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Zwölftes Kapitel.
Einer Jungfrau Tränen.

Des Königs Hand legte sich auf Villons Schulter und störte ihn aus seinem Sinnen auf.

»Kann Euch denn der Tod einer Dirne so niederschmettern?« fragte er spöttisch.

In edlem Zorn herrschte Villon den König an: »Der Odem Gottes hat ihre Brust beseelt, Majestät!«

Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er die trüben Gedanken fortwischen, die ihn bedrückten, und sprach weiter: »Majestät, wohl war ich für einen Augenblick ein Träumer, doch jetzt bin ich wieder der Mann der Tat. Die Stunde der Schlacht steht vor der Tür.«

Ludwig zuckte die Schulter.

»Du hast mir einen großen Dienst erwiesen, Gevatter,« sagte er, »und du kannst dir jede Gnade ausbitten, nur natürlich dein Leben ausgenommen. Das liegt in der Hand deiner Dame.«

Villon blickte nach der Ecke, wo seine alten Kameraden mit kläglichen Mienen inmitten einer Anzahl Soldaten standen.

»Majestät,« sagte er, »schenkt mir das Leben dieser Halunken. Sie sollen heute nacht mit mir reiten und sich für Frankreich schlagen – das ist besser, als sie am Galgen baumeln zu lassen.«

Ludwig flüsterte Tristan einige Worte ins Ohr, und dieser gab höchst widerwillig den Befehl zur Befreiung der Kerls. Die Muschelbrüder wurden ihrer Fesseln entledigt und erhielten den Befehl, unter Bewachung stehen zu bleiben und die Entscheidung über ihr ferneres Schicksal abzuwarten. In diesem Augenblick entdeckte Ludwig unter den mit roten Rosen gefüllten Vasen auf der Terrasse den Schimmer eines rosenroten seidenen Frauenkleides. Dies verriet die Anwesenheit des Fräuleins Katharine von Vaucelles, das kurz vor neun Uhr gekommen war, nach ihrem Verehrer auszuschauen, nun aber, die Anwesenheit des Königs entdeckend, oben an der Treppe stehen blieb. Ludwig winkte ihr huldvoll zu, worauf sie die Stufen herabkam. Der König trat an Villon heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Da kommt deine Dame. Mich dünkt, deine Liebesfrucht ist reif, und du brauchst dich nur auf die Zehen zu stellen, um sie zu pflücken.«

Mit glühenden Blicken entgegnete Villon: »Majestät, ich glaube, ich habe die herrlichste Rose der Welt gewonnen.«

Ludwig kicherte und krächzte wie etwa ein entzückter Rabe: »Ja, ja! Der Graf von Montcorbier hat offenbar mehr Glück als François Villon. Aber die Dame trägt gar hohen Mut, hegt gar stolzen Sinn. Vielleicht findet sie keinen Geschmack an der Täuschung und verzeiht dem Betrüger die Lüge nicht?«

Des Königs Worte übergossen die stolzen Hoffnungen Villons wie mit einem Strom eiskalten Wassers und mordeten sie. Es war ihm, als sei ihm plötzlich eine Binde von den Augen gerissen und als stehe er nun jäh geblendet im vollen Sonnenlicht. Natürlich! Er war ja doch schließlich nicht der Graf von Montcorbier, er war ja doch nicht Großkonnetabel von Frankreich, er war schließlich nur ein verkleideter Bettler, der das Herz der Dame unter falscher Flagge gewonnen hatte. Während dieser sieben herrlichen Tage war dieser Gedanke auch nicht ein einziges Mal in ihm aufgestiegen. Sein ganzes Wesen, seine ganze Seele waren so aufgegangen in der Rolle, die er spielte, hatten sich so sehr in ihr aufgelöst, daß er völlig vergessen hatte, daß er nur eine Rolle spielte – er hatte selbst geglaubt, dieser Traum einer Woche werde von Dauer sein. Nun fand er sich wieder und wußte, was er getan und was er noch zu tun hatte.

Erne göttliche Komödie fand ein plötzliches tragisches Ende. Aufstöhnend wendete er sich dem König zu: »Betrüger – Lüge,« wiederholte er. »Majestät, Eure Worte verjagen mich aus meinem geträumten Paradies. Mein Leben mag verwirkt sein, wenn es mir mißglückt, aber ich werde die Maske abwerfen und die Lüge aus meinem Herzen reißen.«

»Ganz nach Belieben. Gewinnt oder baumelt – mir ist beides gleich lieb.«

Damit wendete er sich ab. Katharine war mittlerweile die Stufen herabgestiegen und schritt nun über den Rasen auf ihren Helden zu, der, wie vom Blitz getroffen, regungslos stehen geblieben war. In ihrer Hand trug Katharine eine rotseidene Schärpe mit goldenen Fransen, die warf sie ihm nun über die Schulter, während sie sagte: »Nehmt diese Schärpe nebst meinen Wünschen und Gebeten mit Euch. Damit schenke ich Euch auch Herz und Hand. Das Gelöbnis meiner Liebe und Treue soll Euch in den Kampf geleiten.«

Endlich fand er wieder Worte und erwiderte: »Haltet ein! Sprecht kein Wort weiter, ehe Ihr mich kennt!«

Mit großen, verwunderten Augen sah sie zu ihm auf: »Kenne ich Euch denn nicht?«

Villon brachte sein Gesicht dicht an das ihre heran: »Seht mich an,« sagte er; »seht mich genau an! Erinnert Euch nichts in meinen Zügen an frühere Stunden?«

Mit himmlischem Lächeln entgegnete sie: »An glückliche Stunden im Rosengarten.«

In fieberhafter Erregung fuhr er fort: »Nein, nein! An eine dunkle Nacht, eine häßliche Spelunke, ein tief verhülltes Weib, an einen gemeinen Kerl, der halb trunken, halb versoffen am Feuer duselte, an eine Bitte und ein Versprechen, an eine Rotte von Raufbolden und feilen Dirnen, an einen Streit, einen Zweikampf im Dunkeln mit Degen und Laternen, an eine von der Galerie herabgeworfene Schleife …«

Entsetzen im starren Blick, wich Katharine zurück. Stöhnend sank Villon vor ihr auf die Kniee nieder.

»Hier ist die Schleife, die Ihr mir im ›Tannenzapfen‹ zugeworfen habt! Erbarmt Euch meiner! Ich bin François Villon!«

René von Montigny stieß einen Schrei aus.

»Ich hätte dich niemals wieder erkannt! Du hast dich merkwürdig verändert!«

Guy Tabarie aber erklärte: »Und doch ist es das liebe alte Gesicht.«

In tödlicher Verzweiflung hatte Katharine diese Szene beobachtet. Nun fragte sie den König: »Majestät, Majestät, ist das wahr?«

Ludwig, der sich mit ungetrübtem Vergnügen die Sache ansah, erwiderte leichthin: »Natürlich, schöne Dame! Und um dieses willen habt Ihr mich verschmäht.«

Mit funkelnden Augen und zitternden Händen näherte sich Katharine wieder der Stelle, wo Villon stand.

»Erbärmlicher Verräter, warum hast du dieses Lügenleben geführt?«

Verzweifelt stammelte Villon: »Ich habe Euch geliebt!«

Nun flammte Katharines Zorn hell auf.

»Entweiht nicht dies süße Wort! Ich hasse Euch! Ist es denkbar, daß das Antlitz, das ich zu lieben lernte, solch erbärmlichem Herzen zur Maske dient?«

Als nun Villon in verzweifelter Angst näher an sie herantrat, schlug sie in unbezähmbarer Wut mit beiden Händen auf ihn ein und traf ihn auf die Brust. Demütig beugte sich Villon unter dem Schlag, während sie ihn anherrschte: »Du hast mir mein Herz gestohlen wie ein Dieb, du hast meinen Stolz ans Kreuz geschlagen. Ich hasse dich! Geh zurück zum Auswurf, zur Hefe des Lebens, verkrieche dich in deinen Spelunken und vergiß, was ich nimmermehr vergessen kann: daß jemals ein so erbärmliches Geschöpf wie du sich in meine Nähe gewagt hat!«

Im selben Augenblick stand der König an ihrer Seite und flüsterte ihr ins Ohr: »Verhält sich so die wahre Liebe?«

Verachtungsvoll drehte sie sich nach ihm um.

»Majestät, Ihr habt eine wahrhaft königliche Rache geübt an einem Weibe. Noch findet mein Auge keine Tränen, aber ich will beten, daß sie kommen und daß ich mich rein weinen kann von der Erinnerung an diese Schmach.«

Mit gefalteten Händen und fest zusammengepreßten Lippen trat sie von Ludwig weg und blieb abseits im Mondschein stehen, starr und steif wie eine Statue der Verzweiflung. Ludwig ging auf den von Jammer und Herzeleid erfüllten Villon zu und sagte leise: »Ich fürchte, du wirst morgen baumeln, Meister Villon.«

Stolz warf Villon den Kopf in den Nacken: »Jetzt werde ich mit Freuden das Schafott besteigen, aber zuvor habe ich noch eine Tat zu vollbringen.«

Noch während er sprach, hob die Turmuhr zum Schlage aus; es war neun Uhr. Bei diesem Ton erhob sich seine tiefverwundete Seele in neuer Kraft. Er ging zu Katharine hin und sagte: »Ich hatte gehofft, meine große Liebe, durch die ich neugeboren bin, werde mich zu Euch erheben – der Traum ist ausgeträumt. Aber Ihr habt mir geboten, für Frankreich zu kämpfen, und heute nacht reite ich in den Kampf.«

Mittlerweile waren die Herren von Lau, von Rivière und von Nantoillet mit ihrem Gefolge in voller Rüstung im Garten erschienen, der sich pünktlich mit dem Glockenschlag mit kampfesfrohen Kriegern zu füllen begann. Villons Page brachte den Panzer des Großkonnetabels und schnallte ihn seinem Herrn um. Während dies geschah, sprach Villon zu seinen Waffenbrüdern: »Kameraden, heute nacht muß sich jeder von uns führen, als ob das Schicksal Frankreichs allein von ihm, seinem Arm und seinem Mut abhinge. Streitet für die Mütter, die euch geboren haben, für die Frauen, die euch tröstend umfangen, für die Kinder, in denen ihr aufs neue ersteht – für das Weib, das euch liebt!«

Einen Augenblick lang versagte seine Stimme. Gewiß befanden sich auch hier Männer, die geliebt wurden. Dann aber bezwang er diese Anwandlung von Schwäche und rief mit kräftiger Stimme: »Vorwärts im Namen Gottes und des Königs!«

Und alle anwesenden Krieger wiederholten den Ruf: »Vorwärts im Namen Gottes und des Königs!«


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