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»Das beabsichtigte ich auch gar nicht. Der Vorteil sollte nur denjenigen zufallen, welche ein Recht auf denselben haben. Zu diesen Leuten gehören Sie freilich nicht. Übrigens werde ich auf alle Fälle dafür sorgen, daß diese Quipus in sach- und fachkundige Hände gelangen. Die Farben sind jedenfalls wieder sichtbar zu machen, und die Schnuren werden also gelesen werden.«
»Und was nutzt es, wenn sie gelesen werden? Nichts, gar nichts! Mögen tausend Gelehrte sie entziffern, einen Vorteil wird es doch erst dann bringen, wenn ich einverstanden bin.«
»Sie? Sie werden nicht gefragt!«
»So wird man nichts finden, denn die Hauptsache habt Ihr doch noch nicht: die Pläne sind noch in meinem Besitz.«
»Ah, ja, die Pläne!« entfuhr es mir.
»Ja, die Pläne!« lachte er schadenfroh. »Die habe ich, sogar in mehreren Exemplaren, die ich anfertigen ließ, falls das Original verloren gehen sollte.«
»Nun, ein solches Exemplar wird sich wohl auch noch finden lassen!« meinte ich ruhig.
»Wo denn? Bei wem denn? Gebt mich frei, so sollt Ihr es haben!«
»Nein. Habe ich die Quipus gefunden, so werde ich auch die Zeichnung finden.«
Er warf mir einen langen, unbeschreiblichen Blick aus den halb geschlossenen Augen zu. Es war gewiß, daß ihn nur die Aufregung beim Bewußtsein erhielt. Er kämpfte mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung seine Schmerzen nieder.
»Ein Teufel bist du!« knirschte er. »Aber du sollst nicht siegen, denn wisse –« er richtete sich wieder halb auf und fügte mit dem Ausdrucke des grimmigsten Hasses hinzu: »Die Rache kommt; dein Ende ist nahe, näher als du denkst!«
»Wollen Sie mir bange machen, mich einschüchtern? Das gelingt Ihnen nicht.«
»So halte die Hoffnung fest; aber sie wird dich betrügen, schnell, plötzlich und unerwartet. Gibst – du – mich – – frei?«
Er brachte diese Frage nur mit größter Anstrengung hervor.
»Nein,« antwortete ich. »Gomarra ist tot, und wir anderen sind nicht so blutdürstig, wie er war. Wir werden dich nicht töten, sondern, falls du deinen Verletzungen nicht erliegst, dich den Gerichten übergeben.«
»Ver – suche – es!« hohnlachte er, kaum noch im Stande, den Oberkörper aufrecht zu erhalten. Die Augen fielen ihm zu. »Die Zeichnung ist – ist in sichern _ in sichern Händen.« Er fiel nach hinten, stützte sich aber noch auf den unverletzten linken Arm und fuhr mit nach und nach erlöschender Stimme fort: »Der Rächer kommt – er ist – wohl schon – da. Droben an – an der Roca de la Ventana – dort holt – er die Zeichnung. Er bringt – bringt sie her, und – und wehe – wehe dir, wenn – wenn er dich – dich – hier – trifft!«
Er sank vollends nieder. Seine Lippen schlossen sich; seine Wangen fielen ein; er hatte ganz das Aussehen eines Toten.
»Entsetzlich!« klagte der Bruder, welcher die drei Quipus, welche er aufmerksam betrachtet hatte, noch immer in den Händen hielt. »Er geht in seinen Sünden hinüber. Er will nicht bereuen und bekennen. Ist er tot?«
»Nein,« antwortete ich, indem ich den Puls des Sendadors untersuchte. »Entweder sind seine Verletzungen nicht zum Tode, oder seine Natur ist so stark, daß sie nur nach langem Kampfe unterliegt.«
»Wollen ihn verbinden.«
»Warten wir noch. Seine Wunden bluten nicht. Ich möchte ihn nicht stören. Vielleicht sammelt er noch einmal seine Kräfte; es widerstrebt mir, die Hoffnung aufzugeben, daß er doch noch zur bessern Erkenntnis kommt. Übrigens ist das, was er sagte, höchst wichtig. Er sprach von jemandem, der die Zeichnung holt.«
»Ja, von der Roca de la Ventana.«
»Der Felsen des Fensters. Wo mag das sein?«
»Ich weiß es,« antwortete Pena. »Der Roca de la Ventana ist eine dünne, alleinstehende Felswand, in welcher sich eine viereckige, fensterähnliche Öffnung befindet.«
»Wo?«
»Eine halbe Tagereise aufwärts von hier.«
»Ob er die Zeichnung dort versteckt hatte?«
»Jedenfalls.«
»Aber dann muß derjenige, welchen er beauftragt hat, sie zu holen, sein ganzes Vertrauen besitzen. Wie erfahren wir, wer das ist und wo – ah, das müssen doch die Chiriguanos wissen!«
Ich gab dem Häuptling einen Wink und fragte ihn, als er herbeigekommen war:
»Ist den Chiriguanos ein Felsen bekannt, welcher die Roca de la Ventana heißt?«
»Ja, Herr, sehr gut,« antwortete er.
»Hat der Sendador jemand dorthin geschickt?«
»Ja, seinen Sohn.«
»Ah! Seinen Sohn! Dieser ist auch da? Davon hatte ich keine Ahnung. Ich glaubte ihn weit rückwärts am Parana oder wenigstens im Gran Chaco. Ist er allein hinauf?«
»O nein; es sind fünfzehn meiner Leute mit.«
»Fünfzehn? Das müßte ich doch euern Spuren angesehen haben!«
»Vielleicht seid Ihr zu spät auf unsere Fährte gestoßen. Der Sohn des Sendador hat sich schon vorgestern von uns getrennt, weil uns das Fleisch ausging und zwei kleine Abteilungen sich leichter verproviantieren können als eine große.«
»Wann wollte er hier ankommen?«
»Spätestens heute am Abend.«
»Ah, das ist gefährlich; da gilt es aufzupassen. Die Roca de la Ventana liegt von hier aufwärts, also haben wir ihn von oben herab zu erwarten?«
»Nein, Herr. Von hier aufwärts ist die Roca nur unter großen Beschwerden zu erreichen. Leichter kommt man hin von da unten aus.« Er deutete auf den See hinab und dann nach der Felsenenge, aus welcher wir gekommen waren. »Man reitet dort hinein, euern Weg zurück und wendet sich später nach Westen in die Berge hinein.«
»Also kommt der Sohn des Sendadors dort unten heraus?«
»Jedenfalls.«
»Und wir können ihn heute abend, vielleicht schon jetzt erwarten? Da fällt mir ein, als ich vorhin unten in der Felsenritze stand, erblickte ich zwei Indianer, welche am Eingange standen und dann rasch verschwanden. Ich hielt sie für Eure Wächter.«
Der Häuptling sah einige Augenblicke nachdenklich vor sich nieder und meinte dann:
»Herr, ich habe gesagt, daß ich wünsche, euer Freund zu sein; ich will Ihnen jetzt beweisen, daß ich es mit diesem Wunsche ehrlich meine. Wäre das nicht der Fall, so könnte ich euch jetzt verderben.«
»Über Ihre Ehrlichkeit freue ich mich, aber uns verderben, das brächtet ihr nicht fertig, denn was Sie mir sagen wollen, das habe ich schon selbst erraten.«
»Wohl schwerlich!«
»Doch! Der Sohn des Sendador ist zurückgekehrt. Er ist zu Pferde, hat aber der Sicherheit halber, weil er weiß, daß sein Vater unsere Annäherung erwartet, zwei Späher zu Fuß vorausgesandt. Diese waren es, welche ich bemerkte. Sie haben auch mich erblickt; ebenso haben sie unsere Pferde gesehen, welche noch jetzt unten am Felsen stehen. Sie werden also zurückgeeilt sein, um ihm zu melden, daß wir hier sind und seinen Vater überwältigt haben.«
»Herr, Sie verstehen es, meine Gedanken zu lesen!« sagte er erstaunt.
»Pah! Zu dem, was ich bis jetzt gesagt habe, gehört gar kein Scharfsinn. Die Hauptsache ist, zu wissen, daß der Sohn des Sendadors die Absicht haben wird, seinen Vater zu unterstützen. Das kann er an dem Wege am See vorüber nicht tun, denn da unsere Pferde sich da unten befinden, muß er uns auch dort vermuten; er wird also durch die Höhlung kommen, durch welche ihr von meinen Tobas umgangen worden seid.«
»Davon bin ich auch überzeugt.«
»Ich werde diesen Weg also besetzen lassen. Sennor Pena, nehmen Sie fünf Tobas, welche als Späher vollständig genügen, und gehen Sie da über die Böschung zurück, um – – «
Ich hatte mich nach der betreffenden Richtung gewendet, um Pena mit der Hand anzudeuten, wohin er mit den Indianern gehen solle, und hielt mitten in meiner Rede inne, denn da oben auf der Böschung erschien soeben ein bis an die Zähne bewaffneter Mensch, hinter welchem über ein Dutzend Rote auftauchten. Er überflog mit einem schnellen Blicke das Plateau; er sah die Chiriguanos entwaffnet und den Sendador gebunden am Boden liegen.
»Mira, que desvergüenza!« rief er aus. »Drauf auf diese Hunde!«
Er mochte den Steuermann wegen seiner Riesengestalt für den Anführer oder für den gefährlichsten von uns halten, denn er schoß den einen Lauf seines Gewehrs auf diesen, den anderen auf Pena ab, aber ohne zu treffen; dann drehte er die Flinte um und wollte sich mit dem Kolben auf uns stürzen. Aber er kam nicht weit. Er glaubte, die zu ihm gehörenden Chiriguanos würden ihm folgen; ja, sie folgten ihm, aber aus einem ganz andern Grunde, als er meinte. Der Häuptling rief ihnen in ihrer Sprache einige schnelle Worte zu, worauf sie, anstatt den Weißen zu unterstützen, hinter ihm hersprangen und ihn ergriffen. Ebenso rasch waren die Tobas und andern Chiriguanos zur Hand, und so sah sich der Angreifer entwaffnet, ehe er im Stande gewesen war, einen einzigen Hieb mit dem Gewehr zu tun. Er war so verständig, oder wohl auch listig genug, keinen unnützen Widerstand zu leisten; darum wurde er nicht gebunden, sondern nur in die Mitte des Kreises genommen, welcher sich um ihn bildete. Sein Vater lag nahe neben ihm. Er bückte sich, ohne ein Wort zu sagen, zu ihm nieder, um sich von seinem Zustande zu überzeugen. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht sehr bleich geworden; seine Augen leuchteten, aber seine Stimme klang ruhig und ohne Beben:
»Welcher von Ihnen, Sennores, ist der Deutsche?«
»Jedenfalls meinen Sie mich,« antwortete ich.
Sein Auge bohrte sich förmlich in das meinige, als er nun fragte:
»Kennen Sie mich?«
»Ich vermute es. Sie sind der Sohn des Sendador.«
»Und Sie, was sind Sie? Soll ich es Ihnen sagen?«
»Ich verzichte. Ich kenne mich so genau, daß mir kein anderer zu sagen braucht, wer oder was ich bin.«
»Und doch muß ich es Ihnen sagen. Sie sind ein schleichendes Tier, ein Jaguar, der nicht von seiner Beute läßt, bis er sie packen und zerfleischen kann, ein Hund, welcher das Wild hetzt und nicht eher ermüdet, bis – – – «
Er hielt inne, denn er sah, daß sein Vater die Augen öffnete. Es war, als ob die Stimme des Sohnes den Sendador ins Leben zurückgerufen habe. Sein Blick gewann Glanz und Leben; er flog von einem zum anderen, ruhte am längsten auf dem Bruder, welcher die Quipus noch immer in der Hand hielt, und blieb dann auf dem Sohn haften.
»Komm her!« sagte er zu ihm.
Der Sohn kniete neben ihm nieder.
»Lege dein Ohr an meinen Mund; ich kann nicht mehr laut sprechen.«
Der Sohn gehorchte. Der Alte flüsterte ihm leise Worte zu. Ich hielt es für eine Pflicht der Menschlichkeit, sie gewähren zu lassen, tat aber sehr unrecht daran, denn bald sollten wir erfahren, daß es sich um etwas ganz anderes als einen Abschied für immer gehandelt hatte. Der Sohn hörte nur zu; er sprach nicht. Am Schlusse neigte er zustimmend und wie gottergeben den Kopf, gab seinem Vater die Hand und richtete sich wieder auf.
»Herr,« sagte er zu mir, »ich höre, daß Sie unsere Quipus besitzen. Wissen Sie daß dieselben ohne die Zeichnung wertlos sind?«
»Das weiß ich nicht und glaube es auch nicht.«
»Ich biete Ihnen die Zeichnung an.«
»Was verlangen Sie dafür?«
»Unsere Freiheit und dazu die Hälfte der Schätze, welche wir finden werden.«
»Das darf ich nicht versprechen, denn die Schätze sind nicht mein Eigentum.«
»So weigern Sie sich?«
»Ja. Auch Ihre Freiheit kann ich Ihnen nicht versprechen. Ihr Vater besonders gehört vor den Richter.«
Er machte das Gesicht eines Mannes, welcher alles verloren sieht und sich in sein Schicksal ergibt.
»Sie sind grausam, Sennor! Niemand hat Sie zum Richter über uns gesetzt. Blicken Sie hinab in die Tiefe, welche da neben uns gähnt; blicken Sie hinab und sagen Sie mir, ob – – – «
Dieser schlaue Mensch hat kein Wort ohne Absicht gesprochen. Wir alle glaubten, es sei metaphorisch gemeint, und richteten, als er von dem Abgrunde sprach, unsere Augen unwillkürlich der Tiefe zu. Das hatte er beabsichtigt, denn er wollte nach der andern Richtung ausbrechen. Er brach mitten in der Rede ab, riß dem in seiner Nähe stehenden Bruder die Quipus aus der Hand, schlug zwei hinter demselben befindliche Chiriguanos aus einander und sprang dann in weiten Sätzen dem Felsenwege zu, welcher hinab zur Salzlagune führte.
Die meisten waren so überrascht, daß sie gar nicht an eine Verfolgung des Flüchtigen dachten. Ich rief ihnen zu, acht auf den Alten zu haben, und sprang dem Jungen nach.
Es kam darauf an, ihn zu verhindern, eins der unten stehenden Pferde zu besteigen. Ich sah ihn ungefähr vierzig Schritte vor mir und war natürlich neugierig, welcher von uns der bessere Läufer sei. An der ersten Krümmung war ich ihm um zehn, an der zweiten um zwanzig Schritte näher gekommen. Als er unten aus dem Felsenwege ins Freie flog, hatte ich ihn nur noch zwölf Schritte vor mir. Er sah es nicht, denn er drehte sich nicht um, sondern hörte es. Er wollte zu den Pferden, erkannte aber gar wohl, daß ich ihm diesen Plan durchkreuzen werde. Wenn er am Ufer hinrannte, hatte ich ihn binnen einer Minute erwischt, denn ich hörte seinen Atem schnaufend, fast hustenähnlich gehen, während meine Lunge noch so leicht und frei wie vorher arbeitete; er war ein sehr mittelmäßiger Läufer. Es gab für ihn nur eine einzige Chance, nämlich die Salzdecke der Lagune. Wagte ich mich nicht darauf, und war sie stark genug, sein Gewicht zu tragen, so mußte er vor mir das jenseitige Ufer erreichen. In seiner Aufregung und Angst wagte er es und sprang vom festen Ufer auf die Salzkruste. Ich folgte ihm nicht. Ich war über die Salzdecke der tunesischen Schotts, welche hundertmal gefährlicher sind als so eine kleine bolivianische Lagune, nicht nur gelaufen, sondern sogar geritten; ich fürchtete mich nicht, sein Beispiel nachzuahmen, aber ich konnte ihn ja viel billiger haben. Ich eilte zu meinem Pferde, stieg in den Sattel und galoppierte am Ufer hin, um die Lagune herum. Zu Fuße hätte ich ihm den Weg nicht abzuschneiden vermocht, zu Pferde aber war es eine Leichtigkeit.
Indem ich meinem Wege folgte, hielt ich das Auge natürlich auf ihn gerichtet. Wenn er das Salz kannte, war für ihn von Gefahr gar keine Rede. Wie beim Eise, so kennzeichnen sich auch bei so einer Salzkruste die gefährlichen Stellen, welche keine Tragfähigkeit besitzen, durch ihre Farbe. Man muß sie vermeiden. Übrigens besitzt das Salz eine viel größere Elastizität, als man gewöhnlich glaubt.
Zur Regenzeit war die Lagune bis an den Rand mit Wasser gefüllt; nach dieser Zeit verdunstete das Wasser; die Salzdecke senkte sich, und darum war sie am Ufer vielfach geborsten; sie bestand da aus einzelnen Schollen und Stücken, zwischen denen man schmale, teils trockene, teils sumpfige Grundstellen erkennen konnte. Weiter drüben aber gab es Wasser, welches eine zusammenhängende Decke trug.
Der Sohn des Sendador sprang von Scholle zu Scholle; er glitt dabei oft aus, kam aber immer wieder in das Gleichgewicht. Jetzt erreichte er die letzte Scholle. Vor ihm gab es einen vielleicht vier Fuß breiten Wasserstrich, dann begann die feste Decke. Der Sprung über das Wasser war ganz leicht und ungefährlich; er tat ihn, brach mit dem einen Fuße drüben ein, stürzte nieder, wälzte sich kluger Weise schnell eine Strecke auf der Salzdecke weiter, sprang dann auf und setzte seine Flucht im Galoppe fort. Indessen hatte ich schon eine weite Strecke zurückgelegt. Ich befand mich an der äußersten Stelle der Ufereinbuchtung und wendete mich der andern Seite zu. Das heißt mit andern Worten, ich hatte die Hälfte meines Weges bereits hinter mir, während er noch drei Fünftel des seinigen vor sich hatte. Ich mußte weit eher drüben ankommen als er. Er sah es und hielt inne. Noch trug er die Quipus in der Hand. Hinter ihm standen oder liefen meine Gefährten am Ufer, vor sich hatte er mich; auf diesen beiden Seiten gab es kein Entkommen. Er wendete sich also nach links. Bis jetzt hatte er sich nur auf einer schmalen Bucht befunden; nun eilte er der eigentlichen, zehnmal breiteren Lagune zu. Da gab es drüben kein betretbares Ufer, denn der Salzsee trat bis an die steile Felsenwand. Wer den Flüchtling dort verfolgen wollte, der mußte auf das Salz. Meine Gefährten hüteten sich, dies zu tun; sie blieben halten und eilten nur noch mit ihren Blicken hinter ihm her. Ich jagte hüben am östlichen Ufer hin, welches er hatte erreichen wollen, und er eilte nun auf die Höhe der Lagune hinaus, um sich dann jedenfalls nach dem westlichen Ufer zurückzuwenden, sobald ihm dasselbe eine Stelle bot, welche erklettert werden konnte. Ich hielt mich ihm parallel und war fest entschlossen, ihn nicht entkommen zu lassen. So lange er die gleiche Richtung mit mir behielt, konnte ich ruhig weiter reiten; sobald er sich aber hinüber wendete, war ich bereit, ihm auf das Salz zu folgen, und zwar zu Pferde.
Die Salzkruste hatte eine schöne, helle, weiß glänzende Farbe; sie war fest und trug ganz gewiß einen Reiter, notabene, wenn derselbe sehr schnell, nicht aber langsam ritt. Das Gewicht von Pferd und Mann durfte nur für Augenblicke auf einer und derselben Stelle ruhen. Jetzt sah ich, daß sich im jenseitigen Ufer eine schmale Schlucht öffnete. Er sah es auch, wendete sich nach links und strebte derselben zu. Jetzt konnte er mir entgehen; meine Zeit war gekommen, und ich trieb mein Pferd auf das Salz. Es wollte nicht gehorchen; es schnaubte, bäumte sich, schlug hinten hinaus. Ich gab ihm die Sporen kräftiger, als es sie jemals von mir gefühlt hatte, und unter einem zornigen Wiehern setzte es in einem weiten Bogen auf die glitzernde Decke, sprang von Scholle zu Scholle, über den offenen Wasserstrich hinüber und flog dann im Galoppe über die zusammenhängende, dumpf dröhnende Kruste hin. Von links, wo meine Gefährten standen, erschollen Schreckensrufe. Der Flüchtling hörte es, sah zu ihnen hin, bemerkte, daß sie mir eifrig zuwinkten, und drehte sich nach mir um. Er blieb einige Augenblicke wie erstarrt stehen, als er mich kommen sah, wohl weniger aus Angst um sich, als vielmehr, weil er so einen Ritt gar nicht für möglich hielt. Dann aber rannte er aus Leibeskräften weiter.
Meine ganze Aufmerksamkeit war erst in zweiter Linie auf ihn, in erster aber auf die Farbe des Salzes gerichtet. So lange dieselbe weiß glänzend, kristallinisch schimmernd war, hatte ich wenig oder nichts zu fürchten, viel weniger als ein Fußgänger. Die Schnelligkeit ist's, welche die Gefahr hinter sich legt, und sinkt ein Fußgänger mit einem Fuße ein, so hat er nur noch einen zweiten Fuß, um sich zu erhalten; sinkt aber der Huf eines Pferdes ein, so besitzt es noch drei Beine, um nicht stecken zu bleiben. Hinter dem Reiter mag die Decke immerhin bersten, wenn sie nur vor ihm noch hält.
So war ich dem jetzt voller Angst Dahinrennenden vielleicht bis auf sechzig Ellen nahe gekommen. Er hatte noch eben so weit bis an die Schlucht. Aber vor ihm nahm das Salz plötzlich eine graubräunliche, wässerige Farbe an.
»Halt, halt!« schrie ich ihm zu. »Sie brechen ein!«
Er hörte nicht auf mich und rannte weiter. Ich wollte sein Leben erhalten; mochte er mir immerhin entkommen; darum rief ich noch lauter:
»Nach rechts, wo das Salz weiß ist! Das dunkle hält Sie nicht. Um Gottes willen, Sie sind verloren!«
Jetzt gehorchte er und hielt sich weiter rechts; ich kam ihm schneller näher, denn er war ermüdet und hatte keinen Atem mehr. Noch dreißig, noch zwanzig Schritte – er bemerkte es und hielt sich wieder links. In solchen Augenblicken handelt der Mensch mit der Schnelligkeit des Blitzes. Nach der Rettung des Sendadors hatten wir die Lassos wieder von einander gelöst, und ich hatte das meinige, wie gewöhnlich, von der einen Schulter nach der andern Hüfte gerollt, so daß ich es nur über den Kopf hinweg abzunehmen brauchte. Ich schwang es los, hakte den Ring des einen Endes an den Sattelknopf, wand das andere Ende zur Schlinge, nahm mit der Linken die Zügel fest, hob mich in den Steigbügeln empor und schwang mit der Rechten den Riemen im Kreise hoch über dem Kopfe. Der Flüchtling brach mit einem Fuße ein, gewann für kurze Zeit wieder Boden; ich durfte keinen Schritt weiter, denn nur eine kurze Strecke vor mir verlor das Salz die helle Farbe; der Lasso flog durch die Luft; die Schlinge faßte den Mann; in demselben Augenblicke brach er ein. Hätte ich, wie man es auf festem Boden stets tut, scharf wenden und den Riemen anziehen können, so wäre er nicht untergesunken; aber das hätte mir und dem Pferde das Leben gekostet, denn bei einer solchen Wendung auf den Hinterhufen hätten wir uns augenblicklich durch die hier schon weiche Kruste gebohrt. Ich mußte einen, wenn auch kurzen Bogen reiten; dann spannte sich der Riemen an. Das Pferd zog, vergeblich; das Salz hielt den Mann fest; das Pferd zog abermals und fuhr mit einem Hinterhufe durch das Salz. Ich trieb es augenblicklich durch einen Druck des Schenkels zur Seite und riß das Messer aus dem Gürtel; ich mußte das Lasso durchschneiden, um nicht selbst zu verderben. Vorher aber wagte ich das Äußerste; ich gab dem Tiere die Sporen, daß ich später das Blut an den Rädern kleben sah. Das Pferd zog nicht an, sondern es sprang förmlich an – Gott sei Dank, es schoß vorwärts, und der Lasso war fester als die Salzkruste, unter welche der Flüchtling geraten war; er wurde empor- und mit fortgerissen.
Nun durfte ich nicht etwa halten bleiben, um den Mann aufzunehmen. O nein, das wäre mein Untergang gewesen. Ich mußte fort, zurück, und durfte keinen Augenblick halten bleiben. Ich zog ihn am Riemen hinter mir her, ritt aber so langsam wie möglich, um ihn nicht tot zu schleifen, und nahm dabei den Lasso Hand für Hand zu mir ein, so daß der Sohn des Sendador mir immer näher kam. Der Lasso wurde kürzer und kürzer, und es war auch Zeit dazu, da ich den an demselben Hängenden unmöglich über die harten, scharfkantigen Uferschollen schleifen durfte. Noch hatte ich dieselben nicht erreicht, so hing er neben dem Pferde. Ein Griff, ein Schwung, der mich fast aus dem Sattel gerissen hätte, und der Mann lag quer vor mir und war in Sicherheit. Nun noch über die offene Wasserstelle zurück; dann von Scholle zu Scholle an das Ufer. Dort hielten der Bruder und Pena, auch Turnerstick, welche mir nachgeritten waren; sie nahmen mir den Mann ab, und ich stieg von dem Pferde, welches laut schnaubte und am ganzen Körper zitterte; es hatte die Gefahr empfunden, in welcher wir uns befunden hatten.
Während das Erzählte sich abspielte, hatte ich meine Aufmerksamkeit, wenn auch nur für Momente, auch auf anderes richten müssen. Als ich den Lasso warf und der Mann einbrach, ertönte von oben herab ein Schrei, welcher kaum menschlich genannt werden konnte. Den erwähnten Bogen reitend, blickte ich hinauf auf die Felsenplatte und sah die Chiriguanos und Tobas stehen, welche meinen Ritt mit ihren Blicken verfolgten. Ganz vorn, beinahe an der Kante aber stand, hoch aufgerichtet und mit angstvoll emporgehobenen Armen, der Sendador, der kurz vorher noch so schwach gewesen war, daß er sich kaum hatte sitzend aufrichten können. Die Vaterliebe verlieh ihm die Kraft, sich trotz der Fesseln aufrecht zu halten. Und als ich nun vom Pferde gestiegen war und nach oben blickte, sah ich ihn noch ebenso dastehen.
Sein Sohn sah schrecklich aus. Das Wasser hatte ihn nicht hergeben wollen. Bei dem Rucke, mit welchem ich ihn herausgerissen hatte, war sein Gesicht zerschunden und ein Teil seines Anzuges zerfetzt worden. Durch das Schleifen über das Salz war es nicht besser geworden. Der Gürtel fehlte und eine Hälfte der Jacke. Die Hauptsache war, daß er noch lebte. Er kam bald zu sich und gelangte schnell zum Bewußtsein dessen, was geschehen war. Er sah mich lange in sichtbarer Verlegenheit an; dann hielt er mir die Hand hin und sagte:
»Sennor, ohne Sie läge ich jetzt da unten. Sagen Sie, wie ich Ihnen das vergelten kann!«
»Seien Sie brav, und vergelten Sie es nicht mir, sondern denen, welchen Sie bisher übel getan haben!«
»Das werde ich tun. Aber auch Sie sollen erfahren, daß ich dankbar bin. Ich gebe Ihnen die Quipus zurück.«
Er griff in die Tasche.
»Sie hatten sie in der Hand, als Sie durch das Salz brachen,« bemerkte ich.
»In der Hand?« fragte er enttäuscht. »O desdichado de mi! Es ist wahr; so habe ich sie im Wasser gelassen!«
»Und niemand wird sie jemals finden können!«
»Aber die Zeichnung, die Zeichnung, wenn Sie die haben, so – – wo ist mein Gürtel?«
»Auch im Wasser.«
»O Himmel! Ich hatte die Zeichnung da eingeschlagen.«
»So ist sie auch fort?«
»Auch fort, verloren! Was tun wir? Sie müssen sie haben. Ich muß sie schaffen; ich gehe wieder hinüber!«
Er sprang auf, um sich abermals auf das Salz zu begeben.
»Bleiben Sie!« gebot ich ihm. »Sie erreichen nichts, wenigstens Sie allein. Die einzige Möglichkeit des Gelingens ist dann vorhanden, wenn wir alle unsere Bemühungen vereinigen. Wir müßten das Salz entfernen und dann suchen. Dazu gehören Boote und Werkzeuge, welche wir nicht besitzen. Vielleicht kommt uns ein Rat, ein guter Gedanke. Wir werden überlegen. Jetzt aber kommen Sie mit uns zu Ihrem Vater!«
Er weigerte sich nicht und ging mit uns, ohne daß es uns einfiel, ihn zu binden. Wir hatten die Überzeugung, daß er uns nicht wieder entfliehen werde. Was meine Gefährten zu meinem Wagnisse, zu Pferde auf das Salz zu gehen, sagten, das braucht nicht berichtet zu werden. Es war keineswegs eine Heldentat, sondern höchstens ein kleines Wagnis, wie jeder es einmal unternimmt. Die Chiriguanos und Tobas warfen mir Blicke zu, welche mir deutlich zeigten, wie ich ihnen imponierte. Ein wenig Mut, und man erwirbt die Achtung dieser Leute leicht.
Der Sendador hatte sich wieder niedergesetzt. Seine Augen leuchteten, ob vor Freude oder in der Glut des Fiebers, das war schwer zu sagen. Er reichte seinem Sohne die Hand, zog ihn neben sich nieder und ließ ihn erzählen. Wir traten zurück, denn es war uns jetzt nicht mehr von Wichtigkeit, zu hören, was er mit seinem Sohne sprach. Ich war vollständig überzeugt, daß er nun doppelt über mich ergrimmt sei, da ich seinen Sohn fast in den Tod getrieben, sein Entkommen verhindert hatte und auch an dem Verluste der Quipus und Pläne die Schuld trug.
Dieser Verlust ging uns allen sehr nahe. Mancher von uns hatte doch wohl im stillen die Hoffnung gehegt, daß das Auffinden des Versteckes ihm Vorteil bringen werde.
Wie erstaunte ich, als der Sendador mich und den Bruder zu sich rief und uns in einem Tone, den wir bei ihm gar nicht für möglich gehalten hätten, sagte:
»Sennores, als ich meinen Sohn versinken sah, ist mir das Herz gebrochen. Mit einem Male sah ich, was für ein Mensch ich gewesen bin. Sie glauben, mich zu kennen, aber Sie kennen mich nicht. Ich weiß, daß ich sterbe. Ich will vorher mein Herz erleichtern, indem ich Ihnen alles, was ich begangen habe, erzähle. Hören Sie meinen Lebenslauf!«
»Nein,« wehrte ich ab. »Hat die Vorsehung Ihren Tod beschlossen, so gehören Ihre letzten Stunden oder Augenblicke nicht mir und andern profanen Personen, sondern Gott. Hier ist unser guter und frommer Frater Hilario. Vertrauen Sie ihm, was Ihr Herz beschwert, und Sie werden von ihm den rechten Trost erhalten.«
»Sie haben recht. Aber sagen Sie mir, ob Sie mir verzeihen!«
»Von ganzem Herzen.«
»Was werden Sie mit meinem Sohne tun?«
»Nichts. Er mag gehen, wohin er will. Ich hoffe, er wird nie vergessen, hier den Beweis erhalten zu haben, daß Gott gerecht, doch auch unendlich gnädig ist! Ich hatte nur mit Ihnen zu tun und bin nicht sein Richter.«
»Dann komm her, mein Sohn; gib mir deine Hand, und höre, was ich dir sage! Es ist entsetzlich, wenn ein Vater zu seinem Kinde so reden muß, wie ich jetzt zu dir; aber ich habe vor dir und mit dir gesündigt und dich den Weg des Verbrechens geführt; meine Reue kann mir die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit erwecken, nicht aber vermag sie, an den Menschen gut zu machen, was wir an ihnen verbrochen haben. Dieses Letztere soll deine Aufgabe sein. Willst du mir diesen meinen letzten irdischen Wunsch erfüllen?«
Er war ein großer, verstockter, ja frecher Sünder gewesen, aber wie ich ihn jetzt sprechen hörte, gingen mir seine Worte tief zu Herzen. Die Todesangst um seinen Sohn hatte wirklich die harte, unzerstörbar scheinende Rinde gebrochen. Er sprach nicht zusammenhängend, sondern langsam, mühsam und mit vielen Pausen, denn der Atem versagte ihm. Er hatte sich jedenfalls im Innern Schaden getan, und die Anstrengung, mit welcher er seine großen körperlichen Schmerzen bekämpfte, trieb ihm den Schweiß in großen Tropfen auf die Stirn. Seine Stimme klang trotzdem mild, wie diejenige einer liebevollen Mutter. Ja, es war wahr, wäre er nicht auf die Wege des Verbrechens geraten, welch ein Mann, Gatte und Vater hätte aus ihm werden können! In dieser Weise hatte er wohl noch nie zu seinem Sohne gesprochen, und darum machten seine Worte einen tiefen, tiefen Eindruck auf denselben. Die Lippen des jungen Mannes zitterten; er konnte nicht sprechen; er antwortete dadurch, daß er sein Haupt zustimmend neigte und die Hand des Vaters drückte.
»Du bist reich,« fuhr dieser fort. »Du weißt, wo unsere Habe verborgen liegt; aber du weißt auch, daß sie nicht auf ehrliche Weise unser Eigentum geworden ist. Gib sie denen wieder, denen wir sie abgenommen haben! Und willst du zu meiner Seligkeit beitragen, indem du den Zorn Gottes in Barmherzigkeit verwandelst, so gehe fortan nur die Wege der Gerechtigkeit, von denen ich dich fern gehalten habe. Ich glaube nun an die ewige Liebe und Gnade; ich weiß, daß Gott mir vergeben kann; aber sollte ich zu den Verlorenen gezählt werden, so werde ich die Strafe leichter tragen, wenn ich dich einst unter den Seligen erkenne. Jetzt sage mir aufrichtig und ohne alle Schonung, ob du besser werden willst, als dein Vater, der dein Verführer war, gewesen ist!«
Er sah seinem Sohn angstvoll in die Augen. Dieser war überwältigt; er drückte ihn an sich, küßte ihn und antwortete unter strömenden Tränen:
»Du weißt, daß ich oft nicht gern getan habe, was du von mir verlangtest. Als da unten in der Lagune die Flut über mir zusammenschlug, leuchtete es in mir auf, nur einen Augenblick, dann verlor ich die Besinnung; aber es war ein Augenblick großer, heller Einsicht, daß ich nicht zu leben verdiente. Von jetzt an aber will ich es verdienen. Ich verspreche, ich schwöre es dir!«
Über das Gesicht des Alten breitete es sich wie eine tiefe, innige Freude. Er drückte die Hand des Sohnes und bat ihn:
»Ich kenne dich und weiß, daß du Wort halten wirst. Jetzt gehe! Ich muß mit dem Bruder sprechen.«
Auch ich ging, glücklich in dem Gedanken, daß jetzt ein verlorener und vollständig aufgegebener Sohn im Begriffe stehe, zum Vater zurückzukehren. Es war mir zu Mute, als ob ich mich in einem Dome befände und vor dem Heiligtume kniete. Darum wollte es mit meiner Stimmung wenig harmonieren, als mich die andern wegen der verloren gegangenen Quipus in Beschlag nahmen; doch konnte ich mich ihnen nicht entziehen. Es wurde beschlossen, genau nachzusehen, ob sie nicht vielleicht auf der Salzdecke zu finden seien. Sie konnten der Hand des jungen Sabuco entfallen sein, bevor er einbrach. Und ebenso konnte auch der Gürtel sich auf dem Eise finden.
Wir stiegen hinab. Der Bruder blieb mit dem Sendador allein, um ihn zu trösten. Der junge Sabuco erklärte sich bereit, nochmals auf die Lagune zu gehen; ich war gewillt, ihn zu begleiten, und Pena machte das Wagnis mit. Es war vergebens; wir sahen die gesuchten Gegenstände nicht und mußten auch einsehen, daß unter den gegebenen Umständen ein Nachforschen unter dem Salze eine Unmöglichkeit sei. Wir sahen uns gezwungen, auf den Schatz der Inkas für immer zu verzichten. Pah! Es gibt Schätze, welche wertvoller sind und weder von dem Roste gefressen, noch von den Motten verzehrt werden.
Jetzt fanden sich die Chiriguano-Wachen, welche sich entfernt hatten, wieder zu uns. Sie hatten uns beobachtet und dabei erkannt, daß nichts für sie zu befürchten sei. Wir nahmen uns mit Absicht Zeit und kamen erst nach zwei Stunden wieder oben auf der Felsenplatte an. Der Sendador schlief; der Bruder saß bei ihm. Als ich dem letzteren einen fragenden Blick zuwarf, sagte er in seiner freundlich ernsten Weise:
»Er bereut in Wahrheit, und Gott zürnt nicht ewig.«
Man sah es dem Schlafenden an, daß es mit ihm zur Rüste gehe. Der Tod schrieb ihm seine Zeichen in das Gesicht. Wir setzten uns in der Nähe hin und sprachen leise mit einander. Nach einiger Zeit erwachte er und verlangte mit matter Stimme nach seinem Sohne.
»Vergib mir; halte dein Wort, und sei fromm!« stieß er leise und mit vieler Mühe hervor.
Wir beteten. Die Indianer folgten unserem Beispiele. Nach einiger Zeit flüsterte er, nach dem Grabe des Ermordeten winkend:
»Dort liegt Juan Gomarra. Tragt auch seinen Bruder herauf! Bei ihnen will ich liegen, damit mir leichter vergeben werde.«
Lange lag er mit geschlossenen Augen, rechts die Hand des Bruders und links diejenige seines Sohnes haltend. Dann richtete er sich noch einmal empor, und sank tot zurück. Wahrlich, der Augenblick, an welchem ein Mensch von hinnen scheidet, ist ein großer, ein heiliger Augenblick! Und ob er noch so schwer gefehlt habe, niemand ist Richter als Gott, der Herr, allein! –
Die Gesellschaft schlief unten an der Lagune. Der Bruder, der Sohn des Sendador und ich hielten oben die Leichenwache, und am andern Morgen wurden die Toten, auch die gefallenen Chiriguanos, mit der Feierlichkeit begraben, welche unter den obwaltenden Verhältnissen möglich war. Dann verließen wir die Pampa de Salinas. Vielleicht gab es nur einen einzigen, welcher im stillen unzufrieden darüber war, daß der Sendador sich seiner Rache durch den Tod entzogen hatte – Pena, welcher nur sehr schwer zu vergessen vermochte.
Am Rio Salado trennten wir uns von den Tobas und Chiriguanos, mit denen der junge Sendador ritt, um mit nach der Laguna de Carapa, dem bisherigen Wohnsitze des viejo Desierto zu gehen. Dort befand er sich in der Nähe des Schauplatzes der Taten seines Vaters und fand da die beste Gelegenheit, das Vergangene gut zu machen.
Und der viejo Desierto, Adolfo Horno und seine Unica? Nicht weit von einer Hauptstadt Mitteldeutschlands liegt ein Rittergut, dessen Namen nicht genannt zu werden braucht. Es gehört dem Desierto, und da wohnt auch Adolf Horn mit seinem Weibchen, welche die Universalerben des Alten sind. Wenn dieser einmal von vergangenen Zeiten und früheren Abenteuern sprechen will, so läßt er anspannen und fährt nach der Residenz, um vor einem palastähnlichen Gebäude der Schloßstraße auszusteigen. Dieses gehört dem Rentier Kummer, einst Sennor Pena genannt. Oft bringt der Desierto sein junges, glückliches Paar mit, und dann ist zwar von mancherlei, meist aber doch vom Sendador die Rede. Man weiß, daß unter den Blättern, welche in der offenen Mappe auf dem Tische liegen, sich auch der ›Deutsche Hausschatz‹ befindet. Welch staunende Überraschung, wenn da die Augen auf eine Erzählung fallen, welche den Titel führt:
»El Sendador!«