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Fortsetzung 15

Blücher gelangte auf seinem Umwege nach der Rue d'Ange und sah, daß in der Wohnung der Frau Richemonte noch Licht sei. Er klingelte dem Portier. Dieser dachte, ein Bewohner des Hauses kehre heim, und kam nicht heraus, sondern zog nur an der Leine, so daß die Thüre aufging. Blücher wollte keine Zeit verlieren, mit ihm zu reden, sondern stieg schnell die ihm bereits bekannte Treppe hinauf und klingelte am Vorsaale.

Drin ertönten zögernde Schritte; die Thür wurde geöffnet, und Margots Köpfchen erschien.

»Wer ist da?« fragte sie in den dunklen Vorplatz hinaus.

»Ich, mein liebes Fräulein!«

Beim Klange dieser Stimme wäre ihr vor Ueberraschung fast das Licht aus der Hand gefallen. Sie war bereits in das Negligé gekleidet, machte aber doch die Thür weit auf und sagte:

»Excellenz, Sie hier! So spät!«

»Ja. Verzeihen Sie! Ist der junge, der Königsau, noch da?«

»Nein, Excellenz. Wollen Sie doch eintreten!«

»Gott bewahre! Wenn er fort ist, da habe ich Eile. Wann ging er?«

»Vor kaum zwei Minuten.«

»Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!«

Er stürmte, ohne auf die ängstliche Frage des Mädchens zu antworten, die Treppe hinab und unten zur vom Portier rasch wieder geöffneten Thür hinaus. Draußen aber blieb er stehen.

»Heiliges Pech!« sagte er. »Wohin nun? Ist er rechts oder links gegangen? Ach, von links her kam ich; ich hätte ihn treffen müssen; er ist also nach rechts.«

Er eilte fort im Trabe, er der Marschall, eines einfachen Lieutenants wegen. Er legte die Engelsstraße zurück und bog nun in diejenige ein, die er bewohnte. Es war eine weite Strecke bis da hinauf, aber er rannte weiter. Der Athem wollte ihm versagen. Da kam ihm der beste Gedanke, den er haben konnte: Er blieb stehen und horchte. Ja, da oben erschallte der laute, abgemessene, tactvolle Schritt eines Mannes, der jedenfalls Militär war. Aber der Gehende konnte, dem Klange seiner Schritte nach, gar nicht mehr weit von der gefährlichen Stelle sein. Darum legte Blücher die Hände um den Mund und rief so laut, wie er konnte:

»Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen Dich abmurksen!«

In demselben Augenblicke aber sah er auch da vorn einen raschen Laternenblitz über die Straße leuchten, und dann fielen schnell hinter einander zwei Schüsse.

»Herrgott, er ist zum Teufel!«

So rief der Alte und setzte sich von Neuem in Bewegung. In Zeit von einer Minute war er an dem Thore, an welchem die beiden angeblichen Nachtwächter gestanden hatten. Er sah nichts. Er strich mit dem Beine über den Boden und stieß auf zwei Gegenstände. Er bückte sich nieder und hob sie auf. Es war die Laterne und die abgeschossene Pistole.

»Ein verdammter Kerl!« rief er freudig. »Er ist also noch nicht zum Teufel!«

Jetzt holte er erst einige Male tief Athem. Und da kamen auch bereits mehrere Soldaten mit Laternen herbei. Sie gehörten zu dem Wachtkommando, welches im Palais des Marschalls lag. Man hatte dort die Schüsse gehört und wollte nun sehen, was das zu bedeuten hätte.

»Hierher, Jungens!« rief er. »Hier ist's gewesen!«

Der Vorderste, ein Korporal, leuchtete ihn an.

»Kreuzbataillon, Excellenz, hat man etwa gar auf Sie geschossen?« fragte er, den Marschall erkennend.

»Nein, mein Junge, auf mich und Dich nicht, aber auf einen Anderen. Sucht einmal hier umher, ob da vielleicht ein kaputgemachter Husarenlieutenant liegt!«

»Ein Husarenlieutenant?«

»Ja, geehrtester Herr Korporal! Aber zu fragen hast Du hier nichts, sondern zu suchen, sonst will ich Dir Augen und Beine machen, Du neugieriger Kater Du.«

Es wurde gesucht, aber nichts und Niemand gefunden. Nicht einmal ein Tropfen Blutes wurde bemerkt, welcher hätte auf eine Verwundung schließen lassen.

»Das ist gut; das freuet mich!« meinte Blücher. »Korporal, komm her, halte einmal Deinen Kometen in die Höhe!«

Der Gerufene gehorchte, indem er ihm die Laterne vorhielt. Blücher ließ das Licht derselben auf die beiden gefundenen Gegenstände fallen.

»Was ist das für ein Ding, Korporal?« fragte er.

»Eine Laterne,« antwortete der Gefragte pflichtschuldigst.

»Gut, mein Junge! Und das hier?«

»Eine Pistole.«

»Sehr schön, mein Junge. Du entwickelst da ganz bedeutende Kenntnisse in der Physik und in der Waffenkunde. Wenn ich mal abdanke, so melde Dich zum Feldmarschall. Jetzt aber lege Dich mit dem Ohre wieder auf Deine Pritsche, denn hier sind wir überflüssig geworden.«

Die Leute gehorchten. Blücher wunderte sich nicht darüber, daß die Schüsse nicht mehr Aufsehen erregt hatten. Es blieb ganz ruhig auf der Straße. Man war damals nächtliche Excesse gewohnt geworden.

Er trat zu den beiden Posten, die seit vorhin noch nicht abgelöst worden waren.

»Kennt Ihr mich noch?« fragte er.

»Zu Befehl, Excellenz,« lautete die Antwort.

»Na, ist Einer gekommen?«

»Zu Befehl!«

»Und hat gefragt, ob ich zu Bette bin?«

»Zu Befehl!«

»Ihr habt ihn doch anlaufen lassen?«

»Zu Befehl!«

»Schön! Aber wie war das mit den beiden Schüssen? Wo fielen sie?«

»Ein Stück die Straße hinunter.«

»Also dort. Habt Ihr nicht bemerkt, wer geschossen hat?«

»Nein. Aber bald nach dem letzten Schusse rannten zwei Männer hier vorüber.«

»Ihr habt sie nicht aufgefangen? Ihr Halunken.«

»Nein. Wir dürfen unseren Posten nicht verlassen, Excellenz.«

»Gut! Ihr seid brave Kerls. Ich will nicht raisonniren, sonst müßt Ihr mich morgen zweimal melden. Also zwei Menschen waren es, welche vorüber rannten?«

»Ja, und ein Dritter kam hinter ihnen her.«

»Ah, der hat sie gejagt?«

»Es schien so, als ob er sie verfolgte. Und dort am zweiten Thore, da da«

»Da da was, da?«

»Da blieb er stehen.«

»Der dumme Kerl! Was hat er da zu stehen gehabt?«

»Er er zog er zog seine Stiefeln aus.«

»Seine Stiefeln? Heiliges Wetter! Zieht der Schlingel seine Stiefeln aus, anstatt den Bengels nachzurennen. Dem gehören recht tüchtige Hiebe hinten drauf.«

»Er rannte ihnen dann wieder nach.«

»Wird ihm auch viel helfen. Mit den Stiefeln in der Hand! So ein Unsinn!«

»Entschuldigung, Excellenz! Er ließ die Stiefel stehen.«

»Stehen? Das ist ja noch schlimmer! Wenn sie sie ihm nun wegmausen!«

»Er rief uns zu, Achtung auf sie zu geben.«

»Was? Achtung auf seine Stiefeln? Ist der Kerl übergeschnappt? Ihr sollt wohl gar noch vor seinen alten Latschen das Gewehr präsentiren! Nein, so etwas! Die Ehrenposten des Feldmarschalls von Blücher sollen auf die Kothstampfer des ersten besten Kerls hier Achtung geben! Wenn ich wüßte, wer der Flegel ist, so ließ ich ihn citiren und hieb ihm seine Schaftsandalen mit sammt den Struppen höchst eigenhändig um die Nase herum! Der sollte vor Angst Syrup und Buttermilch niesen!«

»Excellenz, er hat uns seinen Namen genannt.«

»Auch noch? Welche maliziöse Frechheit. Wie hieß denn dieser Urian?«

»Lieutenant von Königsau.«

»Lieu te nant von Kö nigs au? Sapperlot, Der war es, Der? Ich alter Esel! Das konnte ich mir denken! Na, je höher man im Range steigt, desto alberner wird man im Kopfe! Und mit dem Feldmarschall geht der Kopf dann ganz in's Seebad. Jungens, daß Ihr mir nicht etwa einmal Marschall's werdet, sonst könntet Ihr mich dauern! Sagte er diesen Namen wirklich?«

»Zu Befehl!«

»Und dann rannte er ihnen nach?«

»Ja.«

»Ein pfiffiger Filou. Sie hören seine Schritte nicht mehr, weil er in Strümpfen läuft, und denken also, sie haben Niemand hinter sich. Auf diese Weise wird er sie fangen. Hat er Euch nicht gesagt, ob sie ihn todtgeschossen haben?«

»Nein.«

»Nun, da lebt er jedenfalls noch. Aber seine Stiefel müssen wir in Sicherheit bringen. Gehe mal hin, mein Junge, und hole sie!«

»Verzeihung, Excellenz, das kann ich nicht!«

»Nicht? Warum nicht, he?«

»Ich darf meinen Posten nicht verlassen.«

»Alle Teufel, das ist wieder wahr! Na, da mag der Andere gehen!«

»Auch der darf nicht.«

»Liebe Kinder, Euch soll der Teufel holen! Na, da es nicht anders geht, so will ich es einmal machen wie der alte Fritze, und Schildwacht stehen. Gieb mir Dein Gewehr, mein Sohn. Ich will Deine Stelle vertreten, während Du hingehst und mir die Stibbels herbringst.«

»Excellenz, das geht auch nicht.«

»Donnerwetter! Auch nicht? Warum denn nicht, Du Canaille?«

»Excellenz sind in Civil und nicht in Uniform.«

»Hol's der Kukkuk, das ist wahr. Höre, mein Sohn, Du bist kein übler Kerl; Du kennst das Reglement besser als ich. Das ist aber auch gar kein Wunder, denn es sind nun über fünfzig Jahre her, daß ich's gelernt habe. Wie ist denn Dein Name?«

»August Liebmann.«

»Gut, mein lieber August. Komm nach zweiundfünfzig Jahren, gerade am heutigen Datum, zu mir, und sage mir das Reglement her. Wenn Du es noch auswendig kannst, so nenne ich Dich Herr Liebmann anstatt August. Darauf kannst Du Dir dann noch mehr einbilden als ich auf die Stiefeln, die ich mir nun selber holen muß. Wo stehen sie?«

»Dort am zweiten Thore.«

»Schön. Ihr könnt nachher die Eurigen auch hinsetzen. Ich bin einmal im Gange, da kann ich sie Euch auch holen. Laßt mich nur gefälligst wecken, wenn Ihr sie braucht!«

Er ging wirklich hin, nahm die Stiefeln auf, steckte unter jeden Arm einen und sagte, nachdem er zurückgekehrt war:

»Der Lieutenant von Königsau wird jedenfalls wiederkommen und nach seinen Sauerkrautröhren fragen. Sagt ihm, daß sie bei mir sind. Er soll sofort kommen und sich melden, auch wenn ich schlafe; aber in den Strümpfen. Er darf bei Leibe nicht erst nach Hause gehen. Habt Ihr's verstanden?«

»Zu Befehl!«

»Und solltet Ihr abgelöst werden, ehe er kommt, so übergebt Ihr diesen Befehl Euern Nachmännern, die ihn auszurichten haben.«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Gute Nacht, lieber August!«

»Gute Nacht, Excellenz!«

Als Blücher vorhin zu so später Nachtstunde zu Margot gekommen war, hatte diese sich höchlichst verwundert über diesen Besuch. Als sie aber seine Worte hörte, war eine fürchterliche Angst über sie gekommen, deren sie nicht Herr werden konnte.

»Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!« hatte er gesagt; dann war er gegangen. Gegangen? Nein, er war förmlich die Treppe hinabgesprungen, als ob es sich um eine große Gefahr handle.

Wen betraf diese Gefahr? Jedenfalls den, den er hier gesucht hatte, also Königsau. Und worin bestand diese Gefahr? Wer war die »Bande«, von welcher der Marschall gesprochen hatte? Bereits einmal hatte der Geliebte heute in Lebensgefahr gestanden; jetzt vielleicht wieder!

Sollte sie die Mutter und das Dienstmädchen wecken, welche Beide bereits schliefen? Nein; diese konnten auch nicht helfen. Sie hätten nur die Angst mit gehabt.

So ging Margot im Zimmer auf und ab. Es wurde ihr zu eng, zu heiß. Sie konnte es nicht länger aushalten. Sie mußte hinaus in die freie Luft. Sie wollte nach der Wohnung des Geliebten gehen, um nachzusehen, ob sein Fenster erleuchtet sei. Sie war zwar noch nicht dort gewesen, aber er hatte sie ihr so deutlich beschrieben, daß sie gar nicht irren konnte.

Sie setzte also das Capouchon auf, schlang sich ein Tuch um die Schulter, nachdem sie schnell ein Oberkleid übergeworfen hatte, und ging.

Der Portier wunderte sich nicht wenig, als er bemerkte, wer es war, dem er abermals zu öffnen hatte.

»Um Gotteswillen, Mademoiselle, was ist passirt, daß Sie wieder gehen?« fragte er.

»Nichts. Oeffnen Sie nur schnell.«

Er sah beim Scheine seiner Lampe ihre Blässe und fragte weiter:

»Wer war der Herr, der vorhin bei Ihnen klingelte und dann so stürmisch das Haus verließ? Ich konnte ihm gar nicht schnell genug öffnen.«

»Es war der Feldmarschall Blücher.«

»Mein Gott, da muß es sich um höchst wichtige Dinge handeln. Gehen Sie!«

Er ließ sie hinaus.

Sie wußte, daß der Geliebte die Richtung nach rechts eingeschlagen habe, und folgte derselben. Sie hatte kaum einige Schritte gethan, so war es ihr, als ob sie in weiter Ferne zwei Schüsse schnell hintereinander fallen höre. Wem galten dieselben? Hingen sie im Zusammenhange mit der Gefahr, welche Blücher angedeutet hatte? Sie ertönten aus der Gegend, in welcher Königsau wohnte.

Es erfaßte sie eine unendliche Angst. Sie ging eiligen Schrittes die Straße hinab und bog dann links um die Ecke. Dann ging es weiter. Sie sah in der Ferne Laternen, weit, weit unten. Sie eilte weiter, immer weiter. Die Laternen verschwanden wieder und nachher kam sie an das Haus, welches nach der erhaltenen Beschreibung von Königsau mit bewohnt wurde. Sie sah an keinem einzigen Fenster Licht. Wäre der Geliebte nach Hause gekommen, so hätte er sich sicher wenigstens eine Kerze angebrannt. Ihre Angst wuchs.

Da vernahm sie weiter unten Stimmen; sie ging darauf zu. Vielleicht konnte sie hier Etwas hören. Sie kam näher und näher. Da hörte sie die lauten Worte:

»Gute Nacht, lieber August!«

Sie erkannte sofort die Stimme, welche diese Worte gesprochen hatte. Es war diejenige des Feldmarschalls, und wenn sie ja geglaubt hätte, sich zu irren, so erhielt sie den Beweis, daß sie recht gehört hatte, durch die darauf folgende Antwort:

»Gute Nacht, Excellenz!«

Sie eilte auf die Stelle zu und kam an dem Thore an. Sie sah die beiden Posten.

»War der Feldmarschall hier?« fragte sie.

»Ja,« wurde ihr geantwortet.

»So muß ich zu ihm!«

Sie wollte in das Thor treten; da aber hielt ihr der eine Posten das Gewehr quer vor und sagte:

»Hier darf Niemand passiren!«

»Aber ich muß zu ihm!«

»Kommen Sie am Tage wieder.«

Blücher hatte bereits den Anfang der Treppe erreicht, als er draußen noch lautes Reden hörte. Er blieb stehen und horchte. Er hörte eine Frauenstimme und dann die Antwort des Postens, daß sie morgen wiederkommen solle. Da fragte er, laut rufend:

»Wer ist denn noch draußen?«

»Ein Frauenzimmer, Excellenz!« antwortete der Posten zurück.

Er mochte ein biederer Märker oder Pommer sein, bei dem Alles gleich war, ob Dame oder Frau, Mädchen oder Fräulein.

»Ein Frauenzimmer?« antwortete Blücher. »Weiter nichts? Es soll sich zum Teufel scheeren. Nachts drei Uhr gebe ich keiner alten Schachtel Audienz!«

»Sie ist jung, Excellenz,« wagte der Mann zu bemerken, aber immer in einem schreienden Tone, um von dem Marschall gehört zu werden.

»Jung?« brüllte dieser zurück. »Laß Dich nicht bemeiern, Junge. Sie lügen sich alle um elf Jahre jünger; jage sie fort!«

»Sie sagt, daß Sie mit Excellenz bekannt sei!«

»Das ist nicht wahr!«

»Excellenz sind erst vorhin bei ihr gewesen.«

»Das ist eine Lüge! Ich besuche kein Frauenzimmer. Gieb ihr eins auf den Schnabel!«

»Sie meint, ich solle nur den Namen Richemonte sagen,« rief der Posten.

»Richemonte? Heiliges Elend! Kerl, bist Du verrückt, mein Sohn!«

Bei diesen Worten kehrte er sich um und eilte zurück. Als er an den Eingang gelangte, hatte er noch die beiden Stiefeln unter den Armen. Er sah Margot stehen und erkannte sie sofort. Da trat er zum Posten und sagte:

»Mensch, Esel, August! Du bist das größte Kameel, was in der Wüste Sahara Datteln und Radieschen frißt! Siehe einmal hierher! Ist das ein Frauenzimmer, he, ein Frauenzimmer?«

Der Mann sah den Marschall ganz verblüfft an und antwortete:

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Ein Frauenzimmer? Wirklich?«

»Zu Befehl!«

»Halte das Maul mit Deinem Befehl! Wer hat Dir den Befehl gegeben, diese Mademoiselle für ein Frauenzimmer auszugeben, Du Waschbär von einem August?«

»Verzeihung, Excellenz, es ist doch keine Mannsperson!«

Dieser Gegenbeweis schmetterte für den ersten Augenblick den Marschall förmlich zurück. Es wurde ihm ganz fremd im Kopf, und er sagte:

»Hm, das ist nicht übel gesagt! Eine Dame ist eigentlich auch ein Frauenzimmer; aber siehst Du, mein Sohn, in Paris giebt es blos Madame und Mademoisellen. Hättest Du mir gesagt, daß eine Mademoiselle da sei, so hätte ich Dir nicht befohlen, sie zum Teufel zu jagen. Eigentlich sollte ich Dir Deines Unsinns wegen diese Stiefeln gelinde um den Kopf herumschlagen, aber weil Du in Deiner Unschuld nicht weißt, was eine Mademoiselle ist, und es ihr gleich angesehen hast, daß sie keine Mannsperson ist, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und Dich mit einem einfachen Verweise abrüffeln. Nimm Dir das zu Gemüthe, aber stirb mir ja nicht daran; denn es wäre jammerschade um so einen August!«

Jetzt war er mit dem Posten fertig, und nun wendete er sich direkt an Margot. Diese trat näher und bat:

»Verzeihung, Ew. Excellenz! Die Angst ließ mich nicht zu Hause bleiben; dann hörte ich gar noch Schüsse fallen!«

»Nicht ich habe Ihnen zu verzeihen, sondern Sie mir, Mademoiselle,« antwortete er. »Ich störte Sie zu so später Stunde und ging fort, ohne Ihnen Auskunft zu ertheilen. Das war höchst unhöflich von mir. Bitte, kommen Sie mit mir.«

Er schritt ihr voran, und sie folgte. Er führte sie die Treppe empor in ein hell erleuchtetes Zimmer. Dieses war jedenfalls ein Damenboudoir gewesen. Die Rococomeubles waren aus Rosenholz, mit Sandel ausgelegt, die Polster und Kissen alle von feinster Seide. Köstliche Uhren und Vasen, herrliche Leuchter und Nippes waren zu sehen, aber neben der Stutzuhr im Werthe von wenigstens fünftausend Franken lag der Stiefelknecht; an einer kararischen Venus hing ein alter Tabaksbeutel von Schweinsblase, und auf der Bettdecke von echt persischer Seide paradirten ein Paar dreckige Kanonenstiefeln. Eine köstliche Chatouille war mit zerbrochenen Pfeifenköpfen angefüllt, und überall, sogar auf dem Fußboden, lagen Landkarten, Risse, Berichte und Briefcouverts zerstreut umher.

»So, Mademoiselle, das ist meine Studirbude,« sagte er. »Nehmen Sie Platz! Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, nur nicht auf mich selbst, und sagen Sie mir getrost, was Sie auf dem Herzen haben.«

Er stand vor ihr, noch immer die Stiefel unter den Armen. Sie war gewiß sehr in Angst und Betrübniß, aber sie hätte doch fast lächeln müssen bei dem Anblick des alten Haudegens, der jetzt beinahe wie ein ehrsamer Flickschuster vor ihr stand.

»Der Besuch Euer Excellenz hat mich in die fürchterlichste Unruhe versetzt,« sagte sie. »Galt derselbe meinem Bräutigam?«

»Ja. Zu Ihnen hätte ich sonst doch um diese Zeit nicht kommen dürfen.«

»O, sagen Sie, befindet sich Hugo in Gefahr?«

»Hugo? Hm! Wer ist das?«

»Herr von Königsau nennt sich Hugo.«

»Ah so! Siehste, Alter, also ein Hugo biste? So, so! Nun, allerdings befand sich dieser Hugo in Gefahr, Mademoiselle.«

»Mein Gott! War sie groß?«

»Hm! Man wollte ihn ein Wenig erschießen.«

»Ist's möglich, Excellenz!« rief sie erschrocken.

»Ja. Sie haben ihn an seiner Thür aufgelauert. Es waren zwei Kerls.«

»Was haben sie ihm gethan, Excellenz? O bitte, bitte, sagen Sie es schnell!«

Sie war fürchterlich blaß geworden. Sie dauerte ihm; er wollte sie mit einem Male beruhigen, und dies glaubte er am Sichersten zu erreichen dadurch, daß er den einen Stiefel unter dem rechten Arme hervorzog und sie fragte:

»Kennen Sie diesen Stibbel, Mademoiselle?«

»Nein,« antwortete sie erstaunt.

»Nun, so kennen Sie vielleicht diesen anderen?«

Er zog jetzt den unter dem linken Arme hervor und hielt ihn ihr entgegen.

»Auch nicht, Excellenz.«

»Nun, das wundert mich. Aber dennoch gereichen diese Stibbeln Ihnen sehr zum Troste.«

»Diese Stiefeln? Mir? Verzeihen Excellenz, daß ich Sie nicht verstehe!«

»Diese Stibbeln sprechen eine Sprache, welche Sie eigentlich verstehen sollten. Wir haben sie, diese Stibbeln nämlich, und das ist die Hauptsache. Er wird dann schon ganz von selber kommen, und zwar in Strümpfen.«

Margot war ganz verlegen geworden. Der Marschall sprach ihr in Räthseln.

»Er? Bitte, mir zu sagen, wer?«

»Nun, der Hugo.«

»Hugo? Ah, diese Stiefel gehören ihm?«

»Ja.«

»Ah!« Sie erröthete sehr und fuhr dann fort: »Aber wie kommt er dazu?«

»Solche Stiefel zu haben? O, die hat bei uns jeder anständige Officier.«

»Nein, nein! Ich meine, wie kommen Excellenz zu diesen Stiefeln?«

»Glauben Sie vielleicht, ich habe sie mir von ihm geborgt? Nein. Sie standen unten am Thore.«

»Aber wie sind sie dorthin gekommen?« fragte Margot, immer mehr erstaunter werdend.

»Er hat sie hingesetzt und meinen Posten gesagt, daß sie auf sie aufpassen sollen.«

»Aber, Excellenz, ich begreife noch nicht, weshalb er sie dahin gesetzt hat. Wie hängt dies überhaupt mit der Gefahr zusammen, in welcher er sich befindet?«

»O, sehr eng. An seiner Thür standen nämlich zwei Menschen, die ihn erschießen wollten, der Eine mit der Laterne und der Andere mit der Pistole. Er ist ihnen glücklich entkommen, auf welche Weise, das weiß ich noch nicht. Sie sind entflohen und er ist hinter ihnen her. Damit sie es nun nicht hören, daß er sie verfolgt, so hat er diese Stibbeln ausgezogen und mir zur Aufbewahrung übergeben, eigentlich meinen Posten, aber das bleibt sich gleich.«

»Er verfolgt sie? Wie unvorsichtig!«

»Haben Sie keine Sorge, Mademoiselle! Haben wir einmal seine Stibbeln, so bekommen wir ganz sicher auch ihn. Er wird nur sehen wollen, wer die Kerls sind.«

»O, ich ahne bereits, wer es ist.«

»Ah, Sie ahnen?«

»Ja. Jedenfalls ist Derjenige dabei, der ihn heute Abend bereits gestochen hat.«

»Gestochen? Donnerwetter! Er ist gestochen worden?«

»Leider.«

»Wohin denn?«

»In den Arm.«

»Ah, da hat es nicht viel zu sagen.«

»Aber es wurde nach dem Herzen gezielt.«

»Donner und Doria! Da ist es also ganz und gar ernstlich gemeint gewesen!«

»Ja. Hätte er den Panzer nicht angehabt, so wäre er jetzt todt.«

»Ah, er hatte Küraß getragen?«

»Er hatte sich einen geliehen.«

»So ist er also doch vernünftig gewesen. Aber, wer hat ihn denn gestochen?«

»Mein Gott, es ist mir fast unmöglich, Ihnen dies zu sagen.«

»O, ich ahne bereits, wer der Mann gewesen ist. Sprechen Sie getrost und aufrichtig zu mir. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Erzählen Sie mir Alles; aber erlauben Sie mir vorher, mir eine Pfeife zu stopfen. Es leidet mich zu Hause nicht wenn mich nicht der Knaster an die Nase brennt.«

Er stopfte sich eine seiner kurzen Thonpfeifen, von denen er immer einen großen Vorrath besaß, und als er sie in Brand gesteckt hatte, setzte er sich auf eine offene Nähchatouille, welche am Boden lag. Margot mußte auf einem Tabouret Platz nehmen und dann die Erzählung der heutigen Ereignisse beginnen.

Unterdessen war es Königsau ganz eigenthümlich ergangen.

Er war sehr lange Zeit bei Margot gewesen. Man hatte ihn da aufgehalten. Selbst die Mutter hatte ihm ein Zimmerchen für diese Nacht angeboten, damit er nicht abermals fortzugehen brauche, denn die beiden Damen hatten befürchtet, daß er abermals angefallen werden könne. Er aber hatte diese Gastfreundschaft ausgeschlagen und war endlich doch noch aufgebrochen.

Margot hatte ihn bis zur Thüre begleitet und dort die innige Bitte ausgesprochen, doch ja recht vorsichtig zu sein und sich recht fleißig umzuschauen, ob nicht irgend eine Gefahr in der Nähe zu bemerken sei.

Dies hatte er denn auch gethan. Obgleich er getrosten Muth gezeigt hatte, war er doch selbst schon auch der Ansicht gewesen, daß der verunglückte Ueberfall zum zweiten Male unternommen werden könne. Ja, er sagte sich sogar, daß man sich dabei wohl nicht mehr eines Dolches oder Messers, sondern einer Schußwaffe bedienen werde.

Da war natürlich eine Abwehr bedeutend schwieriger, wo nicht unmöglich. Aus diesem Grunde ging er nicht an einer Seite, sondern auf der Mitte der Straße. Der Feind stand jedenfalls unter einem Thore und konnte ihn auf diese Weise nicht so leicht erkennen.

So war er bis in die unmittelbare Nähe seines Hauses gekommen. Da erst kam ihm der Gedanke, daß ein etwaiger Angreifer sich gerad hier verstecken müsse, um ihn sicher zu treffen. Er hemmte seinen Schritt und ging ganz langsam, jeden Zollbreit mit dem Auge fixirend, soweit es die dichte Dunkelheit zuließ.

Er war nur noch vier Schritte von der Hausthür entfernt, da hörte er den Ruf:

»Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen Dich abmurksen!«

Er wußte sofort, wer der Warner war. Es war die Stimme und auch die Ausdrucksweise des Marschalls. Diese Warnung hatte jedenfalls ihren guten Grund; darum wollte er sie befolgen und sich umdrehen, da blitzte vor ihm die Laterne auf.

Mit Gedankenschnelligkeit kam ihm die Ahnung, daß er angeleuchtet werde, um ein sicheres Ziel zu bieten, und daß im nächsten Moment der Schuß fallen werde. Augenblicklich warf er sich zur Erde. Diese Geistesgegenwart rettete ihm das Leben, denn er hatte den Boden noch nicht berührt, so krachte auch bereits der Schuß. Die Kugel wäre ihm in den Kopf gedrungen, so aber flog sie weit über ihn hinweg.

»Er hat sich niedergeworfen. Leuchten Sie zur Erde!«

So hörte er eine halblaute Stimme sagen. Er erkannte sie; es war diejenige des Capitäns. Sogleich fiel das Licht der nach ihm gedrehten Laterne abwärts. Er sah sich abermals hell erleuchtet, schleuderte sich aber mit aller Gewalt zur Seite und zwar keinen Augenblick zu früh, denn da krachte auch bereits der zweite Schuß, und er hörte ganz deutlich, daß die Kugel hart neben ihm auf den Stein schlug.

Nun war es aber auch aus mit seiner Langmuth. Der Schütze hatte beide Kugeln verschossen; ob er noch eine zweite Doppelpistole bei sich trage, das war Königsau in diesem Augenblicke sehr gleichgiltig. Er schnellte sich vom Boden auf und sprang auf die beiden Kerls zu. Ein Faustschlag traf den, welcher die Laterne hielt. Er ließ sie fallen und lief davon. Nun packte der Deutsche den Capitän.

»Jetzt lasse ich Dich nicht wieder laufen, Schurke!« sagte er.

Er hielt ihn umschlungen und wollte ihn zu Boden ringen. Da ließ der Capitän die Pistole fallen, um die Hand frei zu bekommen und faßte ihn bei der Brust. Diese aber war vom Metall bewahrt.

»Feigling!« knirschte der Franzose. »Versteckst Du Dich hinter dem Küraß!«

Er faßte ihn beim Arme grad da, wo die Wunde war. Königsau stieß unwillkürlich einen Ruf des Schmerzes aus.

»Ach, ist das die richtige Stelle!« sagte der Gegner mit unterdrückter Stimme.

Er griff jetzt mit beiden Händen zu, und zwar mit Aufbietung aller Kräfte. Königsau konnte nicht anders, er mußte den Capitän fahren lassen, um zunächst seinen verwundeten Arm zu befreien. Das gelang ihm; dadurch wurde aber auch der Gegner frei und entsprang. Der Deutsche hielt ihn noch für nahe und sprang auf ihn zu, stürzte aber zur Erde nieder. Dadurch gewann der Fliehende einen Vorsprung.

Königsau rannte ihnen nach, kam aber schnell zur Einsicht, daß dies so eine Thorheit sei, denn der laute Schall seiner Schritte ließ ihm die Schritte Derer, die er verfolgte, nicht hören. Er blieb daher sogleich stehen und riß seine Stiefeln herunter. Er bemerkte, daß er sich an Blücher's Wohnung befinde; er hatte bereits einige Sprünge an den Posten vorüber gethan. Er rief ihnen daher in fliegender Eile zu:

»Ich bin Lieutenant von Königsau. Habt mit Acht auf meine Stiefel!«

Dann schnellte er seinen Feinden nach, deren Vorsprung ein bedeutender geworden war, obgleich er sich kaum einige Augenblicke verweilt hatte.

Glücklicher Weise hörte er noch ihre lauten, schnellen Schritte. Er war ein ausgezeichneter Läufer; darum gedachte er, den Vorsprung schnell einzuholen, aber der Küraß war ihm nicht auf den Leib gemacht; er paßte schlecht und hinderte ihn am Laufen. Dennoch war zu hören, daß sich der Abstand zwischen ihm und ihnen sehr rasch verminderte, denn er hörte die Schritte immer deutlicher.

Da aber mußte er plötzlich stehen bleiben, um zu lauschen. Er vernahm nämlich, daß sie sich getrennt hatten. Der Eine war links in ein Seitengäßchen eingebogen, während der Andere geradeaus rannte. Welchem sollte er folgen?

Das Seitengäßchen schien nicht gepflastert zu sein; die Schritte des Fliehenden konnten nicht weit gehört werden; daher war hier eine Verfolgung sehr erschwert, gar nicht gerechnet, daß dieses Gäßchen in ein Gassengewirr führen konnte, in welchem die Spur des Flüchtlings sofort verschwinden mußte. Er beschloß daher, dem Andern zu folgen, welcher sich gradeaus gehalten hatte.

Er rannte ihm nach, merkte aber bald, daß er auch links eingebogen war. An einer weiteren Ecke mußte er abermals halten, um zu hören, woher die Schritte tönten. Dies nahm ihm Zeit weg. Bei einer dritten Ecke ging es ihm ebenso. Auch hinderte ihn die große Dunkelheit am schnelleren Fortkommen.

Endlich stand er abermals vor einem Seitengäßchen, in welchem die Schritte des Fliehenden verhallt zu sein schienen. Er drang da hinein und hatte sehr bald die Ahnung, daß es dasselbe Gäßchen sei, in welches bereits der Erste entkommen war.

Da galt es Vorsicht, denn jedenfalls hatten die Beiden verabredet, sich hier zu treffen.

Er tastete in der Dunkelheit nach rechts und links. Das Gäßchen war kaum acht Fuß breit. Rechts waren Hintermauern von Häusern, und links schien eine lange Gartenmauer zu sein. Er glitt leise und langsam weiter.

Da war es ihm, als ob er ein Geräusch gehört habe, als ob ein Schlüssel sich in einem alten Schlosse drehe. Er lauschte. Und wirklich wiederholte sich der eigenthümlich quitschende Laut, ganz nahe vor ihm, zu seiner Linken, also in der Gartenmauer.

Er schlich weiter hinzu, und nun hörte er gar zwei Stimmen, zwar gedämpft, aber doch auch nicht ganz leise. Er fühlte mit der Hand ein Pförtchen, welches sich in der Mauer befand. Es war verschlossen, und hinter demselben, im Garten also, standen die beiden Sprechenden, welche wohl nicht ahnten, daß der Verfolger so nahe sei.

»Das war ein ganz verfluchter Tag!« hörte er sagen.

»Wer ist Schuld als Sie!« meinte der Andere.

»Ich? In wiefern?«

»Erst stechen Sie verkehrt, und dann zielen Sie falsch.«

»Konnte ich zielen, wenn Sie falsch leuchteten? Uebrigens warum ergriffen Sie die Flucht? Wir hätten ihn kalt machen können, wenn Sie blieben; mir allein aber war dies nicht möglich. Sie haben mich immer einen Feigling genannt; jetzt aber gebe ich Ihnen dieses Wort mit doppelten Zinsen zurück.«

»O, es wäre mir gar nicht eingefallen, fortzulaufen, wenn nicht Hilfe gekommen wäre.«

»Hilfe? Wieso?«

»Hörten Sie es nicht rufen, gerade eh ich zur Laterne griff?«

»Ja. Wer muß der Mensch gewesen sein? Es ist, als sollte uns jetzt Alles quer gehen. Aber morgen ist auch ein Tag. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«

»Gewiß. Aber kommen Sie! Hier ist nicht der Ort zu unserer Unterhaltung.«

»Wie kommen wir hinein? Durch die Thür?«

»Nein. Man würde dies bemerken. Alle meine Leute denken, ich arbeite noch in der Bibliothek. Wir steigen an der Veranda empor und dann zum Fenster hinein.«

»Steht es auf?«

»Ja. Kommen Sie.«

Sie entfernten sich. Königsau blieb halten. Er hörte nach einer längeren Weile ein Fenster klingen und wußte nun, daß sie sich im Innern des Hauses befanden.

Dieses Haus mußte er kennen lernen. Er beschloß also, ihnen zu folgen.

Zunächst tastete er empor. Die Mauer war so hoch, daß er ihre Kante nicht mit der Hand zu erreichen vermochte. Nun suchte er nach einer schadhaften Stelle. Es gab keine, aber dafür fand er eine, an welcher der Mörtel vollständig los- und herausgebrochen war. Die großen, zwischen den Steinen befindlichen Ritze gaben seinen Fingern und Fingerspitzen einen zwar nicht bequemen aber doch genügenden Haltepunkt, so daß er emporklettern konnte. Drüben ließ er sich wieder hinab.

Es war kein ungefährliches Unternehmen für ihn, hier einzudringen. Er befand sich als Feind des Vaterlandes in Paris und verfolgte hier zwei persönliche Feinde. Wurde er erwischt, so galt es jedenfalls einen Kampf auf Leben und Tod. An Gnade und Erbarmen war auf keinen Fall zu denken.

Er befand sich jetzt im Garten, aber es war so dunkel, daß er sich forttasten mußte. Da anzunehmen war, daß sich die Hausfront parallel mit der Gartenmauer ziehe, so ging er im rechten Winkel von der Letzteren aus gerade vorwärts und gelangte auch bald in den Hofraum, wo er die Veranda fand, von welcher der Eine gesprochen hatte.

»Also hier sind sie emporgeklettert,« dachte er. »Trägt sie diese Beiden, so trägt sie jedenfalls auch mich. Ich werde es auf alle Fälle versuchen.«

Er fühlte die Querlatten. Es ließ sich an ihnen wie an einer Leiter emporsteigen. Als er oben anlangte, untersuchte er die Decke der Veranda, ob sie ihn auch halten werde. Sie war stark genug dazu. Er trat auf sie und richtete sich empor. Er stand jetzt vor einem Fenster, jetzt zwar von Innen verschlossen, jedenfalls aber dasselbe, durch welches sie eingestiegen waren.

Ein Blick überzeugte ihn, daß dieses Fenster zu einem jetzt unerleuchteten Raum führe. Von diesem aber ging eine Thür, welche fast ganz geöffnet war, in ein Nebenzimmer, in welchem eine große Lampe eine hinreichende Helligkeit verbreitete, um Alles erkennen zu können. Zwei Männer gingen darin auf und ab. So oft sie an der geöffneten Thür vorüber gingen, konnte er sie sehen.

»Ah; der Capitän und dieser Baron Reillac! Ich habe es mir gleich gedacht.«

So sagte Königsau zu sich, indem er diese Beiden betrachtete.

Sie mußten ein sehr erregtes Gespräch führen, wie aus ihren Mienen und den lebhaften Gesticulationen zu ersehen war. Leider konnte der Lauschende nicht Alles hören; nur einige abgerissene Brocken wurden ihm verständlich.

»Das, ja, das ist das Beste!« hörte er den Capitän sagen.

».......... komme ich unblutig in ihren Besitz,« meinte darauf der Baron. »Ob ich dann aber auch das Gleiche zahle, das ..........«

»Das versteht sich ja ganz von selbst, denn wenn ich es nicht zugebe, so wird aus diesem Plane nicht das .....«

»Na, so mag es sein. Ich denke .......... soll es mir auf die versprochene Summe nicht ankommen ..... Sie ja mein Schwager werden, und da darf man als anständiger Mann nicht ..........«

Diese auseinandergerissenen Sätze waren von dem Baron zu hören. Der Capitän antwortete darauf:

»Wenn es gelingt, so .......... man vergeblich suchen wird. Besonders dieser verdammte Königsau ..... der mir ..........«

»Die Hauptsache ist,« fuhr der Baron fort, »ob wir bereits .......... welche Uhr er stets zu kommen pflegt .......... muß es schon geschehen sein .......... sonst ist es jedenfalls zu spät.«

»Ich werde morgen genaue Erkundigungen einziehen,« meinte der Capitän, »und Ihnen bei Zeiten .......... Widerstand leisten wird.«

»Ich werde ihn zu brechen wissen, da ich dabei auf Ihre Hilfe rechnen darf,« sagte der Baron. »Jedenfalls steht zu erwarten .......... ihre Ehre retten, so bleibt nichts Anderes übrig als .......... darauf rechne ich!«

Bei diesen letzten Worten schob er die Thüre zu. Nun wurde es finster, und Königsau konnte kein einziges Wort mehr vernehmen. Er wartete noch eine längere Weile, doch vergebens, und so beschloß er, seinen Rückzug anzutreten.

Dieser gelang ihm vollständig, denn da das Gartenhaus höher lag, als das Gäßchen draußen, so war von Innen aus die Mauer leichter zu erklettern, als von draußen herein. Jetzt war es aber Hauptsache, sich das Gäßchen genau zu merken; dies konnte unter Umständen von größtem Vortheile sein.

Er schritt es auf und ab, ebenso die anliegenden Straßentheile und war endlich sicher, es am Tage sehr leicht auffinden zu können. Nun kehrte er nach Hause zurück.

Auf dem Heimwege dachte er über das nach, was er gehört hatte. Er entnahm daraus, daß ein neuer Anschlag gegen ihn und Margot verabredet worden war, doch ließ sich nicht denken und errathen, worin derselbe bestehe. Es war die Rede davon gewesen, daß der Capitän morgen Erkundigungen einziehen wolle, daß Margots Ehre zu retten sei, daß ihr Widerstand besiegt werden solle. Aus Alledem ließ sich doch nichts Bestimmtes folgern. Nur das schien festzustehen, daß der neue Anschlag recht bald ausgeführt werden solle.

Königsau gelangte bald auf seine Straße und an das Palais des Marschalls. Es standen, wie vorhin, zwei Posten da. Er bückte sich da, wo er seine Stiefel abgelegt hatte, nieder; sie waren weg. Er trat daher zu den Posten. Seines leisen Ganges und der Dunkelheit wegen hatten sie ihn nicht kommen gehört. Sobald sie ihn aber erblickten, riefen sie ihn an:

»Wer da?«

»Preußischer Husarenofficier,« antwortete er. »Seit wann steht Ihr hier?«

»Nicht ganz eine Stunde.«

»Wurden Euch keine Stiefel übergeben?«

»Nein.«

»Wurde auch nicht der Name eines Officiers genannt?«

»O ja, Herr Lieutenant.«

»Welcher?«

»Lieutenant von Königsau.«

»Gut! ich bin es.«

»Der Herr Lieutenant sollen sofort zum Marschall kommen.«

»So spät?«

»Sofort. Sie sollen gar nicht erst nach Ihrer Wohnung gehen.«

»Sapperlot! Ich habe ja keine Stiefel an!«

»Die haben Excellenz mit heraufgenommen.«

»Alle Teufel! Confiscirt?«

»Ich weiß nicht. Wir sollen aber sagen, daß der Herr Lieutenant sofort erscheinen sollen, und zwar in Strümpfen.«

»Na, da muß ich es wohl oder übel thun.«

Er trat ein und stieg die Treppe empor. Droben im Vorsaale stand der Unterofficier von der Wache.

»Was thun Sie so spät hier?« fragte der Lieutenant.

»Ich habe den Herrn Lieutenant anzumelden.«

»Ah, so werde ich erwartet?«

»Ja.«

»Na, melden Sie!«

Der Unterofficier verschwand hinter der Thür, und es dauerte eine ganze Weile, ehe er wieder kam, um Königsau zu sagen, daß er eintreten könne. Diese Zeit hatte nämlich Blücher gebraucht, um Margot zu verstecken, die auch bei ihm war.

Als der Lieutenant die Thür hinter sich zugezogen hatte, trat er drei Schritte vor und machte sein Honneur. Blücher hatte die Pfeife im Munde, und in der Stube gab es fürchterlichen Tabaksqualm. Auf dem Tische stand eine kostbare japanesische Schale, welche der Marschall benutzt hatte, die ausgerauchten Pfeifen hinein zu putzen. Schwefelfaden und Zunder lagen in einem silbernen Fruchtkörbchen.

»Ach, was ist denn das?« fragte Blücher in erstauntem Tone. »Sie kommen ja so leise wie ein Spitzbube herein. Das klingt grad, als ob kein Geldbeutel vor Ihren Fingern sicher wäre! Ach Teufel noch einmal! Sie haben keine Stiefel!«

»Zu Befehl Excellenz!«

»Nun, wo stecken denn diese Stibbeln?«

»Sie sind nicht sicher gewesen vor den Fingern Euer Excellenz!«

Blücher schmunzelte und sagte, die Hand drohend erhebend:

»Junge, mache keine guten Witze! Du weißt, die schlechten verzeihe ich, aber die guten bestrafe ich mit Lattenarrest!« Und einen ernsten Ton anschlagend, fuhr er fort: »Es ist mir noch nie vorgekommen, daß ein Lieutenant sich in Strümpfen bei mir gemeldet hat! Das ist unbegreiflich!«

»Desto begreiflicher ist es, wenn Ew. Excellenz einem Lieutenant befehlen, in Strümpfen zu erscheinen.«

»Du, das ist ein schlechter Witz; den rechne ich Dir nicht an. Bilde Dir also nichts auf ihn ein! Uebrigens wärst Du bald schrecklich blamirt gewesen. Es war Jemand da, der schöne Augen über Deine Strümpfe gemacht haben würde. Gucke sie Dir mal an, mein Sohn! Sie sind ja dreckiger wie ein Paar Pferdehändlerstiefeln. Und die Zehen gucken wohl ach, zeige doch her! Na, sie stecken noch drin; da geht es! Gehe dort hin in den Silberschrank, und fahre in Deine Feueressen!«

Königsau gehorchte und öffnete den Schrank. Da, wahrhaftig, standen seine Stiefel mitten unter dem funkelnden Gold und Silbergeschirr. Er nahm sie heraus und zog sie vor den Augen des Marschalls an.

»So,« sagte dieser. »Jetzt bist Du wieder der Hugo, der sich sehen lassen kann. Gehe doch mal hin an die Thür, und klopfe an!«

Königsau that es. Sofort öffnete sich die Thür.

»Margot!«

»Hugo!«

Sie lagen sich in den Armen, ohne sich durch die Gegenwart des Marschalls stören zu lassen. Dieser zupfte an seinem Schnurrbart herum, zog allerlei glückliche und verdrießliche Gesichter und sagte schließlich:

»Ja, die haben sich beim Kopfe! Wo aber bleibt der alte Gebhard Leberecht Blücher? Den nimmt Niemand bei den Ohren!«

»O doch!« antwortete Margot.

Sie trat auf ihn zu, legte ihm die Arme furchtlos um den Hals und küßte ihn recht herzhaft auf die Wange.

»Mädel,« sagte er, »das ist die falsche Adresse; hat Dir's der Hugo Dich denn nicht besser gelernt? Komm her!«

Er nahm sie beim Kopfe und küßte sie auf den Mund; dann sagte er zu Königsau:

»Wenn Du es nicht leiden willst, so verklage mich oder hau mich! Aber ich habe mit der Hexe jetzt stundenlang beisammengesessen; sie hat mirs angethan, und wir sind so hübsch einig geworden, daß ich wollte, Du wärst der General und ich der Lieutenant. Sie hat mir Alles erzählt, was heute passirt ist. Nun erzähle Du weiter, mein Sohn, damit man klar sehen kann.«

Königsau setzte sich neben Margot, legte den Arm um sie und begann zu erzählen. Unterdessen ging Blücher auf und ab und rauchte wie ein feuerspeiender Berg.

Der Lieutenant ließ nicht das Geringste hinweg. Margot lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter und weinte vor Glück, ihn wieder zu haben. Es war, als ob Blücher der Vater dieser Beiden sei, vor dem sie sich gar nicht zu geniren brauchten.

Als Königsau geendet hatte, sagte der Marschall:

»Fürchterlich! Der eigene Bruder! Was wirst Du thun, mein Junge?«

»Sie Beide niederschlagen, wo ich sie finde.«

»Nein. Das geht nicht, das verbiete ich Dir. Verstanden!«

»Excellenz !«

»Papperlapappexcellenz! Ich habe es Der da versprechen müssen.«

Er zeigte bei diesen Worten auf Margot. Königsau sah dem schönen Mädchen in die dunklen, feuchten Augen und fragte sie:

»Margot, Du wünschest, daß ich mich nicht räche?«

»Hugo, er ist doch immer mein Bruder!« bat sie.

»Gut! Aber dieser Baron Reillac?«

»Auch ihm soll nichts geschehen, mein lieber Freund.«

»Ja, so wie es in der Bibel zu lesen ist,« sagte Blücher gerührt. »Rebecca hat auch feurige Steinkohlen auf das Haupt des Herodes gesammelt.«

Der Lieutenant konnte denn doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Der Marschall sah es und fragte mit etwas verlegener Miene:

»Was lachst Du, he? War's etwa blos Torf und keine Steinkohlen?«

»Es müssen doch Steinkohlen gewesen sein, Excellenz, denn dem Herodes ist dabei die ganze obere Hälfte des Kopfes mit weggebrannt. Uebrigens möchte ich nicht sagen, daß es mir sehr leicht wird, den Baron entkommen zu lassen. Er geht uns nichts an; wir sind ihm keine Rücksichten schuldig, und er wüthet als Todfeind gegen uns.«

»Kannst Du gegen ihn handeln, ohne auch meinen Bruder zu treffen?« fragte Margot.

»Das ist allerdings wahr. Aber wenn wir sie nicht unschädlich machen, so steht uns jedenfalls ein neues Unglück bevor. Du hast ja gehört, was ich belauschte. Sie schmiedeten bereits einen neuen Plan gegen uns.«

»Da weiß ich Hilfe,« meinte Blücher. »Anstatt sie unschädlich zu machen, will ich Euch unverletzlich machen; Beides führt zu ganz demselben Ziele. Wie wäre es, wenn ich Dich nach Berlin schickte, mein Junge?«

»O, Excellenz, soll Margot ohne meinen Schutz hier zurückbleiben?«

»Nein. Ich habe vorhin mit ihr darüber gesprochen. Frau Richemonte hat da gegen Belgien hin eine nahe Verwandte. Dorthin reisen die beiden Damen morgen ab, ohne daß ein Mensch erfährt, wo sie sich befinden. Dort werden die beiden Spitzbuben Dir die Margot sicherlich nicht ausgattern.«

»Dieser Vorschlag ist prächtig, Excellenz! Führen wir ihn aus, so entziehen wir uns den Verfolgungen und sind nicht zur Rache gezwungen.«

»Siehst Du! Ich habe heute bereits einmal gesehen, daß der Blücher ein guter Amtscopist hätte werden können. Und was Dich betrifft, so bringst Du die Damen an Ort und Stelle und gehst dann nach Berlin. Du wirst schon noch erfahren, wozu. Aber Du wirst da heute den ganzen Tag bei mir sein müssen, um mir zu helfen, die dazu nöthigen Schreibereien anzufertigen.«

»Ich stehe ganz zu Befehl, Excellenz.«

»Gut. So führe jetzt Dein Mädel nach Hause, wie es einem richtigen Burschen geziemt. Punkt neun Uhr bist Du bei mir; da geht das Arbeiten los, und erst am Abend sehen wir uns Alle wieder. Damit Euch aber nicht wieder Etwas Schlimmes widerfährt, gebe ich Euch acht Mann Garde mit, unter scharf geladenem Gewehre, vier Mann auf der einen, vier Mann auf der anderen Seite der Straße und Ihr in der Mitte. Hier ist der Befehl, mein Junge; gieb den Wisch unten in der Wachstube ab. Und nun gute Nacht. Ihr werdet Euch mehr zu sagen haben als mir. Alles Andere aber werden wir heute Abend besprechen. Gute Nacht, Kinder! Und wenn Ihr Euch küßt, so macht nicht zu viel Lärm dabei; leise und zart schmeckts viel besser.«

Sie gingen und erreichten unter der erwähnten Bedeckung glücklich die Wohnung Margots. Der Portier öffnete wieder persönlich.

»Verzeihung, Mademoiselle,« sagte er, »Sie waren bei dem Marschall Blücher?«

»Ja,« antwortete sie.

Er machte eine außerordentlich tiefe Reverenz, und als sie außer Hörweite von ihm waren, brummte er leise in den Bart:

»Der ist ganz sicher kein Lieutenant, sondern irgend ein Prinz incognito, sonst würden die Beiden nicht so intim mit dem berühmten Marschall sein. Na, ich gönne es Mademoiselle Margot von ganzem Herzen, eine Prinzessin zu werden.«

Margot war ganz erfüllt von dem, was sie erlebt und mit dem Marschall besprochen hatte. Sie konnte nicht anders, sie weckte ihre Mutter, und als diese vernahm, um was es sich handle, verzichtete sie gern auf die Fortsetzung der unterbrochenen Nachtruhe. Königsau wurde nicht fortgelassen; er mußte bleiben.

Frau Richemonte erschrack zwar außerordentlich, als sie erfuhr, in welcher Lebensgefahr sich der Lieutenant wieder befunden habe, und daß Margot wieder so kühn gewesen sei, sich auf die Straße zu wagen; da jedoch Alles so glücklich abgelaufen war, so wurde es ihr nicht schwer, sich bald wieder zu beruhigen.

Den Vorschlag Blüchers, die Freundin aufzusuchen, fand sie ganz und gar acceptabel. Sie war von dieser Dame hundert Male eingeladen worden, ohne dieser Einladung Folge leisten zu können. Sie war gewiß, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und schrieb stehenden Fußes einen Brief, in welchem sie ihre Ankunft meldete und den Königsau schleunigst zu besorgen versprach.

Es wurde ausgemacht, das Einpacken der mitzunehmenden Effecten so geheim wie möglich zu betreiben. Das Dienstmädchen sollte entlassen werden und nicht erfahren, wohin die Reise gehe. Von der Freundin sollten Mutter und Tochter dann später nach Berlin kommen, wo die Hochzeit sein solle; daher beschloß man, alles schwere Gepäck zu vermeiden und Meubles und anderes Geräth unter der Hand zu verkaufen. Das würde der gute Papa Blücher wohl auch bewerkstelligen, so daß auch hierbei ein Verrath des Aufenthaltsortes der beiden Damen wohl nicht zu befürchten sei.

Unter diesen Gesprächen und Berathungen verging die Zeit. Es wurde Tag, und als es acht Uhr schlug, mußte Königsau aufbrechen, um zur bestimmten Stunde bei dem Marschall zu sein.

*


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