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Durch die stillen, in Schlaf versunkenen Straßen von Paris zog eine lange Reihe geharnischter Krieger – der eiserne Faden, mit dem Villon das Gewand Frankreichs zusammenflicken wollte. Mit dem Grafen von Lau, Rivière und Nantoillet ritt Villon an der Spitze; im Nachtrab befanden sich die fünf freigelassenen Halunken, die leise miteinander sprachen. Das Gebot gänzlichen Schweigens trat erst in Kraft, wenn sich die Tore von Paris hinter ihnen geschlossen hatten. Ein jeder der Männer trug einen Helm und einen großen Pallasch, und in eines jeden Kopf wirbelten ungewohnte Gedanken durcheinander. Wie immer war es wieder Montigny, der sich Luft machte.
»Es muß eine höllische Geschichte sein,« meinte er, »durch eine schöne Dame so um Sinn und Verstand gebracht zu werden. Zum Henker, schön ist sie, aber, zum Henker, keifen kann sie auch wie nicht bald eine!«
Guy Tabarie erklärte mit seinem fetten Lachen: »Ich bin so oft von schmierigen Vetteln heruntergeputzt worden, daß ich mir ganz gern einmal von solchen Lippen den Schweinehund machen ließe. Es war ja eine wahre Augenweide, besser als Essen und Trinken, sie anzusehen und gewisse Gedanken dabei zu haben.«
Jehan le Loup grinste bittersüß.
»Wäre ich an Villons Stelle und der schwarze Ludwig nicht dabei gewesen, so hätte ich meinem Glück mit einer Tracht Prügel nachgeholfen. Jedenfalls hätte sie gewußt, warum sie stauchte, nachdem sie meine Senge besehen gehabt.«
Casin Cholet leckte sich die Lippen.
»Wenn ich das nächste Mal mit einem Liebchen zusammen bin, werde ich an sie denken. Mit ein bißchen Einbildungskraft kann sich jeder Lump so glücklich fühlen wie ein König, denn bei Nacht sind alle Katzen grau.«
Colin von Cayeulx gähnte: »Wozu in aller Welt reiten wir denn da hinaus? Ich wäre viel lieber in des Königs Rosengarten geblieben und hätte mir den Bauch vollgeschlagen wie vorige Woche, wo der große Herr im goldenen Gewand Mitleid mit uns hatte. Und nun zu denken, daß es schließlich nur unser François war! Ich hätte ihm meinen Dolch zwischen die Rippen stoßen können dafür, daß er mich so an der Nase herumgeführt hat.«
»Ich habe ihn gleich erkannt,« behauptete Guy Tabarie, wurde aber sofort von Montigny unterbrochen mit einer Ohrfeige, die den dicken Kerl beinahe aus dem Sattel hob.
»Du lügst, Schwindler, du lügst! Bildest du dir denn ein, du mit deinen Schweinsaugen habest bemerkt, was mir entgangen ist? Nein, nein, er hat uns alle zu Narren gehabt, aber er hat uns gut behandelt, und wir können ihm schon verzeihen.«
»Es ist doch sonderbar, daß ein bißchen Haar mehr oder weniger an eines Mannes Kinn und eine Kleinigkeit weniger Schmutz auf seiner Backe in Verbindung mit sauberer Wäsche und einem hübschen Wams eine solche Veränderung hervorbringt?«
»Nicht im mindesten,« entgegnete René von Montigny. »Wir sind alle aus demselben Teig gebacken; jedes Manns- und jedes Weibsbild ist hungrig, durstig und lüstern, ganz ohne Unterschied. Nur Kleider machen Leute.«
»Jetzt lügst du,« grollte Tabarie. »Kein Goldbrokat in der Welt würde dich so klug und abgeschlagen machen wie François, falls dich der König in diesen Rock gesteckt hätte.«
René pfiff durch die Zähne.
»Mag sein, mag auch nicht sein,« sagte er, »kein Mensch kann sagen, was er täte oder nicht täte, ehe ihm die Gelegenheit wird, zu zeigen, aus welchem Stoff er gemacht ist. O Gelegenheit, goldene Gelegenheit! Wenn ich François Villon wäre, so würde ich zu deiner Ehre eine goldene Denkmünze prägen lassen.«
»Ich bin nur begierig, was das Mädel sagen wird,« überlegte Tabarie, »wenn François mit dem Burgunder in der Tasche zurückkommt.«
»Ich bin nur begierig, was das Mädel sagen wird,« höhnte Jehan le Loup, »wenn er zurückkommt, die Füße voraus, mit einem Loch im Leib und nur noch den halben Kopf auf den Schultern.«
»Mag's kommen, wie es will – ärgern tut sie's auf jeden Fall,« erklärte Casin Cholet. »Die Weiber sind nun einmal so.«
»Unsre armen Schätzchen werden heute nacht recht einsam sein,« bedauerte Colin.
»Das möchte ich bezweifeln,« sagte René von Montigny trocken; dann aber seufzte er: »Arme Äbtissin!«
Dicke Tränen rannen plötzlich über Tabaries dicke Backen.
»Wenn sie auch war, was sie war – jedenfalls war sie eine wackere Dirne!« schluchzte er. »In guten und bösen Tagen blieb sie sich immer gleich und teilte Tisch und Bett mit einem guten Freund, wenn auch seine Börse so unergiebig war wie Sarahs Leib!«
»Es war jammerschade, daß sie so bis über die Ohren in François verliebt war. Ob er ihr wohl einen Liebestrank eingegeben oder sie sonstwie verhext hat? Was meint ihr? Ich will ja nicht bestreiten, daß François ein feiner Kerl ist, aber bei Gott, er hat höllisch Glück gehabt und – bei unsrem Schutzheiligen Sankt Nikolaus sei's beschworen – es gibt noch andre Kerle, die gerade so fein sind.«
Noch während er sprach, hatte sich das große Stadttor geräuschlos in seinen Angeln gedreht und geöffnet, und in tiefster Stille zog die Hoffnung von Paris hinaus in die Dunkelheit und ward verschlungen von den Schatten der Nacht.