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Noch immer aus vollem Hals lachend, sprang der falsche König auf und warf die schwarze Mütze mit der Schnur voll Heiliger und den fuchsigen, schwarzen Mantel ab und vor Thibaut stand sieghaft und froh François Villon, der nun zum zweiten Male seinen Weg gekreuzt hatte.
»Nun, mein Freund, was hat dir der Magier verkündet?« fragte der König mit sanfter Stimme.
»Wunder über Wunder, Majestät,« erwiderte er. »So herzhaft habe ich noch nie gelacht, seit ich meine jetzige Größe erreicht habe.« Aber während er sprach, hatte sich Thibaut wieder gefaßt. Mochte er besiegt sein – ungerächt wollte er nicht bleiben.
»Das Lachen soll dir vergehen!« brüllte er. Dann schüttelte er die Männer ab, die ihn festhielten, und stürzte mit hochgeschwungenem Dolch auf seinen Gegner los.
Hinter der Statue Pans ertönte ein warnender Ruf und eine schlanke grüne Gestalt sprang blitzschnell hervor, stürzte sich zwischen Thibaut und Villon und schlang ihre Arme um des Dichters Hals, und Thibauts Dolch durchbohrte Huguettes zarten Leib.
Mit einem Fluch drehte sich Thibaut um, stieß die Armbrustschützen zurück und verschwand im Dunkel der Nacht. Mit gezogenem Schwert, von mehreren Soldaten begleitet, setzte ihm Noel le Jolys sofort nach. Villon hielt den blutüberströmten Körper des jungen Mädchens im Arm und versuchte die Blutung zu stillen, so gut er konnte, aber Huguette verwehrte es ihm und schob die helfende Hand zurück.
»Laß mich!« hauchte sie. »Es ist um mich geschehen!«
Auch Olivier war sofort an ihrer Seite. Er betrachtete die Wunde mit dem Interesse eines Sachverständigen und blickte von der Wunde auf das bleiche Antlitz des jungen Weibes. Fragend sah ihn Villon an, doch er zuckte nur die Achsel. Villon wußte, daß die Wunde tödlich war, und sein eigenes Blut schien ihm zu Wasser zu werden. Behutsam trug er die zarte Gestalt über den Rasen nach der Marmorbank, wo er sie niederlegte. Der große rote Fleck auf dem dünnen Wams wurde größer und immer größer.
»Mut, Äbtissin! Mut, mein Mädel, Mut!« flüsterte er ihr zu, indem er sein eigenes Entsetzen, seine eigene Angst niederzukämpfen suchte. Innerlich aber stöhnte er: »Ach Gott, daß um meinetwillen jemand sterben soll!«
Die Arme des Mädchens klammerten sich fester an ihn und ihre Lippen bewegten sich leise. Er beugte sich zu ihr nieder, um ihre Worte verstehen zu können.
»Das ist ein merkwürdiges Ende, François! Ich hatte immer gedacht, ich werde in meinem Bette sterben. Das hier ist doch eine Art Schlachtfeld. Gib mir zu trinken!«
»Bringt Wasser!« rief Villon Olivier zu, der in der Nähe stand und das Paar mit den Blicken eines Wundarztes betrachtete, der weiß, daß er hier mit seinem Latein zu Ende ist.
Huguette widersprach.
»Kein Wasser! Wein! Ich habe immer gern Wein getrunken, und nun ist es zu spät zum Umsatteln.«
Olivier füllte einen Becher aus der auf dem Tisch stehenden Kanne und hielt ihn an ihre Lippen. Aber sie stieß seine Hand zurück und bat: »Laß du mich trinken, François!«
Villon nahm den Becher aus der Hand des Barbiers und hielt ihn dem sterbenden Mädchen an den Mund, und sie trank mit durstigen Zügen. Der starke Wein verlieh ihr trügerische Kraft und sie versuchte, von Villon gestützt, aufzustehen.
»Auf dein Wohl, François. Ich glaube, ich bin eine arge Sünderin gewesen. Glaubst du, daß der liebe Gott mir verzeiht?«
Mit Mühe unterdrückte Villon ein Stöhnen, aber er hatte sich geschworen, sie zu trösten, und er war von der Wahrheit seiner Worte selbst überzeugt, als er erwiderte: »Gott versteht seine Kinder!«
Das von goldenen Locken umrahmte Köpfchen sank schwer auf seine Schulter.
»Ja, ja, du warst immer so hoffnungsfroh,« hauchte sie mit gebrochener Stimme.
Dann umfaßte sie ihn plötzlich fester und rief: »Vielen Männern habe ich meinen Leib überlassen, dir allein aber hat mein Herz gehört! Küsse mich!«
Villon war verwirrt. Er fühlte klar, daß sein Mund warten mußte auf den Kuß des Weibes, das er liebte, aber dieses für ihn sterbende Mädchen liebte ihn, und auch er hatte es geliebt in gewissem Sinn, und nun durfte er sich ihm nicht versagen. Schon beugte er sich auf Huguette herab, um ihrem Wunsche zu willfahren, da riß sie sich plötzlich von ihm los und begann die Worte zu singen, die er für sie gedichtet hatte:
»Ihr Töchter der Freude, die ihr euch schart.«
Dann holte sie aufschluchzend Atem und sprang auf die letzten Zeilen über:
»Die rosigen Lippen braucht, eh' es zu spät
Und eh' euch die Liebe auf immer vergeht!«
Mit wildem Gelächter warf sie den Kopf zurück, dann schrie sie laut auf und brach zusammen. Villon fing sie in seinen Armen auf, sah sie an und wußte, daß sie tot und der beste Teil seines alten, schlechten Lebens mit ihr gestorben war.
Einem Befehl des Königs gehorchend, ließ Olivier des Mädchens Leiche behutsam in einen Soldatenmantel hüllen und auf ein paar gekreuzte Hellebarden legen. Eben war dies geschehen, als Noel le Jolys, den blutigen Degen in der Hand, zurückkam und meldete: »Thibaut von Aussigny ist tot, Majestät. Meine Hand hat ihm den Todesstreich versetzt.«
Als aber seine Augen auf den Körper des toten Mädchens fielen, füllten sie sich mit Tränen. Villon legte seine Hand auf Noels Schulter und sagte: »Ich übergebe Euch dies tote Weib, denn ich weiß, daß Ihr ihm gut gewesen seid. Sorgt, daß Huguette ein ehrliches Begräbnis erhält.«
Schweigend neigte Noel sein Haupt und schritt hinter der Leiche her. Im Garten blieben nur Ludwig und Villon, Tristan und Olivier und die ihrer Pilgergewänder entkleideten Spitzbuben mit ihrer Bewachung zurück. Die Verschworenen betrachteten den König und seinen Doppelgänger mit höchster Bewunderung. Auch Villon blickte schweigend der kleinen Gruppe nach, die Huguettes Leiche forttrug. In seinem Kopf wirbelten tolle Erinnerungen in wirrem Durcheinander, und in alles mischte sich das Bild Huguettes, und was sie getan und gesagt hatte. Er dachte daran, was er gewesen war, und stöhnte laut auf; er dachte daran, was er jetzt war, und wie in inbrünstigem Gebet rief seine Seele den Namen »Katharine«.