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Fortsetzung 17

Der Lieutenant war auf den Balkon gestiegen und hatte das Gespräch des Capitäns mit dem Baron belauscht. Wenn er auch nur abgerissene Sätze verstanden hatte, so war dies doch hinlänglich. Gestern war er über die Bedeutung des Gehörten noch nicht klar gewesen, heute aber konnte er nicht darüber im Zweifel sein.

Ganz sicher kam Königsau zu Margot's Mutter, um eine Einladung des Marschalls zu bringen, oder er brachte diesen Letzteren gleich mit. In beiden Fällen erfuhren sie, welcher Betrug stattgefunden hatte, und dann war es gewiß, daß sie die Verlorene bei dem Baron suchen würden. Es fragte sich nur, wo sie sich befand, ob in demselben Hause, an dessen Hinterseite sich die Veranda befand, oder in einem anderen. In dem letzteren Falle konnte ihre Hoffnung auf Errettung allerdings nur eine geringe sein.

»So hast Du also gewählt,« sagte Margots Bruder. »Baron, ich übergebe sie Ihnen. Thun Sie mit ihr, was Ihnen beliebt. Sie hat Alles nur sich selbst zuzuschreiben!«

»Albin!« sagte sie da. »Das wirst Du nicht thun. Du wirst mich nicht verlassen!«

»Papperlapapp!« antwortete er achselzuckend.

»Denke an den Vater!«

»O, er ist schuld, daß ich leichtsinnig geworden bin. Sein Andenken kann Deine Lage nicht im Geringsten verbessern!«

»Gott, was soll ich da noch sagen!« klagte sie. »Ihr seid keine Menschen!«

»O, wenigstens ich bin ein Mensch,« meinte der Baron. »Ich werde Ihnen beweisen, daß mein Herz sehr menschliche Regungen verspürt.«

Er näherte sich ihr, um sie zu küssen.

»Gehen Sie, gehen Sie, Ungeheuer!« rief sie.

Er spitzte dennoch den Mund. Sie konnte den Kopf nicht wenden; sie hatte kein anderes Mittel der Vertheidigung, sie spuckte ihm in das Gesicht.

»Da, Du Widerwärtiger!« rief sie. »Gebt mir nur wenigstens meine Glieder frei, damit ich mit Euch kämpfen kann.«

»Fällt mir nicht ein!« lachte der Baron, indem er sich das Gesicht abtrocknete. »Sie haben eine eigenthümliche Manier, Küsse zu empfangen. Ich werde Ihnen den Mund verbinden, um Wiederholungen zu vermeiden.«

Er schob ihr das Tuch wieder auf den Mund. Dadurch wurde der Hals frei, welcher alabasterweiß und verlockend aus dem dunklen Kleide hervorleuchtete. Hierher richtete jetzt der Baron seine Küsse. Er sah, daß der ganze Körper des schönen Mädchens unter diesen Berührungen zusammenzuckte; aber die herrlichen Formen, welche da vor ihm lagen, erweckten seine Gluth, so daß er zu Richemonte sagte:

»Also jetzt ist sie mein?«

»Sie geloben Stillschweigen?«

»Gewiß.«

»Nun gut, so werde ich Ihnen jetzt eins Ihrer Accepte zurückgeben.«

»Nur eins?«

»Nach der Hochzeit die andern.«

»Aber wenn es zu keiner Hochzeit kommt?«

»O, sie wird jedenfalls einwilligen.«

»Ich meine, wenn Sie es sind, der von der Verbindung absieht.«

»Ich? Das ist unmöglich.«

»O, man kennt Beispiele, daß die leidenschaftlichste Liebe nach der Erhörung erkaltet!«

»Nun, in diesem Falle werde ich mich so gegen Sie verhalten, als ob Ihre Schwester meine Frau geworden sei.«

»Dann her mit dem Accepte!«

»Ich habe es im Schreibtische. Kommen Sie. Wir wollen erst Margot in Sicherheit bringen.«

»Wohin?«

»Ich habe da in der Nähe ein außerordentlich bequemes Tapetenzimmer, dessen Thür kein Uneingeweihter zu finden vermag. Dort ist sie so sicher wie in Abrahams Schooß.«

»So machen Sie, ich möchte am Liebsten fort von hier.«

»Gut, vorwärts.«

Er öffnete die Thür zum Nebenzimmer. Die gegenüberliegende Thür desselben stand auf. Es war derselbe Raum, in welchem gestern die Beiden beisammen gewesen waren. Draußen auf der Decke der Veranda lagen die vier pommerschen Grenadiere. Es war ihnen gelungen, ganz unbemerkt heraufzukommen. Nun hatten sie schon eine geraume Zeit gewartet, aber nichts sehen oder hören können.

»Verdammt langweilig!« flüsterte der Eine.

»Wie auf Vorposten!« sagte der Andere.

»Haltet das Maul!« meinte August. »Wir haben aufzupassen.«

»Auf was denn?«

»Auf das Mädchen.«

»Wo ist es denn?«

»Da drin natürlich.«

»Besser wärs, wir hätten es hier außen.«

»Unsinn! Ich mag keine Französin.«

»Warum nicht?«

»Am Dienstag verliebte ich mich in eine.«

»Ah! Und sie?«

»Sie verliebte sich in mich. Ich führte sie nach Hause.«

»Gratulire.«

»Halte das Maul! Als ich am Mittwoch zu ihr kam, saß ein Anderer bei ihr.«

»Der auch ihr Liebster war?«

»Natürlich. Er war ein Eckensteher.«

»Pfui Teufel!«

»Am Donnerstag beluxte sie wieder mich.«

»Das war dumm.«

»Am Freitag nahm sie abermals einen Anderen mit nach Hause.«

»Was war er?«

»Lumpensammler.«

»Pfui Teufel!«

»Und am Sonnabend, da «

»Da beluxte sie zur Abwechslung wieder Dich?«

»Beinahe, denn sie war hübsch, aber hört Ihr da drinn nicht Leute reden?«

»Ja.«

Die vier Soldaten horchten.

»Jetzt war's, als ob ein Frauenzimmer gerufen hätte,« meinte August Liebmann.

»Das wird sie sein.«

»Wollen wir hinein?« fragte Einer.

»Nein. Ihr wißt, daß Ihr mir Subordination zu leisten habt,« sagte August. »Blücher hat die Angelegenheit ganz in meine Hände gelegt. Sogar das Stichwort bin ich selber. Halt, da ist ja Licht!«

Drinnen wurde die Thür geöffnet und dann die zweite. Die beiden Männer brachten Margot in das Zimmer, vor dessen Fenster die Vier lagen.

»Um Gotteswillen, laßt Euch nicht sehen,« sagte August. »Aber paßt genau auf!«

Und nun flüsterten sich die Soldaten alle Bemerkungen zu, welche sie machten.

»Sie ist an den Stuhl gebunden.«

»Und vor dem Munde hat sie einen Knebel!«

»Donnerwetter, muß die hübsch sein.«

»Ja, wenn die verdammten Tücher nicht wären.«

»Wer aber mögen die beiden Kerls sein?«

»Hört, mir kommt eine Ahnung!« meinte August.

»Welche?«

»Ob das nicht die beiden Halunken sind, welche gestern nach Lieutenant Königsau geschossen haben?«

»Du, das wäre möglich.«

»Und das Mädchen ist Die, welche dann zu Blücher kam, wo mir der Alte den Ausdruck Frauenzimmer so um die Nase rieb.«

»Weißt Du es genau?«

»Jetzt sehe ich es deutlich. Wir haben sie ja mit nach Hause geführt.«

»Sapperlot, was machen sie mit ihr? Das sieht grade aus, als ob sie mit ihr und dem Stuhle durch die Wand rennen wollten.«

»Das thun sie auch. Guckt, eine Tapetenthür. Habt Ihrs gesehen, wie man sie öffnet?«

»Ich,« sagte August stolz.

»Wie denn? Ich habe nichts gesehen; es ging mir zu rasch.«

»Dir habe ich's nicht zu melden, sondern Blüchern.«

Der Baron war mit dem Capitän in dem Tapetenzimmer verschwunden, doch kamen die Beiden sehr bald zurück. Sie gingen mit einander wieder nach der Bibliothek. Dort öffnete der Baron den Schreibtisch, zog ein verborgenes Fach heraus und entnahm demselben einen Wechsel.

»Hier!« sagte er.

Der Capitän griff hastig darnach, überlas ihn und riß ihn dann in Stücke, welche er vorsichtig in seine Tasche steckte. Da wurde draußen die Glocke gezogen.

»Wer mag das sein?« meinte der Baron.

»Vielleicht Ihr Kammerdiener.«

»Möglich. Warten Sie; ich werde öffnen.«

Er durcheilte die vorderen Zimmer bis zum Vorsaale, dessen Thür er entriegelte. Anstatt seines Dieners erkannte er den Maire. Die beiden Andern standen etwas seitwärts, so daß er sie noch nicht sehen konnte.

»Ah, Du?« fragte er. »Was führt Dich zu so ungewöhnlicher Zeit zu mir?«

»Ich habe Dir diese beiden Herren vorzustellen,« antwortete der Beamte.

»Wen?«

Er trat bei diesem Worte vollständig auf den Vorsaal hinaus und erkannte nun allerdings zu seinem augenblicklichen Schrecken, wen er vor sich habe.

»Baron Reillac?« fragte Blücher kurz und gebieterisch.

»Zu dienen!«

»Herr Richemonte bei Ihnen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte zögernd.

»Weiter Niemand?«

»Nein.«

»Wollen sehen.«

Er machte Miene, einzutreten, da aber stellte sich ihm der Baron in den Weg.

»Bitte, mein Herr,« sagte er. »Bei mir ist jetzt nicht Besuchsstunde.«

»Aber bei mir, alter Junge!« sagte der Marschall, indem er ihn einfach zur Seite schob und eintrat. »Ueberhaupt wirst Du gleich erfahren, was die Stunde ist!«

Der Baron sah sich überrumpelt; er mußte nun auch die beiden Andern eintreten lassen. Er war außerordentlich froh, Margot bereits in das verborgene Zimmer gebracht zu haben. Wären diese Kerls eher gekommen, so hätten sie ihn mit ihr überrascht.

Was aber wollten sie bei ihm? Suchten sie nach Margot? Vermutheten sie sie bei ihm?

»Wo ist dieser Richemonte?« fragte Blücher.

»In meiner Bibliothek,« antwortete der Baron.

»Gehen wir also dorthin. Führen Sie uns.«

Als sie in die Bibliothek traten, war Richemonte nicht weniger bestürzt, als vorher sein Verbündeter. Man konnte ihm seinen Schreck zwar nicht anmerken; dazu besaß er zu viel Selbstbeherrschung, aber im Stillen sagte er sich, daß jetzt eine schlimme Stunde kommen werde und daß nur die größte Unverfrorenheit im Stande sei, darüber hinwegzuhelfen.

»Capitän Richemonte, Excellenz, Feldmarschall von«

Diese Namen nannte der Baron, um die Herren einander vorzustellen. Blücher jedoch fiel ihm schnell in die Rede:

»Schon gut! Geben Sie sich keine Mühe. Brauche den Namen nicht zu hören, denn ich kenne diese Sorte schon! Der Herr Lieutenant von Königsau kennt Sie Beide auch genau. Wozu also solcher Wippchen! Wo haben Sie Mademoiselle Margot?«

Man sieht, der alte Marschall Vorwärts sprang mit seiner Frage gleich mitten in den Feind hinein. Sie war an ihren Bruder gerichtet.

»Jedenfalls zu Hause,« antwortete dieser.

»Ah, zu Hause, hm!« meinte der Alte, indem er sich im Zimmer umblickte.

»Excellenz,« meinte da Königsau. »Riechen Sie nichts?«

Blücher schnüpperte die Luft ein und sagte:

»Hm, ein verfluchter Geruch! Grad wie Schwefeläther! Lieutenant, ich glaube, sie ist betäubt worden.«

»Wenn es ihr im Geringsten geschadet hat,« sagte dieser, »so gnade ihnen Gott!«

»Natürlich! Also Baron Reillac, wo haben Sie Mademoiselle Margot?«

»Excellenz,« antwortete der Gefragte, »ich weiß wirklich nicht, wie ich dazu komme, nach einer Dame gefragt zu werden, über welche Lieutenant Königsau jedenfalls die beste Auskunft zu geben weiß.«

»Ja, das thut er auch,« meinte Blücher.

»Nun, warum die Frage an mich?«

»Weil der Lieutenant behauptet, die Dame befinde sich bei Ihnen.«

»Ah,« lächelte der Baron, »ich habe noch nie die Ehre gehabt, Mademoiselle bei mir zu sehen.«

»Also auch heute nicht?«

»Natürlich nicht.«

»Dürfen wir uns überzeugen?«

»Das heißt, Sie zweifeln an der Wahrheit meiner Versicherung?«

»Ja.«

»Sie halten mich für einen Lügner?«

»Ja.«

»Ah, welche Beleidigung! Bei mir haben nur Leute Zutritt, welche höflich aufzutreten wissen. Ich ersuche Sie, mich zu verlassen, und zwar sofort. Am Allerwenigsten aber kann es mir einfallen, solchen Menschen zu erlauben, meine Räume zu durchsuchen.«

Da trat der Alte auf ihn zu und rief:

»Was, Du Wechselbalg! »Solche Menschen« nennst Du uns? Da schlage doch der helle, lichte Teufel hinein! Hier hast Du Etwas, um zu sehen, wie höflich ich sein kann! Und hier, hier, hier und hier!«

Er holte mit aller Force aus und schlug dem Baron bei jedem »Hier« die Rechte in das Gesicht, daß es klang, als ob er ihm den Kopf zerschlagen wolle. Da trat der Maire hinzu und rief:

»Excellenz, um Gotteswillen!«

Der Capitän machte Miene, sich zu betheiligen; da aber zog Königsau seine beiden Pistolen heraus und rief:

»Halt! Wer Excellenz anrührt, den schieße ich nieder.«

Da trat der Capitän erschrocken zurück.

Der Baron war von den Ohrfeigen so überrascht worden, daß er an eine Gegenwehr zunächst gar nicht denken konnte; als aber Blücher von ihm abließ, da zog ihm der Grimm und die Bestürzung die Hand empor. Es hatte ganz das Aussehen, als ob er die Ohrfeigen erwidern wolle. Da aber funkelte auch bereits Blüchers Pistolenlauf ihm vor dem Gesichte.

»Nieder mit der Hand, Halunke!« gebot der Alte.

Der Baron ließ den Arm sinken; er sah es Blüchern an, daß er im nächsten Augenblicke losdrücken werde.

»Aber, Messieurs, so ein Auftritt!« sagte der Maire. »Excellenz, ich muß mir wirklich die allerdings sehr höfliche Bemerkung erlauben, daß ich's wunderbar finde«

»Pah!« unterbrach ihn der Alte. »Ich finde hier gar nichts Wunderbares. Der Andere hat seine Keile von dem Lieutenant bekommen, nun erhält sie Der da von mir. Es giebt Subjectersch, welchen man nur mit Ohrfeigen antworten kann.«

»O, Excellenz tragen außerdem noch Pistolen in der Hand.«

»Ja, aus Vorsicht! Gestern Abend hat der Eine von diesen Beiden zweimal auf den Lieutenant geschossen, während ihm der Andere dazu geleuchtet hat. Bei solchen Leuten muß man sich vorsehen.«

»Welche Verleumdung!« rief der Baron.

»Welche Lüge!« erwiderte der Capitän.

Blücher sah sie gar nicht an. Er sagte zu dem Maire:

»Sie sehen, daß hier nicht einmal Ohrfeigen mehr fruchten. Diese Sorte Apfel ist bereits so tief hinein faul, daß sie stinkt; ihr ist nicht mehr zu helfen. Und weil es ihnen gestern nicht gelang, den Bräutigam zu tödten, so haben sie sich heute der Braut bemächtigt. Aber wir werden sie finden.«

Da nahm sich der Baron zusammen. Er wendete sich an den Maire:

»Du bist Beamter, wenn Du uns nicht beschützen kannst, so werde ich Beschwerde erheben. Wenn diese Leute mein Haus nicht verlassen, so werde ich mich doch so weit zurückziehen, daß ich gegen Insulten geschützt bleibe, für welche ich mir allerdings Genugthuung geben lassen werde. Kommen Sie, Capitän.«

Er wendete sich zum Gehen, dies lag aber ganz und gar nicht in Blüchers Absicht. Dieser erhob vielmehr die Pistole und sagte:

»Ohne meine ausdrückliche Erlaubniß zieht sich hier Niemand zurück.«

»Excellenz!« rief da der Maire. »Das geht zu weit.«

»Unsinn! Ich weiß gar wohl, was ich darf,« meinte der Alte. »Es ahnt mir im Gegentheile, daß ich heut noch viel weiter gehen werde.«

»Das heißt, Sie wollen die Durchsuchung des Hauses erzwingen?«

»Ja.«

»Selbst mit bewaffneter Hand?«

»Wie Sie sehen.«

»Ich lege Widerspruch ein!«

»Hilft nichts.«

»Ich mache Excellenz auf alle Folgen aufmerksam.«

»Ist nicht nöthig.«

»Gut, so wasche ich meine Hände in Unschuld.«

»Meinetwegen in Syrup oder Buttermilch! Kann es losgehen?«

»Da Sie mich in dieser Weise zwingen, so muß ich mich allerdings fügen. Ich erkläre also als oberster Beamter dieses Arrondissements, daß Seine Excellenz der Feldmarschall von Blücher behaupten, es sei in diesem Hause eine junge Dame versteckt, welche man unter Anwendung von List und Gewalt entführt hat. Ich werde also jetzt alle Räumlichkeiten nach der Verschwundenen durchsuchen, weise jedoch alle Consequenzen von mir ab.«

»Ich werde sie zu tragen wissen,« sagte Blücher.

»Gut! Führt uns!« meinte der Maire zu dem Baron.

»Mich wird man wohl von der Theilnahme an dieser Entdeckungsreise gnädigst dispensiren,« meinte der Capitän höhnisch.

Der Maire warf einen fragenden Blick auf Blücher. Dieser antwortete:

»Hat da zu bleiben und mit uns zu gehen! Lieutenant, lassen Sie diese beiden Kerle nicht aus den Augen.«

Jetzt begann die Durchsuchung des Hauses, soweit es von dem Baron bewohnt wurde. Sie wurde mit allem Nachdrucke und aller Aufmerksamkeit geführt, lieferte aber nicht das geringste Resultat. Als man nach der Bibliothek zurückkehrte, hatte sich nicht die mindeste Spur der Gesuchten gefunden.

Der Baron und der Capitän warfen einander triumphirende Blicke zu.

»Ich werde Genugthuung fordern!« drohte der Erstere.

»Ich ebenso,« stimmte der Letztere bei.

Der Maire zuckte die Achsel.

»Ich kann leider nicht davon abrathen,« sagte er. »Ich selbst bin in der Art vergewaltigt worden, daß ich den Weg des Rechtes betreten werde, um meine geschändete Amtsehre reinigen zu lassen. Uebrigens habe ich nun die Verpflichtung, darauf aufmerksam zu machen, daß der Herr Baron jetzt unbedingt fordern kann, daß die beiden deutschen Herren sein Haus verlassen.«

»Ich fordere es sofort und unbedingt!« sagte Reillac.

Blücher lachte. Er wendete sich an Königsau:

»Schau, mein Junge, wie ihnen der Kamm schwillt! Wollen doch einmal sehen, ob sie nicht doch noch zu Kreuze kriechen. Komm!«

Er machte Miene, nochmals in die bereits durchsuchten hinteren Zimmer zu treten, da aber rief der Baron:

»Halt! Jetzt ist meine Geduld zu Ende. Hier herein tritt man nicht.«

»Mache Dich nicht mausig, Kerl!« antwortete der Alte. »Jetzt kommt Ihr Alle noch einmal mit, sonst soll Euch der Donner krachen.«

»Excellenz!« meinte der Maire.

»Halte das Maul! Vorwärts! Alle dahinein, sonst schieße ich!«

Sie gehorchten und mußten ihm bis in das Zimmer folgen, vor welchem die Soldaten lagen. Blücher wendete sich nochmals an den Maire:

»Sie behaupten also, daß die Gesuchte sich nicht in diesem Hause befindet?«

»Ich kann es beschwören.«

»Gut. Ich habe auch nichts gesehen; aber oft hat der Teufel sein Spiel, und ich will doch erst einmal mit Leuten reden, welche gescheidter zu sein pflegen als ein französischer Maire von Paris. August, herein!«

Er wirbelte bei diesem Worte das Fenster auf.

Da commandirte August draußen:

»Ganzes Bataillon marsch!«

Die vier Grenadiere sprangen herein. Der Maire erstaunte; die beiden Anderen aber erschraken. Befanden diese Soldaten sich bereits längere Zeit da draußen auf der Veranda, so war das Geheimniß verrathen.

Der Capitän suchte unbemerkt wieder in die Nähe der Thür zu kommen. Es gelang ihm nicht, denn das Pistol Königsau's richtete sich sofort nach seinem Kopfe.

»Halt! zurück!«

»Ah!« meinte Blücher. »Die Kerls wollen echappiren? Das mögen sie bleiben lassen, sonst fahren sie in den Sack. Vorwärts! Alle Drei in diese Ecke!«

»Ah, ich auch mit?« fragte der Maire.

»Ja freilich! Habe ich Paris belagert und erobert, so kann ich schon einmal drei so sanfte Kröten in Belagerungszustand erklären. Vorwärts!«

Er reckte auch seine Pistole vor, und da zog sich dann der Maire mit den beiden Anderen in die Ecke zurück, aus der sie nicht zu entweichen vermochten. Nun wendete sich Blücher an die Grenadiere:

»Das Fenster zu, Kinder, und drei von Euch an die Thür. Werden diese drei Messieurs schon festhalten. Und nun, mein lieber August, hast Du aufgepaßt?«

Liebmann nickte wichtig und antwortete:

»Ich hab sie, Excellenz.«

»Wen?«

»Die Mademoiselle, welche kein Frauenzimmer ist.«

»Donnerwetter! Ist's wahr?«

»Ja.«

»Wo hast Du sie?«

»Dort!«

Er zeigte mit der Hand nach der Tapetenthür.

»Dort? Da ist ja die Wand.«

»Ja, aber dahinter!«

»Alle Teufel! Eine Tapetenthür, vielleicht?«

»Ja.«

»Wie geht sie auf?«

»Da im Fußboden ist ein Ast. Man bückt sich und drückt darauf.«

»Kerl, woher weißt Du das?«

»Habe genau aufgepaßt,« schmunzelte der Grenadier.

»Mensch, Freund, Erretter, August, wenn sich Deine Worte bewahrheiten, so bist Du ein Kerl, den man eigentlich in Gold fassen sollte!«

Er sah den scheinbaren Ast, welchen Liebmann meinte, und drückte mit dem Daumen darauf. Sofort sprang die Tapetenthür auf und das Zimmer war zu sehen. Es war finster darin; das Licht aus der Stube hier durfte man nicht geben, darum gebot Blücher dem Grenadier, die Lampe aus der Studierstube zu holen. Dies geschah, und nun trat Königsau in das Tapetenzimmer, während die Anderen die Gefangenen nicht aus den Augen ließen. Er ließ einen Ruf des Entsetzens hören.

»O Gott, Margot, meine Margot!«

»Was ist's?« fragte Blücher draußen.

»Sie ist gefesselt, an den Stuhl gebunden. Auch geknebelt ist sie.«

»Alle Teufel, da fällt jede Rücksicht weg! August!«

»Excellenz?«

»Reißt einmal hier die Gardinen auseinander, damit wir Stricke bekommen, und bindet mir diese beiden Menschen fest, so fest wie Ihr könnt, und wenn ihnen das Blut aus den Nägeln spritzt!«

Das war Wasser auf die Mühle der Grenadiere. Im Nu waren die Gardinen in Stricke verwandelt. Der Baron und der Capitän wollten sich wehren, aber sie waren den Pommern nicht gewachsen. Sie wurden zusammengeschnürt.

»Nun komm, Bursche, und siehe Dir einmal die Bescheerung an!« gebot Blücher dem Maire, welcher kein Wort mehr zu sagen wagte.

Er gehorchte. Als die Beiden hinaustraten, sahen sie Margot noch immer auf dem Stuhle fest gebunden. Aber den Knebel hatte Königsau entfernt, und nun hingen die beiden Liebenden einander an den Lippen, während er sie und den Stuhl umschlungen hielt.

»Endlich, endlich!« sagte er. »Welche Angst habe ich ausgestanden!«

»O, ich noch viel mehr!« flüsterte sie, ganz müde vor Glück. »Ich hörte Euch suchen.«

»Du hörtest es?«

»Ja, ich verstand sogar jedes Wort, welches gesprochen wurde.«

»Und dann gingen wir wieder, nicht wahr?«

»Ja. Ihr gingt fort, und da gab ich Alles verloren!«

»Du Allerärmste, was mußt Du ausgestanden haben!«

»Aber dann, dann kamt Ihr wieder,« lächelte sie.

»Und Du hörtest, daß die geheime Thür entdeckt worden war?«

»Ja, und da, da war nun Alles gut.«

»O nein, es ist noch nicht Alles gut!« meinte da der Marschall. »Es giebt noch sehr viel zu thun. Aber Lieutenant, Junge, willst Du sie denn nicht endlich losbinden?«

Diese Beiden waren durch das Wiedersehen so beglückt, daß sie gar nicht an die Bande gedacht hatten, welche Margot noch immer an den Stuhl fesselten. Sie wurden nun gelößt. Sobald sie sich erheben konnte, flog sie auf Blücher zu, drückte seine Hand an ihre Lippen und sagte:

»Excellenz, das habe ich Ihnen zu verdanken!«

»Daß Du entführt wurdest, Mädel?« fragte er lächelnd.

»O nein, sondern daß ich befreit wurde!«

»Da irrst Du Dich bedeutend, meine Goldtochter. Das hat Alles hier Dein Schatz gethan. Ich hätte den Teufel gewußt, wo Du zu suchen bist; er aber hatte es geahnt.«

»Aber er hätte mich doch nicht befreit. Wer hätte auf ihn gehört?«

»Ach, Du meinst den Nachdruck, welchen es giebt, wenn der alte Blücher Etwas will? Nun ja! Aber der Lieutenant hätte Dich ganz allein geholt. Er wäre mit dem Kopfe durch alle Wände gefahren. Nun aber erzähle vor allen Dingen, wie man es angefangen hat, Dich in diese Klemme zu bringen!«

Sie erzählte den ganzen Vorgang von Anfang bis zum Ende. Sie sprach dabei so laut, daß Alle es hören konnten, auch die beiden Gefangenen, welche gefesselt draußen auf der Diele lagen. Wie mußte diesen jetzt zu Muthe sein!

Sie verhehlte auch nicht, daß sie geküßt worden war. Das aber brachte den Alten fürchterlich in Harnisch.

»Was? Geküßt hat er Dich?« fragte er.

»Ja.«

»Wohin?«

»Einmal auf den Mund.«

»Und dann?«

»Hierher.«

Sie deutete dabei nach der Stelle des Halses, welche von seinen Lippen getroffen worden war.

»Ach, das soll ihm schlecht bekommen! Unsere Margot zu küssen! Heda, Königsau, sinne Dir eine Strafe aus! Mir fällt nicht gleich eine ein!«

»Ich könnte ihn erdrosseln!« knirschte der Lieutenant.

»Gut, erdrosseln wir sie ein Wenig!« rief Blücher. »Sie haben es verdient.«

Da wagte der Maire denn doch eine Bemerkung:

»Excellenz wollen bedenken, daß nur das Gesetz die Strafe übernehmen kann!«

Blücher warf ihm einen zornigen Blick zu und antwortete:

»Behalte Er seine Weisheit für sich, Er Dummrian! Vorhin war auch nur das Gesetz berechtigt, die Haussuchung vorzunehmen. Was aber hat denn Er Mann des Gesetzes gefunden, he? Ich wäre der größte Esel Frankreichs und die sind doch groß genug wenn ich es mir einfallen lassen könnte, diese beiden Kerls Eueren Gesetzen zu übergeben. Da erhielten sie wohl gar noch eine Prämie für ihre Schlechtigkeit!«

Der Maire schwieg, aber ein anderer Fürsprecher trat auf, oder vielmehr eine Fürsprecherin Margot selbst.

»Excellenz, lassen Sie es gut sein!« bat sie.

»Ja, er ist Dein Bruder und so weiter, grad wie schon früher; nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Das gilt heut nichts mehr. Auf das, was sie gethan haben, steht Todesstrafe.«

»Um Gotteswillen, Excellenz!«

Sie bat und flehte, aber er ließ sich lange nicht erweichen. Königsau verhielt sich dabei ganz passiv. Er gönnte den Beiden jede Strafe und wollte doch der Geliebten nicht widersprechen. Endlich meinte Blücher:

»Straflos ausgehen können sie unmöglich. Sie haben nicht blos Dich entführt. Sie haben auf einen deutschen Officier geschossen und heut mich beleidigt. Sie haben zweimal den Tod verdient. Es kostet mich ein Wort, so hängen sie morgen am Galgen. Aber ich will Dich nicht so sehr betrüben. Das Leben soll ihnen geschenkt sein.«

»Aber nicht die Freiheit?« fragte sie.

»Werde es mir überlegen!«

Sie begann von Neuem zu bitten, bis er endlich losbrach:

»Hole Dich der Teufel, Goldkind! Dir kann man nichts abschlagen. Ich will ihnen auch die Freiheit schenken, aber wenn Du nun noch ein Wort sagst, so rechne ich Alles zurück und lasse sie noch heut Abend aufhängen!«

Jetzt glaubte sie, genug erreicht zu haben, und ließ mit Bitten ab. Blücher nickte dem Lieutenant heimlich zu, zum Zeichen, daß es ihm gar nicht einfalle, sie ganz straflos zu lassen. Dann sagte er:

»Was wir hier noch zu thun haben, ist für eine Dame zu langweilig. Protokolls aufnehmen und Acten schreiben gewährt keine Unterhaltung. Ich denke, Königsau, Du führst Margot nach Hause, und ich komme nach, sobald ich fertig bin.«

»In die Wohnung von Excellenz?«

»Nein, zur Mutter. Die muß ich heute auch noch sehen.«

Das ließ sich der Lieutenant nicht zweimal sagen. Er nahm den Arm der Geliebten unter den seinigen und ging, nicht aber, ohne daß sie sich vorher herzlich bei den braven Pommern bedankt hätte.

Jetzt nun sollte das Verhör beginnen. Blücher machte seine Sache kurz.

»Acten schreiben und Protocolle verfassen werde ich nicht,« meinte er. »Ich wollte damit nur Mademoiselle zum Fortgehen bewegen. Ihr beiden Halunken werdet gehört haben, daß ich Euch das Leben und auch die Freiheit schenke. Ich thue das aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mir zwei Fragen beantwortet; sonst verspreche ich Euch bei meiner Ehre, daß Ihr morgen dennoch gehenkt werdet.«

Die beiden Delinquenten nahmen sich vor, wenn es halbwegs möglich sei, die Fragen zu beantworten.

»Wer war der Kerl, welcher den Officier gespielt hat?« fragte Blücher.

»Ein Schauspieler, der Sohn meines Kammerdieners,« antwortete der Baron.

»Und wer war der Kutscher?«

»Mein Kammerdiener.«

»Ah, wo ist er?«

»Er muß daheim sein. Ich hörte ihn während der Haussuchung kommen. Der Portier wird ihm gesagt haben, wer sich bei mir befindet.«

»Ah, und da fürchtet er sich?«

»Wahrscheinlich.«

»So werde ich ihn citiren.«

Blücher ging in die Bibliothek, in welcher er einen Glockenzug bemerkt hatte, und gab das Zeichen. In kurzer Zeit klingelte es am Vorsaale, welcher verschlossen war. Der Marschall öffnete. Ein langer Mann stand da, in Livrée gekleidet.

»Wer bist Du?« fragte Blücher.

»Der Kammerdiener,« antwortete der Mann.

»Gut, Dein Herr hat längst auf Dich gewartet. Wo ist Dein Sohn?«

»Unten beim Portier. Er wollte sich noch nicht von mir trennen.«

»Hole ihn herauf, mein Sohn. Der Baron braucht Euch nothwendig.«

In Zeit von einer Minute kam der Schauspieler, jetzt natürlich in Civil gekleidet. Blücher nahm die Beiden in Empfang und brachte sie in das Verhörzimmer.

»Ist das Dein Kammerdiener?« fragte er den Baron.

»Ja,« antwortete dieser.

»Und der Andere ist dessen Sohn?«

»Ja.«

»Nun gut, so will ich mein Urtheil sprechen.«

Erst jetzt merkte der Kammerdiener, in welche Falle er gegangen war. Er blickte sich nach der Thür um, sah aber, daß an ein Entkommen gar nicht zu denken war.

Blücher wendete sich an seine Grenadiere und sagte:

»Ihr habt Eure Sache sehr brav gemacht, und darum will ich Euch eine Erholung gönnen. Wüßte ich nur, wo recht hübsche Rüthchen und Schwibbchen zu finden sind!«

Das war allerdings eine sehr freudige Ueberraschung für die Grenadiere. August trat sogleich vor und sagte, indem sein ganzes Gesicht schmunzelte:

»Mit Verlaub, Excellenz, sollte in dieser Wirthschaft sich nicht ein biegsames Spazierröhrchen finden, mit einigen hübschen Knötchen drin?«

»Sapperlot, ja, Du hast Recht. Suche einmal nach, mein Junge!«

Das ließ sich August nicht zweimal sagen. In kurzer Zeit hatte er alle Spazierstöcke des Barons beisammen.

»Wird es gehen, August?« fragte der Alte.

»Sehr gut! Besonders hier die drei Bambusse!«

»Schön! Wollen wir anfangen. Da ist zunächst ein Kammerdiener, welcher bei Entführungen den Kutscher macht und seinen eigenen Sohn zu solchen Dingen verführt. Er soll sechzig haben, und zwar aus dem ff. Bindet ihn, und knüpft ihm auch den Mund zu, denn sein Winseln mag ich nicht hören.«

Der Kammerdiener wurde von den Grenadieren gebunden und geknebelt. Als er die Sechzig erhalten hatte, kam sein Sohn an die Reihe.

»Dieser hat sich für meine Ordonnanz ausgegeben. Der Kerl hat Anlage zum größten Schwindler. Er bekommt hundert.«

So geschah es auch. Das Blut der Beiden schwamm auf dem Fußboden.

Jetzt stieß Blücher mit dem Stiefel an den Capitän.

»Der ist schon gebunden. Wir wollen ihm den Mund nicht verschließen, denn ich will einmal sehen, ob ein Capitän der alten Garde zu schweigen versteht. Er hat seine eigene Schwester verkauft und auf einen preußischen Officier geschossen. Er erhält zweihundert, aber so, daß er gleich liegen bleibt. Dann sind wir wenigstens sicher, daß er binnen der ersten Zeit nicht daran denken kann, neue Schlechtigkeiten auszuhecken. Fangt an, Burschens!«

Zweihundert Hiebe sind für jeden Menschen eine böse Strafe, für einen Officier aber geradezu eine fürchterliche. Der Capitän hielt sie aus, ohne einen Laut auszustoßen. Als man mit ihm fertig war, sah man seine Lippen zerbissen und seine Augen ganz blutig geröthet. Er sprach kein Wort, aber sein Blick war mit dem Ausdrucke teuflischer Rache auf den Marschall gerichtet.

Jetzt nun war an dem Baron die Reihe.

»Dieser hat ein Mädchen entführt und auf einen Officier geschossen,« entschied Blücher. »Er erhält auch zweihundert. Und für die Küsse, welche er gegeben hat, soll er ein Gegengeschenk von fünfzig Hieben außerdem haben. Schont ihn nicht, Jungens!«

Der Maire hatte bisher geschwiegen. Jetzt, da es sich um seinen Schwager handelte, glaubte er sich desselben annehmen zu müssen. Er sagte:

»Excellenz gestatten die Frage, ob diese Fälle auch in Ihrer Competenz liegen.«

»Nein, nicht in meiner Competenz, sondern hier auf dem Fußboden liegen die Kerls mit all ihren Fällen und Hieben. Wenn Sie den Mund nicht halten, werde ich Ihnen jedoch beweisen, daß meine Competenz sich sogar über die Mairie dieses Arrondissements erstreckt. Meine Jungens sind einmal im Zuge, Monsieur.«

Dem Baron wurde der Mund verbunden; ihm war die Selbstüberwindung des Capitäns nicht zuzutrauen. Er erhielt die ihm zugesprochenen zweihundertfünfzig Streiche ohne allen Abzug, und dann war das Tagewerk der Grenadiere vollbracht.

»So, jetzt können wir gehen, Kinder,« sagte der Alte. »Diese vier Messieurs werden mit uns zufrieden sein, denn wir haben sie um keinen einzigen Hieb betrogen. Der Herr Maire kann hier bleiben, um zu sehen, welche Salbe ihnen gut thun wird; die unserige jedoch ist ihnen am gesündesten gewesen. Sollte ihm übrigens meine Competenz nicht gefallen, so bin ich gern erbötig, den Mädchenraub und den Mordanfall auf einen preußischen Officier noch nachträglich vor das competente Criminalgericht zu bringen. Gute Nacht, Herr Maire dieses Arrondissements.«

Er ging mit seinen Grenadieren. Diese verließen das Haus nicht so, wie sie es betreten hatten, sondern auf dem gewöhnlichen Wege durch den Eingang.

Bei seinem Palais angekommen, trennte er sich von ihnen, um noch zu Frau Richemonte zu gehen, vorher aber sagte er:

»Höre, lieber August, Ihr habt Euch heut durch große Thaten ein ungeheures Verdienst erworben. Ihr sollt morgen jeder fünf Laubthaler ausgezahlt erhalten und so viele Pfeifen Tabak, als Ihr heut Hiebe ausgetheilt habt. Wie viele sind dies?«

»Sechshundertundzehn,« antwortete Liebmann schnell.

»Das ist ein Bischen viel Tabak, für die, welche die Hiebe erhalten haben, und auch für mich, der ich ihn Euch geben muß. Aber es ist gut; Ihr habt ihn verdient. Am Liebsten hätte ich den Maire auch noch klopfen lassen und sein Arrondissement dazu, aber ich hätte dann nicht gewußt, woher ich morgen den Tabak für Euch genommen hätte. Gute Nacht, Jungens!«

Er setzte seinen Weg in bester Laune fort. Er hatte Gelegenheit gehabt, einigen Franzosen deutsche Hiebe zukommen zu lassen, und dies war stets sein größtes Gaudium.

Seit diesem Abende war eine lange Zeit vergangen. Frankreich hatte einen neuen Herrscher erhalten, und die Heere der Verbündeten hatten sich aus Frankreich zurückgezogen, um die heimathliche Stätte aufzusuchen. Blücher war in England gewesen und dort in geradezu unerhörter Weise gefeiert worden, und auch in der Heimath hatte man ihn mit unbeschreiblichem Jubel empfangen. Er hatte mehrere hochgestellte Feinde, aber im Herzen des Volkes hatte er als der Marschall »Vorwärts« sich ein immerwährendes Andenken erworben.

Im Uebrigen trug er einen tiefen Groll im Herzen. Er, der am Besten wußte, welche Opfer Preußen, Deutschland und die verbündeten Länder gebracht hatten, um das übermüthige Frankreich zu schlagen und den Mann zu stürzen, welcher es gewagt hatte, aller Welt Gesetze vorzuschreiben, die Deutschen aber am Liebsten mit dem Ausdrucke Cochons, das ist »Schweine«, zu bezeichnen.

Und nun tagte der berühmte Congreß in Wien, welcher die Aufgabe zu lösen hatte, die Ergebnisse des Krieges in eine bestimmte Form und Gestaltung zu bringen. Er vermochte es aber nicht, den Widerstreit der verschiedensten Ansprüche, welche sich kund gaben, zu schlichten und zu lösen. Man begann, den Frieden von Paris bitter zu tadeln. Man hatte den Franzosen zu viel Macht und Land gelassen und die erkämpften Vortheile wieder aus der Hand gegeben.

Dieser Ansicht schloß sich besonders Blücher an.

»Frankreich wird wieder laut,« pflegte er zu sagen; »es beginnt wieder das große Wort zu führen, und wir, die wir den Frieden erkämpft und uns nach Ruhe gesehnt haben, halten nur einen Rasttag, welcher nicht lange dauern wird.«

Er erhob überall seine Stimme, um zu warnen. Er that Alles, um das Heer kriegstüchtig und marschbereit zu halten, und er that daran sehr recht.

Napoleon war aus Frankreich verbannt, aber er hatte tausend, ja Millionen stille Anhänger zurückgelassen. Grade während seines Unglückes hatte sich sein kriegerisches Genie am Glänzendsten bewährt. Die Soldaten vergötterten ihn, und wer war damals in Frankreich nicht noch Soldat oder früher Soldat gewesen. Keiner hat die Anhänglichkeit des Kriegers an diesen außerordentlichen Feldherrn ergreifender geschildert, als Heinrich Heine in seinen Versen:

»Was scheert mich Weib, was scheert mich Kind?
Ich trage weit besseres Verlangen.
Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind.
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!«

Napoleon kannte diese Verhältnisse, und er beschloß, sie zu benutzen. Er war nicht der Mann, auf Elba die Rolle eines abgedankten Souverains zu spielen. Er that aber einen großen Fehler; er verließ die Insel zu früh, denn noch hatten die feindlichen Heerestheile nicht alle ihre Heimath erreicht; sie durften nur die Ordre zur Umkehr erhalten, so waren sie kampfbereit. Und der Umstand, daß die Vertreter der Nationen noch in Wien tagten, begünstigte ein schnelles Einvernehmen zwischen ihnen und den schleunigen Beschluß, sich mit vereinigten Kräften wieder auf ihn zu werfen.

Dennoch erscholl plötzlich die Kunde, Napoleon habe am 27. Februar die Insel Elba verlassen und sei mit einer Schaar Bewaffneter in Frankreich gelandet.

Dieses Unternehmen, welches anfangs abenteuerlich erschien, wuchs in schneller Entwickelung riesenhaft empor. Bereits nach wenigen Wochen war Napoleon wieder in Paris und gebot von Neuem als Kaiser über ganz Frankreich.

Er ließ den Mächten sagen, daß er nicht den Krieg bringe, sondern den Frieden beabsichtige. Da er sich aber denken konnte und auch bald erfuhr, daß ganz Europa sich in dem Entschlusse, ihn zu bekämpfen, vereinigen werde, so traf er die schnellsten und riesigsten Vorbereitungen zum Kriege, den er nach der Richtung der belgischen und niederländischen Grenze zu spielen hatte.

Alle seine Anhänger waren ihm zugeströmt, unter diesen auch Zwei, welche wir bereits kennen, nämlich der Capitän Richemonte und Baron Reillac.

Beide hatten eine schlimme Zeit erlebt. Die Züchtigung, welche ihnen damals von Blücher zudictirt worden war, hatte sie körperlich für lange Zeit niedergeworfen. Es waren Monate vergangen, ehe ihre Wunden geheilt waren. Während dieser Zeit war bei Beiden der Haß gegen die Deutschen, besonders aber der Gedanke, sich persönlich an Blücher zu rächen, fast zur Monomanie geworden.

Grad als die Nachricht verlautete, daß Napoleon wieder zurückgekehrt sei, hatte sich ihr Gesundheitszustand soweit gebessert, daß sie daran denken konnten, dem Kaiser ihre Dienste anzubieten. Und dies thaten sie.

Baron Reillac stellte sich Napoleon vor und wurde von diesem beauftragt, die Lieferungen für das erste Armeecorps zu übernehmen, welches General Drouet befehligte.

Richemonte hatte beabsichtigt, wieder in die alte Garde einzutreten, erhielt aber durch Reillacs Vermittelung eine Compagnie der jungen Garde. Diese gehörte zu einem Regimente, welches sich beim ersten Armeecorps befand.

Früher nämlich hatte die Garde stets ein eigenes Corps gebildet, welches stets für den entscheidenden Angriff aufgespart worden war. Jetzt aber seit der Bildung der jungen Garde wurden deren Regimenter und Bataillone auch anderen Armeecorps zugetheilt.

Der Marschbefehl war bereits gegeben worden. Morgen sollte der Capitän Paris verlassen. Er saß in dem bekannten Kaffeehause beim Frühstück. Reillac hatte ihm versprochen, zu kommen, obgleich die Beaufsichtigung seiner Lieferungen ihn sehr in Anspruch nahm. Er hielt Wort, wenn auch spät, so kam er doch.

Die beiden Männer standen sich jetzt weniger schroff gegenüber als früher, wo der Baron bei jeder Gelegenheit mit seinen Wechseln gedroht hatte. Jetzt kam dies nicht so oft vor. Sie hatten Ursache über gewisse Dinge zu schweigen, welche sie Beide betrafen; dies machte sie, so zu sagen, zu Vertrauten, obgleich es sicherlich Keinem von ihnen einfiel, den Anderen für einen wirklichen Freund zu halten.

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