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10. Fortsetzung

»Aber, wenn man eine Last auf dem Herzen hat, kann man sich ihrer nicht dadurch entledigen, daß man sie still mit sich herumschleppt und sie keinem teilnehmenden Herzen anvertraut!«

»Das mag richtig sein. Aber suchen Sie mir doch ein wirklich aufrichtig teilnehmendes Herz, Sennor! Es gibt keinen solchen Menschen!«

»O doch! Sie scheinen Menschenfeind geworden zu sein. Bedenken Sie aber, daß es neben den bösen Menschen noch viel mehr gute gibt!«

»Das will ich keineswegs bestreiten, aber was nützt es mir, von vergangenen Dingen zu sprechen, welche doch nicht mehr zu ändern sind?«

»Geteiltes Leid ist halbes Leid. Dieses alte Sprichwort kennen Sie doch?«

»Aber ebenso wahr ist es, wenn man sagt, geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Und was hätte ich davon, wenn ich wirklich einen fände, welcher aufrichtig teil an mir nähme? Könnte er mich in meiner Rache unterstützen? Könnte er mir den Menschen bringen, den ich, um ihn zu bestrafen, seit Jahren gesucht habe, ohne ihn zu finden? Nein, gewiß nicht! Also sehe ich nicht ein, weshalb ich von Dingen sprechen soll, welche nun einmal nicht zu ändern sind.«

»Wenn Sie nicht wollen, so kann ich Sie freilich nicht zwingen; aber ich ahne doch, was Sie so verbittert hat.«

»Sie? Ein so Fremder?«

»Ja. Ist es nicht die Ermordung Ihres Bruders?«

»Sennor,« fragte er überrascht, »was wissen Sie von Juan, meinem Bruder?«

»Eben, daß er ermordet wurde, hat Ihr Verwandter, unser Führer. mir gesagt.«

»Diese Plaudertasche! Wer hat ihm geheißen, von meinen Angelegenheiten zu sprechen?«

»Zürnen Sie ihm nicht! Hätte er es nicht getan, so lebten Sie wahrscheinlich jetzt nicht mehr. Sie sind so gegen mich aufgetreten und haben mich eigentlich so schwer beleidigt, daß ich Ihnen nicht mit Worten, sondern ganz anders geantwortet hätte, wenn ich nicht vorher durch Ihren Vetter über Sie unterrichtet gewesen wäre.«

»Pah! Ich war Parlamentär!«

»Ein solcher hat aber doppelt höflich und vorsichtig zu sein; beides aber waren Sie nicht, wie Sie zugeben werden. Ihr Leben hing an einem Haare. Ich hatte aber gehört, daß Sie seit der Ermordung Ihres Bruders ein ganz anderer Mann geworden seien. Wer sich den Tod eines lieben Anverwandten so sehr zu Herzen nimmt, muß aber ein braver Mensch sein. Und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen die Teilnahme widme, über welche Sie soeben Aufklärung verlangten.«

»Das also war es, das!«

Er schwieg eine Weile, und ich unterbrach dieses Schweigen nicht. Wollte er über diesen Gegenstand mit mir sprechen, so sollte das freiwillig geschehen. Erst nach längerer Zeit fragte er:

»Hat mein Vetter Ihnen alles gesagt, was er wußte?«

»Ich weiß nicht, wie weit er unterrichtet ist. Er teilte mir nur mit, daß man Ihren Bruder ermordet habe.«

»Nun, viel mehr weiß er allerdings nicht. Ich bin auch gegen ihn nicht mitteilsam gewesen. Es hätte keinen Zweck gehabt.«

»Dann darf ich mir freilich nicht einbilden, daß Sie gegen mich, den Fremden, mitteilsamer sein werden.«

»Vielleicht doch, Sennor!«

»Sollte mich freuen, wenn Sie Vertrauen zu mir fassen wollten.«

»Das ist es ja eben, Sennor! Vertrauen habe ich zu Ihnen. Sie sind zwar mein Feind; ich bin Ihr Gefangener und weiß nicht, was Sie mit mir vorhaben. Aber Sie haben eine Art und Weise, welche keine Angst und auch keine wirkliche Feindschaft aufkommen läßt. Sie allein sind es, dem es zu verdanken ist, daß Ihre kleine Gesellschaft uns entkommen konnte. Und wenn ich bedenke, wie Sie sich meiner bemächtigt haben, so möchte ich meinen, Sie müßten alles können, was Sie nur wollen. Dazu habe ich während unseres jetzigen Rittes gehört, daß Sie nicht hier bleiben, sondern nach dem Gran Chaco wollen. Beabsichtigen Sie das wirklich?«

»Jawohl.«

»Und dann gar nach dem Gebirge?«

»Vielleicht über dasselbe hinüber bis nach Peru.«

»Hm! Letzteres ist es, was mir den Mund öffnet. Vielleicht könnten Sie durch Zufall die Spur finden, nach welcher ich bisher vergeblich geforscht habe. Das Blut meines Bruders schreit nach Rache. Ich fühle und höre diesen Schrei des Tages und des Nachts in meinem Innern, und doch ist er bis heute ohne allen Erfolg erklungen. Sollten aber Sie in jene Gegend kommen, so ist es mir, als ob Ihrem Auge die betreffende Spur nicht entgehen könne.«

»Trauen Sie mir nicht zu viel zu! Wie alt ist diese Spur?«

»Freilich viele Jahre. Aber es gibt noch einen Punkt, an welchem sie beginnt und von dem aus ich sie immer wieder aufgenommen habe, um sie aber stets gleich wieder zu verlieren. Könnte ich Sie an diese Stelle bringen, so würden Sie vielleicht – – doch nein, es ist ja gar nicht menschenmöglich!«

»Was?«

»Daß jemand, und sei er noch so klug und noch so scharfsinnig, den Mörder zu entdecken vermag, wenn man ihn nach einer so langen Reihe von Jahren nach der Stelle führt, an welcher die Tat geschehen ist.«

»Das ist freilich fast undenkbar.«

»Ja, zumal der Ort in einer grausen Einöde liegt, in welcher die Stürme schon nach Tagen jede Spur verwischen.«

»Ist Ihr Bruder dort begraben?«

»Ja.«

»Und sein Grab ist der einzige Anhalt, den Sie für die Auffindung des Mörders jetzt besitzen?«

»Nein. Die Flasche ist zum Glück noch da.«

»Welche Flasche?«

»Die Flasche mit den Schnuren, welche der Mörder dort damals vergraben hat.«

»Schnuren? Meinen Sie etwa Quipus, peruanische Dokumente, in Schnuren geknüpft? Dann dürfen Sie nicht gegen mich schweigen; Sie müssen mir erzählen, was geschehen ist!«

Ich mußte unwillkürlich an den Sendador denken, gegen welchen ja schon früher mein Verdacht erwacht war. Er befand sich jetzt nur im Besitze der alten Zeichnungen, der beiden Pläne; von den Quipus hatte er zu dem Yerbatero nichts gesagt. Jedenfalls hatte er sie versteckt, damit sie nicht etwa in die Hände eines Menschen kämen, welcher sie entziffern und dann den Ort, an welchem die Schätze verborgen waren, aufsuchen und finden könne. Wie nun, wenn das dieselben Quipus wären, von denen jetzt Gomarra sprach! Ich war durch das Gehörte überrascht und hatte die letzten Worte wohl mit größerer Hast ausgesprochen, denn der Indianer fragte:

»Was haben Sie? Sie tun ja ganz erstaunt, Sennor!«

»Nun, weil Sie von Quipus sprachen, für die ich mich außerordentlich interessiere.«

»Können Sie solche Schnuren lesen?«

»Hm! Ich habe einige Bücher in den Händen gehabt, welche sich mit der Enträtselung der Quipus befaßten; auch bin ich der betreffenden Sprache leidlich mächtig; dennoch bezweifle ich, daß es mir gelingen würde, solche Schnuren zu lesen.«

»Ist es schwer?«

»Sehr schwer. Eine große Erleichterung aber ist es, wenn man weiß, wovon so ein Quipu überhaupt handelt. Unter dieser Voraussetzung wäre es vielleicht auch mir möglich, die Knoten wenigstens stellenweise zu entziffern.«

»Wüßte ich nur, auf was sich diese Schnuren beziehen!«

»Vielleicht könnte man es erraten? Hängen sie denn mit der Ermordung Ihres Bruders zusammen?«

»Natürlich, Sennor!«

»Nun, so erzählen Sie mir doch, wie die Untat sich zugetragen hat! Vielleicht finde ich einen Zusammenhang zwischen ihr und dem Inhalt der rätselhaften Schnuren. Wo ist der Mord geschehen?«

»Droben in der wüsten Pampa de Salinas in den bolivianischen Anden. Kennen Sie dieselbe?«

»Ich war noch nie in Südamerika und also auch noch nicht in den Anden; aber ich habe von der Pampa de Salinas gelesen. Ist die Gegend dort wirklich so traurig, wie man sie beschreibt?«

»Über alle Maßen. Es gibt da mehrere Tagereisen weit, außer einigen Salzpflanzen, weder Baum noch Strauch. Auch ich wäre nie da hinauf gekommen, wenn mich nicht die Jagd hinauf gelockt hätte. Wir mußten da vorüber, wenn wir in das Gebiet gelangen wollten, wo die Chinchillas Wollmäuse in Massen an zutreffen sind.«

»Es gibt dort einen Salzsee?«

»Einen höchst bedeutenden. Er bedeckt die ganze Sohle des weiten, einsamen Tales. Man sagt, daß früher, bevor die Weißen in das Land kamen, an diesem Salzsee mehrere blühende Ortschaften gelegen haben, welche im Kriege zerstört worden seien. Jetzt ist keine Spur mehr von ihnen vorhanden.«

»Vielleicht sind die Ruinen versunken, wie so etwas besonders in Gegenden vorkommt, in denen es Vulkane gibt.«

»Die gibt es dort freilich überall.«

»Oder ist der See früher kleiner gewesen und dann gestiegen und hat sie überflutet. Hat dieser See Zuflüsse?«

»Ja, mehrere; aber sie sind klein und von kurzem Laufe.«

»Ich hörte, daß der See eine feste Salzdecke habe?«

»Die ist vorhanden. Sie besitzt eine solche Stärke, daß man über sie gehen und sogar auch reiten kann. Ich habe das sehr oft versucht. Zur Regenzeit schwillt aber der Fluß an und hebt die Salzdecke empor. Dann schwimmt sie obenauf und bekommt Risse und wird stellenweise so weich, daß man sich nicht mehr auf sie wagen darf.«

»So ist es freilich möglich, daß der See gewachsen und jetzt viel größer ist als früher.«

»Wieso?«

»Sein Wasserinhalt wird durch die Zuflüsse bereichert, und da die Oberfläche eine Salzdecke besitzt, welche die Sonnenstrahlen abhält, so kann nicht ebenso viel Wasser verdunsten, wie zufließt. Also kann man wohl annehmen, daß der See in einem zwar wohl langsamen, aber steten Wachstum begriffen sei und dabei die Ruinen der Ortschaften, welche an seinem früheren Ufer lagen, verschlungen hat. Also da oben haben Sie den Bruder verloren? Das war wohl während einer Jagdpartie?«

»Ja. Wir wollten hinauf in das Gebiet der Chinchillas und waren bis an die Pampa de Salinas gekommen.«

»Sie mit Ihrem Bruder allein?«

»Nein. Zwei Personen dürfen sich nicht in jene Gegend wagen. Wir waren acht Personen, lauter tüchtige und erfahrene Andensteiger und Jäger. Wir hatten an dem See übernachtet und uns an einem kleinen Feuer erwärmt, welches wir mit trockenen Salzpflanzen mühsam unterhalten konnten. Am Morgen brachen wir wieder auf, um weiter zu reiten. Das Maultier meines Bruders hatte sich verlaufen, und er mußte es suchen. Wir wollten ihm dabei helfen, aber er meinte, es sei das nicht nötig. Da wir für diesen Tag einen weiten Ritt vor uns hatten, so sagte er, wir sollten die Zeit nicht versäumen und immer langsam voranreiten.«

»Gibt's dort keine wilden Tiere?«

»Wenigstens reißende nicht. Es können Jahre vergehen, ehe sich einmal ein Jaguar dorthin verirrt, denn diese Tiere wissen, daß sie dort hungern müssen, da die Geier alles Aas sofort wegnehmen.«

»Aber Menschen kann man dort begegnen, denen man nicht trauen darf?«

»Nicht so leicht. Es gibt da zwar einen Paß, welcher über die Anden führt; aber er ist sehr hoch und ungeheuer beschwerlich. Wer ihn benutzen wollte, müßte ein großer Wagehals sein und nur die beste Jahreszeit benutzen, da er Täler zu passieren hätte, welche fast ganz mit Schnee gefüllt sind. Höchstens versteigt sich einmal ein kühner Goldsucher hinauf, der aber auch nur auf kurze Wochen dort auszuhalten vermag.«

»Ah, dachte es mir!«

Diese Worte entfuhren mir, da ich jetzt unwillkürlich an den sterbenden Oheim bei dem Ranchero Bürgli denken mußte.

»Was dachten Sie?« fragte Gomarra neugierig.

»Ich habe einen Goldsucher getroffen, welcher da oben gewesen ist.«

»Ganz allein? Wirklich? Den müßte ich kennen. Es gibt nur zwei Menschen, die sich allein da hinauf gewagt haben, nämlich ich und ein alter Gambusino, welcher ein Deutscher war.«

»Kennen Sie seinen Namen?«

»Nein. Er ließ sich eben nur Gambusino nennen. Aber ich weiß, daß er drüben in der Banda Oriental Verwandte hatte, wenn ich mich nicht irre, in der Nähe von Mercedes.«

»Das stimmt. Ich kenne ihn.«

»Welch ein Zufall! Wissen Sie, wo er sich jetzt befindet?«

»Er ist tot. Ich habe an seinem Sterbebett gestanden.«

»Tot! Im Bette gestorben, anstatt nach echter Gambusinoart droben im Gebirge zu verschwinden! Ihm sei die ewige Ruhe! Er war stets still und in sich gekehrt. Man konnte ihn nur schwer zum Sprechen bringen. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Wissen Sie nichts davon?«

Ich antwortete ausweichend. Der Sterbende hatte mir gestanden, daß er gesehen habe, wie ein Mensch – der Sendador – einen anderen tötete. Der Mörder nahm ihm einen Schwur ab, daß er ihn niemals verraten wolle. Dasselbe erzählte der Sterbende dem Frater. Es war sicher, daß der Ermordete Gomarras Bruder und der Mörder der Sendador war.

Ich antwortete also:

»Warum sollte er mich zu seinem Vertrauten gemacht haben, da er mit anderen, die er weit besser kannte, nicht sprach?«

»Nun. Vielleicht haben Sie ein besonderes Interesse, über diesen Punkt etwas zu erfahren?«

»Möglich. Hat dieser Gambusino gewußt, daß Ihr Bruder ermordet worden ist?«

»Nein. Ich habe ihm nichts davon gesagt, da ich überhaupt nicht davon sprach. Übrigens war ich nur ganz zufällig und vier Stunden mit ihm beisammen. Er ließ merken, daß er lieber allein sei. Da ich ganz denselben Wunsch hatte, so gingen wir, wenn wir uns ja einmal trafen, nach etlichen Fragen und kurzem Gruße schnell wieder aus einander. Ich erfuhr nichts von ihm und er nichts von mir.«

»Also das ist der einzige Mensch, den Sie jemals da oben getroffen haben?«

»Wenigstens der einzige, die Wollmausjäger natürlich ausgenommen, von welchem man sagen konnte, daß er in ehrlicher Absicht in die Berge gegangen sei.«

»So gibt es also auch Leute, von denen man das nicht sagen kann?«

»Ja. Das sind Halunken, welche sich für Arrieros ausgeben und den Reisenden weiß machen, daß es da hinauf einen guten Übergang über die Anden gebe. Solche Reisende verunglücken stets. Man hört nie wieder von ihnen; die Führer aber, die Arrieros, kommen stets glücklich zurück. Und so einem Menschen ist mein Bruder in die Hände gefallen.«

»Das möchte ich doch bezweifeln, weil er doch wohl ebenso gut wie Sie die Verhältnisse kannte. Er wird sich also nicht einem solchen Menschen anvertraut haben.«

»Das hat er auch keinesfalls. Aber er ist von ihm überfallen und ermordet worden.«

»Wie können Sie da wissen, wie die Tat sich zugetragen hat? Wenn er ermordet wurde, kann er es doch Ihnen nicht gesagt haben.«

»Er lebte noch; der Mörder ließ ihn für tot liegen.«

»Und so fanden Sie ihn?«

»Ja, Sennor. Das Herz bebt mir noch heute im Leibe, wenn ich daran denke. Wir hatten ihn zurück gelassen und waren aufwärts geritten. Vom See weg krümmt sich der Bergpfad in engen Serpentinen von einem Felsenabsatze zum nächsten empor. Tritt man an die Kante dieser Absätze, so kann man den darunter liegenden genau überblicken. Wir ritten sehr langsam, damit mein Bruder uns bald einholen könne. Nach einiger Zeit begegnete uns ein Arriero, welcher allein von den Bergen kam. Das mußte uns auffallen, zumal er zwei Maultiere hatte.«

»So hatte er einen Reisenden über das Gebirge geführt und kehrte nun allein zurück, weil er drüben niemand fand, der die Reise zurück mitmachen wollte.«

»So sagte er auch.«

»Also haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Nein, ich nicht, sondern meine Gefährten. Ich war zufällig seitwärts geritten, um von einer Höhe nach meinem Bruder auszuschauen. Als ich mich wieder zu den andern fand, war der Arriero schon wieder fort.«

»Haben sie ihn nach seinem Namen gefragt?«

»Ja. Er hat ihnen allerdings einen genannt; aber durch fortgesetzte Nachfragen überzeugte ich mich, daß es ein falscher gewesen war, denn einen Arriero, einen Andenführer dieses Namens hatte es gar nie gegeben.«

»Aber sie würden ihn wohl wieder kennen, wenn sie ihn jetzt sähen?«

»Gewiß; aber sie sind nicht mehr da. Einige sind in den Bergen verunglückt; einer ging ins Brasilien hinein und ist nicht wiedergekommen, und die andern kamen in den Kämpfen dieses Landes ums Leben.«

»So sind Sie freilich auf sich allein angewiesen, ohne allen Anhalt als den Ort der Tat, den Sie wissen, und – – die Flasche, von welcher Sie sprachen. Welche Bewandtnis hat es mit dieser?«

»Lassen Sie es sich erzählen! Es war Mittag geworden, als wir anhielten. Wir wollten jetzt nicht eher weiter, als bis mein Bruder zu uns gestoßen sei. Aber wir warteten vergeblich. Mir wurde es angst und bange, denn nach allem, was die Gefährten mir von dem Arriero sagten, mußte er mir verdächtig vorkommen. Ich brach also auf, um zurück zu reiten, und nahm noch einen Kameraden mit. Die Tage waren kurz und der Abend war nahe, als ich auf dem letzten Felsenabsatze ankam, welcher sich über den See erhob. Da sah ich meinen Bruder liegen, ganz drüben an der Kante des Absatzes. Ein Blutstreifen auf dem Bogen zeigte, daß er sich bis dorthin geschleppt hatte. Wir sprangen von den Tieren und eilten hin zu ihm. Er bewegte sich nicht.«

»Aber er war nur ohnmächtig?«

Gomarra antwortete nicht. Erst nach einer langen Pause sagte er: »Soll ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, was ich noch heute empfinde, wenn ich an jenen Augenblick denke? Nein! Nur wem dasselbe passiert ist, der kann mich verstehen!«

»Ich kann es mir denken.«

»Nein, auch denken nicht! Mein Bruder war mein zweites Ich und mir so lieb wie mein Leben. Damit ist alles gesagt. Es war mir, als ob ich den Schuß in meine eigene Brust erhalten hätte. Die Kugel war ihm in der Nähe des Herzens eingedrungen und hinten am Rücken wieder aus dem Leibe gegangen. Ich warf mich über ihn und jammerte überlaut. Da öffnete er die Augen und sah mich an. Er lebte noch. Ich nahm mich mit aller Gewalt zusammen, um ruhig zu sein. Ich fragte ihn und legte mein Ohr an seine Lippen, um seine leisen Antworten zu hören, welche er nur hauchen konnte. Dann starb er.«

»Hoffentlich hat er Ihnen noch genug mitteilen können, so daß Sie wissen, wie die Tat geschehen ist?«

»Genug! Es war, als ob das Leben nicht eher von ihm weichen wolle, als bis er es mir offenbart habe.«

»Der Arriero war der Mörder?«

»Ja, natürlich. Und die schwarze Tat geschah jedenfalls, um ein Geheimnis zu verbergen. Mein Bruder fand sein Maultier sehr spät. Er ritt uns nach. Als er die erste Höhe erreichte, sah er zwei Maultiere am Felsen stehen. Daneben kauerte ein Mann, welcher im Begriffe stand, eine Flasche zu vergraben. Mein Bruder befand sich, nachdem er um den Felsen gebogen war, sogleich hart neben ihm und rief ihn an. Der Mann erschrak, fuhr empor und starrte ihn erschrocken an. Dann aber riß er sein Gewehr empor und schoß auf meinen Bruder, ehe dieser sich zu wehren vermochte. Juan stürzte sogleich aus dem Sattel und verlor die Besinnung. Als er erwachte und um sich blicke, war er allein. Sein Maultier war fort, und das Loch, in welches der Mörder die Flasche hatte vergraben wollen, stand offen und leer. Er nahm seine Kraft zusammen und kroch nach der äußersten Kante des Felsens, um den Arriero vielleicht noch zu erblicken.«

»Gelang ihm das?«

»Ja. Der Mörder kniete unten am See und grub hart an einem Felsen ein zweites Loch. Drei Maultiere befanden sich bei ihm. Infolge der Anstrengung verlor Juan abermals die Besinnung. Er erwachte erst, als ich mich bei ihm befand. Als er mir das alles zugeflüstert hatte, starb er.«

»So hatte der Arriero ihn für tot gehalten?«

»Ja, und ihn vollständig ausgeraubt. Ich fand nicht den geringsten Gegenstand mehr bei ihm.«

»Konnte er Ihnen die Stelle am See bezeichnen, wo der Arriero das zweite Loch gemacht hatte?«

»Ja; ich merkte sie mir.«

»Und was taten Sie dann? Jagten Sie nicht dem Mörder nach?«

»Dazu war es zu spät, denn der Abend brach herein. Im Dunkel der Nacht konnte ich keine Spur sehen. Wir gruben dem Toten in der Dunkelheit ein Grab, damit die Condors seine Leiche nicht zum Fraße bekämen. Beim Morgengrauen begruben wir ihn, beteten drei Paternoster und Ave Maria an der Grube, deckten sie zu und legten ihm aus einzelnen Steinen ein Kreuz darauf. Dann trennten wir beide uns.«

»Warum trennen? Ein Gefährte mußte Ihnen doch notwendig sein!«

»Noch notwendiger war er dazu, die andern von dem Geschehen und daß ich den Mörder verfolgen werde, zu benachrichtigen. Auch hatte ich – – – noch einen andern Grund, ihn nicht mitzunehmen. Ich konnte mir denken, daß es sich mit der Flasche um ein Geheimnis handle. Das wollte ich keinen zweiten wissen lassen.«

»Aber er hatte doch von der Flasche gehört?«

»Nein. Mein Bruder konnte seine Worte nur hauchen, so daß kaum ich sie vernahm. Und was Juan mir sagte, habe ich dem Gefährten nicht alles gesagt.«

»Vielleicht war das klug, vielleicht auch unklug gehandelt. Sie haben also am Morgen die Verfolgung sofort aufgenommen?«

»Nicht sofort. Als der Kamerad sich entfernt hatte, bin ich erst nach dem See geritten, nach der Stelle, an welcher der Arriero das zweite Loch gemacht hatte. Während der Nacht hatte sich ein starker Wind erhoben; dennoch aber fand ich den Ort, da ich ihn mir oben von der Felskante aus sehr genau gemerkt hatte. Ich grub nach und fand die Flasche. Sie enthielt aber nur geknüpfte Schnuren.«

»Wußten Sie denn nicht, welche Bedeutung diese Schnuren haben, daß sie alte Dokumente sind?«

»Damals noch nicht; als ich mich aber erkundigte, erfuhr ich es und freute mich, daß ich sie nicht vernichtet hatte.«

»Sie nahmen sie wohl mit?«

»O nein; so dumm war ich nicht. Ich mußte die Flasche samt ihrem Inhalte genau so wieder vergraben, wie sie vorher im Loche gesteckt hatte, damit der Mörder nicht ahnen sollte, daß sein Geheimnis entdeckt sei.«

»Sie glaubten also, daß er zurückkehren werde?«

»Natürlich! So etwas vergräbt man doch nicht, um es für immer stecken zu lassen. Übrigens ist er öfters da gewesen.«


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