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Fortsetzung 9

Nach all' den erzählten Vorfällen stand endlich Blücher auf, trat zu Königsau heran, klopfte ihm auf die Achsel und sagte in höchst wohlwollendem Tone:

»Das hast Du sehr gut und brav gemacht, mein Sohn! Wer keine Genugthuung geben will, der muß Keile kriegen, und die hat es gesetzt, ganz gewaltig. Ich hatte auch gehört, was diese Hallunken sagten, und ich hätte ihnen weiß Gott ein Tüchtiges über den Schnabel gehauen, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärest. Wie ist Dein Name, mein Sohn?«

Der Lieutenant wunderte sich nicht über die kernige Redeweise des Marschalls; man war sie von ihm gewohnt; auch wußte man, daß er, wenn er sich in guter Stimmung befand, selbst hohe Stabsofficiere mit »Du« anredete; es war dies eine ganz besondere Ehre für den Betreffenden. Er antwortete in militärisch strammer Haltung:

»Hugo von Königsau, Excellenz.«

»Und Du bist Officier, mein Sohn?«

»Lieutenant bei den Ziethenhusaren, Excellenz.«

»Lieutenant?« brummte der Alte. »Ein Kerl, der so zuhauen kann, erst Lieutenant? Du sollst Rittmeister werden, mein Sohn. Komm morgen Früh zu mir, da wollen wir die Sache in Ordnung bringen. Jetzt aber trinkst Du ein Schöppchen Warmbier mit mir und ziehst Deinen Gottfried gerade so aus wie ich; es ist verdammt warm in diesem Hause, wenn draußen die Sonne brennt und hinnen das Warmbier. Komm, Junge, und genire Dich nicht. Wir sind alle Menschen, und wegen diesen verdammten Franzmännern schmore ich mir nicht mein Fleisch von den Knochen herunter!«

Königsau mußte gehorchen. Er setzte sich zu dem Marschall an den Tisch, zog seinen Rock auch herunter und unterhielt sich nun hemdärmelig mit ihm, als ob er einen Kameraden vor sich habe. Die Vertraulichkeit des Alten brachte ihn nicht im Mindesten in Verlegenheit. Man kannte Blücher zur Genüge, und keiner seiner Officiere ließ sich gegebenen Falles dadurch aus der Fassung bringen. Kam es doch häufig vor, daß der Alte mitten auf der Straße seine Pfeife an dem Stummel eines Landwehrmannes in Brand setzte und dann mit einem Fluche zu diesem sagte:

»Kerl, was rauchst Du denn für ein Karnickel? Ich verstänkere mir doch meinen ganzen Tobak an Deinen Lorbeerblättern! Wirft's denn nicht mehr ab, he?«

Als Hugo von Königsau am anderen Morgen vorgeschriebenermaßen zu Blücher kam, um sein Rittmeisterpatent in Empfang zu nehmen, sagte dieser:

»Höre, mein Sohn, das ist eine ganz verteufelte Geschichte. Da habe ich am zweiten April den Befehl über das schlesische Heer niedergelegt, und nun denken diese Federfuchser, ich hätte nichts mehr zu sagen. Ich habe Dich empfohlen, aber es ist leider keine Rittmeisterei mehr offen. Aber ich werde an Dich denken, und sobald die Gelegenheit vorhanden ist, sollst Du sehen, daß ich Wort halte. Dort am Fenster steht der Pfeifenkasten und daneben der Tabak. Stopfe Dir eine, mein Sohn. Bei einer Pfeife plaudert es sich besser, und ich habe jetzt gerade Zeit, was sonst nicht oft vorzukommen pflegt.«

Königsau fühlte sich von dieser Nachricht natürlich ein Wenig enttäuscht, doch war ihm die Leutseligkeit des Marschalls ein fast genügender Ersatz für die nicht in Erfüllung gegangene Erwartung des versprochenen Avancements. Als er später entlassen wurde, hatte er nicht weit zu gehen, da er in derselben Straße wohnte; doch sollte er nicht so schnell, als er dachte, in sein Logis kommen.

Eine junge Dame ging vor ihm her. Ihre Kleidung war diejenige der feineren Stände; sie mußte, soviel er von hinten bemerkte, von einer nicht gewöhnlichen Schönheit sein. Sein Auge haftete mit ungewöhnlichem Interesse an ihrer hohen, stolzen Gestalt, an der zierlichen Haltung ihres Kopfes und den kleinen Füßen, welche er bemerken konnte, da sie das Kleid leicht emporgerafft trug.

Da kamen zwei Kosakenofficiere ihm entgegen. Sie sahen die Dame, nickten einander lüstern zu und blieben nun auf dem Trottoir in einer so breitspurigen Weise stehen, daß sie nicht vorüber konnte. Sie wollte sich trotzdem an ihnen vorbeidrängen, da aber ergriff sie der eine beim Arme und fragte in seinem schlechten Französisch:

»Fürchten Sie sich nicht, Mademoiselle, bei der gegenwärtigen fremden Bevölkerung so allein auf der Straße zu gehen? Wir werden Sie begleiten.«

Sie blickte ihn groß und erstaunt an und antwortete:

»Ich danke, Monsieur; ich bedarf Ihrer Begleitung nicht!«

Um ihn anzusehen, hatte sie sich zur Seite gedreht, und dadurch bekam Königsau ihr Profil zu sehen, ein Profil von so seltener Reinheit, so voll und doch so weich und zart, wie er glaubte, noch niemals eins gesehen zu haben.

Der Russe ließ trotz der Ablehnung ihren Arm nicht los, sondern sagte lachend:

»Es ist möglich, daß Sie unserer Begleitung nicht bedürfen, aber in unserer Heimath ist es nicht Sitte, eine Dame ohne Schutz auf der Straße zu lassen. Sie werden so freundlich sein, uns Ihre Wohnung zu nennen, Mademoiselle.«

Da trat Königsau hinzu, ergriff die Hand, welche ihren Arm gefaßt hielt, und drückte die Finger derselben mit solcher Gewalt zusammen, daß der Russe die Dame fahren ließ. Trotz dieser Handgreiflichkeit verbeugte er sich sehr höflich und sagte:

»Verzeihung, meine Herren Kameraden, diese Dame bedarf Ihrer Begleitung wirklich nicht; sie ist meine Braut, ich blieb nur ein Wenig zurück.«

Bei diesen Worten schlug eine jähe Röthe über das wunderschöne Gesicht des Mädchens, aber es sagte kein Wort, ihn Lügen zu strafen. Der Russe fragte ihn:

»Sie nennen mich Kamerad. Sind Sie Officier?«

»Ja.«

»Ihr Name?«

»Hugo von Königsau, von den Ziethenhusaren.«

»Ah, das ist eine wackere Truppe. Ich gratulire Ihnen zu Ihrer Braut und bitte um Verzeihung. Wir sahen Sie wohl auch, wußten aber nicht, daß Sie zu einander gehörten.«

Er hatte seine erste Frage mit zornig blitzenden Augen ausgesprochen, gab aber seine letzte Antwort bedeutend freundlicher. Er mochte erfahren haben, daß mit den Ziethenhusaren nicht sehr zu spaßen sei. Er schritt mit seinem Begleiter weiter, während Königsau den Arm der Dame sanft in den seinen zog und so mit ihr den Weg fortsetzte. Sie blickte ihn forschend von der Seite an; er that, als ob er es nicht bemerke, obgleich er förmlich fühlte, daß ihr Auge auf ihm ruhe. Erst nach einer Weile sagte er:

»Mademoiselle, ich bin sehr kühn gewesen, und ich fühle, daß ich mich zu entschuldigen habe.«

Er schwieg. Vielleicht erwartete er, ein Wort aus ihrem Munde zu hören; da sie aber schwieg, so fuhr er fort:

»Ich kenne nämlich diesen Russen. Es war Graf Mertschakeff, der wegen seiner Rohheiten mehr berüchtigt und gefürchtet, als berühmt ist. Ich war gewiß, daß er sich nicht zurückweisen lassen werde, und wagte daher, Sie meine Braut zu nennen, das einzige Mittel, Sie von ihm zu befreien. Werden Sie mir dies verzeihen können?«

Er blickte ihr jetzt zum ersten Male in die Augen. Es waren dunkle Sammetaugen, in denen sein Blick sich ein ganzes Leben lang hätte versenken mögen. Sie sah ihn offen und freundlich an und sagte:

»Ich verzeihe Ihnen und sage Ihnen herzlichen Dank, Monsieur!«

»Darf ich fragen, ob Sie noch weit zu gehen haben?«

»Einige Straßen weit.«

»Ich weiß, daß Sie wünschen werden, wieder in den Besitz Ihres Armes zu gelangen; aber wenn ich denke, daß Sie leicht eine ähnliche Begegnung haben können, so halte ich es für meine Pflicht, Sie noch nicht zu verlassen. Befehlen Sie, was geschehen soll!«

Sie blickte forschend die Straße hinab, und da sie dort mehrere militärische Gruppen bemerkte, so antwortete sie zögernd:

»Ich darf Sie doch kaum belästigen; aber da unten giebt es wieder Russen. Wollen Sie erlauben, daß ich mich Ihnen anvertraue?«

»Wie gern, wie sehr gern, Mademoiselle!«

Sie fühlte, als er diese Worte sprach, einen unwillkürlichen, freudigen Druck seines Armes. War sie hier etwa aus dem Regen in die Traufe gekommen? Sie blickte fast erschrocken zu ihm auf. Aber seine Stimme hatte so bescheiden geklungen, und sein offener Blick ruhte so mild auf ihrem Gesichte, daß sie sich beruhigte.

So schritten sie neben einander her durch mehrere Straßen, ohne den Versuch zu machen, Ihre Unterhaltung fortzusetzen. Aber zwischen zwei jungen Herzen ist ein solches Schweigen beredter als die wohlgesetzteste Rede. Die Bewegung des Gehens, und besonders das Einbiegen aus einer Straße in die andere, brachte es mit sich, daß ihre Arme sich enger an einander legten. In solchen Momenten fühlte er eine eigenthümliche, sympathische Wärme von ihr aus- und auf ihn übergehen.

Ihre Blicke trafen sich unwillkürlich; sie erröthete dann allemal leicht und senkte die langen Wimpern nieder, während es ihm war, als habe er sich aus der Tiefe ihres Auges ein süßes Eigenthum herausgeholt. Und als sie endlich vor dem Portale eines Hauses stehen blieb, deuchte es ihm, als sei er nicht einige Minuten, sondern Jahre lang an ihrer Seite gewesen.

»Hier wohne ich, mein Herr!« sagte sie.

»So muß ich Sie verlassen!«

Sie hörte deutlich, daß ein Seufzer diese Worte emporgetragen hatte. Ihr großes, dunkles Auge richtete sich mit einem so warmen, ehrlichen Blick auf ihn, daß er sie hätte an sein Herz ziehen mögen, und dabei fragte sie:

»Sie sagten, daß Sie bei den Ziethenhusaren stehen, Monsieur. So sind Sie ein Preuße?«

»Ja.«

»Wissen Sie, daß wir hier in Paris die Preußen hassen?«

»Daran thun Sie Unrecht, Mademoiselle. Man soll keinen Menschen hassen, ohne genau zu wissen, daß er den Haß auch wirklich verdient.«

»Sie wollen sagen, daß Sie unseren Haß nicht verdienen?«

»Wenigstens den Ihrigen möchte ich mir um keinen Preis verdienen. Ich bin als Soldat hier, weil es meine Pflicht war, meiner Fahne zu folgen, aber ich hasse keinen Franzosen um des Umstandes willen, daß er ein Franzose ist.«

»Ja, so sehen Sie mir aus, Monsieur, so gut und bieder. Darum will ich auch bei Ihnen die einzige Ausnahme von der Regel machen, welche ich einzuhalten pflege. Sie haben mich so freundlich beschützt; ich lade Sie ein, Mama und mich zu besuchen, falls Ihnen mein Wunsch, Sie Mama vorzustellen, nicht unangenehm ist.«

Sein Gesicht strahlte eine ehrliche, ungeschminkte Freude aus, die das Herz des schönen Mädchens gefangen nahm. Er antwortete:

»Unangenehm? O nein, ich bin im Gegentheile von Herzen erfreut über diese Ausnahme und werde Ihrer Einladung folgen, wenn Sie mir die Stunde sagen wollen, in welcher ich Sie nicht störe.«

»So kommen Sie drei Uhr, Monsieur. Haben Sie da Dienst?«

»Nein. Ich werde sicher kommen.«

»Hier ist meine Karte!«

Sie zog ein kleines, zierliches Kärtchen hervor, auf welches er jetzt seinen Blick noch nicht zu werfen wagte, dann nickte sie ihm vertraulich zu, wie einem alten, lieben Bekannten, ehe sie in der Tiefe des Hausflures verschwand.

Fast hätte er die Karte an seine Lippen gedrückt. Er hatte bereits die Hand erhoben, es zu thun, dachte aber noch zur rechten Zeit daran, daß er sich in einer sehr belebten Straße befinde, wo man seine Begeisterung belächeln werde.

Erst als er eine bedeutende Strecke zurückgelegt hatte, las er den Namen, welcher auf der Karte stand. In feinen, dünnen Zügen stand da gedruckt »Margot Richemonte, Rue d'Ange 10«. Fast hätte er den Schritt angehalten.

»Margot Richemonte?« fragte er sich. »Hieß nicht der Gardecapitän auch Richemonte, welcher gestern die Ohrfeigen von mir erhielt? Ist er vielleicht mit ihr verwandt? Ah, pah! Wie viele Namen sind gleichlautend. Wer wird gleich an so etwas denken!«

In seiner Wohnung angelangt, nahm er ein Buch zur Hand und setzte sich auf das Sopha. Aber eigenthümlich! Das Lesen wollte nicht von Statten gehen. Er hörte immer den eigenthümlich ernsten Klang ihrer Stimme, und wenn er sich Mühe gab, seine Aufmerksamkeit auf die Lectüre zu concentriren, so zogen sich die Buchstaben zusammen und bildeten ein Gesicht, so schön, so rein und mädchenhaft, wie gerade sie es gehabt hatte.

Er legte das Buch fort, stand auf und wanderte im Zimmer hin und her.

»Ich glaube, dieses Mädchen hat es mir angethan,« sagte er. »Eine Französin! Sind die Französinnen mir nicht als leicht, flüchtig, untreu geschildert worden? Und nun finde ich ein solches Gesicht, ein Gesicht, auf welches man Häuser bauen könnte! Ich werde keinem Menschen davon erzählen, denn ich würde ausgelacht. Die Französinnen sind Champagner, Esprit, Mousseux; sie sind nur zum Vergnügen da. Ein Deutscher macht andere Ansprüche!«

Aber trotz dieser Gedanken konnte er das Gesicht und den Ton dieser Stimme nicht los werden. Er frühstückte, aber ohne Gedanken, fast ohne zu wissen, was er aß. Er konnte die drei Uhr gar nicht erwarten; er wollte sich dies zwar nicht eingestehen, aber als er in der Rue d'Ange vor der betreffenden Thüre stand und nach der Uhr blickte, da bemerkte er, daß er über eine Viertelstunde zu früh gekommen sei. Er mußte einstweilen weiter gehen, um diese Zeit noch verstreichen zu lassen.

Aber mit dem Glockenschlage erreichte er die Nummer Zehn. Er fand, daß die erste Etage des Hauses in zwei Wohnungen getheilt sei. Sein erster Blick fiel auf die Thür rechts. Da las er das Schild »Veuve Richemonte«. Das war jedenfalls Margot's Mutter. Also Wittwe war dieselbe? So besaß Margot keinen Vater mehr. Dies war vielleicht eine Erklärung für den Ernst, welcher ihr ganzes sonst so liebliches Wesen umfloß.

Er klingelte. Ein Mädchen erschien. Er nannte seinen Namen und wurde eingelassen.

Das Mädchen öffnete ihm die Thür eines Salons, dessen Ameublement zwar sehr anständig, aber nicht herrschaftlich reich zu nennen war. Auf einer Chaise longue ruhte eine Dame, in welcher er sofort Margot's Mutter vermuthete. Sie war einfach schwarz gekleidet. Ihr Haar war voll, schimmerte aber bereits in das Grau hinüber. Die Züge dieser Dame waren sanft und trugen jenen passiven Zug, welcher auf eine Verstimmung des Gemüthes, auf ein stilles, verschwiegenes Leiden schließen läßt. Ihr dunkles Auge ruhte forschend auf dem Eintretenden. Sie erhob sich bei seiner respectvollen Verneigung ein Wenig aus ihrer liegenden Stellung und sagte:

»Seien Sie mir willkommen, Monsieur! Sie müssen verzeihen, daß meine Tochter noch nicht zugegen ist, um Sie zu empfangen, aber ich habe es vorgezogen, Ihnen zunächst eine aufrichtige Bemerkung zu machen. Nehmen Sie Platz!«

Er setzte sich, während ihr Auge noch immer auf ihm ruhte, als ob sie ihm bis in die Tiefe seiner Seele blicken wolle.

Welch' ungewöhnlicher Empfang war dies? So fragte er sich. Was hatte sie ihm zu sagen, bevor sie ihrer Tochter den Eintritt gestattete? Er sollte es gleich hören, denn die Dame begann:

»Sie haben sich meines Kindes angenommen, und mein Mutterherz ist Ihnen natürlich dankbar dafür. Margot hat gewünscht, daß ich Sie kennen lernen solle, aber ich weiß nicht, ob Sie sich vielleicht enttäuscht fühlen werden. Sie sind natürlich gewohnt, sich die Pariser Welt als heiter, gern genießend und leichtlebig zu denken. Sie mögen bis zu einem gewissen Puncte Recht haben. Sie sind Officier. Diese Herren machen gern die Bekanntschaft junger Damen. Es ist dies eine Art von Sport für sie; sie wollen sich unterhalten; sie wollen tändeln; sie wollen sich ihrer Eroberungen rühmen. Ich habe diesen Sport nie gut heißen können; ich habe Margot diesen Kreisen stets fern gehalten. Ich liebe mein Kind; es ist so lieb und es soll nicht unglücklich werden. Das ist der heißeste Wunsch meines Herzens.«

Sie hielt inne, wie um zu überlegen, ob sie nicht zu viel gesagt habe, ob sie nichts Beleidigendes ausgesprochen habe. Es dünkte ihm, als hätte sie sagen wollen:

»Ich liebe mein Kind, und es soll nicht unglücklich werden; nicht so unglücklich, wie seine Mutter ist.«

Sie fuhr fort:

»Ich habe Margot's Wunsch erfüllt. Sie hat die Einladung ausgesprochen, und es wäre ja wohl eine Beleidigung für Sie gewesen, wenn ich dieselbe desavouirt hätte. Ich hätte dies auch gar nicht vermocht, da wir Ihre Wohnung nicht kennen. Sollten Sie mit der Erwartung gekommen sein, hier ein Amusement zu finden, so wird diese Erwartung wohl schwerlich erfüllt werden, Monsieur. Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte, und ich hoffe, daß Sie sich nicht davon beleidigt fühlen.«

»Beleidigt?« fragte er. »Sie haben die vollste Berechtigung, so zu sprechen, Madame. Sie bedienen sich eines ganz bezeichnenden Ausdruckes, indem Sie von jenem Sport sprechen. Die Officiere aller Länder sind sich in dieser Beziehung gleich. Ich hasse, ich verachte diesen Sport gleich Ihnen. Ich sehe in dem Menschen nicht ein Geschöpf, welches nur die Aufgabe hat, mich zu erheitern, mir die Zeit zu verkürzen. Ich bin gewohnt, das Leben von der ernsten Seite zu nehmen, und es freut mich, in Ihnen eine gleichgesinnte Natur zu entdecken. Gerade die gegenwärtige Zeit ist eine ernste, und ich habe wirklich nicht die Absicht, eine Minute von ihr zu vertändeln. Ich habe Fräulein Margot einen kleinen Dienst erwiesen, wie ich ihn jeder Dame erweisen würde; das ist nur Pflicht, das begründete keinen Anspruch auf Ihre besondere Dankbarkeit. Desto mehr bin ich erfreut gewesen über die Erlaubniß, mich Ihnen vorstellen zu dürfen. Beunruhigt Sie jedoch meine Gegenwart, so bin ich bereit, Sie sofort zu beruhigen.«

Er erhob sich von seinem Sitze. In ihrem Auge glänzte etwas wie ein stilles, zufriedenes Lächeln. Sie winkte ihm mit der Hand zu, sitzen zu bleiben, und sagte:

»Ich möchte annehmen, daß Margot sich nicht geirrt hat, ich finde Sie so, wie Sie von ihr geschildert worden sind. Bleiben Sie, Monsieur, und versuchen Sie, der Unterhaltung zweier einsamer Damen einigen Geschmack abzugewinnen! Besitzen Sie auch eine Mutter?«

»Leider nicht mehr, Madame. Meine Eltern sind todt.«

»Das ist ein schwerer Verlust. Aber vielleicht haben Sie Geschwister?«

»Auch nicht. Ich stehe allein in der Welt. Ich lebe meiner Pflicht und in den Musestunden meinen Büchern, die meine aufrichtigsten Freunde sind.«

In dieser Weise wurde die Unterhaltung noch ein Weilchen fortgeführt, bis Margot eintrat. Sie trug ein einfaches Hauskleid und sah in demselben so reizend hausmütterlich, so wirthschaftlich aus, daß ihm das Herz weit wurde. Als sie ihm die Hand reichte, breitete sich ein leises Roth über ihre Wangen aus. Er sah, daß er ihr nicht unwillkommen sei, und war ganz glücklich darüber.

Auch ihre Mutter wurde später heiterer. Sie schien Vertrauen zu ihm zu fassen, und als er sich verabschiedete, erlaubte sie ihm, morgen um dieselbe Zeit wieder zu kommen.

Er ging, ganz erfüllt von dem Eindrucke, den das schöne Mädchen auf ihn gemacht hatte. Noch glücklicher wäre er gewesen, wenn er gehört hätte, was nach seinem Fortgange über ihn gesprochen wurde.

»Dieser junge Mann ist wirklich anders als die Leute seines Alters und die Herren seines Standes,« sagte Frau Richemonte. »An ihm könnte Albin sich ein Beispiel nehmen. Wo er nur wieder bleibt? Er hat sich seit zwei Tagen nicht sehen lassen.«

»Vielleicht kommt er jetzt,« sagte Margot.

Es hatte geklingelt. Die beiden Damen zeigten aber keineswegs jene freudige, erwartungsvolle Miene, welche das Nahen einer gern gesehenen Person verkündet.

»Monsieur le Baron de Reillac!« rief das Mädchen zur Thür herein.

Und nach diesem Rufe erschien auch sogleich der Genannte im Zimmer. Er war ein langer, sehr hagerer Mann. Er mochte vielleicht fünfundvierzig Jahre zählen, trug sich aber trotzdem ganz wie ein junger, lebenslustiger Elegant gekleidet. Man hätte ihn nicht häßlich nennen können, aber er hatte doch, Alles in Allem summirt, Etwas an sich, was bereits beim ersten Blicke verhinderte, Sympathie für ihn zu fühlen.

Er verbeugte sich auf eine höchst stutzermäßige Manier, tänzelte erst zur Mutter und dann zur Tochter, um ihnen die Hand zu küssen, und fragte dann, sich niedersetzend:

»Ich habe drüben geklingelt, aber keine Antwort erhalten. Monsieur Albin befindet sich wohl nicht zu Hause?«

»Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen,« antwortete Frau Richemonte. Und mit einem trüben, vorwurfsvollen Blicke fügte sie hinzu: »Ich darf wohl annehmen, daß er sich in Ihrer Gesellschaft befunden hat?«

»Allerdings,« antwortete der Gefragte. »Wir waren am Tage ausgefahren und Abends im Club, wo man Vieles und Ausführliches zu besprechen hatte. Man hält das Exil des Kaisers nicht für ein ewiges. Man fragt bereits, wie man sich zu verhalten haben wird, wenn er zurückkehrt, um seine Rechte geltend zu machen –«

»Um Gottes willen, welche Unvorsichtigkeit!« rief Madame. »Noch sind die Sieger in unseren Mauern, und Sie fangen bereits zu conspiriren an!«

»Keine Sorge!« lachte der Baron. »Man ist vorsichtig! Man ist klug; wenigstens in dieser Beziehung. In anderer freilich ist man desto unkluger. Werden Sie dies glauben, Madame?«

Es lag ein Nachdruck in seinem Tone, der sie schnell aufblicken ließ.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen,« sagte sie.

»O,« sagte er, süßlich lächelnd, »ich meine nur, daß ich in Beziehung auf Politik meinen Mann stelle, in geschäftlicher Hinsicht aber viel zu nachsichtig bin.«

Frau Richemonte wüthete; sie hustete leise in das Taschentuch und meinte:

»Sind Sie vielleicht gekommen, um über Geschäfte mit mir zu sprechen, Herr Baron?«

Er räusperte sich, wie sich das Raubthier die Krallen wetzt, ehe es sich auf seine Beute wirft, und antwortete dann:

»Eigentlich nicht. Ich wollte Monsieur Albin sprechen. Er gab mir gestern Abend sein Ehrenwort, heute zu Hause zu sein.«

»Sein Ehrenwort?« fragte die Dame. »Das ist doch ganz unmöglich!«

»Warum unmöglich, Madame? Zweifeln Sie vielleicht an meiner Wahrheitsliebe?«

»Dies will ich nicht sagen. Aber wenn Albin Ihnen sein Ehrenwort giebt, wird er es auch halten. Er ist Officier.«

Der Baron zuckte die Achseln.

»Officier? Ja. Sogar Capitän der Garde! Aber pah! Man kann trotzdem sein Ehrenwort brechen. Giebt es doch Capitäns der Garde, welche sich ungestraft ohrfeigen lassen!«

Die Dame erbleichte.

»Was meinen Sie?« fragte sie. »Sie wollen doch nicht sagen, daß mein Stiefsohn –«

Sie hielt inne. Es wurde ihr zur Unmöglichkeit, das Wort auszusprechen; der Baron jedoch that es an ihrer Stelle:

»Daß Ihr Stiefsohn geohrfeigt worden ist? Ja, gerade dies will ich sagen.«

Da sprang die Frau von der Chaise longue auf und rief:

»Sie lügen, Baron!«

Auch Margot hatte ihren Sitz verlassen; sie war an die Seite der Mutter getreten, wie um ihr beizustehen gegen alle Angriffe des Aergers und der Betrübniß.

»Ich lügen?« fragte der Baron. »Monsieur Albin hat es mir selbst erzählt, und auch im Club wurde leise davon gesprochen. Es sind drei Herren dabei gewesen, mit denen er am Spieltische gesessen hat. Er hat die Deutschen Hunde genannt und den Feldmarschall Blücher, welcher zugegen gewesen ist, einen Flegel. Dafür hat er von einem deutschen Officier, dessen Forderung er ausschlug, einige Dutzend Ohrfeigen erhalten.«

»Mein Gott, welche Schmach!« rief Frau Richemonte, auf ihren Sitz zurücksinkend.

Aber es lag in ihrem Ausrufe nicht der Aufschrei eines zerrissenen Mutterherzens; es klang wie Verachtung, die tiefste, unheilbarste Verachtung.

»Wenn solche Dinge geschehen, so werden Sie auch die Möglichkeit zugeben, daß er sein Ehrenwort bricht, Madame,« fuhr der Baron fort. »Er hat mir versprochen, am Nachmittage zu Hause zu sein.«

»Ah, so handelt es sich auch hier um eine Ehrensache?«

»Natürlich! Man arrangirte im Club ein kleines Spielchen, an welchem sich auch Monsieur Albin betheiligte. Er hatte Unglück. Ich schoß ihm fünftausend Franken vor, die er mir heute drei Uhr Nachmittags in seiner Wohnung zurückzugeben versprach. Ich komme um fünf Uhr, und dennoch ist er nicht hier.«

»Mein Gott, auch das noch!« klagte die Dame. »So wächst seine Schuld ja doch in das Riesenhafte!«

Der Baron nickte mit dem Kopfe und antwortete:

»Sie haben Recht, meine Gnädige! Haben Sie eine Ahnung, wie viel er mir bereits gegen Wechsel schuldet?«

»Wie sollte ich das wissen?«

»Ueber zweimal hunderttausend Franken.«

»Zweimal hund-!«

Das Wort blieb ihr auf der Zunge liegen. Margot war schreckensbleich geworden. Der Baron beobachtete die Beiden mit einem versteckten, siegesgewissen Lächeln.

»Aber das ist ja die reine Unmöglichkeit! Das ist ganz unglaublich!«

Bei diesen Worten der Dame zuckte der Baron die Achsel und antwortete:

»Unglaublich? Warum? Monsieur Albin hat sehr noble Passionen. Er spielt hoch; er verehrt dieser oder jener Tänzerin ein Geschmeide im Werthe von zehntausend Franken. Vermögen hat er nicht mehr. Gehalt erhält er nicht, da der Kaiser gefangen ist. Wie bald ist da ein solches Sümmchen ernporgelaufen!«

»So mag er sehen, wie er es wieder herunter bringt!« sagte Madame entschlossen. »Er ist mein Stiefsohn, und doch habe ich mich bereits für ihn aufgeopfert. Nun bin ich selbst arm. Er mag sehen, wer ihm hilft. Ihnen aber, Baron, schulde ich keinen Dank, daß Sie ihn in seiner wahnsinnigen Verschwendung unterstützen. Hätten Sie ihm nichts gegeben, so hätte er sparsamer leben müssen!«

Da glühte das Auge des Angeredeten in einem eigenthümlichen Lichte. Es war Stolz, Schadenfreude, Gier und Siegesgewißheit, welche daraus sprach. Er antwortete:

»Sie irren, Madame; ein Anderer hätte ihn eben so unterstützt. Uebrigens ist er der Sohn Ihres seligen Herrn Gemahls, der mein Freund war. Soll ich ihn nicht unterstützen, da ich doch auch nachsichtig gegen Sie, die Wittwe dieses Freundes, bin?«

»Nachsichtig mit mir? Wann wären Sie dies jemals gewesen!« rief sie voller Bitterkeit. »Ich ließ mich kurz vor dem Tode meines Mannes verleiten, seine Accepte auch mit meinem Namen zu versehen. Was verstand ich als Dame von solchen Papieren! Ich unterzeichnete sogar Formulare, welche später erst ausgefüllt wurden. Als mein Mann todt war, präsentirten Sie mir alle diese Documente. Sie waren nach Sicht zu bezahlen. Ich mußte Alles verkaufen, was ich besaß, um sie einlösen zu können und nicht in das Schuldgefängniß zu wandern. Nennen Sie dies Nachsicht?«

»Ich spreche nicht hiervon, Madame; ich spreche von den drei Accepten, welche ich noch jetzt von Ihnen in den Händen habe.«

Sie blickte ihn groß an, aber er hielt diesen Blick aus.

»Noch drei Accepte? Von mir?« fragte sie. »Sie irren, oder erlauben sich einen Scherz, der hier wahrhaftig nicht am rechten Platze ist!«

»An einen Scherz ist nicht zu denken,« sagte er. »Sie sprachen von Blanquets, welche später ausgefüllt worden sind. Nun wohl, es waren noch drei solche Blanquets vorhanden, als Ihr Herr Gemahl starb. Monsieur Albin hat sie ausgefüllt und den Betrag von mir erhalten. Die Wechsel lauten auf Sicht; ich habe sie Ihnen noch nicht präsentirt; darf ich da nicht von Nachsicht sprechen?«

Frau Richemonte fuhr abermals in die Höhe, jetzt vor Schreck.

»Sie sagen die Wahrheit?« fragte sie.

»Die volle Wahrheit!«

»Albin hat den Betrag erhalten?«

»Ja.«

»Wieviel?«

»In Summa hundertundfünfzigtausend Franken.«

»Hundertundfünfzigtausend Franken! O, mein Gott!« rief sie, die Hände vor das Gesicht schlagend. »Und ich besitze nur eine Rente von noch zweitausend Franken!«

»Ich werde darauf Beschlag legen müssen, Madame.«

Das hatte sie nicht erwartet. Sie starrte ihn mit großen Augen an und sagte:

»So werde ich dann verhungern müssen!«

»Nein,« antwortete er, gleichmüthig die Achsel zuckend. »Nicht verhungern, sondern nur arbeiten werden Sie müssen!«

»Arbeiten, das thun wir ja jetzt bereits. Oder glauben Sie, daß man von zweitausend Franken jährlich leben kann? Wir arbeiten insgeheim für ein Stickereigeschäft. Heute Vormittag hat Margot wieder das Fertige abgeliefert und sich dabei den frechen Insulten einer rohen Soldateska ausgesetzt.«

»Das darf ich nicht beachten, Madame. Ihr Sohn schuldet mir eine ungeheure Summe auf Wechsel, dazu eine Spielschuld von fünftausend Franken auf Ehrenwort; er hat kein Geld. Von Ihnen besitze ich Wechsel im Betrage von hundertundfünfzigtausend Franken. Ich präsentire sie Ihnen hiermit. Wollen Sie die Documente einlösen?«

Die Wittwe schlug die Hände zusammen und rief:

»Aber sehen Sie denn nicht ein, daß mir dies ganz unmöglich ist! Wer hat Ihnen erlaubt, meinem Stiefsohne gegen meine Unterschrift eine solche Summe auszuhändigen?«

»Eben Ihre Unterschrift hat es mir erlaubt, Madame,« lächelte er überlegen. »Uebrigens irren Sie sich ganz und gar, wenn Sie behaupten, daß es Ihnen unmöglich ist, diese Summe zu decken.«

»Mein Gott, womit soll ich es können?«

»Mit einem einzigen Worte.«

»Mit welchem?«

»Mit dem kleinen Wörtchen Ja.«

Sie verstand ihn nicht; sie blickte ihn fragend an. Er aber setzte sich in Positur, ließ seine Augen lüstern über die schöne Gestalt Margot's gleiten und sagte:

»Sie kennen meine Person und meine Umstände, Madame. Ich bin Armeelieferant des großen Kaisers gewesen, und habe mir Millionen verdient. Ich kann einer Frau eine glänzende Existenz bieten. Ich habe Ihnen bereits, als Ihr Herr Gemahl noch lebte, gesagt, daß ich Mademoiselle Margot liebe. Ich wurde damals abgewiesen; es hieß, Mademoiselle könne mich nicht lieben. Sie befanden sich damals in besseren Verhältnissen. Jetzt werden Sie einsehen, daß eine Heirath nach Liebe eine Dummheit ist. Ich wiederhole heute meinen damaligen Antrag. Sobald ich mit Mademoiselle vom Altare zurückkehre, zerreiße ich die Wechsel Ihres Stiefsohnes und auch die Ihrigen. Sagen Sie Nein, so wandern Sie in das Schuldgefängniß.«

Er hatte sich bei den letzten Worten erhoben, griff nach seinem Hute und fuhr dann fort:

»Sie sehen, daß ich aufrichtig bin. Nennen Sie mich hartherzig oder grausam; mir ist dies gleichgiltig. Ich liebe Margot; sie wird meine Frau werden, oder Sie müssen untergehen. Ich gebe Ihnen eine volle Woche Zeit. Heute über acht Tage werde ich mir Ihre Antwort holen. Ueberlegen Sie sich reiflich, was Sie thun werden. Adieu!«

Er ging und ließ die beiden Damen in einer großen Aufregung zurück.

Madame Richemonte lag auf ihrer Chaise longue und weinte. Margot hatte sich bei ihr niedergelassen und zog wortlos den Kopf der Mutter an ihr Herz. Das Mädchen hatte bisher kein Wort gesagt. Ihr Gesicht zeigte keine Spur von Betrübniß, wohl aber lag auf demselben ein Zug finsteren Hasses, fast möchte man sagen, der Rache, den ihre Mutter freilich nicht bemerkte, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war.

»Hundertundfünfzigtausend Franken!« jammerte die Frau. »Hast Du es gehört, Margot?«

»Ja.«

»Und ich war ihm nichts schuldig! Er ist ein Verführer, ein Betrüger!«

»Er ist ein Teufel, Mama. Er hat ganz und gar berechnend gehandelt.«

»Wieso?«

»Er hat mich zwingen wollen, ihn zu heirathen.«

»Mein Gott! Wirklich?«

»Ja. Zunächst hat er Papa in Schulden verstrickt und ihn und Albin zum Spielen verführt. Sodann hat er Dich zur Ausstellung der Blanquets gebracht. Jetzt sind wir verloren, wenn ich ihm nicht mein Jawort gebe.«

»Du wirst es ihm nicht geben! Nein, niemals, Kind!«

»O, doch!« sagte das Mädchen, scheinbar ruhig.

»Doch? Du willst?« fragte die Mutter ganz erschrocken.

»Ja, ich will!«

»Aber Du wirst unglücklich, Margot!«

»Nein!«

Sie sagte dieses Wort in einem so bestimmten Tone, daß ihre Mutter aufmerksam wurde, sie ganz erstaunt anblickte und dann fragte:

»Nein? Das begreife ich nicht! Kind, mein Kind, liebst Du ihn etwa gar?«

Margot schüttelte überlegen den Kopf und antwortete:

»Ich hasse ihn; ich verabscheue ihn, und darum werde ich ihn heirathen, Mama.«

»Ihn heirathen, weil Du ihn hassest? Du sprichst in Räthseln!«

»O, begreifst Du nicht, welche Süßigkeit in der Rache liegt?«

»Ah!« rief die Mutter, der das Verständniß aufzugehen schien.

»Ja. Er ist der Teufel unserer Familie, unseres Hauses gewesen. Er ist Schuld an unserer Verarmung und an dem Tode des Vaters. Ich willige ein, sein Weib zu werden, um uns Alle an ihm rächen zu können. Er liebt mich zum Rasendwerden. Ich habe seine glühenden, begehrlichen Blicke Monate lang beobachtet, ohne zu thun, als ob ich es bemerke. Ich werde sein Weib; er muß die Wechsel zerreißen; aber er wird mich niemals berühren dürfen. Er soll verschmachten vor Verlangen nach mir. Ich bin schön. Ich werde mich für ihn schmücken, nur für ihn, um ihn liebeswahnsinnig zu machen. Er soll vor mir im Staube kriechen wie ein Wurm; er soll um ein Wort, um einen Blick betteln und doch nicht erhalten, was er begehrt. Er soll Tantalusqualen erleiden, und ich werde glücklich sein, je unglücklicher ich ihn sehe!«

Sie sprach im Gefühle des Augenblickes. Sie bedachte nicht, daß ihr Glück, von dem sie sprach, ein fürchterliches sein werde. Sie wollte sich opfern, opfern für die Mutter und für die Sache. Sie glaubte, stets so Herr ihres Herzens zu sein, wie jetzt, und ahnte nicht, welch' ein Unglück es für sie sein werde, an einen solchen Mann gekettet zu sein und doch die Liebe zu einem Anderen im Herzen zu tragen. –

Als Lieutenant von Königsau die beiden Damen verlassen hatte, war er, zunächst nur an Margot denkend, durch einige Straßen geschlendert und dann in ein Kaffeehaus getreten. Dasselbe gehörte zu jenen Boulevardkaffeehäusern, welche einen Vorplatz haben, wo diejenigen Gäste sitzen können, welche es vorziehen, ihren Kaffee oder Absynth im Freien zu trinken, und dabei mit Bequemlichkeit das Leben und Treiben der Straße beobachten.

Er trat in das Zimmer und nahm an einem der Fenster Platz. Hier hatte er noch nicht lange gesessen, so sah er einen Mann herankommen, dessen Anblick ihn veranlaßte, sich etwas vom Fenster zurückzuziehen. Es war der Gardecapitän Richemonte.

Dieser blieb draußen auf dem Vorplatze, wo er sich gerade vor das Fenster setzte, hinter welchem Königsau seinen Sitz hatte. Es verging eine ziemliche Weile, so kam ein Zweiter, welcher neben dem Capitän sich niederließ. Der Deutsche kannte ihn nicht; es war der Baron de Reillac, der soeben von dem Heirathsantrag kam, welchen er Margot gemacht hatte. Es war ein eigenthümlicher Zufall, daß Königsau gerade dieses Kaffeehaus gewählt hatte. Die Beiden ahnten nicht, daß drinnen ganz in der Nähe des Fensters einer saß, der jedes Wort ihres Gespräches hören konnte.

»Eingetroffen!« sagte der Baron.

»Endlich!« meinte der Capitän. »Ich warte bereits längere Zeit. Welchen Erfolg hat die Attaque gehabt, lieber Baron?«

»Bis jetzt gar keinen.«

»Wieso?«

»Ich habe Ihren Damen eine Woche Zeit gegeben.«

»Eine Woche? Verdammt! Warum? Woher nehme ich in dieser Zeit Geld?«

»Von mir.«

»Ah, das klingt befriedigend. Ich brauche einige Tausend Franken. Was sagte die gute Stiefmama zu Ihrer Eröffnung?«

»Das, was alle Frauen bei solchen Gelegenheiten sagen; sie glaubte es zunächst nicht; dann jammerte sie, schlug die Hände zusammen und weinte. Ich kann das verfluchte Weinen nicht ausstehen und habe mich daher so kurz wie möglich gefaßt.«

»Und Margot?«

»Die? Ah, da muß ich mich zuvor besinnen! Ja, ich glaube, sie hat kein einziges Wort gesagt.«

»Glauben Sie, daß Sie die Einwilligung erhalten?«

»Jedenfalls!«

»Und wenn nicht?«

»So spazieren Sie in das Schuldgefängniß.«

»Alle Teufel, Sie scherzen, Baron! Einen Freund schickt man nicht an einen solchen Ort!«

Der Baron zuckte höchst gleichmüthig die Achsel und antwortete:

»Freund? Pah! Blutsauger waren Sie, aber nicht Freund. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich Ihnen nur Ihrer Schwester wegen ausgeholfen habe. Wird sie meine Frau, so quittire ich Ihre Schuld und zahle Ihnen noch fünfzigtausend Franken. Die Wechsel Ihrer Mutter, auf hundertundfünfzigtausend Franken lautend, werden auch zerrissen. So bezahle ich das Jawort mit viermalhunderttausend Franken. Wer ist nun der Freund? Sind Sie der meinige, oder bin ich der Ihrige?«

»Ich hoffe, daß Sie Ihren Zweck erreichen, Baron!«

»Wenn ich ihn nicht erreiche, sind Sie schuld.«

»Ich? Inwiefern?«

»Gehen Sie zu den Damen und machen Sie ihnen die Hölle heiß! Geben Sie sich ja Mühe, denn ich würde im Falle des Nichtgelingens keine Nachsicht mit Ihnen haben.«

»Fast möchte ich Ihnen dies zutrauen!«

»Ich ersuche Sie, davon überzeugt zu sein! Sie haben mir den Mund wässerig gemacht und in Folge dessen auf meine Kosten gelebt wie ein Nabob. Warum sollte es mir auf einige tausend Franken ankommen, wenn es sich darum handelt, Ihnen zu zeigen, wie es einem armen Teufel im Schuldgefängnisse zu Muthe ist. Uebrigens rathe ich ihnen, einen Panzer anzulegen, bevor Sie Ihre liebenswürdigen Damen besuchen.«

»Warum?«

»Sie wissen Ihre Spielschuld.«

»Alle Teufel! Wer hat ihnen davon gesagt?«

»Ich.«

»Sie? Sind Sie bei Sinnen! Wozu braucht meine Mutter oder die Schwester zu wissen, wie hoch ich spiele und was ich verliere?«

»Sie werden dadurch gefügiger. Uebrigens kennen sie auch Ihr Rencontre mit dem deutschen Officier.«

»Auch das? Wer hat hiervon zu ihnen gesprochen?«

»Auch ich, Capitän.«

»Mensch!« brauste der Capitän auf. »Und das sagen Sie mir so ruhig!«

»Ja, gerade so ruhig, wie ich Ihnen mein Geld gebe. Ich will die Genugthuung haben, von Ihnen reden zu können. Margot soll wissen, daß Sie mir kein Opfer bringt, wenn ich mir die Schwester eines ruinirten Officiers zur Frau nehme.«

Es blieb eine Zeit lang ruhig. Königsau hatte gedacht, daß der Capitän jetzt voller Wuth losschmettern werde; dem war aber nicht so. Er befand sich in den Händen des baronisirten Armeelieferanten; darum gab er sich Mühe, seinen Zorn zu beherrschen und antwortete:

»Glauben Sie etwa, daß ich mich vor diesem Deutschen fürchte?«

»Ja, das glaube ich,« antwortete der Gefragte kalt.

»Warum?«

»Weil Sie seine Forderung zurückwiesen.«

»Pah! Ich werde mich noch mit ihm schlagen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Diese Deutschen sollen im Punkte der Ehre außerordentlich heikel sein. Ich glaube nicht, daß dieser Husarenlieutenant – wie hieß er gleich?«

»Von Königsau.«

»Gut! Also ich glaube nicht, daß sich dieser Königsau noch mit einem schlagen wird, den er vorher geprügelt hat. Es war dies eine ganz alberne Dummheit von Ihnen!«

»Ich wollte mich nicht mit ihm schlagen, weil ich diese Deutschen hasse. Ich halte keinen von ihnen für werth, einen Degen mit einem Franzosen zu kreuzen.«

»Aber so ein Deutscher hält Sie dafür für werth, Ohrfeigen zu erhalten. Gehen Sie, Capitän! Ob Sie nach einem solchen Vorkommnisse fortdienen können, ist sehr fraglich. Doch regen wir uns nicht auf. Wieviel brauchen Sie Geld?«

»Einige Tausend Franken.«

»Gut! Sagen wir dreitausend. Kommen Sie jetzt mit zu mir; ich will sie Ihnen geben. Heute Abend legen wir wieder eine kleine Bank, und über eine Woche bin ich ein Schwager, der Ihnen die ganze Schuld quittirt.«

Sie entfernten sich.

Königsau hatte mit größter Aufmerksamkeit gelauscht, um keines ihrer Worte zu verlieren. Es lag Alles klar vor ihm. Dieser sogenannte Baron speculirte auf die Hand Margot's, welche leider die Schwester des geprügelten Capitäns war. Frau Richemonte schuldete dem Baron eine Summe von hundertundfünfzigtausend Franken auf Wechsel. Mit dieser Summe und den Schulden ihres Bruders wollte er sie erkaufen.

»Warum bin ich arm!« sagte sich Königsau. »Fünfundvierzigtausend Thaler ist Alles, was ich besitze, und auch die kann ich nur aus dem Verkaufe meines Gutes erst lösen. Wäre ich reicher, so bezahlte ich Alles, und Margot wäre mit der Mutter frei.«

Er ging nach Hause. Er mußte immer an Margot denken und an die hundertundfünfzigtausend Franken, und noch in der Nacht, als er endlich Ruhe gefunden hatte, träumte ihm von einem riesigen Schuldthurme, in dessen dunklen Kerker Margot schmachtete.

Es ist eigenthümlich, welches Interesse der Mensch an einer Person nimmt, von welcher er recht lebhaft geträumt hat. War sie ihm vorher gleichgiltig, so gewinnt sie plötzlich ein Interesse, welches sie früher nicht besessen hat. Besaß sie es jedoch bereits, so verdoppelt und vervielfacht sich die Theilnahme, und es kann auf diese Weise sehr leicht eine Liebe entstehen, die man sonst wohl für unwahrscheinlich gehalten hätte.

So war es auch mit Königsau. Als er erwachte, war er zunächst froh, von der Angst erlöst zu sein, welche er um das schöne Mädchen empfunden hatte. Aus dieser Angst aber war ihr Bild viel lichter und bezaubernder hervorgewachsen, und er fühlte eine solche Sehnsucht nach ihr, daß er den Nachmittag kaum erwarten konnte.

Endlich kam die dritte Stunde, und er machte sich auf den Weg. Als er in den Salon trat, kam ihm Margot entgegen und bat um Entschuldigung, daß ihre Mutter heute nicht zu sprechen sei, sie sei seit gestern so unwohl und angegriffen, daß sie keinen Besuch empfangen könne.

Königsau ahnte, daß an dieser Krankheit das gestrige Gespräch mit dem Baron die Schuld trage, doch er ließ sich von dieser Ahnung natürlich nichts merken.

Margot war heute außerordentlich bleich. Auf ihrem Gesichte lag eine Entschlossenheit, eine Resignation, bei welcher ihm bänglich zu Muthe wurde. Er bemerkte zwar, daß ihr Auge zuweilen mit jenem Blicke auf ihm ruhte, in welchem ein unbewußtes Geständniß sympathischer Regungen liegt, doch zeigte sie sich in ihren Reden und Antworten verschlossen und kalt. Das konnte nicht die Sorge um ihre kranke Mutter, sondern das mußte etwas Anderes sein. Er sann vergebens nach; er vermochte es nicht zu entdecken, bis endlich das Gespräch so oben hin auf zartere Verhältnisse kam.

Jetzt zeigte ihr Gesicht zum ersten Male wieder eine Spur von Leben und Wärme.

»Ich beneide Sie, Monsieur,« sagte sie. »Welch ein Glück muß es sein, in die Heimath zurückzukehren, und, dem Schlachtentode entgangen, als Sieger vor ein geliebtes Weib oder vor eine harrende Braut zu treten.«

»Beneiden Sie mich nicht, Mademoiselle,« antwortete er. »Ein solches Glück ist mir nicht beschieden.«

»Nicht? Sie haben keine Braut?«

»Nein. Mein Herz ist noch niemals engagirt gewesen.«

Sie blickte zu Boden und fragte, ohne die Augen zu ihm zu erheben und ihn anzusehen:

»Muß denn stets das Herz engagirt sein?«

»Können Sie sich ein Glück denken, ohne daß das Herz Theil daran nimmt?«

»Allerdings nein. Aber das Herz kann auf verschiedene Weise betheiligt sein.«

Er blickte ihr forschend in das bleiche Angesicht. Ihre Lippen zuckten, und auf ihrer Stirn lag es schwer und finster wie ein Entschluß, von dem sie überwunden worden war.

»Ich verstehe Sie nicht, Mademoiselle,« sagte er. »Ich kenne nur eine einzige Weise. Nur die Liebe macht glücklich, ohne sie kann man es niemals sein.«

»Sie irren. Denken Sie sich einen recht grimmigen Haß, eine recht glühende Rache. Sie befriedigt zu sehen, muß auch ein Glück sein!«

»Allerdings, aber ein Glück für einen Teufel,« antwortete er.

Sie hob mit einem raschen Aufschlage ihrer Augen den Blick zu ihm empor, sah ihn forschend an und fragte:

»Also nehmen Sie doch an, daß auch ein Teufel glücklich sein könne?«

»Ein teuflisches, das heißt, ein verdorbenes Gemüth? Ja, aber nur für einen Augenblick. Ich möchte wohl an einem Beispiele erfahren, wie man dauernd durch eine große Rache sich glücklich fühlen könne.«

Er war jetzt Diplomat, und kein schlechter. Er sprach diese Frage aus, um in ihr Geheimniß einzudringen. Sie durchschaute ihn glücklicher Weise nicht und antwortete:

»Ich will versuchen, Ihnen ein Beispiel zu geben. – Denken Sie sich ein Mädchen, jung, schön, edel und gut. Sie besitzt alle Eigenschaften, einen Mann glücklich zu machen. Da kommt ein Bösewicht, welcher sich von ihren Reizen gefesselt fühlt. Er trachtet, ihre Hand zu erlangen, wird aber abgewiesen. Hierauf beginnt er, im Stillen seine Minen zu graben. Er bemächtigt sich ihrer Anverwandten; er verführt dieselben, er stürzt sie in Sünde, Laster und Schande, und schwört, die Unglücklichen nicht eher wieder los zu geben, als bis sie losgekauft werden. Der Preis ist die Hand des Mädchens.«

»Und dieses? Das Mädchen? Was thut es?«

»Sie reicht dem Bösewicht die Hand, um die Ihrigen zu retten.«

»So hat sie wohl nie geliebt, oder besitzt ein großes, erhabenes Herz, einen seltenen Opfermuth und ein felsenfestes Vertrauen, den Bösewicht durch ihren Einfluß zu bessern.«

»Nein, das will sie nicht. Sie will ihn strafen!«

»Ah, Sie widersprechen sich, Mademoiselle. Vorhin sagten Sie, das Mädchen reiche ihm ihre Hand, um die Ihrigen zu retten, und jetzt thut sie es, um ihn zu strafen.«

»Ja, sie will ihn strafen, fürchterlich strafen. Er soll in ihr einen Himmel sehen, in den er nie gelangen kann. Er soll nach dem Tropfen schmachten, der ihm nahe vor der Lippe perlt und dennoch verdürsten.«

»Dieses Mädchen ist ein Teufel, Mademoiselle. Sie nannten sie vorhin edel und gut. Sie ist aber das gerade Gegentheil. Dieser Plan kann nur im Augenblicke des höchsten Zornes, der Verzweiflung gefaßt werden, aber kein fühlend Weib wird ihn ausführen. Ein edles, gutes Mädchen wird vor einem solchen immerwährenden Henkerwerk zurückschaudern. Denken Sie sich dann die Betreffende mit ihrem Opfer für's ganze Leben allein, vielleicht auf einer wüsten Insel. Muß sie nicht an dem Anblicke von Anderer Glück zu Grunde gehen? Vielleicht begegnet sie einem Mann, dem ihr ganzes Sein und Wesen entgegen fliegen möchte, und doch ist sie an ihr Opfer gefesselt. Nun wird sie zum Tantalus, welcher unendliche Qualen erduldet. Ist es nothwendig, daß sie ihn bestraft? Giebt es nicht einen höheren Richter? Ist nicht das wahre Gottvertrauen der größte Schatz des Weibes? Sollte Gott die Ihrigen nicht retten können, ohne daß sie ein so schreckliches Opfer bringt?«

Er hatte Recht. Sie hatte den Plan nur im Augenblicke des höchsten Zornes gefaßt. Jetzt stellte er ihr denselben in einem Lichte dar, vor welchem sie erschrak. Er verstand und begriff sie; er wußte, daß sie von sich selbst gesprochen hatte. Bei diesem Gedanken krampfte sich sein Herz zusammen. Es wurde ihm angst, und in dieser Bangigkeit ergriff er ihre Hand und fuhr fort:

»Sie rollen da ein fürchterliches Bild vor mir auseinander. Haben Sie es vielleicht Dante's Hölle entlehnt? Ich wiederhole es: Das Weib, von dem Sie sprechen, würde ein Teufel sein; es würde nicht quälen, sondern gequält werden, und zwar durch sich selbst. Es giebt auf Erden keine Lage, welche rettungslos ist. Zerreißen Sie dieses Bild und werfen Sie die Fetzen von sich weg; sie erregen Abscheu und Ekel!«

Sie hatte ihm aufmerksam zugehört. Die Blässe war von ihren Wangen gewichen; die Röthe der Scham hatte auf derselben Platz genommen. Dennoch aber machte sie noch einen Versuch, sich zu vertheidigen:

»Wenn es aber keine andere Rettung giebt?«

»Wer kann das behaupten, Mademoiselle? Wir Menschen sind kurzsichtig, zuweilen sogar blind. Was uns leicht dünkt, ist oft unmöglich, auszuführen, und im Gegentheil ist das, woran wir verzweifeln möchten, vielleicht ein Kinderspiel. Wer wollte sagen, daß es aus irgend einer Noth keine Hilfe gebe? Sie ist da; sie naht vielleicht schon, aber wir sehen sie nicht.«

»Aber wenn Menschen nicht helfen können?«

»So hilft Gott durch sie, ohne daß sie es wissen und wollen. Er weiß den rechten Weg zur Rettung, nur sollen wir ihm vertrauen, und ihm nicht widerstreben.«

Da endlich! Er sah es ihr an; er hatte sie besiegt. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und sagte:

»Ich danke Ihnen, Monsieur! Ja, Sie sind ein Deutscher, ein wahrer, echter Deutscher!«

»Was wissen Sie von uns Deutschen, Mademoiselle?«

»Daß sie wie die Kinder sind, voller Glauben und Vertrauen, und doch auch echte Männer, welche Gott zwar um Hilfe bitten, ihn aber dabei auch tüchtig unterstützen,« lächelte sie. »Man sieht es an den Schlachten, welche sie jetzt geschlagen haben.«

Diese parteilose Anerkennung that ihm wohl. Margot gewann dadurch sehr in seiner Achtung. Noch immer ihre Hand in der seinigen haltend, wagte er zu fragen:

»War es wirklich nur ein Beispiel, welches Sie mir erzählten, Mademoiselle, oder ist dieser Fall im Leben vorgekommen?«

Sie senkte den Blick verlegen zu Boden. Sie wollte ihn nicht belügen; er sah sie so ehrlich an. Und die Wahrheit, durfte sie ihm diese sagen? Endlich antwortete sie zögernd:

»Wenn es ein wirklicher Fall wäre, dürfte man sich da für berechtigt halten, es zu erzählen, Monsieur?«

Da wurde er kühn und sagte:

»Ich errathe, wessen Fall es ist.«

Eine tiefe Gluth bedeckte ihr schönes Gesicht. Errieth er es wirklich? Sie hatte Gedanken gehabt, welche er mit dem Worte teuflisch bezeichnet hatte. Sie wagte nicht, um seine Meinung zu bitten, aber sie sah ihm fragend und zagend entgegen.

»Sie sprechen von sich selbst. Nicht wahr, Mademoiselle?« fügte er hinzu.

»Und nun verurtheilen Sie mich?« sagte sie leise.

Sie hatte sich schön genannt; sie hatte von ihren Reizen gesprochen. Wie lächerlich kam sie sich vor! Was mußte er von ihr denken!

»Nein, ich verurtheile Sie nicht. Sie haben diesen Entschluß im Zorne gefaßt. Ich wünsche sehr, Ihnen helfen zu können, und wenn es auch nur durch einen guten Rath wäre. Darf ich mich erkundigen?«

»Bei wem?«

»Bei Ihnen.«

»Fragen Sie!«

»Sie hassen den Baron?«

Sie blickte ihn in höchster Ueberraschung an.

»Sie kennen den Baron?« fragte sie erstaunt.

»Ja; nur seinen Namen weiß ich nicht. Ich muß Ihnen nämlich Zweierlei gestehen. Erstlich habe ich ein Gespräch belauscht, welches gestern dieser Baron mit einem Capitän der Garde führte. Ich merkte dabei, daß es sich um Ihren Besitz handele, Mademoiselle. Da ich dadurch Mitwisser geworden bin, wird es Ihnen nicht schwer werden, mir auch Ihr weiteres Vertrauen zu schenken. Sind Sie mit jenem Capitän der Garde verwandt?«

»Wie heißt er?«

»Albin Richemonte.«

»Er ist mein Bruder, mein Stiefbruder, aber ich ver –«

Sie stockte verlegen; doch er ermunterte sie in eindringlichem Tone:

»Sprechen Sie weiter, Mademoiselle. Ich nehme den größten Theil an dem, was Sie mir sagen werden.«

»O, Sie werden mich abermals für unedel, für »teuflisch« halten, Monsieur!«

»Wagen Sie es immerhin,« lächelte er. »Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß Sie mir ganz wie das Gegentheil von teuflisch vorkommen.«

»Nun, ich wollte sagen, ich verachte, ich hasse ihn. Er hat ein unendliches Elend über uns gebracht. Er steht mir ferner als der fernste Mensch, obgleich er der Sohn meines Vaters ist, an dessen Tode er die Mitschuld trägt. Nicht wahr, nun verurtheilen Sie mich, die Schwester, welche ihren Bruder verachtet?«

»Nein, sondern ich danke Gott, daß er nur Ihr Stiefbruder ist. Er ist wirklich verächtlich; auch ich verachte ihn.«

»Wie, Sie kennen ihn?« fragte sie.

»Ja, und dies ist das Zweite, was ich Ihnen gestehen muß. Haben Sie vielleicht gehört, daß Ihr Bruder ein Rencontre mit einem deutschen Officiere gehabt hat?«

»Ja,« antwortete sie, in der Seele ihres Bruders beschämt.

»Nun, dieser Deutsche war ich. Können Sie mir vergeben? Hätte ich Sie bereits gekannt, so hätte ich ihn vielleicht geschont.«

»Ich habe Ihnen nichts zu vergeben, Monsieur. Sie haben Ihre Ehre und diejenige Ihres Kriegsobersten gewahrt; das war Ihre Pflicht. Lassen Sie uns als Freunde scheiden!«

»Wie, Sie wollen mich entlassen?«

»Leider muß ich es, da Mama unwohl ist. Vielleicht aber darf ich Sie morgen wiedersehen.«

*


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