Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fortsetzung 12

Richemonte trat in seine Wohnung, in welcher ihn der Baron erwartete. Dieser bemerkte die Erregung, welche auf seinem vom Zorne verzerrten Gesichte zu lesen war, und fragte:

»Ah, hat man es mit Ihnen eben so gemacht wie mit mir? Diese Deutschen haben den Platz behauptet, wie ich sehe?«

»Wie wollen Sie dies sehen?« fragte der Capitän ergrimmt.

»Nun,« lachte der Andere, »Sie haben ja ganz das Aeußere eines Schulknaben, welcher die Ruthe erhalten hat. Das bemerkt man, ohne Menschenkenner sein zu müssen.«

»Hole Sie der Teufel!« zankte Richemonte.

»Ist dies wirklich Ihre Meinung?« klang die boshafte Frage.

»Ja, ganz ernstlich.«

»Nun, so will ich, ehe er mich holt, meine irdischen Angelegenheiten vorher in Ordnung bringen, so wie es sich für einen Geschäftsmann schickt und geziemt. Hier, lieber Freund, habe ich einige Papiere, in welche ich Sie Einsicht zu nehmen bitte.«

Er zog mehrere Wechsel aus der Tasche und präsentirte dieselben dem Capitän.

»Die mag der Teufel gefälligst mit holen!« sagte dieser.

Er wendete sich ab, ohne einen Blick in die Papiere zu werfen.

»Gut,« sagte der Baron; »er mag sie immerhin holen, aber erst, nachdem sie bezahlt worden sind. Sie sind dann werthlos geworden, und ich kann sie ihm gönnen.«

»Aber, zum Donnerwetter, können Sie denn nicht warten, bis ich die Mittel besitze, Sie zu bezahlen? Sie selbst nennen sich meinen Freund. Ist es etwa eine freundschaftliche Handlung, mich jetzt zu drängen, jetzt, in diesem Augenblicke, der am Allerwenigsten dazu geeignet ist?«

»Unsere Ansichten über den gegenwärtigen Augenblick sind da allerdings sehr verschieden. Mir scheint es sehr geeignet zu sein, unsere Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Warum soll ich warten, da ich doch weiß, daß Sie nie die Mittel besitzen werden, mich zu bezahlen? Und was unsere für mich so kostspielige Freundschaft betrifft, so hege ich den Grundsatz, daß Verbindlichkeiten zwischen Freunden strenger nachzukommen sei als jeden anderen. Ich habe bereits zu lange und zu viel Nachsicht mit Ihnen gehabt, lieber Richemonte.«

»Ich kann nicht zahlen!« sagte dieser kurz.

»So wandern Sie in die Schuldhaft.«

»So weit werden Sie es nicht treiben!«

»Ah, ich werde es doch so weit treiben!«

»Wirklich?« fragte der Capitän.

Er war bisher erregt in seinem Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er plötzlich stehen, und während er dieses letzte Wort aussprach, schien seine Stimme zu zittern.

»Wirklich!« antwortete der Baron.

Er erhob sich von seinem Sessel, auf welchem er Platz genommen hatte, trat zu Richemonte, legte diesem die Hand auf die Achsel und fuhr in einem sehr entschiedenen Tone fort:

»Sie wissen, daß ich Ihre Schwester liebe. Ich bin kein junger Geck mehr, und ich kann Ihnen sagen, daß die Liebe eines älteren Mannes eine ganz andere ist, als diejenige eines Menschen, der noch in den Knabenjahren steht. Margot ist schön; ihre Zärtlichkeiten hätten mich reich entschädigt für die großen Verluste, welche ich an Ihnen erleide. Daher versprach ich Ihnen, die Wechsel zu vernichten, falls es uns gelänge, Ihre Schwester mir geneigt zu machen. Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, so habe ich auch nicht nöthig, mein Versprechen zu erfüllen. Das ist Alles, was ich Ihnen zu bemerken habe, um mich zu rechtfertigen, falls es überhaupt einer Rechtfertigung bedürfen sollte.«

Der Capitän stand vor ihm, ohne ihn anzusehen. Er blickte finster durch das Fenster auf die gegenüber liegende Häuserreihe. Erst nach einer längeren Pause meinte er:

»Müssen Sie denn nun wirklich jede Hoffnung aufgeben?«

»Jede.«

»Weshalb jede?«

»Weil sie ihn liebt.«

»Diesen Deutschen? Ah, daß es auch gerade dieser sein muß! Sie meinen, die Sache in Ordnung zu haben, aber ich werde noch ein sehr entscheidendes Wort mit ihnen reden!«

»Sie?« lachte der Baron. »Sie haben ihnen gar nichts zu sagen.«

»Ich? Pah, bin ich nicht der Bruder?«

»Wenngleich. Ist sie Ihnen durch ein Testament oder durch die Vormundschaftsbehörde unterstellt worden? Nein. Und selbst wenn Ihnen ein gewisses Recht zustünde, über das Schicksal Ihrer Schwester zu entscheiden, so sind Sie ganz und gar nicht der Mann, dasselbe geltend zu machen.«

»Wer sagt Ihnen das?«

»Niemand braucht mir es zu sagen; ich habe es ja jetzt gesehen. Ich habe bei Ihrem Eintritte es Ihnen angesehen, daß Sie zur Thür hinausgewiesen worden sind.«

»Ja, sie haben dies wirklich gewagt!« entfuhr es dem Capitän.

»Also wirklich? Ah, Capitän Richemonte ergreift vor diesen Deutschen Reißaus!«

»Schweigen Sie!« brauste Richemonte auf. »Sie hätten es eben so gemacht, wenn Ihnen dieser verdammte Feldmarschall Vorwärts so wie mir entgegengetreten wäre!«

»Ja, wenn der Marschall Vorwärts kommt, so concentrirt sich der Capitän rückwärts. Wie nennen Sie dies? Ich nenne es Hasenfüßigkeit.«

»So sind Sie selbst ein Hasenfuß!« rief der Andere, sich sehr beleidigt fühlend. »Sie sind es ja, der bereits vor mir gewichen ist.«

»O, das trifft nicht! Ihre Position als Bruder ist eine ganz andere als die meinige, da ich ein Fremder bin. Das Wort, welches ich soeben ausgesprochen habe, mag Ihnen nicht recht sein, aber es enthielt dennoch die Wahrheit.«

»Inwiefern? Das möchte ich wissen!«

»Erstens haben Sie sich die Thür weisen lassen, und zweitens werden Sie sich ja wohl entsinnen können, daß Sie einem Duell mit dem Deutschen ausgewichen sind.«

»Donnerwetter! Sagen Sie mir, Baron, ob ich fechten kann!«

»Sie sind allerdings Meister!«

»Und ob ich schießen kann!«

»Sie zielen außerordentlich sicher.«

»Nun, habe ich mich also vor einem Zweikampfe zu fürchten?«

»Es sollte scheinen, nein.«

»Wenn ich also ausgewichen bin, muß es aus einem anderen Grunde geschehen sein.«

»Möglich; aber ich kenne ihn nicht,« sagte der Baron.

»Sie können ihn erfahren. Es ist nämlich uns sämmtlichen Officieren die Cassirung angedroht worden, falls wir uns durch unseren Haß hinreißen lassen, mit einem Deutschen zur Mensur zu gehen. Da haben Sie es.«

»Und dies ist die Wahrheit?«

»Gewiß.«

»Sie glauben, das Duell wäre verrathen worden?«

»Man würde ganz gewiß davon gesprochen haben, denn ich hätte den Kerl getödtet.«

»So wäre Ihnen doch geholfen gewesen, denn er hätte Ihre Schwester nicht kennen gelernt, und konnte also nicht als mein Nebenbuhler auftreten. Uebrigens ist ein Duell eine Ehrensache, bei welcher jeder Theilnehmende verpflichtet ist, das tiefste Stillschweigen zu beobachten. Wie also hätte diese Sache verrathen werden können?«

Der Capitän zuckte die Achsel und antwortete:

»Glauben Sie, daß diese Deutschen geschwiegen hätten, falls einer von ihnen von mir getödtet worden wäre? Sie hätten ihn durch Verrath gerächt, und ich wäre dann doch aus der Armee gestoßen worden.«

»Das wird jetzt auch geschehen.«

»Ich hoffe es nicht.«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Weshalb?«

»Man wird Sie wegen Schulden zwingen, Ihren Abschied zu nehmen.«

»Pah! Sie werden es nicht wagen, mich meinem Commandeur anzuzeigen!«

»Wagen? Anzeigen? Wer spricht von Wagen und Anzeigen? Ich werde Ihnen den Greffier schicken, der Sie in Wechselhaft bringt; das ist genug. Sobald dies Ihre Vorgesetzten erfahren, können Sie unmöglich in der Armee bleiben.«

»Sie aber haben sich dann einen Feind gemacht, den Sie zu fürchten haben.«

»Einen Feind? Wer sollte dies sein?« fragte der Baron lachend.

»Ich!« antwortete Richemonte selbstbewußt.

»Sie? Ah, ich habe Sie auf keinen Fall zu fürchten, am Wenigsten aber, wenn Sie sich im Gefängnisse befinden. Allerdings würde es mir leid thun, in dieser Weise gegen Sie vorschreiten zu müssen. Darum wäre es mir lieb, wenn wir alle Unliebsamkeiten vermeiden und einen Ausweg finden könnten.«

Der Capitän horchte auf. Es war ihm ängstlicher zu Muthe, als er eingestehen wollte, und da der Baron von einem Auswege sprach, so schien doch noch Hoffnung vorhanden zu sein.

»Suchen Sie!«

»Hm!« brummte der gewesene Armeelieferant. »Als Sie sich jetzt bei Ihrer lieben Mama und Schwester befanden, und ich so einsam in Ihrem Zimmer saß, habe ich darüber nachgedacht, ob denn nicht vielleicht eine Abhilfe zu finden sei.«

»Nun? Haben Sie einen Ausweg gefunden?«

»Vielleicht.«

»So sprechen Sie!«

»Man muß da im Sprechen sehr vorsichtig sein. Sie hatten vorhin die Meinung, daß Sie den Deutschen im Duelle ganz sicher getödtet hätten?«

»Er wäre gefallen,« antwortete der Capitän in sehr bestimmtem Tone.

»Ich glaube es; denn ich weiß, wie Sie fechten. Wenn er nun jetzt noch fiele?«

Der Gefragte blickte den Sprecher rasch an; dann sagte er:

»Sie meinen, daß ich ihn jetzt noch fordern solle? Das geht nicht; das ist unmöglich.«

»Ich meine etwas Anderes,« meinte der Baron langsam und zögernd.

»Was?«

»Könnte dieser Mensch nicht fallen auch ohne Duell?«

Der Capitän wurde blutroth im Gesichte. Er wandte sich rasch zum Fenster und blickte lange wortlos hinaus. Dann drehte er sich um, trat auf den Baron zu und fragte:

»Sie meinen, daß ich ihn meuchelmorden soll?«

Der Gefragte lächelte überlegen, zuckte die Achseln und antwortete mit scharfer Betonung:

»Ich sage nichts, sondern ich meine nur Folgendes: Der Weg zum Schuldthurme ist Ihnen sicher; sollte aber bis morgen Früh der Lieutenant Königsau gestorben sein, so vernichte ich die Hälfte Ihrer Accepte. Die andere Hälfte folgt dann nach, sobald ich mit Ihrer Schwester verlobt bin.«

Die Augen des Capitäns zogen sich zusammen, und sein Schnurrbart stieg in die Höhe, so daß es war, als ob er die Zähne fletschen wollte. Es war ganz dasselbe Mienenspiel, welches man auch später noch in seinem Greisenalter auf Schloß Ortry an ihm beobachtete. Sein Gesicht hatte dabei das Aussehen eines wilden Thieres, welches mit dem Gebisse droht.

»Das ist deutlich gesprochen, trotzdem Sie nichts sagen wollen,« meinte er schließlich.

»Ich bin zufrieden, wenn ich verstanden worden bin. Was antworten Sie?«

Da faßte der Capitän den Anderen beim Arme, blickte ihn finster an und fragte:

»Sie würden Wort halten in Beziehung der Wechsel?«

»Ja.«

»Und Sie glauben, des Sieges bei meiner Schwester sicher zu sein, falls dieser Königsau stirbt?«

»Vollständig sicher.«

»Gut, abgemacht! Dieser Mensch ist erstens ein Deutscher, und zweitens mein Feind. Er soll mir und Ihnen nicht länger im Wege stehen.«

»Wie wollen Sie es anfangen?«

»Nichts leichter als das. Er wird natürlich den Abend bei seiner Braut verbringen.«

»Jedenfalls.«

»Liebende sollen sich sehr viel zu sagen haben. Er wird also sehr spät nach Hause gehen.«

»Dies ist vorauszusehen.«

»Nun gut; er wird zwar nach Hause gehen, aber nicht nach Hause kommen.«

Der Baron nickte schadenfroh. Der Ueberfall mochte enden wie er wollte, so hatte er dann den Capitän in der Hand, mehr noch als jetzt. Er sagte, scheinbar besorgt:

»Ich bin mit Ihnen zufrieden, habe aber zu Ihrem Besten eine Bemerkung zu machen.«

»Reden Sie!«

»Es giebt Fälle, in denen es sehr gerathen erscheint, eine Verkleidung anzulegen.«

»Pah!« sagte der Capitän in wegwerfendem Tone. »Sie scheinen mich für einen Dummkopf zu halten. Ich weiß eben so gut wie Sie, was gerathen ist oder nicht.«

»Nun gut, so sind wir also einig.«

»Ich hoffe es.«

»So kann ich Sie verlassen. Wo und wann werde ich das Resultat erfahren?«

»Kommen Sie heute Abend nach unserem Kaffeehause. Sie werden mich da früher oder später sehen. Auf alle Fälle hoffe ich, in Ihnen einen Zeugen zu finden, mit dessen Hilfe es mir möglich ist, mein Alibi und also meine Schuldlosigkeit zu beweisen.«

»Ich stehe gern zu Diensten und hoffe, daß unser Plan Erfolg hat. Adieu, Capitän!«

»Adieu, Baron!«

Der Baron ging. Er hegte die feste Ueberzeugung, daß der Capitän das Seinige thun werde, die Mißachtung, mit welcher man sie Beide behandelt hatte, zu rächen. Dieser blieb in seinem Zimmer zurück, schritt eine Zeit lang in demselben auf und ab und trat dann in ein Nebengemach, in welchem er zu arbeiten pflegte. Diese Arbeit bestand allerdings nur in der Anfertigung eines Briefes oder in dem flüchtigen Durchblättern irgend eines Romanes. Dort hingen verschiedene Waffen an der Wand.

Der Capitän nahm eine Pistole herab, untersuchte dieselbe und murmelte dabei:

»Es ist die beste, welche ich habe. Mit ihr habe ich noch keinen Fehlschuß gethan. Sie würde mich auch heute nicht verlassen. Soll ich mich ihrer bedienen? Hm! Es ist viel Lärm bei solch einem Schusse, und das könnte gefährlich werden. Nein!«

Er hing sie wieder an den Nagel und griff nach einer Stockflinte, welche daneben hing.

»Diese Windbüchse macht kein Geräusch; es wäre besser, sie zu nehmen; auch schießt man aus ihr öfters, ohne laden zu müssen; aber leider ist sie nicht zuverlässig. Nein, auch sie nicht; ich muß sicher gehen, denn der Kerl darf mir auf keinen Fall entkommen.«

Er hing die heimtückische Waffe wieder an die Wand und suchte weiter.

»Ah, da ist ein alter, venetianischer Banditendolch. Er ist scharf und spitz und aus dem besten Glase gemacht. Beim Stoße bricht die Spitze ab und bleibt in der Wunde stecken, so daß eine Heilung unmöglich ist, wenn nicht eine sehr schwierige und geschickte Operation das Opfer von dem tödtlichen Glase befreit. Ein fester und kräftiger Stoß genügt. Diese Waffe ist sicher und still. Kein Laut erschallt; sie werde ich nehmen und keine andere.«

Während er in dieser Weise überlegte, wie er seinen Feind am Sichersten tödten könne, befand sich dieser in der glücklichsten Stimmung bei der Geliebten. Er stand wieder mit ihr am Fenster und hielt sie innig umschlungen, indeß der Marschall bei der Mutter saß, und sich mit ihr von seinen und ihren Erlebnissen unterhielt. Der Alte konnte sehr liebenswürdig sein, wenn er wollte, und heute war er es im höchsten Grade. Die drei Anderen waren über ihn entzückt; er selbst sprach sich immer tiefer in die beste Stimmung hinein und sagte endlich, einen Blick auf das schöne Mädchen werfend:

»Sehen Sie einmal hin, Madame! Da stehen die Beiden und halten sich fest, als ob eine ganze Armee anmarschirt käme, um sie zu trennen. Aber so ist die Liebe, und so sind die jungen Leute! Na, erröthen Sie nicht, Mademoiselle! Ich bin auch einmal jung gewesen. Jetzt aber freilich bin ich ein alter, weißer Eisbär geworden, um den sich Keine mehr bekümmern mag!«

Da faßte sich Margot ein Herz und antwortete:

»Excellenz meinen doch nicht, daß nur die Jugend im Stande sei, Liebe zu erwecken?«

»Ja, gerade dies meine ich, mein Kind.«

»Da haben Excellenz sicher Unrecht!«

»Meinen Sie? Können Sie mir Beweise bringen?«

»Ja. Es ist eine alte Erfahrung, daß es Damen giebt, welche für bejahrte Herren schwärmen können. Ich kenne einige meiner Freundinnen, deren Ideal nicht ein Jüngling, sondern ein gereifter Mann ist.«

Er nickte mit seinem schönen, ehrwürdigen Greisenhaupte und sagte:

»Ja, ich habe einmal mit einem Professor darüber gesprochen, der ein sehr berühmter Psychologe war. Ich glaube, dieses Wort bedeutet Menschenkenner oder Seelengrübler. Dieser Mann sagte, daß besonders unter jungen Damen, unter den sogenannten Backfischen, Viele seien, welche am Liebsten einen Mann mit grauen Haaren haben möchten. Später aber ändert sich diese Gesinnung, und sie gehen doch in die Falle, welche ihnen ein junger, schmucker Jäger gestellt hat. Unsereiner muß sich also jetzt begnügen, für einen Anderen Kastanien aus dem Feuer zu holen, wie zum Beispiel ich für den Lieutenant da.«

»So bin ich also die Kastanie?« lachte Margot.

»Ja, und zwar eine Kastanie zum Anbeißen. Ich würde – ich möchte – hm, Donnerwetter, ich wollte, ich dürfte auch einmal anbeißen!«

»Excellenz sehen aber gar nicht so bissig aus!«

»Meinen Sie?« lachte er fröhlich. »Nun, da irren Sie sich sehr, und das werde ich Ihnen sogleich beweisen. Ein jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth, sagen wir Deutschen. Ich habe mich nun ganz fürchterlich abgemüht, um Euch zusammen zu bringen; belohnt muß ich also werden. Und was denkt Ihr wohl, was ich verlangen werde?«

Margot erröthete. Sie ahnte, was nun kommen werde.

»Na,« fuhr er fort, »das Mädchen wird ja roth wie Zinnober! Es denkt sich also schon, wonach ich Appetit habe. Wird meine Bitte gewährt sein, Mademoiselle?«

»Excellenz haben sie ja noch gar nicht ausgesprochen,« antwortete sie, noch tiefer erglühend.

»Gut, so will ich es sagen: einen Kuß fordere ich als Belohnung.«

Da zog ein lustiges, schelmisches Lächeln über ihr Gesicht, und sie antwortete:

»Einen Kuß? Von wem? Von meinem Bräutigam?«

»Von Dem da? Fällt mir gar nicht ein! Was habe ich mit seinem Schnurrbarte zu schaffen! Nein, von Ihnen selbst, Mademoiselle. Ich bin allerdings kein Lieutenant, der Ihnen das Köpfchen verdreht, aber so einen conventionellen, großväterlichen Kuß wird Ihr schönes Mäulchen doch vielleicht fertig bringen. Nicht?«

»Vielleicht,« antwortete sie. »Aber da möchten wir denn doch diesen Lieutenant erst vorher um Erlaubniß bitten!«

»Den?« fragte er in komischem Stolze. »Warum Den? Fällt mir gar nicht ein! Ich habe Paris und Frankreich erobert, ohne einen Lieutenant um Erlaubniß zu fragen. Soll ich mich wegen zwei Lippen an ihn wenden, die doch auch zu meiner Eroberung gehören? Nein. Immer vorwärts, sage ich, und so auch hier. Geben Sie getrost Ihr liebes Mäulchen her! Ich werde es nicht ganz abbeißen, sondern ihm einen Theil davon übrig lassen.«

Er erhob sich vom Sopha und trat auf das Mädchen zu. Dieses erglühte zwar bis in den Nacken hinab, aber es kam ihm doch zwei Schritte entgegen.

»Excellenz,« sagte Margot; »ein Kuß von Ihnen ist die höchste Ehre, welche einer Dame geschehen kann. In diesem Sinne wage ich es, Ihrem Befehle zu gehorchen.«

»Papperlapapp, ich meine das anders. Aber, na, nur erst her mit dem Ehrenschmatz, dann wird sich das Uebrige finden.«

Er schritt mit der Courtoisie eines Höflings aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten auf sie zu und küßte sie leise und höflich auf die Wange; dann aber sagte er:

»So, das war der Feldmarschall. Nun aber kommt der gute Gebhard Leberecht Blücher dran, der einmal sehen will, ob er nur um seinetwillen, und nicht um des Marschalls willen einen herzhaften Kuß erhält. Was meinen Sie, Margotchen?«

»O, er ist so lieb und gut, daß er zwei erhalten soll, anstatt einen!«

Dies sagend, legte sie zutraulich, als ob er ihr Vater sei, die Arme um seinen Hals, drückte sich mit ungeschminkter Zärtlichkeit an ihn und küßte ihn ein-, zwei-, dreimal so herzhaft, wie er es gewünscht hatte, auf die Lippen.

»Alle Wetter,« sagte er, »das war eine Delicatesse, wie sie unsereiner jetzt so oft nicht mehr findet!«

Seine Augen glänzten feucht vor Rührung. Er hielt sie noch bei dem Händchen fest und fragte:

»Kam das wirklich aus dem Herzen, Du kleine, süße Hexe?«

»Ja, Excellenz,« betheuerte sie.

»Nun, dann habe Dank, meine Tochter! Du hast mir alten Kerl eine Freude gemacht, so groß, wie Du es gar nicht denkst. Ich werde Euch nicht vergessen, und erwarte, daß Ihr an mich denkt, wenn Ihr einmal einen tüchtigen Jungen habt, zu dem Ihr einen Pathen braucht. Wenn der alte Blücher Pathe steht, so wird wohl unser Herrgott ein Einsehen haben, und einen ganz besonderen Segen drauf legen, da ich armer Teufel doch nichts geben kann, als mein Ja und Amen! Nun aber ist mein Geschäft hier beendet, und ich habe noch Anderes zu thun, wobei ich leider keinen Kuß zu erwarten habe. Wie steht es, mein Junge, Du bleibst doch noch hier?«

Königsau war mit Blücher gekommen; es wäre der größte Verstoß gewesen, wenn er ihn jetzt hätte allein gehen lassen; daher sagte er, obgleich er am Liebsten noch recht lange bei der Geliebten geblieben wäre:

»Wenn Excellenz erlauben, schließe ich mich Ihnen an. Auch ich habe noch Dienstliches zu thun.«

»So mache es rasch ab! Der Dienst hier bei der Herzdame wird Dir doch wohl der angenehmste sein, und ich hoffe, daß Du Dir nichts zu Schulden kommen läßt!«

Königsau mußte Margot versprechen, am Abend wiederzukommen; dann verabschiedeten sich die Beiden von den Damen, welche die Ehre, den berühmten Feldmarschall bei sich gesehen zu haben, sehr wohl zu schätzen wußten.

Als die beiden Officiere aus dem Vorsaale traten, öffnete sich die gegenüberliegende Thür, und der Capitän erschien; er stand im Begriff, seine Wohnung zu verlassen, fuhr aber wieder zurück, als er die Beiden bemerkte. Er hatte sich dabei so wenig in der Gewalt, daß sein Gesicht die ganze Fülle des Hasses zeigte, von welchem er gegen den Lieutenant von Königsau erfüllt war.

Als dieser mit Blücher die Straße erreicht hatte, fragte ihn der Letztere:

»Hast Du den Blick gesehen, welchen der Franzmann auf Dich warf, mein Junge?«

»Ja.«

»Nun, was sagst Du dazu?«

»Nichts. Dieser Kerl geht mich nichts an!«

»Nimm es nicht so leicht!« warnte Blücher.

»Er kann mir nichts anhaben.«

»In offener, ehrlicher Weise allerdings nicht; aber sein Gesicht gefällt mir ganz und gar nicht. Weißt Du, was in seinen Augen zu lesen war?«

»Haß natürlich.«

»Haß und Rache, glühende Rachsucht. Mir scheint, daß Du Dich vor ihm in Acht nehmen solltest. Dieser Mensch ist ein Bösewicht, das steht ihm an der Stirn geschrieben.«

»Excellenz mögen Recht haben,« sagte Königsau nachdenklich. »Er ist dem Baron bedeutende Summen schuldig, und dieser scheint geneigt gewesen zu sein, sie ihm zu schenken, falls er Margot's Hand erhält. Aus dem Gespräch, welches ich belauscht habe, geht das deutlich hervor. Ja, der Baron wollte ihm sogar noch eine baare Summe auszahlen, obgleich ich es kaum glaube, daß er ein ehrliches Spiel mit ihm spielt.«

»Nun, so schließe einmal weiter! Ich will sehen, ob Du nicht auf den Kopf gefallen bist.«

»Der Baron drohte vorhin, ihm die Wechsel zu präsentiren. Thut er das, so kommt der Capitän in das Schuldgefängniß und muß aus der Armee treten. Er wird Alles aufbieten, diese Schande zu vermeiden.«

»Und auf welche Weise kann dies am Sichersten geschehen?«

»Dadurch, daß er mich zur Seite räumt.«

»Ja, nur dadurch. Du bist also doch der Dümmste nicht, mein Junge. Seine Augen funkelten wie Katzenaugen, und sein Schnurrbart zerrte sich in die Höhe, als ob er Dich beißen wolle. Der Kerl denkt Schlechtes; er will Dir an den Kragen; das war ja ganz deutlich zu sehen. Nimm Dich in Acht. Du willst heute Abend wirklich zu Deinem Schatz?«

»Ja.«

»Nun, so gehe ja nicht unbewaffnet. Ich wollte, Du wärest ein Kürassier.«

»Warum, Excellenz?«

»Weil der Küraß wenigstens den ersten Stoß abhält. Es ahnt mir, daß der Kerl heimtückisch und mit scharfer Waffe auf Dich will. Versprich mir, daß Du nicht leichtsinnig sein, sondern Dich ganz gehörig vorsehen willst!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Excellenz.«

»Gut. Es wäre jammerschade um Dich und diese prachtvolle Margot, wenn sie zur Wittwe würde, ohne vorher Hochzeit gemacht zu haben. Diesen Capitän aber wollte ich curranzen, daß ihm die Seele quieken sollte! Hier sind wir vor meinem Hause, und Du kannst gehen. Vorher aber noch Eins, mein Junge!«

»Excellenz befehlen?«

»Befehlen? Nichts. Ich habe Dich nur zu fragen, ob Du darüber böse bist, daß mich diese Margot – verfluchter Name! Wie heißt er denn eigentlich auf Deutsch? Aber das kann mir ja gleich sein, da Du sie heirathest, und nicht ich. Also ich wollte Dich fragen, ob Du es übel genommen hast, daß ich sie geküßt habe?«

»Uebel genommen? Wo denken Excellenz hin? Margot war ganz und gar meiner Meinung, als sie sagte, daß es für eine Dame die größte Ehre sei, von –«

»Schon gut, gut, gut! Aber eine verfluchte Hexe ist sie doch! Wollte dieses verteufelte Weibsen, daß ich Dich schmatzen sollte! Na, laß sie Dir nicht über den Kopf wachsen! Erst sind diese Engels die reine Chocolade; dann kleben sie wie Gummi arabicum, und endlich wird Aloë und Stiefelwichse daraus, bitter und schwarz zum Erbarmen. Ich will Dir wünschen, daß die Deinige eine Ausnahme macht. Gutschmecken thut ihr Mäulchen, das muß man ihr lassen. Hast Du sie auch schon geküßt, Junge? Sag's aufrichtig!«

»Natürlich habe ich sie geküßt, Durchlaucht.«

»Gut, so habe ich Dich doch nicht um den ersten Kuß gebracht. Wann ist's denn geschehen?«

»Nun, bei der Liebeserklärung,« lachte Königsau.

»Bei der Erklärung, ja, da pflegt es nie ohne die obligaten Zusammenstöße abzugehen. Das schnäbelt wie die Tauben. Heiliges Pech! Wenn ich doch dies einzige Mal noch nicht ein so alter Hallunke wäre! Aber sage mir einmal, wie hast Du es denn eigentlich bei der Liebeserklärung angefangen? Was hast Du gesagt, und was hat sie dann geantwortet?«

»Das werde ich wohl für mich behalten, wenn Excellenz erlauben!«

»Dich soll der Teufel holen, mein Sohn! Na, übel kann ich es Dir nicht nehmen, denn ich hätte es auch Keinem gerathen, bei mir darnach zu fragen, auf welche Weise ich auf den Leim gegangen bin. Also es bleibt bei unserer Ausmachung: Bei dem ersten Buben stehe ich Gevatter. Sorge da für guten Wein und eine tüchtige Pfeife. Lebe wohl!«

Sie trennten sich, und Königsau schritt nach seiner Wohnung, heimlich über den Alten lachend, der da mitten auf dem Trottoir vor der Thür hatte wissen wollen, auf welche Weise er seine Liebeserklärung gemacht habe.

Die Warnung Blücher's ging ihm durch den Kopf. Er vergegenwärtigte sich im Stillen noch einmal die ganze Situation; er dachte an das Gesicht, welches ihm der Capitän gemacht hatte, und mußte sich sagen, daß darauf die offenste Mordlust zu lesen gewesen war. Er nahm sich vor, höchst vorsichtig zu sein. Die Bevölkerung von Paris war den Deutschen nicht hold; es kamen täglich kleinere Revolten und Kundgebungen vor; die Sicherheit war eine zweifelhafte; er dachte an Blücher's Worte, daß ein Küraß eine gute Schutzwehr sei, und sandte unter dem Eindrucke dieser Aeußerung, als er nach Hause gekommen war, seinen Diener zu einem befreundeten Officier von den Kürassieren, um anzufragen, ob dieser ihm für heute Abend seinen Panzer leihen wolle. Der Betreffende hatte zwar verwundert gelächelt, aber das Verlangte doch ganz bereitwilligst hergegeben.

Als Königsau später zu der Geliebten ging, trug er Civil, um nicht sogleich erkannt werden zu können, dazu den Küraß unter dem Mantel und eine geladene Pistole in der Tasche. Auch machte er einen Umweg, und erreichte so von der anderen Seite die Straße, in welcher die beiden Damen wohnten.

Auf dem Vorsaale brannte eine Lampe. Beim Scheine derselben glaubte er zu gewahren, daß die Thür, hinter welcher sich die Wohnung des Capitäns befand, um eine ganz schmale Lücke offen stehe, und es war ihm, als ob er ein fest an diese Lücke von Innen gedrücktes Auge auf sich funkeln sehe. Er vermied es jedoch, dies näher zu untersuchen, da er nicht wissen lassen wollte, daß er auf seiner Hut sei.

Er klingelte und wurde eingelassen. Margot kam ihm entgegen geeilt und bewillkommnete ihn mit einem herzlichen Kusse. Während der innigen Umarmung fühlte sie die harte Schutzwehr unter seinem Mantel. Sie legte die Hand darauf, blickte ihn erschrocken an und fragte in ängstlichem Tone:

»Was ist das, Hugo?«

»Nichts, mein Kind,« antwortete er beruhigend; »nur ein Panzer.«

»Ein Panzer? Warum legst Du ihn an?«

»Du brauchst keine Sorge zu haben, mein Herz. Ich sollte ihn für einen Freund, welcher bei den Kürassieren steht, aus der Reparatur mitbringen, und ich habe ihn nur deshalb angelegt, weil es zu unbequem gewesen wäre, ihn in der Hand zu tragen.«

Er schien seinen Zweck erreicht zu haben, wenigstens sagte sie kein Wort, welches einen Zweifel verrathen hätte. Aber die Liebe sieht scharf, und ein Weib ist oft viel scharfsinniger als ein Mann; es erräth auf der Stelle, was der Mann erst nach längerem Sinnen, Schließen und Grübeln erreicht.

Königsau legte im Vorzimmer Mantel, Panzer und Hut ab und trat in den Salon. Kaum jedoch befand er sich mit der Mutter im festen Gespräche, so verließ Margot die Beiden und suchte das Dienstmädchen auf; sie erkundigte sich bei ihm:

»Ist mein Bruder zu Hause?«

»Bis jetzt war er da; aber soeben hörte ich ihn gehen,« lautete die Antwort.

»Hast Du ihn sicher gehört?«

»Ja.«

»Es kann Jemand Anderes gewesen sein. Gehe hinüber und überzeuge Dich!«

Die Dienerin hatte die Wohnung des Capitäns mit in Ordnung zu halten; darum besaß sie einen Schlüssel zu derselben, da sie ihre Arbeiten nur in seiner Abwesenheit besorgen durfte. Sie ging hinüber und kehrte bald darauf mit der Nachricht zurück, daß der Capitän wirklich gegangen sei. Er hatte sich überzeugt, daß der Deutsche gekommen sei, und da es ihm zu langweilig erschien, einsam zu warten, bis dieser das Haus verlassen werde, so hatte er es vorgezogen, einstweilen ein Caffee aufzusuchen und dann sein Opfer auf der Straße zu erwarten und zu überfallen.

Margot nahm jetzt den Schlüssel und ein Licht und begab sich nach der Wohnung des Stiefbruders. Wie von einer Eingebung getrieben, durchschritt sie mit dem sie begleitenden Mädchen das vordere Gemach und trat in die zweite Stube, in welcher der Capitän zu arbeiten pflegte. Sie leuchtete mit dem Lichte an die Wand, an welcher die Waffen hingen, und bemerkte einen leeren Nagel. Sie konnte sich nicht sofort besinnen, was hier gehangen hatte, und sie fragte darum das Mädchen:

»Du pflegst auch diese Waffen abzustäuben?«

»Ja.«

»Kennst Du sie alle?«

»Ich glaube. Ich habe sie ja sehr oft in den Händen gehabt.«

»So besinne Dich einmal, was an diesem leeren Nagel gehangen hat!«

Die Gefragte blickte ihre Herrin an, einigermaßen befremdet darüber, daß diese sich so plötzlich um die Waffensammlung des Bruders bekümmere, sann aber doch einige Zeit nach und antwortete dann im Tone des Ueberlegens:

»Ich weiß es für den Augenblick wirklich nicht genau; aber warten Sie, Mademoiselle! Hier die Flinten, da die Pistolen, dort die Degen, und dann die Jagdmesser und – ah, ich habe es! Hier hing ein Dolch.«

»Ein Dolch?« fragte Margot, welche ihr Erschrecken kaum verbergen konnte.

»Ja, ein Dolch, dessen Griff von schwarzem Holze, die Klinge aber von Glas war. Ich habe mich oft darüber gewundert, warum man solche Dinge aus Glas und nicht aus Eisen gemacht hat. Das Glas ist ja so sehr leicht zerbrechlich.«

»Ja, er hatte einen venetianischen Dolch,« sagte Margot. »Komm, es ist gut!«

Sie wußte gar wohl, warum man diese Klingen von Glas machte. Sobald die Spitze auf den Knochen trifft, bricht sie ab, und die Wunde wird dadurch doppelt gefährlich, vielleicht sogar absolut tödtlich. Warum hatte der Bruder diesen Dolch mit sich genommen? Sie errieth es. Sie wußte, daß er kein Herz, kein Gemüth hatte; sie kannte ihn als einen harten Egoisten, der selbst ein Menschenleben nicht schonen würde, wenn dasselbe seinen Zwecken im Wege stand. Er hatte seine kalte, allen Gefühles bare Herzlosigkeit ja schon bereits in seinem Verhalten gegen sie und die Mutter bewiesen.

Als sie drüben wieder die eigene Wohnung betrat, forschte sie vergebens in den edlen Zügen des Geliebten. Sie konnte nicht das mindeste Zeichen von Angst oder Besorgniß in ihnen entdecken. Sie gaben nur den frohen Ausdruck des unendlichen Glückes wieder, welches sein Inneres erfüllte, und sein Auge lachte ihr so offen und unbefangen entgegen, daß sie beinahe überzeugt war, sie allein sei es, welche errathen habe, in welcher Gefahr er stehe.

Sollte sie ihn warnen? Sollte sie seine frohe, glückliche Stimmung vernichten? Sollte sie, vielleicht ohne allen Grund und alle Ursache, ihren Bruder, der so schon in so tiefem Mißcredit stand, auch noch in den Verdacht des Meuchelmordes bringen? Sollte sie glauben, daß Königsau ihr wirklich die Wahrheit gesagt habe und den Panzer nur zufällig trage? Oder hatte er, ohne daß sie wußte, auf welche Veranlassung hin, ganz denselben Verdacht geschöpft, den auch sie hegte? Hatte er es vorgezogen, ihr davon keine Mittheilung zu machen, weil er sie nicht beängstigen wollte? Diese Fragen gingen durch ihre Seele, während sie sich möglichst heiter mit ihm unterhielt, um ihre Unruhe zu verbergen.

Aber da kam ihr ein Gedanke. Hatte Königsau wirklich Verdacht geschöpft, so trug er nicht nur den Panzer, sondern jedenfalls noch eine andere Waffe bei sich. Es gab sehr bald einen Grund, sich zu entfernen, und so griff sie im Vorzimmer in die Taschen seines Mantels, welcher dort hing. Sie waren leer. Bereits wollte sie sich beruhigen; da aber dachte sie daran, daß er eine Vertheidigungswaffe wohl kaum in den Mantel stecken werde, den er überwarf, und dessen Taschen also nur unbequem zu erreichen seien. Eine Waffe steckt man nur dahin, wo man sie augenblicklich ergreifen kann.

Darum kehrte sie in den Salon zurück, ohne ganz befriedigt zu sein; aber als er einmal neben ihr stand und seinen Arm um sie legte, lehnte sie ihr Köpfchen zärtlich an seine Schulter und fuhr leise und wie liebkosend an seiner Brust herab. Ja, da fühlte sie es. In seiner Brusttasche, welche sehr tief zu sein schien, stak ein Pistol. Sie fühlte die Umrisse desselben ganz genau, ohne daß er es bemerkte, daß ihre Hand mehrere Male leise tastend zu dieser Stelle zurückkehrte.

Jetzt nun wußte sie, daß er ihren Verdacht theilte, und nun trieb es sie, zu sprechen. Sie pflegte vor ihrer Mutter kein Geheimniß zu haben, und so ließ sie sich von der Gegenwart derselben nicht beirren. Sie legte die Hand an seine Tasche und fragte:

»Was hast Du hier verborgen, lieber Hugo?«

Er bemerkte erst jetzt, worauf ihre Aufmerksamkeit gerichtet gewesen war; er konnte eine kleine Verlegenheit nicht verbergen, antwortete aber anscheinend unbefangen:

»Hier in dieser Tasche? Das ist meine Pistole, Kind.«

»Eine Pistole? Warum?«

»Aus bloßer Gewohnheit. Du wirst glauben, daß wir Officiere gewöhnt sind, Waffen zu führen, zumal in einer Stadt, welche wir erobert haben, und deren Bewohner uns in Folge dessen wohl nicht sehr freundlich gesinnt sein werden.«

»So hegst Du Besorgniß?«

»Das eigentlich nicht; aber wir stehen auf dem Kriegsfuße und sehen uns vor, selbst wenn wir Civil angelegt haben. Du weißt ja, daß Ihr selbst bei der Demonstration letzthin in Gefahr gekommen seid. Und wie viel mehr müssen wir, die Feinde, Veranlassung haben, auf der Hut zu sein.«

»Denkst Du dabei an eine bestimmte Persönlichkeit?«

»Nein, Margot.«

Er gab sich Mühe, so aufrichtig wie möglich zu erscheinen, und es gelang ihm dies ziemlich gut, so daß sie wirklich annahm, daß er aus allgemeiner Vorsicht die Waffe zu sich gesteckt habe. Aber sie war dennoch nicht vollständig befriedigt und fragte:

»Hast Du vielleicht einen persönlichen Feind, dem Du nicht traust?«

»Ich glaube nicht.«

»Und mit dem Panzer ist es so, wie Du mir vorhin erzählt hast?«

»Gewiß, mein liebes Kind.«

»Einen Panzer?« fragte da die Mutter. »Was ist's mit dem Panzer?«

»O,« antwortete Margot, »Hugo trug einen Panzer, als er kam. Er hat ihn abgelegt; er hängt draußen im Vorzimmer, liebe Mama.«

»Einen Panzer haben Sie angelegt?« fragte Frau Richemonte, zugleich erstaunt und besorgt. »Warum diese Vorsichtsmaßregel? Fürchten Sie eine Gefahr?«

»Ich weiß von keiner anderen Gefahr, als derjenigen, in welcher wir Deutschen hier alle stehen, und die vielleicht ganz illusorisch ist,« antwortete Königsau. »Den Panzer trug ich ganz zufällig, und diese Pistole steckt noch seit meinem letzten Ausgänge in der Tasche. Die Sache hat ja ganz und gar nichts zu bedeuten.«

Damit beruhigte sich zwar die Mutter, nicht aber die Tochter. Diese Letztere beschloß, zwar zu schweigen, aber dann später zu handeln. Sie war ein muthiges Mädchen; sie hatte für sich jedenfalls nichts zu befürchten, und sie liebte den Bräutigam mehr als sich selbst. Darum wollte sie ihm bei seinem Fortgehen heimlich folgen, bis sie ihn in seiner Wohnung in Sicherheit wußte.

Aus diesem Grunde befahl sie dem Mädchen, ihren Hut und Paletot hinunter nach der Loge des Portiers zu schaffen, und diesem zu bedeuten, wach zu sein, da sie noch spät ausgehen werde. Erst als dies besorgt war, gab sie sich weniger ängstlich dem Glücke hin, welches sie in der Anwesenheit des Geliebten fand.

Es war ganz so, wie der Baron und der Capitän gedacht hatten. Die Liebenden hatten sich so Vieles zu sagen und zu erzählen, daß eine lange Zeit verging, ehe sie sich zur Trennung entschließen konnten. Als Königsau aufbrach, war es bereits nach Mitternacht.

Er nahm Abschied von der Mutter, die ihn von Minute zu Minute lieber gewonnen hatte, legte draußen im Vorzimmer seine Sachen an, und war nicht wenig verwundert, als an Stelle des Mädchens Margot selbst das Licht ergriff, um ihm hinab zu leuchten, da die Hauslampe um Mitternacht verlöscht zu werden pflegte.

Unten am Ausgange umarmte und küßte er sie herzlich.

»Darf ich morgen wiederkommen, mein Leben?« fragte er.

»Ja, Hugo,« antwortete sie. »Ich werde Dich mit Sehnsucht erwarten; darum bitte ich Dich, recht zeitig zu kommen. Aber noch um eins habe ich Dich zu bitten.«

»Sage es!«

»Sei heute Abend recht vorsichtig. Mir ist so außerordentlich bange um Dich.«

Er drückte sie innig an sich und flüsterte, ganz glücklich über ihre Aengstlichkeit:

»Das ist die Besorgniß der Liebe, meine Margot. Aus ihr ersehe ich, daß ich Dir wirklich theuer bin, und ich danke Dir, daß Du mir dies wissen lässest.«

»O nein, diese Besorgniß hat außer der Liebe noch einen anderen Grund.«

»Welchen?«

»Mir ahnt, Du stehst in Gefahr.«

»Glaube dies nicht. Die Straßen sind ruhig. Gefahr könnte ich nur von einem persönlichen Feinde erwarten; aber ich kenne keinen, dem ich eine solche Gewaltthätigkeit zutrauen möchte. Uebrigens stehen wir ja nicht in der Zeit des Mittelalters und befinden uns nicht in Italien, dem Lande der gedungenen Meuchelmörder.«

Sie schauderte. Gerade der Dolch war ja ein italienischer.

»O, Geliebter,« flüsterte sie, »ich kann nicht anders, ich muß an einen Bestimmten denken, vor dessen Rache Du Dich sehr in Acht zu nehmen hast.«

»Wer sollte dies sein?«

»Mein – Bruder.«

Er fühlte sich betroffen. Also auch sie hatte bereits Verdacht geschöpft! Darum also die Aufmerksamkeit, welche sie seiner Bewaffnung gewidmet hatte! Sie war sehr unruhig; er fühlte dies an dem leichten Beben ihrer Gestalt, darum antwortete er:

»Dein Bruder, o, er ist ein Bramarbas, im Herzen aber feig. Er thut mir nichts.«

»Feig? Nein, feig ist er nie gewesen. Und er ist zu jeder That fähig, die er einmal beschlossen hat. Es ist gar traurig, den eigenen Bruder so schildern zu müssen, aber ich muß es zu Deiner Sicherheit thun. Er mag kein Meuchelmörder sein, aber ich traue es ihm zu, rohe Arbeiter zu dingen, und auf Dich zu hetzen, um Dich zu insultiren.«

An diesem Falle werde ich mich zu wehren wissen, mein Kind. Habe also keine Sorge. Schlafe im Gegentheile recht gut, und träume ein Wenig von mir!«

Er nahm, wie er meinte, für heute von ihr Abschied und verließ das Haus.

Draußen war es dunkel; aber der Schein der Sterne erlaubte doch, in einer nicht zu weiten Entfernung die Umrisse größerer Gegenstände zu erblicken. Er zog den Mantel fest an, damit ihm dieser bei einer etwaigen Vertheidigung nicht hinderlich sei, und holte die Pistole aus der Tasche, deren Hahn er spannte, um schußbereit zu sein. Dann schritt er weiter, seine Schritte möglichst dämpfend, um zu hören, ob ein Verfolger hinter ihm sei.

Am Liebsten wäre er mitten auf der Straße gegangen, aber damit hätte er dem Feinde verrathen, daß er vorbereitet sei.

Ging er auf dem Trottoir, so boten ihm die Häuser im Falle eines Kampfes von der einen Seite Deckung.

Auf diese Weise passirte er die Straße, ohne belästigt worden zu sein. Er machte ganz denselben Umweg zurück, den er herwärts gegangen war. So hatte er die zweite Straße erreicht; er befand sich bereits in der zweiten Hälfte derselben, als er sich, obgleich er weder etwas gehört noch gesehen hatte, aus einfacher Vorsicht umwendete. Da war es ihm, als ob er eine dunkle Gestalt bemerke, welche in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten eben so wie er stehen blieb, um ihre Anwesenheit nicht zu verrathen.

»Das ist er,« dachte Königsau. »Warte, Hallunke, Dich werde ich zu täuschen wissen.«

*


 << zurück weiter >>