunkelrote Lippen, deren Haut mehrfach aufgesprungen war, öffneten sich über schönen und regelmäßigen, aber großen Zähnen, und das starke Kinn trat fast zu männlich über dem vollen Halse hervor.
Die Dame trat auf den Perron und blickte wie fragend und suchend auf die kleine Gruppe der Beamten, die dort stand.
Ihr folgte ein großer, starker Mann mit kurzem, vollem, schwarzem Bart, dunkelglänzenden Augen und dichtem Haar. Sein bleiches, ausdrucksvolles Gesicht und seine kräftige, muskulöse Gestalt hatten etwas von jener robusten, grellen Schönheit einzelner Athleten und Kunstreiter; aber es fehlte der ganzen Erscheinung die anmutige und vornehme Eleganz.
Einige ebenfalls schwarz gekleidete Damen und Herren folgten.
»Das Geleise muß sogleich frei gemacht werden«, rief der Bahnhofsinspektor dem Führer des Zuges zu. »Ein Extrazug von Biarritz wird sogleich ankommen. Dort ist er schon!«
Er deutete nach der entgegengesetzten Richtung hin, wo man in der dunklen Ferne die zwei grellen Lichter der Lokomotive erblicken konnte.
Schnell fuhr der auf dem Perron stehende Zug zurück, und nach einigen Minuten brauste der zweite Zug, ebenfalls eine Lokomotive mit zwei Waggons, heran.
Die Coupés öffneten sich, der General Fleury sprang heraus, und ihm folgte langsam und etwas schwerfällig sich auf seinen Arm stützend der Kaiser Napoleon in einem schwarzen Überrock, einen Zylinderhut auf dem Kopf. Unmittelbar nachher, von dem Kaiser und vom General Fleury unterstützt, stieg die Kaiserin, in einen leichten Plaid gehüllt, aus. Ein Ordonnanzoffizier in Uniform und einige Lakaien folgten.
Die Kaiserin eilte ihrem Gemahl voran, der schwarz gekleideten Dame entgegen, welche sich dem heranfahrenden Zuge genähert hatte, und umarmte sie mit lebhafter Zärtlichkeit.
Der Kaiser mit dem Hut in der Hand folgte; er küßte dieser Dame, als die Kaiserin sie aus ihren Armen ließ, mit verbindlichster Höflichkeit die Hand und reichte sodann seine Rechte dem kleinen schmächtigen Herrn, welcher lächelnd daneben stand.
»Wie glücklich bin ich, Eure Majestät zu sehen,« rief die Kaiserin Eugenie in spanischer Sprache, »und wie schmerzlich berührt es mich zugleich, daß dies so plötzlich und infolge so unangenehmer und peinlicher Ereignisse geschieht, welche aber hoffentlich keine weiteren Folgen haben werden!«
Ein Strom von Tränen stürzte aus den Augen der Königin Isabella, sie drückte einen Augenblick ihr Taschentuch vor das Gesicht und zerriß es dann in ihren Händen in einer plötzlichen Aufwallung von Zorn.
»Ich fürchte, daß es ernst ist,« erwiderte sie ebenfalls spanisch, »denn diesmal hat die Sache größere Dimensionen angenommen als je vorher, und ich weiß nicht, wie ich mich der Bewegung entgegenstellen soll. Ich danke Ihnen, Sire,« sagte sie dann, sich zum Kaiser wendend, in einem Französisch, das durch die Gutturaltöne des spanischen Idioms ein wenig schwer zu verstehen war, »daß Sie gekommen sind. Ich hoffe, daß Ihr Rat mir beistehen wird, den Ereignissen entgegenzutreten.«
Die Kaiserin hatte mit freundlichem Gruß dem König Don Francisco de Assisi die Hand gereicht, welcher mit einer ganz feinen, fast weiblichen Stimme einige nichtsbedeutende Komplimente sagte.
»Der Intendant meines Hauses, Señor Marfori«, sprach die Königin Isabella, den großen schwarzen Herrn, der einige Schritte hinter ihr stand, den französischen Majestäten vorstellend.
Der Kaiser streifte Herrn Marfori mit einem leichten Blick und machte eine kaum bemerkbare Bewegung mit der Hand. Die Kaiserin neigte leicht das Haupt mit einem Ausdruck von kaltem, fast abwehrendem Stolz, indem sie ihr Auge kaum eine Sekunde lang auf dem Vorgestellten ruhen ließ.
Der General Fleury hatte inzwischen einige Worte mit dem Bahnhofsinspektor gesprochen, welcher mit dem Hut in der Hand ganz bestürzt dastand.
Auf seinen Wink waren die Gasflammen in dem sehr einfachen Wartesalon entzündet, – Napoleon reichte der Königin den Arm und führte sie durch die schnell geöffnete Tür in das Wartezimmer; die Kaiserin folgte mit dem König, der General Fleury schloß hinter den Majestäten die Tür, die Herren und Damen des Gefolges blieben auf dem Perron, während die Bahnbeamten sich in leise flüsternden Gesprächen an das Ende desselben zurückzogen.
In dem einfachen Raum, welchen die bourbonische Königin mit ihrem Gemahl und das Herrscherpaar von Frankreich umfaßte, stand ein großer Tisch, von einigen Stühlen umgeben, – an der Wand hingen in einfachen Stahlstichen die Bilder des Kaisers und der Kaiserin, – des Kaisers, wie er damals war, als er den Thron Frankreichs bestieg. Napoleon warf einen flüchtigen, wehmütigen Blick auf das Bild und führte dann die Königin zu einem der Sessel.
Die vier Majestäten nahmen um den großen Tisch Platz, auf welchem eine einfache Wasserflasche und einige Gläser standen.
»Was haben Eure Majestät für Nachrichten aus Madrid,« fragte der Kaiser, ohne alle Vorbereitungen auf die Frage des Augenblicks eingehend, »und welche Anordnungen haben Sie getroffen, um die Revolution zu bekämpfen?«
»Madrid ist bis jetzt vollkommen ruhig,« erwiderte die Königin Isabella mit einer vor zorniger Bewegung und mühsam unterdrücktem Weinen gedämpften Stimme, »es haben nach den letzten Nachrichten nur einige ganz unbedeutende Volksbewegungen stattgefunden, welche aber ohne Einmischung der Truppen sofort wieder beruhigt sind. In der Provinz sieht es aber schlimmer aus, Regimenter auf Regimenter sind übergegangen, ein großer Teil der Flotte hat auf schmähliche Weise die Pflicht des Gehorsams und der Treue verletzt. Ich habe den Marques de la Habana zum Generalgouverneur von Madrid ernannt, er ist ein energischer Mann und beim Volk und bei den Truppen beliebt. Er wird die Armee, über die er verfügen kann, den Aufständischen entgegenstellen und hat mir die feste Zuversicht ausgesprochen, die Ordnung in Madrid aufrecht zu erhalten.«
»Ich kenne den Marques nicht,« erwiderte der Kaiser, »Eure Majestät müssen seine Eigenschaften besser beurteilen können, als ich – aber er ist ein alter Mann, wird er die Energie und die Kraft haben, rücksichtslos zu handeln? Denn nur die entschlossenste und festeste Tatkraft kann solchen Gegnern wie Serrano und Prim gegenüber etwas ausrichten.«
»Die Undankbaren! Die Elenden!« rief die Königin, indem sie heftig mit dem Fuß auf die Erde trat, »sie haben alles, was sie sind und was sie haben, mir allein zu verdanken. Dieser Serrano, den ich vom einfachen Artillerieleutnant zum Generalkapitän und Herzog de la Torre erhoben habe – dieser Prim, den ich zum Grafen von Reus gemacht, und von dem niemand weiß, woher er kommt – wo ist der Blitzstrahl, der sie zerschmettert, wie sie es verdienen?«
Die Kaiserin beugte sich in lebhafter Bewegung zu der Königin hinüber und drückte ihr die Hand.
»Ihre Strafe wird sie treffen«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Der Kaiser drehte langsam die Spitze seines Schnurrbarts.
»Der Marques de la Habana wird einen schweren Stand haben. Darf ich Eurer Majestät meine Meinung frei und offen sagen, so glaube ich, daß es nur eine Person gibt, welche imstande ist, mit Erfolg der Bewegung entgegenzutreten und den Thron zu retten.«
Die Königin blickte ihn aus ihren tränenden Augen in höchster Spannung an.
»Diese Person«, fuhr der Kaiser ruhig fort, »sind Eure Majestät selber. In einem Augenblick kritischer Gefahr, wie der gegenwärtige, ist es die Pflicht eines Souveräns, und die Klugheit gebietet es, selbst und persönlich vor dem angegriffenen Thron zu stehen. Wenn das Volk von Madrid Eure Majestät in seiner Mitte sieht, so werden alle Ihre Freunde sich vereinigen und den Mut zum festen Handeln finden. Eure Majestät dürfen nach meiner Überzeugung nicht einen Augenblick in der entlegensten und äußersten Ecke Ihres Königreichs bleiben. Eure Majestät dürfen die Möglichkeit nicht zulassen, daß die Revolution sich in den Besitz von Madrid setzt, denn von dem Augenblick an, wo dies geschähe, würde das spanische Volk in der Revolution die Landesregierung erblicken und Eure Majestät würden in die Lage versetzt werden, Ihren Thron wieder erobern zu müssen. Das aber«, fuhr er fort, »würde eine schwierige Lage sein, und Eurer Majestät würden dazu, wenn einmal Madrid verloren ist, alle Mittel fehlen. Ist der Weg nach der Hauptstadt frei?« fragte er.
»Man hat mir heute noch gemeldet,« erwiderte die Königin, »daß nirgends eine Hemmung des Verkehrs eingetreten sei, auch kommen alle Briefe und Telegramme regelmäßig an.«
»Dann kann ich Ihnen nur raten,« fuhr der Kaiser fort, »auf der Stelle nach Madrid zu gehen, dort alle Truppen, über die Sie verfügen können, zu versammeln und sich persönlich an ihre Spitze zu stellen. Oder«, fuhr er nach einem augenblicklichen Nachsinnen fort, »wenigstens den Grafen von Girgenti, Ihren Schwiegersohn, dem General, den Sie der Revolution entgegensenden, zur Seite zu stellen.«
»Diesen Rat«, rief die Königin lebhaft, »hat mir auch der Marques de la Habana erteilt, – er wünscht dringend, daß ich so schnell als möglich nach Madrid zurückkehre.«
»Er hat vollkommen recht,« sprach der Kaiser weiter, »selbst im ungünstigsten Falle, daß die Rebellen militärische Erfolge hätten und bis nach Madrid vordrängen, wird niemand es wagen, wenn Eure Majestät persönlich anwesend sind, Ihre Krone anzutasten. Es wird sich dann einfach um einen Wechsel der Regierung handeln, und wenn Serrano und Prim ihren Ehrgeiz befriedigen können, so werden sie vielleicht sehr ergebene Diener Eurer Majestät sein, – vielleicht wäre es möglich, eine gewisse Fühlung mit ihnen zu nehmen«, fügte er nachdenklich hinzu.
»Mit ihnen!« rief die Königin mit vor Zorn bebender und von Schluchzen unterdrückter Stimme, »mit den Verrätern! Mit den Ungetreuen! Niemals! – sie muß die Strafe der Hochverräter treffen! Jedem anderen könnte ich es verzeihen, sich an die Spitze einer Revolution gegen mich zu stellen, aber ihnen – ihnen niemals! Und wie könnte ich es wagen,« sprach sie nach einigen Augenblicken, »so allein den weiten Weg nach Madrid zu machen, jedem Attentat jedem Handstreich ausgesetzt!«
»Haben Eure Majestät Truppen in San Sebastian?« fragte der Kaiser.
»Nichts als meine Hausgarde«, erwiderte die Königin, »und einige Kriegsschiffe.«
»Wenn Eure Majestät schnell durchfahren, ohne Ihre Reise vorher bekannt machen zu lassen, so glaube ich, daß Sie keine Gefahr laufen«, sagte der Kaiser; »jedenfalls eine geringere Gefahr, als wenn Sie untätig in San Sebastian bleiben und die Bewegung sich selbst überlassen.«
»Könnte man nicht,« fiel die Kaiserin schnell ein, »die Reise Ihrer Majestät durch ein französisches Korps decken? Es wären ja im Augenblick die nötigen Truppen hierher zu schaffen.«
Die Königin Isabella blickte den Kaiser erwartungsvoll und fragend an.
»Wenn es Eurer Majestät gefallen wollte,« sagte sie mit etwas unsicherer Stimme, »mir in solcher Weise Ihren Beistand zuteil werden zu lassen, so würden Sie nicht nur meiner Person materiellen Schutz gewähren, sondern es würde auch der moralische Eindruck, den die französische Macht auf meiner Seite machen würde, das ganze Volk bedenklich machen, sich der Revolution gegen mich anzuschließen.«
»In wenigen Tagen«, fiel die Kaiserin ein, »könnte dann die ganze Sache beendet sein. Ich bin überzeugt,« fuhr sie fort, »daß auch Serrano und Prim nichts gegen Frankreich zu unternehmen wagen würden, und daß sie, sobald sie nur die französischen Fahnen auf der Seite der Königin erblicken, zu jeder Verständigung und zu jedem Kompromiß sofort bereit sein werden. Ich bitte Sie,« fügte sie, sich zum Kaiser wendend, hinzu, »lassen Sie doch sogleich die nötigen Befehle abgehen, aus dem Lager von Lannemezan können ja sehr bald die Truppen hier sein.«
Der Kaiser hatte fortwährend die Spitzen seines Schnurrbarts durch die Finger gleiten lassen, er saß da mit niedergesenktem Kopf und halb geschlossenen Augen, indem er weder die fragenden, noch bittenden Blicke der Königin, noch diejenigen seiner Gemahlin erwiderte.
»Eure Majestät können überzeugt sein,« sprach er endlich, indem er den Kopf leicht nach der Seite der Königin hinwandte, ohne jedoch seine Augen zu ihr zu erheben, – »Eure Majestät können überzeugt sein, daß ich das allerhöchste Interesse daran habe, daß Ihre Sache siegreich bleibe, und daß die monarchische Ruhe und Ordnung in Spanien erhalten werde.«
»Gewiß haben wir daran das höchste Interesse,« rief die Kaiserin mit blitzenden Augen, »denn ich zweifle keinen Augenblick, daß diese treulosen Verschwörer, welche mit so schändlichem Undank die Wohltaten ihrer Königin belohnen, in geheimer Übereinstimmung mit diesem Herzog von Montpensier und allen diesen Orleans handeln, welche die bourbonische Dynastie ebensosehr hassen, als alles, was den Namen Napoleon trägt. Haben die Orleans sich in Spanien einen Thron errichtet, so werden sie mit verstärkten Kräften und vom sichern Hinterhalt aus ihre Agitationen in Frankreich verdoppeln und uns dadurch neue Schwierigkeiten schaffen, und der Vertrag zum Schutz des Papstes,« fuhr sie fort, »welchen Ihre Majestät mit uns zu schließen die Güte haben wollten, wie wäre der ausführbar, wenn diese Revolution auch nur zeitweise Erfolge hatte! – alle unsere Pläne, Gleichgewicht, Ordnung und Ruhe in der Welt wieder herzustellen, wären vereitelt oder auf lange hinausgeschoben, wenn diese Erhebung nicht auf der Stelle niedergedrückt wird. Sie sehen,« fuhr sie dringend fort, indem sie über den Tisch hin mit der Spitze ihrer Finger leicht den Arm des Kaisers berührte, »Sie sehen, wie notwendig es ist, mit der ganzen Autorität und dem ganzen Gewicht Frankreichs in die Ereignisse einzugreifen und Ihrer Majestät zur Unterwerfung ihrer rebellischen Truppen behilflich zu sein.«
Der Kaiser blickte fortwährend unbeweglich vor sich nieder.
»Ich teile auf das Entschiedenste«, sagte er, immer zu der Königin gewendet, »die Gesichtspunkte, welche die Kaiserin soeben ausgesprochen, und es ist nicht nur die tiefe Verehrung für Eurer Majestät erhabene Person, sondern auch das höchste Interesse Frankreichs, welches mich dringend wünschen läßt, daß diese traurige Angelegenheit so bald als möglich ganz und gar dem Recht und dem Interesse Eurer Majestät gemäß beendet werde. Ich muß Ihnen jedoch aufrichtig aussprechen, Madame, daß nach meiner Überzeugung eine augenblickliche militärische Intervention meinerseits Ihnen sehr großen Schaden zufügen würde. Sie kennen die tiefe nationale Empfindlichkeit des spanischen Volkes, Sie wissen, wie groß der Haß noch heute überall dort in Erinnerung an die Intervention des Kaisers Napoleon I. ist, und ich fürchte, daß alle diejenigen, welche mit Hingebung und Eifer für Eure Majestät einzutreten bereit sind, sich von Ihnen abwenden würden, wenn Sie fremde Truppen in das Land hineinführten. Ich fürchte, daß der Einmarsch des ersten französischen Bataillons über die spanische Grenze das Signal zum sofortigen Abfall von Madrid sein würde, und«, fuhr er fort, »ich kann nur wiederholen, daß nach meiner Ansicht für Eure Majestät die erste und dringendste Notwendigkeit die ist, so schnell als möglich in Madrid und am Sitze Ihrer Regierung selbst zu sein, um – den Ihrigen Mut einzuflößen und um dem spanischen Volk zu zeigen, daß seine Königin an seiner Spitze steht. Wenn es den Insurgenten gelänge, sich in den Besitz von Madrid zu setzen und dort eine Regierung zu konstituieren, so würden sie damit ein ungeheures Prestige für sich gewinnen, und auch das Ausland kann endlich Frankreich in eine sehr schwierige und peinliche Lage bringen. Wir haben überall im heutigen Völkerrecht das Nichtinterventionsprinzip festgehalten, wir haben die vollendete Tatsache anerkannt. Hüten sich Eure Majestät,« fuhr er fort, indem er seine Augen groß öffnete und die Königin mit einem tief durchdringenden Blick ansah, »hüten sich Eure Majestät, daß man in Madrid keine vollendete Tatsache schafft, – wenn Eure Majestät in Madrid sind, so bleiben Sie trotz allen Fortschritts, welchen die Revolution in den Provinzen machen könnte, für ganz Europa und für Frankreich die Königin. Dann wird es mir möglich, eine scharfe Überwachung an den Grenzen eintreten zu lassen, – dann wird es mir möglich, meine Flotte an den spanischen Küsten erscheinen zu lassen, und alle diejenigen Schiffe, welche nicht die Flagge Eurer Majestät führen, als außerhalb des Völkerrechts zu betrachten, – wenn aber,« fuhr er mit leiserer Stimme fort, – »Eure Majestät in San Sebastian bleiben, wenn es dann den Führern der Insurgenten gelänge, sich in Madrid zu konstituieren, vielleicht gar irgendeine Verständigung mit den Cortes zu erreichen – dann würden Eure Majestät alle fremden Mächte in eine ganz eigentümliche Lage setzen.«
»Aber mein Gott,« rief die Kaiserin, »die Königin kann doch nicht schutzlos nach Madrid zurückkehren?«
Die Königin Isabella hielt ihre Hand vor die Augen und schluchzte leise.
»Französische Truppen, welche die Königin begleiteten,« erwiderte Naopleon, »würden sie größeren und sichereren Gefahren aussetzen, als Ihre Majestät, wenn sie allein und schnell reist, bedrohen können. Ich rate auf das Dringendste,« sprach er mit fester Stimme, »daß Ihre Majestät ohne Verzug dorthin abreisen, und wenn es sein muß, sich bis zu dem Punkte, wo das möglich ist, Abteilungen spanischer Truppen aus Madrid entgegenschicken lassen.«
»Alles, was Eure Majestät mir sagen,« sprach die Königin Isabella, indem sie den Kopf aufrichtete und den Kaiser mit traurigem Blick ansah, »hat man mir auch von Madrid aus geraten, man beschwört mich, dorthin zurückzukehren, und«, fügte sie hinzu, indem sie sich stolz aufrichtete, ich fürchte die Reise nicht, ich habe den Mut, jeder Gefahr zu trotzen. Aber«, fuhr sie fort, indem ihre Augen unruhig und zornig funkelten, »der Geist der Revolution scheint auch bereits diejenigen ergriffen zu haben, welche sich noch meine Diener nennen und mich ihrer Treue versichern, – denn man macht mir Bedingungen, man verlangt von mir, daß ich mich dem gehässigen Geschwätz des Volkes fügen soll, daß ich diesem böswilligen Geschwätz treue und erprobte Diener zum Opfer bringen soll, und das werde ich niemals tun! Das wäre unwürdig und unköniglich! Das wäre feige!«
Die Kaiserin blickte die Königin erstaunt an, Napoleon fuhr leicht mit der Hand über seinen Schnurrbart und sagte dann:
»Es ist mir angenehm, zu hören, daß im Prinzip der Rat, welcher Eurer Majestät von Madrid aus erteilt wird, mit demjenigen übereinstimmt, den ich mir erlaube Ihnen zu geben. Was persönliche Detailfragen betrifft, so muß man dort im Mittelpunkt der Ereignisse, wo man die Volksstimmungen besser kennt, natürlich auch besser und richtiger darüber zu urteilen imstande sein, als ich es hier tun könnte. Ich kann im allgemeinen Eurer Majestät sagen, daß es Augenblicke gibt, in denen man gezwungen sein kann, die Personen der Sache zu opfern, und daß man vor einem solchen Opfer nicht zurückschrecken darf.«
»Ich sollte,« rief die Königin heftig, indem sie ihre Hände aneinander schlug, »ich sollte dieser öffentlichen Meinung, welche meine Feinde nach ihrem Belieben schaffen, ich sollte dem Geschwätz und den Verleumdungen böswilliger Menschen meine treuen und bewährten Freunde opfern, meinen Intendanten Marfori, welcher mir zu allen Zeiten seine Ergebenheit bewiesen hat, welcher meinen Haushalt führt und welcher mir mit uneigennütziger Ergebenheit dient? Niemals, niemals,« rief sie immer heftiger, »wer eine solche Forderung stellt, ist ebenfalls ein Rebell und ein Aufrührer! Was hat es den Königen geholfen, wenn sie ihre Freunde opferten, sie sind selbst nur um so schneller nachher gefallen!«
»Aber, Majestät,« sagte die Kaiserin, welche mit einer gewissen verlegenen Spannung den Worten der Königin zugehört hatte, »es handelt sich ja nur um eine augenblickliche Rücksicht auf die Stimmung des Volkes.«
»Nein, nein,« rief die Königin, »es ist nicht das Volk, welches so etwas von mir verlangt. Das Volk liebt mich, ich weiß es, – und ich liebe es auch, ich habe niemals dem Volke etwas getan, ich habe alles bewilligt, was seine Vertreter von mir verlangt haben, und meine Minister haben immer die Majorität in den Kammern gehabt; ich habe aus meinen Mitteln jedermann soviel Wohltaten erwiesen, als mir möglich war. Das Volk ist mir nicht feindlich, – es kann mir nicht feindlich sein, – das alles geht nur von den unzufriedenen Parteien und von der mißvergnügten Grandezza aus, welche mich ganz und gar mit ihren Kreaturen umgeben möchten, und welche nicht wollen, daß ich auch noch Selbständige und Freunde um mich habe, die nur auf mich und auf meine Interessen Rücksicht nehmen, ohne sich von irgendwoher erst Instruktionen zu holen, was sie sagen, und was sie tun sollen.«
Abermals brachen ihre Tränen hervor, und sie drückte die Reste ihres fast zerrissenen Taschentuchs an ihre Augen.
Die Kaiserin sah sie mit dem Ausdruck tiefen Mitleids an.
»Eure Majestät«, sagte Napoleon, »befinden sich in einer durch die Ereignisse vollkommen erklärlichen Erregung, und Ihr königliches Gefühl läßt die Forderungen, die man an Sie gestellt hat, ernster auffassen, als es vielleicht nötig ist. Man verlangt ja durchaus nicht von Ihnen, Ihre Freunde zu opfern oder sie gar dem Kerker oder dem Schafott zu übergeben. Man rät Ihnen nur eine augenblickliche Trennung, um die Stimmung des Volkes zu schonen und die – nun einmal irrtümlich geleitete – Masse auf Ihrer Seite zu erhalten. Die Demütigung, welche darin liegen könnte, ist nicht so sehr groß und wiegt ganz gewiß nicht so schwer als die Gefahr, welche dem Thron Eurer Majestät droht, wenn sich die Masse des Volkes von Ihnen abwendet.«
»Durch Nachgeben«, rief die Königin mit flammenden Blicken, »haben sich noch niemals die Könige auf ihren Thronen erhalten! Und es wäre eine unedle und unkönigliche Handlung, wenn ich meine Freunde opfern wollte!«
»Wenn diejenigen, um die es sich handelt,« sagte Napoleon mit einem leichten Anklang von Ungeduld in seiner Stimme, »wirklich Ihre Freunde sind, so müssen sie die ersten sein, welche das Opfer, das man von Eurer Majestät verlangt, selbst anbieten. Sie haben vorhin von dem Intendanten Ihres Hauses gesprochen, und ich zweifle nach den Worten Eurer Majestät nicht, daß derselbe von tiefer und treuer Ergebenheit für Ihre Person beseelt ist. Es wäre dann für ihn ebenfalls nicht das schwerste Opfer, welches ein treuer Diener seiner Fürstin bringen könnte, wenn er für einige Zeit, wenn möglich, eine Reise in das Ausland unternähme. Wenn Eure Majestät die Revolution überwunden haben, wenn Sie wieder Herrin in Ihrem Hause sind, so läßt sich ja das alles wieder gut machen.«
»Ich bitte Eure Majestät,« rief die Kaiserin in eindringendem Ton, »Ihren königlichen Edelmut nicht zu weit zu treiben, denn diejenigen, welche Sie beschützen wollen, und welche Sie zu opfern Bedenken tragen, haben doch vor allem das erste und nächste Interesse daran, daß der Thron Eurer Majestät erhalten werde.«
»Hören Sie den Rat Ihrer Majestäten,« sagte der König Don Francisco mit seiner dünnen Stimme, »wenn doch nun einmal das Volk seine Meinung hat – es ist doch wahrlich besser, einmal –«
»Es wird mir sehr schwer,« rief die Königin, indem sie mit einem unbeschreiblichen Seitenblick ihren Gemahl unterbrach, »mich an einen solchen Gedanken zu gewöhnen. Ich will zehntausendmal lieber«, rief sie, mehrmals heftig mit dem Fuß auf den Boden tretend, »Systeme, Regierungsgrundsätze, Ministerien opfern, als persönliche Freunde –«
»Wenn aber«, fiel der Kaiser ein, »die Personen, um die es sich handelt, sich selbst zu dem Opfer entschließen, sich für einige Zeit von Eurer Majestät zu trennen, und ein solcher Entschluß ist – ich wiederhole es – ihre Pflicht gegen Eure Majestät.«
»Ich will darüber nachdenken«, sagte die Königin, – »ich verspreche Eurer Majestät, daß ich alles tun will, um meine persönlichen Gefühle zu überwinden. Aber es wird mir schwer, sehr schwer werden«, rief sie, von neuem in Tränen ausbrechend, mit vor Zorn zitternder Stimme.
Ein Schlag an der Tür ertönte. Der General Fleury trat rasch ein.
»Ein Telegramm aus Paris,« sagte er, »das Eurer Majestät von Biarritz nachgesandt worden ist.« Er reichte dem Kaiser eine Depesche und ging wieder hinaus.
»Eure Majestät erlauben«, fragte Napoleon, sich gegen die Königin verneigend.
Auf ihren zustimmenden Wink öffnete er die Depesche und durchflog deren Inhalt.
»Eurer Majestät Botschafter ist in Biarritz angekommen, um sich zu Ihnen nach San Sebastian zu begeben.«
»Er ist ein treu ergebener Diener,« rief die Königin. »In der Stunde der Gefahr erkennt man seine Freunde.«
»Der Graf von Girgenti«, fuhr der Kaiser fort, »wird morgen ebenfalls Paris verlassen, um Eurer Majestät seinen Degen zur Verfügung zu stellen – das ist sehr gut, dann haben Eure Majestät einen Ihrem Hause verwandten Prinzen in der Mitte Ihrer Truppen.«
»Auch ich«, rief der König Francisco, »werde mich sogleich in das Hauptquartier der Truppen begeben, um meine Stelle als Generalkapitän einzunehmen.«
»Der Graf von Girgenti«, sprach die Kaiserin, »ist ein vortrefflicher, mutiger, tapferer Prinz, – er wird Eurer Majestät große Dienste leisten können, – und er ist ja vom Blut Ihrer Familie.«
»Ich werde«, sagte der Kaiser, »Herrn Mon, der mich in Biarritz erwartet, noch sprechen. Ich werde bis dahin meine Gedanken vollständig ordnen und sie ihm dann mitteilen. Ich hoffe dringend, daß Eure Majestät sich werden entschließen können, meinem Rat zu folgen und ohne jeden Verzug sich nach Madrid zu begeben, indem Sie die der öffentlichen Meinung – gewiß ohne Grund – mißliebigen Personen zurücklassen. Wenn Eure Majestät in Madrid sind, und sich die Revolution dadurch der konzentrierten Autorität und der Gewalt der Regierung gegenüber befindet, so wird es auch leichter sein, zu einem Kompromiß mit derselben zu gelangen. Ich glaube,« fuhr er fort, »daß es mir vielleicht möglich sein könnte, in diesem Sinne bei Prim zu wirken, der vielleicht am ersten geneigt sein möchte, die Befriedigung seines Ehrgeizes lieber unter dem Schütze Eurer Majestät, als in den unsichern Wechselfällen einer Revolution zu suchen, die, selbst wenn sie siegreich sein könnte, dennoch in ihrer weiteren Entwickelung unberechenbar bleibt.«
Eine dunkle Zornesröte färbte das Gesicht der Königin.
»Kompromisse mit Prim!« rief sie.
»Ich beschwöre Eure Majestät,« fiel die Kaiserin lebhaft ein, »lassen Sie sich nicht von Ihrer gerechten Entrüstung hinreißen. Die Gebote der Klugheit müssen in diesem Augenblick allein maßgebend sein. Behalten Sie die Macht in Ihren Händen, dann wird später auch die Stunde der Vergeltung schlagen. Vor allen Dingen vergessen Sie nicht, daß es sich zugleich darum handelt, einen großen Plan und eine heilige Sache nicht zu gefährden, – es handelt sich darum, die Sache der Kirche und den heiligen Vater gegen die Angriffe zu schützen, von denen er bedroht wird, und den Feinden der Kirche einen gemeinsamen und kräftigen Widerstand entgegenzusetzen. Dazu ist die schleunige Niederwerfung dieser Revolution notwendig, – und dieser große Plan, diese große Sache sind es wohl wert, daß Eure Majestät ihr alle Opfer bringen, so schwer dieselben auch Ihren persönlichen Gefühlen werden mögen. Ich bitte Eure Majestät – ich beschwöre Sie, folgen Sie dem Rat des Kaisers.«
Die Königin stand auf.
»Ich verspreche Eurer Majestät,« sagte sie, »auf das Ernsteste darüber nachzudenken und mir alle Mühe zu geben, um meine persönlichen Gefühle den Geboten der Klugheit anzupassen. Aber wenn,« rief sie, die gefalteten Hände fast krampfhaft ineinanderpressend und die Zähne zusammenbeißend, »wenn ich wieder die Macht in Händen habe, dann sollen sie empfinden, diese Treulosen und Undankbaren, daß das Maß meiner Güte erschöpft ist, und daß die Leiden dieser Augenblicke mich gelehrt haben, ohne Nachsicht zu strafen.«
Der Kaiser hatte sich ebenfalls erhoben und öffnete die Tür nach dem Perron. Auf seinen Wink eilte der General Fleury zu dem Bahnhofsinspektor, und nach wenigen Augenblicken fuhr der Zug der Königin am Perron vor.
Schweigend führte der Kaiser die Königin an den Wagen, schluchzend umarmte sie die Kaiserin, mit seinem unzerstörbaren Lächeln verabschiedete sich Don Francisco von den französischen Majestäten.
Schnell stieg das Gefolge der Königin in den zweiten Wagen. Herr Marfori, welcher sich einen Augenblick dem Coupé der Königin genähert hatte, trat, da der Kaiser und die Kaiserin, ohne ihn zu bemerken, am Schlage standen, zurück und stieg ebenfalls in den zweiten Wagen.
Noch einmal winkte die Königin grüßend mit der Hand, der Kaiser verneigte sich tief.
»Gott und die heilige Jungfrau schützen Eure Majestät und Ihre Sache!« rief die Kaiserin laut in spanischer Sprache und dann brauste der Zug in die Nacht hinein.
Unmittelbar darauf fuhr der kaiserliche Extrazug vor. Napoleon grüßte leicht mit der Hand den Bahnhofsinspektor und die Bahnbediensteten, welche ehrerbietig herangetreten waren, und stieg mit der Kaiserin allein in das erste Coupé, während der General Fleury mit dem Ordonnanzoffizier in dem zweiten Wagen Platz nahm.
Die Lokomotive pfiff, und langsam setzte sich der Zug nach Bayonne hin in Bewegung, während über den dunklen Himmel hin die ersten Blitze des allmählich heraufgestiegenen Gewitters zuckten und ein mächtiger Donnerschlag mit langem rollenden Nachhall durch die Stille der Nacht ertönte.
»Was nützt es,« rief die Kaiserin, sich unmutig in eine Ecke werfend, indem sie sich dicht in ihren Plaid einhüllte, »was nützt es, auf dem Thron von Frankreich zu sitzen, wenn man nicht einmal die Macht hat, seinen Freunden zu helfen? Ich begreife nicht, daß Sie Bedenken tragen, in diesem Augenblick, wo alles durch einen schnellen Entschluß entschieden werden kann, der Königin, die Ihre Alliierte ist, Ihre Truppen zum Schutz zu senden? Das wäre nicht einmal eine direkte Intervention, aber diese Herren Serrano und Prim würden doch etwas zur Besinnung kommen, wenn sie die Adler Frankreichs auf der Seite der Königin erblickten.«
Der Kaiser, welcher schweigend in finsterem Ernst auf die dunklen Wolkenmassen und die zuckenden Blitze hingeblickt hatte, erwiderte mit ruhigem Ton: »Sie lassen sich von Ihrem Gefühl fortreißen, Eugenie, – was Sie verlangen, wäre der böseste Dienst, den wir der Königin leisten könnten. Ganz Spanien würde sich gegen sie wenden, wir würden ihr nicht helfen und uns einen schweren Krieg aufbürden, der uns nach allen andern Seiten hin lähmen müßte. Das würde«, fuhr er fort, indem er einen raschen Blick nach der Kaiserin hinüberwarf, »eine zweite, aber schlimmere und verderblichere mexikanische Expedition sein,« – die Kaiserin schwieg und hüllte sich noch tiefer in ihren Plaid, – »es ist die einzige Möglichkeit,« sagte der Kaiser, halb zu sich selber sprechend, »daß die Königin sofort nach Madrid geht und einen Kompromiß mit Prim zu machen versucht – er wird diesen eitlen Serrano leicht zu beseitigen wissen, und wenn es nicht anders ginge,« fügte er, immer tiefer in seine Gedanken versinkend, fort, »so könnte man vielleicht durch eine Abdankung und durch Prims Regentschaft für den Prinzen von Asturien« – er schwieg.
»Es scheint,« sagte die Kaiserin, – »daß Sie die Sache dieser armen Königin schon aufgegeben haben, – bedenken Sie, daß, wenn die Königin fällt, uns die Möglichkeit genommen wird, Preußen gegenüber zu zeigen, daß Frankreich die erste Macht in Europa ist, – daß wir dann unter diesem Alpdruck weiter leben müssen, der schon solange auf uns lastet.«
Der Kaiser ließ den Kopf auf die Brust sinken.
»Das ist das Verhängnis«, murmelte er mit dumpfer Stimme, schloß wie ermüdet die Augen und sank in die Ecke des Coupés zurück.
Schweigend fuhren die beiden Majestäten durch die dunkle Nacht dahin. Auf der einen Seite des Zuges rauschte das vom Sturme mehr und mehr aufgewühlte Meer, auf der andern Seite stiegen die gewaltigen Bergketten der Pyrenäen empor, und über dem in rasender Eile fortlaufenden Zug zuckten die Blitze und krachten die weithin nach den Bergen hinüberrollenden Donnerschläge.