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Fortsetzung 18

Heute hatte das Gesicht Reillacs einen Ausdruck, welcher dem Capitän sofort auffiel. Es lag etwas sehr Unternehmendes darin.

»Was giebts? Was bringen Sie?« fragte Richemonte.

»Etwas für Sie,« antwortete der Gefragte.

»Ah, etwas Gutes?«

»Ja, etwas so Angenehmes, daß ich selbst mich sofort zur Ausführung entschließen würde, wenn ich zum activen Militär gehörte.«

»Was ist es?«

»Sie kennen den General Drouet?«

»Natürlich!«

»Ich meine seine Eigenheiten.«

»Diese weniger.«

»Nun, eine dieser Eigenheiten stimmt auffällig mit unseren persönlichen Ansichten. Er ist nämlich ein enragirter Blücherhasser.«

»Donner! Das lobe ich an ihm!«

»Er hat erfahren, daß Blücher von Berlin abgereist ist und über Köln nach Lüttich gekommen ist, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Wenn da irgend ein Streich auszuführen wäre!«

»Ah! Was meinen Sie?«

»Ha, irgend Etwas,« antwortete der Baron mit schlauem Ausdrucke.

»Donnerwetter! Sollen Sie dies mir sagen?«

»Ja.«

»Auf des Generals Veranlassung?«

»Natürlich.«

»So liegt irgend ein bestimmter Plan vor?«

»Vielleicht. Der General wird geneigt sein, Sie zu empfangen.«

Da blitzten die Augen des Capitäns auf.

»Ich werde zu ihm gehen,« sagte er.

»Thun Sie das! Sie wollen doch jedenfalls gern avanciren?«

»Das versteht sich!«

»Nun, hier bietet sich die beste Gelegenheit. Uebrigens habe ich Ihnen mitzutheilen, daß ich auch nicht in Paris bleiben werde.«

»Schließen Sie sich unserm Armeecorps an?«

»Ja. Der General meint, daß dies für die Ehrlichkeit der Lieferung von sehr großem Vortheil sein werde. Er hat mich in der Hand.«

»So werden Sie diesesmal keine großen Reichthümer sammeln,« lachte Richemonte.

»Möglich. Und noch eine dritte Mittheilung habe ich zu machen, welche Sie persönlich betrifft. Errathen Sie vielleicht?«

»Nein.«

»Ihre Schwester !«

»Ah!« fuhr Richemonte auf. »Ist es Ihnen vielleicht endlich gelungen, eine Spur von ihr zu entdecken?« Und mit höhnischem Tone fügte er hinzu: »Ich würde mich natürlich unendlich freuen, sie endlich einmal wiederzusehen.«

»Noch immer keine Spur. Einen Brief habe ich aus Berlin erhalten. Lieutenant Königsau ist noch nicht verheirathet, auch deutet kein Anzeichen darauf hin, daß er verlobt sei.«

»Sollten sie sich einander verloren haben?«

»Pah!«

»Es ist Alles möglich!«

»Sie sind auf falschen Gedanken. Dieser Königsau ist ein schlechter Kerl. Er weiß, daß er uns zu fürchten hat und hält daher den Aufenthalt seines Bräutchens geheim.«

»Ich gäbe viel darum, ihn zu erfahren!«

»Ich jedenfalls noch mehr, und da habe ich heute Nacht, als ich schlaflos im Bette lag und über Verschiedenes nachgrübelte, eine Idee gehabt.«

»Eine Idee? Ah! Ist, eine Idee zu haben, bei Ihnen eine solche Seltenheit, daß Sie sich veranlaßt sehen, diesen wunderbaren Fall extra zu constatiren?«

»Machen Sie keine faulen Witze! Vielleicht zeigt es sich, daß meine Idee außerordentlich gut ist.«

»So theilen Sie mir dieselbe gefälligst mit!«

»Nun, wir haben uns die größte Mühe gegeben, die Adresse Ihrer Schwester zu erfahren, doch umsonst. Jetzt sagen Sie mir einmal: Erhält Ihre Mutter nicht eine Rente ausgezahlt?«

»Allerdings.«

»Durch wen?«

»Durch Banquier Vaubois.«

»Dieser Mann muß also ihre Adresse haben.«

»Hölle und Teufel! Ja, das ist wahr!« rief der Capitän. »Bin ich denn ein Idiot, daß ich daran noch nie gedacht habe? Ich werde sofort hingehen.«

»Halt, keine Uebereilung! Wenn nun Ihre Mutter dem Banquier verboten hat, die Adresse zu nennen.«

»Das wäre allerdings möglich.«

»Sogar sehr wahrscheinlich. Sie würden sie dann am allerwenigsten erfahren.«

»Sie ebenso.«

»Ja, sie wird ihn aber vor uns Beiden ganz besonders gewarnt haben.«

»So müssen wir einen anderen Weg einschlagen.«

»Ich habe bereits einen.«

»Nun?«

»Hm! Meine Wäscherin hat ein allerliebstes Töchterchen.«

»Ah! Sie selbst finden sie allerliebst?«

»Warum nicht? Aber trösten Sie sich; ich bin dem Kinde unschädlich.«

»Aus Altersrücksichten?« lachte der Capitän.

»Das vielleicht weniger. Aber sie hat bereits einen Geliebten.«

»Das war vorauszusehen. Welches hübsche Mädchen hätte nicht einen Geliebten.«

»Hier kommt noch der Umstand in Betracht, daß dieser Geliebte Commis eines hiesigen Bankhauses ist.«

»Ah, des Hauses Vaubois vielleicht?«

»Leider nein. Aber ich schenke der Kleinen zuweilen Etwas. Sie wird mir gern einen Gefallen thun. Ebenso wird ihr Geliebter ihr gern einen Wunsch erfüllen.«

»Ich ahne ihren Entwurf.«

»Das ist nicht schwer. Der junge Mensch geht also zu Vaubois und zieht die betreffende Erkundigung ein.«

»Und wenn er nach dem betreffenden Grunde gefragt wird?«

»Den kennt er nicht. Sein Prinzipal sendet ihn.«

»Und wenn man zögert?«

»So schildert man die Angelegenheit als eilig.«

»Hm, es gelingt vielleicht. O, daß ich morgen fort muß!«

»Warum bedauern Sie dies?«

»Ich werde nicht Zeit haben, diese so lange ersehnte Neuigkeit zu erfahren.«

»Warum nicht? Der Commis kommt zwölf Uhr nach Hause. Er speist nämlich bei meiner Wäscherin. Jetzt ist es elf Uhr. Wenn ich sofort aufbreche, so ist es noch genug Zeit, die kleine Intrigue einzuleiten. Sie kommen heute Abend wieder hierher; im Falle des Gelingens kann ich Ihnen da die Adresse bereits sagen.«

»Das geht; das geht wahrhaftig! Gehen Sie; eilen Sie, Baron.«

Der Capitän brauchte gar nicht zur Eile aufzufordern, denn der Baron hatte bereits Hut und Stock ergriffen und verließ das Café mit raschen Schritten.

Richemonte blieb noch einige Zeit sitzen, um sich das Gehörte alles zurecht zu legen; dann trank auch er aus und ging zu General Drouet.

Dieser war ein höchst thatkräftiger und kühner Mann, doch versäumte er bei allem Muthe nicht, vorsichtig und klug zu sein. War irgend ein Ziel ebenso gut durch List wie durch Verwegenheit zu erreichen, so zog er die Erstere stets der Letzteren vor.

Er war, da er so nahe vor dem Ausmarsche stand, sehr beschäftigt, ließ aber, als ihm der Capitän gemeldet wurde, denselben sofort eintreten. Dieser Umstand schien diesem ein gutes Zeichen zu sein. Der Blick des Generals ruhte forschend auf dem Officier; dann fragte er:

»Haben Sie in Spanien gekämpft?«

»Ja, General.«

»Unter wem?«

»Unter Suhet.«

»Das war ein tüchtiger General, vielleicht der tüchtigste, der in Spanien befehligt. Man hat es dort mit Guerillas zu thun. Sie haben also jedenfalls auch den kleinen Krieg zur Genüge kennen gelernt?«

»Ich denke es, mein General.«

»Nun, so werden Sie wissen, daß der Sieg sehr oft von sonst ganz nebensächlich erscheinenden Dingen abhängt, von der Kenntniß der Gegend und der Stimmung ihrer Bevölkerung, und so weiter. Auch bei dem sogenannten großen Kriege sind diese Umstände keineswegs aus der Acht zu lassen. Wir werden nach den Niederlanden gehen. Dort befehligen Wellington und Blücher.«

»Ah, lieben Sie Blücher?«

»Ich habe keine Veranlassung dazu.«

»Aber Sie hassen ihn auch nicht?«

»Ich wünsche ihn zu allen Teufeln, und ich habe Veranlassung dazu.«

»Dieser Wunsch wird ihm nicht viel schaden!« lächelte der General.

Aber der Blick, welchen er dabei auf den Capitän warf, war ein lauernder.

»O, ich wollte, ich könnte thätig sein, meinen Wunsch zur Erfüllung zu bringen.«

»Nun, wissen Sie, wo dieser Bramarbas sich gegenwärtig befindet?«

»In Lüttich, wie ich höre.«

»Das ist richtig, Capitän. Ich brenne vor Begierde, Etwas über seine kriegerischen Evolutionen zu hören; aber das ist außerordentlich schwer.«

»Es scheint mir leicht zu sein.«

»Man hat nicht zuverlässige Männer genug.«

»Es giebt deren doch welche!«

»Vielleicht Sie?«

»Ich hoffe es.«

»Gut, Capitän, Sie sind mir empfohlen. Was denken Sie von einer Reise nach Lüttich oder Umgegend?«

»Sie müßte sehr unterhaltend und belehrend sein.«

»Aber auch gefährlich.«

»Ich fürchte Blücher nicht!«

»Aber einer seiner Corpscommandanten hat dort zugleich sein Hauptquartier. Dieser Bülow nämlich. Und der ist gefährlich.«

»So wird man sich in Acht zu nehmen wissen.«

»Ich wünsche besonders zu wissen, welche Macht man dort zusammen zieht und was man für Pläne hat; hauptsächlich jedoch kommt es mir darauf an, alles, was mit der Persönlichkeit Blüchers in Beziehung steht, zu erfahren.«

»Ich werde eifrig darnach forschen.«

»Sie kennen ihn persönlich?«

»Ja.«

»Und er Sie auch?«

»Ebenso.«

»So kann ein Zusammentreffen sehr gefährlich werden.«

»Für mich jedenfalls nicht.«

»Sie meinen für ihn?«

»Eher!«

»Nun, man wird ja hören, was Sie erleben. Um meine Anerkennung brauchen Sie sich nicht zu sorgen, wenn auch es mir unmöglich ist, meine Wünsche, oder vielmehr meinen Hauptwunsch in deutlicher Weise auszusprechen.«

»Ich errathe ihn, mein General.«

»Vielleicht rathen Sie gut. Thun Sie, was Sie denken! Aber Ihre Reise erfordert Auslagen. Darf ich fragen, ob Sie bemittelt sind?«

»Ich lebe von dem Solde, den ich erst empfangen soll.«

»Ah, das ist peinlich. Hier nehmen Sie diese kleine Remuneration. Wenn man Gutes von Ihnen hört, wird man weiter dankbar sein. Adieu, Capitän!«

Der General hatte ihm eine Geldrolle in die Hand gedrückt. Als Richemonte sie zu Hause öffnete, sah er, daß sich fünfhundert Franks darin befanden.

»Fünfhundert Franks für den Kopf Blüchers! Der Kerl ist aber bei Gott auch nicht mehr werth,« murmelte er. »Wollen sehen, was man noch zulegen wird.«

Als er am Nachmittage in seine Caserne kam, erfuhr er vom Obersten, daß dieser vom Generale beauftragt sei, ihm einen unbestimmten Urlaub zu geben und einen dreimonatlichen Gehalt auszuzahlen. Er erhielt die Summe sofort zu Händen gestellt und ein versiegeltes Couvert; dann war er entlassen.

Aus dem Couverte zog er, als er es öffnete, mehrere Pässe, welche auf verschiedenen Stand und Namen lauteten. Jedes Signalement stimmte genau mit seinem Aeußeren. Er kannte nun seine Pflicht, ohne daß man ihm diese genau bezeichnet hatte; aber er war zu stolz, sich zu sagen, als was er ausgesandt wurde als Spion.

Am Abende besuchte er das Kaffeehaus und fand den Baron bereits seiner wartend. Dieser bestellte sogleich Wein für ihn, was auf einen guten Erfolg der heutigen Unterredung hinzudeuten schien.

»Waren Sie beim General?« fragte Reillac.

»Ja.«

»Was haben Sie erreicht?«

»Einen Urlaub auf unbestimmte Zeit und mehrere gute Pässe.«

»Gratulire!«

»Ist eine Ironie!«

»Weshalb?«

»Was thue ich mit dem Urlaube, wenn ich ihn nicht benützen kann! Hat sich der General nicht bei Ihnen nach meinen Verhältnissen erkundigt?«

»Ein Wenig.«

»Was sagten Sie ihm?«

»Daß Sie keine Seide spinnen.«

»Dennoch scheint er mich für einen sehr wohlhabenden Mann zu halten.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Weil ich zu meinem unbestimmten Urlaub nur einen dreimonatlichen Sold erhalten habe.«

»Das ist schlimm! Hm! Wenn ich wüßte ! Aber ich habe mich selbst fast ganz und gar ausgegeben.«

»Ihnen stehen Connexionen zu Gebote, mir aber nicht.«

»Sie haben Recht, und darum will ich Ihnen abermals tausend Franken leihen, wenn Sie mir Eins versprechen.«

»Was?«

»Auf Ihrer gegenwärtigen Reise Ihre Schwester mit zu besuchen.«

»Donnerwetter! Haben Sie die Adresse?«

»Ja.«

»Hat es Mühe gekostet?«

»Gar nicht. Der Commis hat gefragt und sofort bereitwillige Auskunft erhalten.«

»Wie lautet die Adresse?«

»Meierhof Jeanette bei Roncourt.«

»Dieses Roncourt ist mir unbekannt. Wo liegt es?«

»Im Argonner Walde, nicht weit von Sedan.«

»Ah, das liegt ja fast auf meiner Tour!«

»Fast genau. Sie haben höchstens einen ganz und gar unbedeutenden Umweg zu machen. Werden Sie mir den Gefallen thun, den Meierhof aufzusuchen?«

»Gewiß.«

»Und mich benachrichtigen, wie es dort steht, nämlich in Beziehung meiner Wünsche?«

»Ja, besonders, da es sich um tausend Franken handelt.«

»Ah, Sie denken, ich habe das bereits vergessen,« lachte der Baron. »Ich will nachsehen, ob ich so viel bei mir trage.«

»Ich bezweifle es nicht.«

»Hm! Man giebt sich jetzt aus. Man muß zu sehr wagen. Ich stecke mein ganzes Vermögen und all meinen Credit in diese Lieferungen.«

»Aber man verdient ungeheuer dabei.«

»Blos eine Kleinigkeit, mein Lieber. Wird der Kaiser abermals geschlagen, so bin ich ein für immer ruinirter Mann.«

»Ihre Lage wird dann durch die tausend Franken, welche Sie mir jetzt geben, nicht um ein Bedeutendes verschlimmert sein.«

»Nein. Und so sollen Sie das Geld haben. Hier! Aber Sie schreiben ganz bestimmt?«

»Ja. Aber wohin?«

»Zunächst bleibe ich ja noch hier. Und später werden mir Ihre Briefe auf das Sicherste nachgesandt, wenn Sie dieselben an meine gegenwärtige Adresse schicken.«

Auf diese Weise hatte der Capitän sich durch eine Lüge in den Besitz von tausend Franken gesetzt, welche ihn auf seinem nicht gefahrlosen Wege begleiteten.

Fast um dieselbe Zeit, in welcher der Capitän von Paris aufbrach, wanderte ein junger Mann auf der Straße von Paliseul daher, welche über Bouillon nach Sedan führt. Bouillon ist ein trauriger Ort, er liegt an dem Semoyflüßchen in einer tiefen Schlucht der Ardennen. Es ist dies dasselbe Oertchen, welches durch den Namen des großen Kreuzfahrers und Eroberers von Jerusalem, Gottfried von Bouillon, seine Berühmtheit erhalten hat.

Es war ein schlimmer Gewitterstag. Die Dämmerung brach bereits herein, und der Regen goß in Strömen vom Himmel herab. Dazu war der Koth auf dem Dinge, welches man hier Straße nannte, so tief, daß man die Füße kaum aus demselben herausziehen konnte. Daher war der Wanderer froh, als er die ersten Lichter von Bouillon erblickte. Er beschloß, diese Nacht hier zu bleiben.

Er suchte nach der Herberge des Ortes und erkannte sie trotz der Dunkelheit und des strömenden Regens an dem großen Aste, welchen man über der Thür herausgestreckt hatte. In der niederen Stube, welche nur durch einen Kienspan erleuchtet wurde, befand sich kein Gast. Nur der Wirth mit seiner Frau, ein Paar alte Leute, saßen an einem schmutzigen Tische.

Er grüßte höflich, doch wurde sein Gruß sehr mürrisch erwidert.

»Darf ich mir am Ofen meine Kleider trocknen?« fragte er. »Lehnt Euch hinan,« lautete die Antwort.

»Und kann ich ein Abendbrot erhalten?«

»Milch und ein Stück Brot. Wir sind hier arme Leute. Wo wollt Ihr noch hin?«

»Bei diesem Wetter nicht weiter.«

»Ah, Ihr wollt doch nicht etwa hier bleiben?«

»Warum nicht?«

Der Wirth warf einen scheuen Blick auf ihn und fragte:

»Woher seid Ihr?«

»Aus Paris.«

»Und wo kommt Ihr her?«

»Aus Lüttich.«

»Mein Gott, wo die Preußen sind?«

»Ja. Ich bin vor ihnen geflohen.«

»Da habt Ihr recht gethan. Sie wollen wieder Krieg anfangen, aber der Kaiser wird sie auf die Finger klopfen. Was seid Ihr denn eigentlich?«

»Ein Musikante.«

»Ihr habt doch kein Instrument bei Euch!«

»Die Preußen haben mir meine Geige genommen.«

»Ihr armer Mann. Ja, sie sind Diebe und Räuber, welche der Kaiser bald fortjagen wird. Habt Ihr denn eine Legitimation bei Euch?«

»Ja.«

»Das ist gut. Zeigt sie her. Ohne ein solches Papier darf man keinen Fremden aufnehmen. Es ist uns streng verboten worden.«

»Warum?« fragte der Fremde.

»Weil die Preußen viele Spione hier in das Land schicken.«

»Hm, das ist ein sehr gefährliches Handwerk.«

»Es soll aber sehr gut bezahlt werden. Unterdessen müssen ehrliche Leute hungern.«

»Ist Bouillon so arm?«

»Es war bereits sehr arm; aber durch den Krieg ist es noch ärmer geworden. Daran war die Kriegskasse schuld.«

»Welche Kriegskasse?«

»Das wißt Ihr nicht?«

»Nein. Ich bin ja von Paris und nicht von hier.«

Der Alte warf einen beobachtenden Blick auf den Fremden und fragte:

»Was sind Eure Eltern, Herr?«

»Mein Vater ist nur ein armer Weber.«

»Ah, ein Weber! Seht, die Bewohner von Bouillon sind alle arme Weber. Ihr seht so ehrlich aus, daß man wohl Vertrauen zu Euch fassen kann. Nicht?«

»Ich meine auch, daß Ihr es thun könnt.«

»Nun gut. Legt Euch ein tüchtiges Holzscheidt in den Ofen, und dann will ich Euch die Geschichte von der Kriegskasse erzählen.«

Der Fremde folgte dieser Aufforderung, wobei er von der Frau gefragt wurde:

»Wollt Ihr Euer Milch und Brot jetzt gleich essen?«

»Wenn es Euch recht ist, ja.«

»So seid so gut und zeigt uns Euer Papier.«

Der junge Mann griff in die Tasche und zog ein abgegriffenes Büchelchen hervor, welches er der Frau gab. Diese reichte es ihrem Manne; dann ging sie hinaus, um das Abendbrot zu besorgen. Der Wirth zog eine großmächtige Klemmbrille, eine sogenannte Nasenquetsche aus dem Tischkasten hervor, setzte sie auf und begann das Buch vom ersten bis zum letzten Blatte durchzusehen. Als er fertig war, sagte er:

»Ihr müßt bereits sehr weit herumgekommen sein, Herr?«

»Sehr weit,« nickte der Fremde.

»Das sieht man an den vielen Stempeln, welche da im Buche stehen. Lesen kann ich es freilich nicht, aber es wird wohl richtig sein. Nicht wahr?«

»Es stimmt.«

Da trat die Frau herein und setzte die Schüssel auf den Tisch. Sie enthielt Milch. Daneben legte sie ein Stück Brot zum Hineinbrocken. Das war die ganze Mahlzeit. Während sich der Fremde mit mehr Hunger als Appetit darüber machte, fragte sie den Wirth, welcher das Wanderbuch jetzt eben in ein Schränkchen schloß:

»Stimmt es, Vater?«

»Ja, es sind Namen und Stempel darin.«

Sie musterte den Esser abermals sehr sorgsam und flüsterte dann:

»Er scheint armer, aber braver Leute Kind zu sein.«

»Ja,« nickte der Alte.

»Und man hat ihm seine Fiedel gestohlen.«

»Eben! Er dauert mich!«

»Du, wollen wir?«

»Ja, ich denke.«

»Gut. Willst Du es ihm sagen?«

»Sage Du es lieber, Alte! Ich weiß, es macht Dir Freude.«

Sie nickte vergnügt und wendete sich an den Fremden:

»Hört, Herr, wir haben Euch erst mit Mißtrauen betrachtet.«

»Das habe ich leider bemerkt,« meinte er freundlich.

»Jetzt aber meinen wir, daß Ihr wohl kein Stromer seid.«

»Der bin ich allerdings nicht, liebe Mutter.«

Bei den letzten beiden Worten warf die Alte einen stolzen Blick auf ihren Mann, denn so war sie noch von keinem Gaste genannt worden; dann sagte sie:

»Darum meinen wir Beide, daß Ihr auf dem Heuboden schlafen sollt.«

»Ah, auf dem Heuboden?« fragte er, innerlich doch ein wenig enttäuscht.

»Ja. Wir wollen Euch nicht dahin thun, wo gewöhnliche Leute schlafen, denn Ihr habt so etwas Gutes und Apartes an Euch.«

»Ich danke Euch herzlich. Aber wo schlafen denn hier die gewöhnlichen Leute?«

»Im Ziegenstalle.«

»Ah, im Ziegenstalle. Sind Ziegen drin?«

»Zwei. Dort aber liegt nur Laubstreu, und die ist feucht. Ihr könntet Euch erkälten. Hat Euch die Milch geschmeckt?«

»Sehr gut.«

»Ja, es ist selbst erbaute von unsern zwei Ziegen. Aber, Alter, wolltest Du denn nicht die Geschichte von der Kriegskasse erzählen?«

»Freilich, aber vor Dir kommt man ja gar nicht zu Worte.«

»Na, so erzähle. Ich werde still sein.«

»Ja, erzählt!« bat der Gast. »Ihr habt mich fast neugierig gemacht.«

»O, es ist nichts Lustiges, Herr. Also von dem Blücher habt Ihr bereits gehört?«

»Sehr viel.«

»Der kam im vorigen Jahre über den Rhein herüber, der doch uns Franzosen gehört. Er kam nach Toul, welches jenseits der Berge im Süden liegt, und schickte einen seiner Generäle, welcher Fürst Schischerbatoff hieß, mit 10000 Feinden nach Void und Ligny. Dort lagen die Unserigen mit einer großen Kriegskasse.«

»Ah, da haben wir ja die Kriegskasse!«

»O, wenn wir sie doch hätten! Die Franzosen waren zu schwach, um lange Widerstand leisten zu können. Besonders war es ihnen um die Kriegskasse zu thun.«

»Das läßt sich denken,« meinte der Fremde mit einem verständnißvollen Lächeln.

»Ueber die ebene Gegend hinüber nach der Marne zu konnte sie nicht gerettet werden.«

»Wohl weil die Deutschen zu viele Reiterei hatten?«

»Ja. Darum brach ein Hauptmann mit einer halben Compagnie auf, um sich mit ihr in die Berge zu schlagen und sie durch den Argonner Wald zu schaffen, immer der Meuse entlang.«

»Merkte dies der Feind nicht?«

»Nein. Sie entging ihm.«

»So ist sie gerettet worden?«

»Auch nicht. Es ist das eine sehr traurige Geschichte. Während des Marsches fielen bald von rechts und bald von links Schüsse auf die armen Leute. Bereits am ersten Abende hatten sie zwölf Mann verloren, bis zum zweiten wohl ebenso viele.«

»Wer schoß?«

»Das war nicht herauszubekommen. Wenn man an die Stelle kam, wo der Schuß gefallen war, stand Niemand mehr da.«

»Das war vorauszusehen.«

»Nach vier Tagen waren nur noch zehn Mann übrig, am fünften noch sechs und am sechsten noch vier. Diese kamen mit der Kasse nach Bouillon. Sie wollten weiter und forderten Bedeckung; aber weil wir dachten, daß wir erschossen würden wie sie, flohen wir in die Berge; wir wollten nicht mit.«

»Das war Euch nicht zu verdenken.«

»Am nächsten Tage fand man die vier Soldaten erschossen, gar nicht weit von hier; die Kasse aber war weg. Nach einigen Tagen hatten die Deutschen die Gegend verlassen, und es kam im Geheimen eine Streifparthei der Unserigen, welche nach der Kasse suchten. Sie erfuhren, was geschehen war, und wir mußten zur Strafe eine schwere Contribution zahlen, durch welche wir vollends arm geworden sind.«

»Das ist allerdings sehr traurig für Euch. Hat sich keine Spur der Kasse je wieder gezeigt?«

»Nein.«

»Und auch keine Spur der Schützen, welche damals die Bedeckungsmannschaften niedergeschossen haben?«

»Nein.«

»Hat man denn die Angelegenheit nicht gerichtlich untersucht?«

»Was denkt Ihr, Herr! Wir hatten ja Krieg, dann keine Regierung, dann eine, welche nichts galt. Es blieb eben Alles, wie es war.«

»Vielleicht sind es deutsche Nachzügler gewesen?«

»Nein. Diese hätten unser Terrain nicht so gut gekannt.«

»Oder französische Marodeurs?«

»Das ist eher möglich. Wollen lieber von der traurigen Geschichte schweigen. Sagt, geht Ihr jetzt direct nach Paris zurück?«

»Ja.«

»So werdet Ihr das Glück haben, den großen Kaiser zu sehen?«

»Jedenfalls.«

»Ich wollte, daß ich an Eurer Stelle wäre. Ihr geht natürlich über Sedan?«

»Ja.«

»Berührt Ihr da vielleicht das Dörfchen Roncourt?«

»Das ist wohl möglich.«

»So versäumt ja nicht, nach dem dortigen Meierhof Jeanette zu gehen.«

»Jeanette? Ah, warum?«

»Weil dort das schönste Mädchen Frankreichs wohnt.«

»Was, Vater, Ihr seid noch für die Schönheit eines Mädchens begeistert?«

»Ja, welcher Franzose wäre dies nicht? In allen Ehren, natürlich.«

»Ist diese Schönheit gar so groß?«

»Hm, ich bin kein Kenner, wie Ihr ja auch hier an meiner Alten ersehen könnt, aber man sagt es allgemein.«

Da ergriff endlich auch die Wirthin das Wort; hier konnte sie nicht schweigen.

»Was?« fragte sie. »An mir kann man das sehen?«

»Daß ich kein Kenner bin? Ja.«

»Wie meinst Du das?«

»Wenn ich Kenner wäre, hätte ich doch eine Schöne genommen.«

»O, das sagst Du jetzt,« lachte sie vergnügt. »Du warst sehr mit mir zufrieden.«

»Ja, eben weil ich kein Kenner bin.«

»Hm, ich denke, daß ich hübsch genug war, wenn auch freilich nicht so sehr wie die Schönheit vom Meierhof Jeanette. Ja, Herr, Ihr solltet sie wirklich sehen!«

»Ihr macht mir beinahe Lust, hinzugeben.«

»Thut es! Geht man weit, um ein schönes Bild anzusehen, warum soll man nicht dasselbe thun, um einen schönen Menschen zu betrachten?«

»Habt Ihr sie selbst gesehen?«

»Ja. Sie ist ja selbst hier bei uns gewesen.«

»Ah, zu Besuch?«

»Nein, nur für eine halbe Stunde, bis eine andere Deichsel da war.«

»Sie hatte wohl einen Unfall erlitten, diese schöne Person?«

»Freilich. Sie hatte nach Lüttich gewollt, um dort Verwandte zu besuchen. Hier in der Nähe brach die Deichsel vom Wagen, und da war sie gezwungen, bei uns einzukehren. Sie fuhr gar nicht weiter.«

»So ist sie abergläubisch?«

»Herr, das Abbrechen der Deichsel bedeutet stets etwas Böses.«

»Sehr richtig,« lachte er.

»Und sodann diese Deutschen! Sie waren ja bereits in Lüttich. Wir alle haben ihr abgerathen. Und so ist sie wieder umgekehrt.«

»Sie ist gewiß die Tochter des Meiereibesitzers?«

»O nein. Sie ist nur zum Besuch dort.«

»Ah! Woher?«

»Das weiß man nicht.«

»Wie heißt sie?«

»Das kann ich nicht sagen. Hier bei uns war ihre Mutter bei ihr, von dieser wurde sie Margot genannt.«

»Ein hübscher Name!«

»Ja, er paßt ganz zu dem Mädchen. Aber gar zu schön ist doch auch nicht gut; das kann man an ihr sehr deutlich sehen.«

»Wieso?«

»Weil ihre Schönheit bereits zweien Menschen das Leben kostet.«

»Sapperlot.«

»Ja. Denkt Euch, daß die ganze Garnison von Sedan verrückt ist, sie nur zu sehen. Der Wunsch eines Jeden ist, einmal mit ihr sprechen zu können. Man hat sich bereits dreimal wegen ihr duellirt. Zweimal fiel ein Officier.«

»O weh! So ist sie wohl coquet?«

»O, nicht im Geringsten. Sie erscheint auf keinem Balle, wenn sie auch zehnmal eingeladen würde. Sie geht nie allein aus, sondern stets nur in Gesellschaft ihrer Mutter. Es kann sich keiner rühmen, ihr auch nur die Fingerspitzen geküßt zu haben.«

»Und doch diese Duelle?«

»O, gerade diese Zurückhaltung macht ja die Männer verrückt.«

»Na, Alte, ich war damals in Dich nicht verrückt!« neckte der Wirth.

»Das hätte Dir auch sehr schlecht angestanden. Aber der junge Herr wird ermüdet sein. Auch wir gehen zeitig schlafen.«

Die beiden Leute waren jetzt erst zutraulich geworden, nachdem sie vorher verschlossen und mißtrauisch gewesen waren, wie man es bei Bewohnern abgelegener Ortschaften häufig trifft. Der Fremde hätte so gerne sich mit ihnen noch unterhalten, besonders über das letzte Thema, das schöne Mädchen. Das interessirte ihn noch mehr als die Kriegskasse. Er kannte dieses Mädchen ja und wußte auch, warum sie sich so zurückgezogen hielt. Sie war ja seine Geliebte, seine Braut, und er war der Oberlieutenant Hugo von Königsau.

»Geht Ihr wirklich so zeitig schlafen?« fragte er.

»Ja, denn wir müssen des Morgens früh wieder munter sein.«

»Nun, so will ich Euch nicht von der Ruhe abhalten. Zeigt mir mein Lager.«

»Das ist nicht hier im Hause, sondern im Hofe. Kommt.«

Der Mann brannte eine Laterne an und leuchtete ihm über den kleinen, offenstehenden Hof hinüber. Dort stand ein einzelnes, kleines Gebäude, der Ziegenstall, über welchem sich der verschlossene Heuboden befand.

»Hier muß man das Heu verschließen, sonst wird es leicht gestohlen,« erklärte der Wirth. »Da lehnt die Leiter, an welcher Ihr emporsteigt. Nehmt sie mit hinauf; das ist besser. Jetzt während des Krieges giebt es allerlei Gesindel in der Nähe. Wenn Ihr aber die Leiter hinaufzieht, kann Niemand hinauf zu Euch. Sind Eure Kleider trocken geworden?«

»So ziemlich. Ich danke.«

»Soll ich Euch wecken?«

»Nein. Ich wache selbst schon auf.«

»So schlaft wohl. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Königsau folgte dem Rathe des Wirthes und zog die Leiter empor, als er sich oben befand, obgleich er über die ganze Situation lächeln mußte.

Also dieser kleine, niedrige, kaum fünf Ellen im Durchmesser haltende Heuboden war erster Rang, der Ziegenstall unten aber zweiter Rang! Konnten wirklich Menschen da unten bei den Ziegen auf der kothigen Streu schlafen?

Der Wirth war jedenfalls ein armer Mann; er besaß nicht einmal eine Kuh, sondern nur zwei Ziegen, und dieser Miniaturstall diente als Herberge. Auf das so kostbare Heu durften sich nur bevorzugte Gäste legen.

Königsau machte sich sein Lager zurechte. Dies erweckte die Ziegen, welche ein leises, unzufriedenes Meckern hören ließen. Dieses Letztere war so deutlich zu hören, daß der Boden, welcher das Heu trug, nur ein sehr dünner sein konnte.

Draußen plätscherte der Regen noch immer hernieder, hier auf dem Heu aber lag es sich wirklich ganz hübsch. Das Plätschern hatte eine einschläfernde Wirkung. Der Oberlieutenant dachte an das schöne Mädchen von der Meierei Jeanette, an die verlorene Kriegskasse, und zwischen diesen beiden Gegenständen spann die Vorstellung phantastische Fäden herüber und hinüber.

Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte; er wußte nicht einmal, ob er gewacht oder geträumt hatte, aber plötzlich war er munter, denn er hatte draußen vor dem Stalle ein Geräusch gehört. Er horchte angestrengter und vernahm nun auch die Frage einer halb unterdrückten Stimme:

»Hast Du nachgesehen?«

»Ja.«

»Sie waren wirklich schon zu Bette?«

»Ja, denn es gab kein Licht mehr im ganzen Hause.«

»So gehen wir in den Stall.«

»Aber wenn bereits Jemand da ist.«

»Werden sehen.«

Die Thür des Ziegenstalles wurde geöffnet, und Königsau hörte, daß Jemand hineinkam. Die Ziegen zeigten etwas Unruhe, schwiegen aber nach einigen begütigenden Lauten wieder, und dann erklang unten die Mahnung:

»Komm herein, es ist Niemand hier.«

»Ah, das ist gut.«

»Ja, hier ist es warm, viel besser als da draußen. Ich bin allemal hier untergeschlippt, wenn ich den Weg in die Berge gemacht habe.«

»Heimlich?«

»Ja, heimlich. Es ist besser, man weiß gar nicht, daß ich hier gewesen bin.«

Königsau konnte alle diese Worte verstehen, obgleich sie fast nur geflüstert wurden. Freilich durfte er kein Glied seines Körpers rühren, weil sonst das Rascheln des Heues seine Anwesenheit verrathen hätte.

Wer waren die beiden Männer da unten? so fragte er sich. Der Wirth hatte von allerlei Gesindel gesprochen. Geheim war ihr Einschleichen in den Stall, und geheimnißvoll klangen auch die Worte, welche er erlauscht hatte.

»Was würde der Wirth sagen, wenn er uns hier entdeckte?«

»Nichts. Wir sind hereingegangen, weil er schlief und wir ihn nicht stören wollten. Er würde es uns gar nicht übel nehmen, aber wir müßten doch einen Sou Schlafgeld zahlen.«

»Darauf kann es Dir ja gar nicht ankommen, denn Du bist reich.«

»Freilich!« lachte der Andere. »Aber besser ist es immer, man weiß gar nichts von meiner Anwesenheit.«

»Werden die Hacken und die Schaufeln noch da liegen?«

»Ganz gewiß; sie sind ja vergraben.«

»Ah, wenn die Leute wüßten !«

»Nun, ich habe dafür gesorgt, daß sie nichts wissen. Ah, ich habe in dieser Beziehung bereits schon sehr viel Pulver verschwendet.«

»Wie aber kommst Du dazu, mir dieses Geheimniß mitzutheilen, während die Anderen es doch hm?«

»Das will ich Dir sagen. Wir waren sechs Personen. Wir hatten ausgemacht, nur alle sechs zugleich sollten den Ort zur bestimmten Zeit besuchen. Ich aber war schlau und machte mir meine Zeichen. Da merkte ich gar bald, daß die Kerls einzeln kamen und sich Geld holten. Da habe ich sie nach und nach weggeputzt, Viere ich und Du den fünften vorgestern. Das war Deine Probe. Du hast sie gut bestanden.«

»O, denkst Du, daß es das erste Mal war?« lachte es auf.

»Ah, Du hast schon ?«

»Sechs, bis jetzt.«

»Sechs hast Du bereits abgethan?«

»Ja.«

»Hm, das ist schon aller Ehren werth. Und Du hast wirklich ein Auge auf meine Tochter?«

»Ja.«

»Und sie? Was sagt sie dazu? Hast Du schon mit ihr gesprochen?«

»Freilich will sie mich. Wir sind vollständig einig.«

»Wenn die Sache so steht, so kann ich Dir vertrauen. Mein Schwiegersohn wird mich nicht verrathen.«

»Fällt mir doch nicht im Traume ein! Aber wie kamst Du denn eigentlich dazu, es gerade auf die Kasse abzusehen? Es war doch eine böse und schwierige Sache.«

»Das war der reine Zufall. Es war eine schlechte Zeit, und der Wildhandel ging nicht mehr, denn ein Jeder schoß sich selbst das, was er brauchte. Ich wußte nicht, wovon ich leben sollte. Da nahm ich meine Büchse und zielte auf Menschen.«

»Hm!«

»Was?«

»Brachtest Du das gleich fertig?«

»Warum nicht? Uebrigens war es oft gar nicht nöthig. Es gab Todte oder Verwundete, in deren Taschen genug für mich war. Es hatten sich nach und nach Mehrere zu mir gefunden, fünf Mann und ich. Wir trieben das Handwerk methodisch, und es brachte uns Etwas ein. Da, bei dem Ueberfall der Preußen auf Ligny waren wir in der Nähe. Wir beobachteten vom Berge aus den ganzen Vorgang.«

»Das war sehr bequem.«

»Natürlich. Da sahen wir, daß sich ein mit vier Pferden bespannter Wagen verduftete; er wurde von vielleicht fünfzig Infanteristen begleitet. Das fiel auf. Wir beriethen; wir lauschten und kamen zu dem Glauben, daß es die Kriegskasse sei. Das war natürlich ganz unser Fall.«

»Was thatet Ihr?«

»Einige waren so toll, einen directen Ueberfall wagen zu wollen; ich aber überzeugte sie doch, daß dies der reine Wahnsinn sei. Es lag klar, daß man die Kasse in das Gebirge bringen wollte. Wir brauchten nur mitzugehen, so konnten wir die Bedeckungsmannschaft nach und nach ganz gemüthlich wegputzen. Und dies geschah. Nicht weit von hier fielen die letzten Vier. Dann bemächtigten wir uns des Geschirres und fuhren hinauf in die Schlucht, welche ich von früher her kannte. Dort wurde die Kasse vergraben.«

»Und Pferde und Wagen?«

»Den Wagen haben wir zertrümmert und verbrannt, auf die Pferde aber haben wir uns gesetzt und sind fortgeritten, um sie zu verkaufen.«

»Wie viel war in der Kasse?«

»Ich weiß es nicht. Wir konnten es nicht zählen.«

»Alle Teufel, so viel war es?«

»Ja. Das Zählen hätte uns zu viel Zeit gekostet. Es durfte sich ein Jeder tausend Franken nehmen; dann wurde sie vergraben.«

»Dann habt Ihr Euch öfters Geld geholt?«

»Ich zweimal, dann habe ich die Anderen auf die Seite geschafft.«

»Wo ist die Schlucht?«

»Sie ist eigentlich sehr leicht zu finden, aber sehr schwer zu beschreiben. Du wirst es morgen ja sehen.«

»Wann brechen wir auf?«

»Sobald der Tag graut, damit man uns hier nicht sieht.«

»Ich kann Dir sagen, daß ich vor Freude wie im Fieber bin!«

»Erst war es bei mir ebenso; jetzt hat es sich gelegt.«

»Aber was gedenkst Du, mit diesem vielen Gelde zu thun?«

»Ich warte, bis es ruhig im Lande geworden ist, dann ziehe ich nach Amerika.«

»Und nimmst das Geld mit?«

»Natürlich!«

»Man wird es bemerken.«

»Wohl schwerlich. Das laß überhaupt meine Sorge sein.«

»Aber ich. Was wird dann mit mir?«

»Dummer Kerl, Du wirst mein Schwiegersohn und ziehst mit mir!«

»Wirklich?«

»Natürlich.«

»Ah, welche Freude! Höre, Du sollst sehen, daß Du an mir stets einen tüchtigen und treuen Burschen haben wirst.«

»Das hoffe ich. Nun aber laß uns schlafen. Wir brauchen die Ruhe. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Unten raschelte die Streu, und dann wurde es still.

Wachte Königsau oder träumte er? Er brauchte Zeit, um sich in das Gehörte zurecht zu finden. Kaum hatte er von der Kriegskasse erzählen gehört, so stand er auch bereits an der Pforte ihres Geheimnisses.

Da raschelte es unten wieder und der Eine, welcher die Tochter haben wollte, sagte:

»Du, schläfst Du schon?«

»Nein.«

»Was ist über uns?«

»Der Heuboden.«

»Warst Du da schon einmal?«

»Nein. Dort schlafen nur selten Leute, welche besser sein wollen als Unsereiner.«

»Donnerwetter! Wenn Jemand oben läge!«

»Höre, das ist wahr! Der Kerl hätte Alles gehört!«

»Man müßte ihn kalt machen.«

»Komm, wir müssen sogleich nachsehen.«

Sie standen alle Beide wieder auf und traten aus dem Stalle heraus. Königsau hatte den Riegel von innen vorgeschoben; er war also sicher. Aber auch im andern Falle hätte er sich nicht gefürchtet, denn er war mit zwei Taschenpistolen bewaffnet. Und doch war es ein Glück, daß er die Leiter hereingenommen hatte, denn er hörte sagen:

»Es ist zu, da oben.«

»Also Niemand drinn?«

»Wäre Jemand drinn, so würde die Leiter anlehnen.«

»Das ist richtig. Wir haben uns unnöthiger Weise echauffirt.«

»Ich denke es auch. Komm, legen wir uns wieder auf das Ohr!«

Das Geräusch, welches sie jetzt verursachten, gab Königsau Gelegenheit, sich in eine so bequeme Lage zu bringen, daß er darin verharren konnte, ohne besorgt sein zu müssen, ein verrätherisches Geräusch zu verursachen.

Wer waren diese beiden Kerls? fragte er sich. Jedenfalls nichtswürdige Subjecte, Schlachtfeldhyänen, von denen die eine die andere aufgezehrt hatte. Er beschloß, die ganze Nacht zu wachen und ihnen am Morgen zu folgen. Der Gedanke an die Masse Geldes, um die es sich handelte, ließ ihm zunächst allerdings keine Ruhe, bald jedoch kam die Müdigkeit langsam, aber sicher über ihn, und er fiel in Schlaf, der aber so leise war, daß er sofort erwachte, als kurz vor Tagesanbruch sich die beiden Männer unter ihm zu regen begannen. Der Eine gähnte laut und fragte:

»Schläfst Du noch?«

»Nein. Ich wachte soeben auf.«

»Ich auch. Welche Zeit wird es sein?«

»Will sehen!«

Die Thür des Stalles wurde geöffnet, und dann sagte dieselbe Stimme:

»Der Tag wird gleich kommen. Wir könnten immer aufbrechen.«

»Wie ist es mit dem Regen?«

»Nicht so dick wie gestern, aber er dringt durch.«

»Verdammt! Gutes Wetter wäre mir lieber!«

»Und mir dieses schlechte. Kein Mensch wird in den Bergen sein.«

»Wie lang haben wir zu gehen?«

»Zwei Stunden.«

»Das ist viel. Wir werden fadennaß.«

»Aber wir bekommen Geld die Hülle und die Fülle. In der Köhlerhütte machen wir uns dann ein Feuer und wärmen und trocknen uns.«

»Liegt sie an unserm Wege?«

»Ja.«

»Und ist sie bewohnt?«

»Lange nicht mehr. Wir sind da vollständig sicher. Komm, mache Dich auf die Beine.«

Der Andere erhob sich, trat aus dem Stalle heraus und machte die Thür desselben wieder zu. Dann dehnte und streckte er sich und fragte:

»So! Ich bin bereit. Rechts oder links?«

»Rechts? Dummheit! Wir werden doch nicht wieder durch die Stadt gehen. Wir müssen links, am Wasser hin. Wenn dann drei große Erlen kommen, geht es in die Berge hinein. Komm!«

Sie entfernten sich. Jetzt brauchte Königsau nicht sofort nachzufolgen, denn er wußte die Richtung, in welcher er sich zu halten hatte. Uebrigens war seine Aufgabe keineswegs eine leichte. Er wollte diese beiden Menschen verfolgen und durfte sich ihnen doch nicht so weit nähern, daß er von ihnen gesehen werden konnte. Aus diesem Grunde war ihm das Regenwetter hoch willkommen. Es weichte den Boden auf, so daß tüchtige Spuren zurückbleiben mußten, welche leicht zu erkennen waren.

Er ließ erst ihre Schritte vollständig verhallen; dann öffnete er seine Thür und schob die Leiter hinaus, an welcher er hinunter stieg, nachdem er die Thür wieder verschlossen hatte. Gleich von hier aus waren die Spuren der Beiden ganz deutlich zu sehen.

Er folgte denselben längs des Flüßchens hin bis zu den erwähnten drei großen Erlen. Dort bogen sie links ab und er mit ihnen.

Bei hellem Wetter wäre es bereits Tag gewesen, heut aber mischte sich der Regen mit einem Nebel, welcher kaum zehn Schritte weit zu blicken erlaubte. Die Gegend war nicht sehr bewaldet, und so sorgten die Verhältnisse ganz von selbst dafür, daß die Spuren sich nicht verloren.

So ging es wohl eine Stunde lang immer bergan. Da begann der Hochwald, und es hieß nun, vorsichtiger und auch aufmerksamer sein.

*


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