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41. Fortsetzung

»O doch! Ich kenne eure Sprache nicht und habe doch deutlich den Namen Horno vernommen. Ihr habt von dem viejo Desierto ein Lösegeld für ihn fordern wollen; falls aber der geplante Überfall gelungen wäre, hättet ihr das ganze Eigentum des Alten in eure Hände bekommen und Sennor Horno dann getötet. Kannst du das leugnen?«

Er senkte den Blick und antwortete nicht.

»Wieviel Lösegeld willst du für ihn haben?«

Er sah sofort wieder zu mir auf. Sein Blick war ein hoffnungsvoll forschender. Wenn ich ein Lösegeld anbot, so konnte seine Lage doch wohl kaum eine lebensgefährliche sein.

»So biete!« sagte er.

»Ich biete nicht. Du hast zu verlangen.«

»Der Desierto ist reich und hat Sennor Horno lieb; er kann viel geben!«

»Du gibst also zu, daß der Sennor sich bei euch befindet. Also sage, was forderst du?«

Er verlangte eine Summe, welche nach unserem Gelde vielleicht zwanzig tausend Mark betrug. Ich zeigte ihm ein frohes Lächeln und sagte:

»Ich glaubte, du würdest mehr verlangen.«

»So bist du zufrieden mit dem Preise?«

»Sehr gern, wenn wir einig werden.«

»Wir sind ja einig. Ich habe ihn verlangt, und dir ist er nicht zu hoch.«

»Allerdings. Aber du vergißt, daß auch du gefangen bist mit deinen Leuten. Wir wollen euch nicht töten, sondern werden euch gestatten, euch loszukaufen.«

Er erschrak abermals und rief schnell aus:

»Loskaufen? Das ist doch noch nie dagewesen, daß ein Indianer gefangen wurde, um sich loskaufen zu müssen!«

»Das gebe ich zu. Auch ich habe euch nicht ergriffen, um Geld zu verdienen; aber da du für deinen Gefangenen Bezahlung verlangst, so tun wir ganz dasselbe.«

»Wieviel wollt ihr haben?«

»Ungefähr so viel wie du.«

»Wie meinst du das?«

»Sennor Horno ist kein Häuptling, sondern ein ganz gewöhnlicher Mann. Darum bin ich überzeugt, daß jeder deiner Krieger ebenso viel wert ist wie er.«

Venenoso stieß einen unartikulierten Ruf aus. Ich fuhr fort:

»Du wirst also für jeden Roten so viel bezahlen, wie wir für den Sennor bezahlen sollen. Du als Häuptling bist wenigstens zehnmal mehr wert als ein gewöhnlicher Mann und wirst also den zehnfachen Preis zahlen müssen.«

»Das ist zuviel!«

»Nein, denn du selbst hast diesen Preis bestimmt.«

»Aber wir haben nicht so viel Geld!«

»So habt ihr Tiere und Waren.«

»Aber nicht so viel!«

»O doch! Ich habe dir gesagt, daß du ein reicher Mann bist, und du hast kein Wort dagegen gesagt. Nun ich meine Forderung nach diesem Maßstab stelle, kommt deine Entgegnung zu spät.«

»Wenn du wirklich so viel forderst, können wir uns nicht loskaufen. Was werdet ihr da mit uns machen?«

»Ihr müßt sterben.«

»Dann wird Sennor Horno auch ermordet.«

»Das wird nicht gelingen, denn wir holen ihn uns. Wir wissen, wo er sich befindet. An der Laguna de Bambu.«

Ich hielt ihn scharf im Auge und sah deutlich, daß er zusammenzuckte. Da er nichts sagte, so fragte ich:

»Nicht wahr, ich habe es getroffen?«

»Nein.«

»Es bewachen ihn nur vierzig Männer, mit denen wir schnell fertig werden!«

»Und wenn ihr sie tötet,« entfuhr es ihm im Zorne, »so würdet – – «

Er hielt inne, denn er sah ein, daß er zuviel gesagt hatte, daß seine Worte ein Eingeständnis gewesen waren.

»Warum redest du nicht weiter?«

»Weil du nicht zu wissen brauchst, was ich sagen wollte.«

»Ich weiß es bereits. Du meintest, selbst wenn wir diese vierzig besiegten, würden wir den Sennor nicht finden. Ist es so?«

»Ja,« gab er zu.

»Aber du irrst. Wir finden ihn sicher. Er ist bei dem Kaufmann Pardunna und dessen Sohn aus Goya!«

Er stieß einige Worte aus, von denen Pena mir sagte, daß es kräftige Flüche seien, und fragte dann:

»Was weißt du von diesem Vater und seinem Sohne?«

»Daß sie sich mit Sennor Horno auf der Isleta del Circulo befinden.«

»Herr, du bist allwissend!« schrie er auf, da er sein ganzes Geheimnis verraten sah.

»Der Yerno hat mir alles gesagt,« antwortete ich, da es uns nur lieb sein konnte, wenn zwischen diesen beiden Zwist und Feindseligkeit entstanden.

»Der? Das kann nicht möglich sein!«

»Ich ließ ihn zu mir kommen, um ihn auszufragen, und er hat alles eingestanden.«

»So ist er ein Dummkopf und ein Schurke zu gleicher Zeit!« rief der Rote wütend, indem er die Fäuste ballte. »Hätte ich ihn da, so erwürgte ich ihn.«

»Er hat vorher große Qualen erleiden müssen, was er dir ja erzählen kann, wenn er jetzt wieder hereingebracht worden ist. Ganz dieselben Schmerzen erwarten euch alle, falls ihr euch nicht so verhaltet, daß wir mit euch zufrieden sind. Nun wissen wir, woran wir sind. Pena, binden Sie ihn wieder.«

Als Pena ihm auch diese letzten Worte übersetzte, rief er aus:

»Ich lasse mich nicht wieder binden!«

Und während er sprach, tat er einen Sprung, um an mir vorüber zu kommen und die Türe zu erreichen. Eine Flucht war bei der vorhandenen Örtlichkeit vollständig unmöglich; dennoch hatte ich ihn seit dem Augenblicke, an welchem er fessellos geworden war, auch in dieser Beziehung scharf im Auge behalten. Ich streckte schnell das Bein vor; er stolperte über dasselbe und fiel nieder. Zwar raffte er sich augenblicklich wieder auf, aber ich faßte ihn mit der Linken im Nacken, drückte ihn wieder nieder und kniete ihm auf dem Rücken, so daß Pena ihn leicht fesseln konnte.

»Das war recht!« rief jemand hinter uns an der Türe. »Lassen Sie den Kerl nicht aus diesem Gewölbe! Er darf keine Ahnung haben, wo er sich befindet.«

Der Mann sprach deutsch. Es war die Stimme des viejo Desierto, und doch schien er es nicht zu sein. Aber als wir mit dem Lichte zu ihm kamen und sein Gesicht sehen konnten, sahen wir, daß es doch der Alte sei.

Er hatte seinen Talar abgelegt und einen Anzug dafür um seine lange, hagere Gestalt gehängt, welcher dem eines Cascarillero glich. Sogar der breitrandige Hut fehlte nicht. Im Gürtel steckten Pistolen und ein Messer.

»Sie erkannten mich wohl nicht gleich?« lachte er. »Ja, ich bin plötzlich ein ganz anderer Mensch geworden, innerlich sowohl wie auch äußerlich. Doch kommen Sie in den Garten, wo es heller ist!«

Er verriegelte die Türe, und wir folgten ihm hinaus ins Freie. Dort blieb er stehen und sagte:

»Sennor Pena, soll ich Ihnen eine lange Rede halten? Ich denke, das ist nicht nötig, obgleich mein Herz vor Wonne überquillt. Meine Dankbarkeit werde ich Ihnen aber sicher zeigen. Zunächst nur dieses.«

Er zog Pena an sein Herz und küßte ihm auf die Wange. Mir drückte er herzlich beide Hände, und dann sagte er zu Unica, welche sich dieses heitere Wesen des Alten nicht erklären konnte:

»Freue dich mit mir, denn all mein Leid ist dahin. Ich darf wieder ohne Sorge und Qual atmen und glücklich sein, und das habe ich diesen beiden Männern zu verdanken. Ich werde es dir später erzählen; jetzt haben wir keine Zeit dazu. Ich bin unendlich glücklich, und so sollen auch andere erlöst sein. Binden wir den Yerno los! Er soll wieder in das Gewölbe geschafft werden, wo ich ihm den Rücken verbinden will.«

»Was werden Sie über die Mbocovis beschließen?«

»Sie haben nach dem hiesigen Brauche ihr Leben verwirkt. Aber da ich heute so beseligt worden bin, will ich Milde walten lassen. Wollen erst sehen, was wir gegen den Sendador und seine Schar für einen Erfolg haben. Jetzt aber zu dem Yerno!«

»Nicht so schnell! Es soll ihm nichts geschehen, aber ich habe noch mit ihm zu sprechen.«

»Worüber?«

»Das werden Sie gleich hören. Kommen Sie!«

Der Schwiegersohn des Sendador saß natürlich noch immer gefesselt an dem Baume. Sein Aussehen hatte sich gebessert. Die Farbe war ihm in das Gesicht zurückgekehrt, und seine Augen lagen, anstatt wie vorher weit vorgequollen zu sein, tief in ihren Höhlen. Er bot nicht mehr das Bild eines vor Schmerz Wütenden, sondern eines von der Qual vollständig Abgematteten. Als wir zu ihm traten, richtete sein Auge sich mit dem Ausdrucke der Angst auf mich. Ich sah es wohl, und es tat mir trotz seiner Schlechtigkeit wehe. Dennoch zog ich das Gefäß wieder in die richtige Lage, so daß das wenige Wasser, welches sich noch in demselben befand, wieder auf seinen Kopf zu tropfen begann. Er fuhr trotz der Fesseln zusammen, als ob er einen Keulenschlag auf den Schädel erhalten habe, und brüllte erschrocken auf:

»Heiliger Himmel! Schon wieder! Was habe ich denn getan? Gnade, Gnade!«

»Wir sind noch nicht fertig,« antwortete ich.

»Was wollen Sie denn noch! Nehmen Sie dieses höllische Wasser weg! Sie brauchen mich nicht zu zwingen. Ich werde Ihnen freiwillig alles sagen.«

»Wirklich alles?«

»Schlagen Sie mich tot oder martern Sie mich zu Tode, wenn ich ein unwahres Wort spreche! Aber nehmen Sie das Wasser weg, weit, weit weg!«

Ich schob das Gefäß zur Seite und forderte ihn auf:

»So sagen Sie mir zunächst, ob Sie noch immer leugnen wollen, daß Sie der Schwiegersohn des Sendadors sind!«

Man sah es ihm leicht an, daß seine Widerstandskraft vollständig gebrochen war. Seine Angst vor dem tropfenden Wassergefäß war eine ganz unbeschreibliche.

»Nein, ich leugne nicht mehr; ich bin es,« antwortete er.

»Wo hat Ihr Schwiegervater seinen eigentlichen Schlupfwinkel?«

»Eben an der Laguna de Bambu.«

»Sind Sie einmal mit ihm droben auf der Pampa de Salinas gewesen?«

»Nie.«

»Aber Sie wissen, daß er zuweilen dorthin geht?«

»Ja.«

»Sie wußten genau, daß er jetzt nach dem Kreuz de la floresta virgen kommen werde, und es wurde als fest und bestimmt ausgemacht, daß er Ihnen nach hier folgt?«

»Er kommt gewiß. Der Tag ist allerdings nicht genau zu bestimmen. Er kann schon heute anlangen.«

»Aber die Stunde ist bestimmt?«

»Ja. Er kennt den Weg und die Gegend sehr genau und wird des Abends eintreffen.«

»Auf welche Weise wollten Sie dann die Vereinigung mit ihm bewerkstelligen?«

Er zögerte mit der Antwort. Ich hatte während meiner Fragen die Hand am Wassergefäß gehabt; jetzt schob ich dasselbe wieder über seinen Kopf.

»Fort, fort damit!« heulte er auf. »Ich sage alles, sogleich alles!«

»Nun, dann schnell!« riet ich ihm, indem ich das Wasser wieder entfernte.

»Wenn er uns bis an den Platz, wo Sie uns gestern lagern sahen, nicht auf dem Rückzuge getroffen hat, so nimmt er an, daß wir Sieger sind, und wird dort einen Boten von uns erwarten, den wir ihm aus dem Dorfe senden.«

»Um vollends herbeizukommen?«

»Ja. Was wollen Sie noch wissen?«

»Nichts.«

»Und Sie glauben mir?«

»Ja. Jetzt haben Sie erfahren, wie schnell der Mensch sich verändern kann. Ihr Hohn ist verschwunden. Ein kleiner Wassertropfen war stärker als alle Ihre Kraft. Solche Tropfen wird es einst auch in Ihr Gewissen geben; verlassen Sie sich darauf! Wohl Ihnen, wenn es dann auch einen gibt, welcher das Wasser der Rache von Ihrem Haupte nimmt!«

Er seufzte tief auf. Wie groß mußten die Schmerzen gewesen sein, daß die Angst vor ihnen ihn jetzt veranlaßt hatte, seinen Schwiegervater zu verraten. Ich brauchte nicht mehr zu wissen, als was ich erfahren hatte. Hätte ich aber die Absicht gehegt, noch weitere Forschungen anzustellen, so konnte ich überzeugt sein, daß er mir alles entdecken werde.

Wir banden ihn los. Der Alte und Pena führten ihn fort. Er wankte wie ein Betrunkener und mußte an beiden Armen gehalten werden. Ich ging mit Unica langsam der Laube zu, von welcher aus wir den See erblicken konnten. Wir hatten sie noch nicht erreicht, so ertönte von fern her ein langgezogener, durchdringender Phff, fast so scharf wie derjenige einer Lokomotive.

»Himmel!« rief Unica aus. »Unsere Krieger kommen!«

»War das ihr Zeichen?«

»Ja. So klingt die große Signalpfeife, welche der Onkel gebaut hat, damit wir uns in größerer Ferne verständlich machen können. Hören Sie!«

Das Signal ertönte noch einmal, und dann erhob sich unten im Dorfe ein hundertstimmiger Jubel, welcher sich von uns fortzog.

»Sie eilen den Heimkehrenden entgegen,« erklärte Unica.

»Müssen Sie nicht dabei sein?«

»Eigentlich ja. Aber da Sie – – «

»Bitte,« unterbrach ich sie. »Die Königin muß bei den Ihrigen sein. Gehen Sie schnell!«

»Nur wenn Sie mich begleiten!«

»Gut. Nehmen Sie Ihren gewohnten Weg. Ich schwinge mich da am Seil des Kranes hinab.«

»Herr, das ist zu waghalsig!« warnte sie besorgt.

»O nein. Ich habe es heute bereits zweimal versucht. Haben Sie keine Angst um mich!«

Sie ging, und ich turnte mich in der bereits beschriebenen Weise hinab, wo ich sie erwartete. Dann gingen wir eiligen Schrittes nach dem Wasser, wo wir sahen, daß alles, alles auf den Beinen war. Sogar kleine Kinder wackelten und watschelten so schnell, wie die Beinchen es vermochten, am Ufer hin und schrien und quiekten einander jubelnd zu. Es ging weiter und weiter am Wasser entlang, aber einen Erwachsenen zu überholen vermochten wir nicht. Unica als ›Dame‹ und Königin konnte natürlich nicht so rennen wie die andern. Nach ungefähr zehn Minuten hörten wir einen unbeschreiblichen Lärm, welcher uns entgegenkam, und dann erblickten wir die zurückkehrenden siegreichen Krieger, welche zu meiner großen Freude alle beritten waren. Nun gab es für mich die Hoffnung, endlich wieder zu einem Pferde zu gelangen.

Kaum wurden wir gesehen, so verdoppelte sich der Jubel, und der Zug hielt an, die Königin zu erwarten. Ich blieb an ihrer Seite, und so wurden mir alle Ehren, die man ihr entgegen brachte, auch mit zu Teil.

Ein alter Krieger, der Häuptling des Dorfes, wie Unica mir erklärte, stieg vom Pferde, und die anderen folgten seinem Beispiele. Er trat auf die Königin zu und hielt ihr eine längere Rede, von welcher ich freilich kein Wort verstand. Dann hielt auch sie eine Rede mit laut erhobener Stimme, so daß alle sie verstehen konnten.

Jedenfalls hatte er ihr Bericht erstattet, und nun erzählte sie, was während der Abwesenheit der Männer geschehen war. Dabei schien sie auch mich zu erwähnen, denn die Augen der Krieger richteten sich mehrere Male auf mich. Nach Schluß der Rede wurde der Königin und mir je ein Pferd gebracht; wir stiegen auf, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Voran schritt ein baumlanger Kerl, welcher ein noch längeres Bambusrohr in beiden Armen trug. Das war das Signalhorn. Neben ihm stand der unvermeidliche Trommler. Hinter diesen beiden kam die weitere philharmonisch angelegte Menschheit mit verschiedenen Instrumenten. Dieser Truppe folgte ich mit der Königin, und hinter uns zogen die Reiter einher, zu beiden Seiten begleitet von dem Ameisengewirr der Ziviluntertanen ihrer Majestät.

Da spitzte der Signalist den Mund, formierte mit demselben eine runde Öffnung, durch welche man beinahe einen Kinderkopf schieben konnte, legte diesen Lippenkreis an das ebenso große Loch seiner Bambusröhre und pustete aus Leibeskräften hinein. Es kam ein Ton heraus, der eine Elefantenherde zur schleunigsten Flucht bewegt hätte, und den man allerdings auf eine Entfernung von drei Viertelstunden hören konnte. Die sonstige Kapelle fiel sofort ein, daß mir angst und bange um das bißchen Generalbaß wurde, welches ich von früher her noch inne hatte. Der Signalist aber setzte ab, holte tief Atem, drehte sich um und blickte mich an, um zu sehen, welchen Eindruck seine bambusrohrige Leistung auf mein empfängliches Gemüt hervorgebracht habe. Ich nickte ihm lächelnd zu, worüber er so in Entzücken geriet, daß er sofort mit dem Munde den erwähnten dunklen Krater abermals bildete und nun zu tuten begann, daß man hätte meinen mögen, die drei Elemente wälzten sich kunterbunt durch einander in dem vierten, nämlich in der Luft herum. Vier oder fünf solche Signalisten hätten wohl eine Mauer umblasen können. Dazu heulten, brüllten und schrien die anderen aus allen Leibeskräften. Wir gelangten mit unerhörtem Sang und Klang in das Dorf und hielten auf dem ›Marktplatze‹ an, wo der alte Desierto mit Pena uns erwartete.

Alle Reiter stiegen ab und stellten sich vor die Köpfe ihrer Pferde in Reih und Glied. Es trat Stille ein, und der Häuptling nahm diese Gunst des Schicksales wahr, dem Alten militärischen Bericht zu erstatten. Als dieser zu Ende war, rief der letztere mir zu:

»Herr, ein großer und erfolgreicher Sieg! Die Chiriguanos sind so auf das Haupt geschlagen, daß wir gewiß länger als zehn Jahre Ruhe vor ihnen haben. Die Krieger, welche Sie hier erblicken, bilden noch nicht die Hälfte der ausgezogenen Schar. Die Fehlenden sind noch weit zurück mit den Herden und sonstigen Dingen, welche wir erbeutet haben. Ich werde verkündigen, daß heute ein großer Siegesschmaus gegeben wird.«

Er tat das, und die Folge war ein wahrer Orkan oder vielmehr eine sich immer um sich selbst drehende Windhose von Jubelstimmen. Über alle aber tönte das Signalhorn, was ich am besten beurteilen konnte, da der freundliche Musikus sich gerade neben mich gestellt hatte, um mir die zauberhafte Süßigkeit seiner Musenklänge aus erster Hand zukommen zu lassen. Er pustete und blies, daß ihm die Backen platzen wollten, und hielt dabei sein Auge auf mein Gesicht geheftet. Ich nickte ihm unausgesetzt meine Bewunderung zu. Er erkannte, daß er in mir eine quarten- und quintenverwandte Seele gefunden hatte und geriet vor Freude darüber so in Ekstase, daß ich mich schließlich abwenden mußte, aus purer Angst, daß er sich die Haut vom Körper losblasen und dann mit samt der Pfeife als Luftballon in die Wolken gehen werde. Glücklicher Weise wurde ich bald von anderer Seite in Anspruch genommen. Mehrere Männer drängten sich durch die Menge bis zu dem Desierto, dem sie dann eine Meldung zu machen schienen. Er kam auf mich zu und benachrichtigte mich:

»Herr, soeben kommen die Kundschafter zurück; ihr Gang ist nicht vergeblich gewesen. Sie haben die Mbocovis gesehen.«

»Wo?«

»Als sie sechs Stunden lang gelaufen waren, haben sie die heranziehenden Feinde bemerkt. Sie versteckten sich hinter einige Büsche, um sie zu beobachten. Sie waren zu Fuß, hatten aber einige Reiter bei sich.«

»Das sind die Pferde, die sie von uns erbeutet haben. Hoffentlich bekommen wir sie wieder. Leider werden ihre Kundschafter sich nicht so weit hinangewagt haben, um das zu sehen, was zu erfahren mir wünschenswert ist.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Ob Weiße dabei sind.«

»Einer ist gesehen worden.«

»Wie war seine Gestalt?«

»Lang und hager.«

»So ist's der Sendador, und ich bin befriedigt. Diesesmal soll er mir wohl nicht wieder entkommen!«

»Was werden wir tun?«

»Ich sehe, daß wir den Mbocovis an Zahl nicht ganz gleich stehen, an Waffen ihnen aber überlegen sind.«

»Das sind wir gewiß. Es ist meine größte Sorge gewesen, meine Roten mit Feuergewehren zu versehen; die tragen vier- und fünfmal weiter als der beste Bogen. Meinen Sie wirklich, daß die Mbocovis sich an der Stelle lagern werden, nach welcher Sie gestern der Yerno brachte?«

»Ich glaube es.«

»Und wollen wir sie dort überfallen?«

»Ja, bei Tagesanbruch, damit wir sehen können; in der Dunkelheit könnten viele, vielleicht gar der Sendador selbst, entkommen.«

»So haben wir noch viel Zeit und brauchen unsere Siegesfreude nicht zu beeinträchtigen.«

»O bitte! Mit dem Jubel muß es unbedingt ein Ende haben. Ich halte es für möglich, daß die Mbocovis, sobald sie am Rendez-vous angekommen sind, einen oder mehrere Kundschafter aussenden, welche das Dorf umschleichen sollen. Vielleicht unternimmt gar der Sendador es selbst, dies zu tun. Da muß vollständige Stille herrschen, damit der Feind nicht weiß, woran er ist. Ferner dürfen nur die Krieger in Tätigkeit treten; sie allein bleiben hier im Dorfe. Die andern alle müssen schon jetzt am Tage hinüber auf die Inseln und sich dort so ruhig und versteckt halten, daß niemand sie beobachten kann. Auch sämtliche Pferde werden hinübergeschafft.«

»Die Pferde? Ich denke, daß wir sie zur Verfolgung sehr nötig haben werden.«

»Eine Verfolgung wird es gar nicht geben; wenn wir es richtig machen, kann kein einziger entkommen.«

»Was verstehen Sie unter diesem richtig?«

»Sobald es dunkel geworden ist, gehe ich rekognoszieren, um zu sehen, ob die Mbocovis schon da sind. Ist dies der Fall, so marschieren wir später hinaus und umzingeln das Lager. Dann warten wir, bis der Tag anbricht. Wir nehmen solche Distanz, daß uns kein vergifteter Pfeil erreichen kann, während unsere Kugeln an ihr Ziel gelangen. Dann will ich sehen, wie der Sendador es anfangen will, zu entkommen.«

»Er wird einen Massenausfall gegen einen bestimmten Punkt unternehmen. Wir stehen zu ausgebreitet und vereinzelt, und so muß es ihm gelingen, sich durchzuschlagen.«

»Pah! Das Terrain, über welches wir uns auszubreiten haben, ist nicht groß. Wir haben einen Ring zu schließen, dessen Durchmesser kaum zweitausend Schritte beträgt. Übrigens stellen wir uns auch nicht etwa einzeln, sondern in Trupps auf. Die Zwischenräume zwischen diesen Trupps können von beiden Seiten mit Kugeln bestrichen werden. Und sollte ja ein Durchbruch versucht und irgendein bestimmter Punkt unseres Kreises bedroht werden, so sind in Zeit von einer Minute die Kameraden von den anderen Punkten so nahe herbeigeeilt, daß ihre Kugeln in den Feind schlagen. Zu einem Durchbruche kann es gar nicht kommen, wenn wir jeden einzelnen Feind, der sich auch nur eine Sekunde lang außerhalb des Gebüsches sehen läßt, sofort niederschießen. Was sind Ihre Roten für Schützen?«

»Ich bin sehr zufrieden. Jeder kennt sein Gewehr genau.«

»Dann habe ich keine Sorge, falls Sie Munition genug besitzen.«

»Die ist da. Ich bin für Monate mit allem Nötigen versehen.«

»So muß es gelingen. Die Hauptsache ist, daß wir das Lager der Mbocovis umschließen, ohne daß sie es bemerken. Das übrige ist dann Leichtigkeit. Entkommen soll mir keiner!«

»Aber die Mbocovis haben auch Gewehre, nämlich die, welche Ihren Gefährten abgenommen worden sind!«

»Das sind nur wenige, und es fragt sich sehr, ob diese Roten mit einer Flinte umzugehen verstehen. Also führen Sie meine Vorschläge aus, und zwar so schnell wie möglich! Ich werde mit Pena hinaus in die Pampa gehen, um zu versuchen, ob wir das Nahen der Feinde bemerken können.«

Ich rief Pena zu mir. Wir stiegen auf den Felsen, um unsere Waffen zu holen, und schritten dann dem vermutlichen Lagerplatze der Mbocovis zu, ohne uns um das im Dorfe herrschende lebhafte Treiben weiter zu bekümmern. Die Stiefel freilich zogen wir aus, damit etwaige Kundschafter nicht etwa aus unseren Spuren erraten sollten, daß Weiße anwesend seien. Als wir die Büsche zu Gesicht bekamen, näherten wir uns denselben mit der größten Vorsicht. Doch war sie in diesem Falle überflüssig, denn es befand sich kein Mensch an diesem Orte. Wir beschlossen also, weiter zu gehen.

Die Spuren, welche die Mbocovis gestern gemacht hatten, waren noch so deutlich, daß nur ein nordischer Präriejäger unsere heutigen von denselben hätte unterscheiden können. Darum brauchten wir uns keine große Mühe zu geben, keine Fährte zurückzulassen. Übrigens sorgte der erwartete Feind dafür, daß er die letztere, selbst wenn sie von ihm bemerkt worden wäre, nicht bis zu ihrem Ausgangspunkte hätte verfolgen können, denn er hatte seine Annäherung so eingerichtet, daß er den Lagerplatz gerade mit der hereinbrechenden Dunkelheit erreichen mußte.

Als wir nämlich die Mbocovis erblickten, war es ungefähr drei Stunden vor Sonnenuntergang, gerade so viel Zeit, wie sie brauchten, um an den angegebenen Ort zu gelangen. Wie viele ihrer waren, konnten wir nicht zählen, da sie im Gänsemarsche hinter einander marschierten, voran die Reiter und hinter ihnen die Fußgänger, so daß einer den anderen deckte.

Ich sah durch das Fernrohr des alten Desierto, welches ich mitgenommen hatte. Es war also anzunehmen, daß der Feind uns nicht gesehen habe. Wir kehrten schleunigst um, gingen bis an den Lagerplatz zurück und noch so weit über denselben hinaus, als das Fernrohr den Blick zu tragen vermochte. Dort legten wir uns nieder, um die Ankunft der Mbocovis zu erwarten. Nachdem eine halbe Stunde vergangen war, kamen sie. Es dunkelte schon stark; aber wir sahen doch, daß sie nach dem Gebüsche lenkten und in und hinter demselben verschwanden.

»Es ist richtig,« meinte Pena. »Sie verbergen sich dort, ganz so, wie wir gedacht haben. Was tun wir nun? Kehren wir nach dem Dorfe zurück?«

»Nur einer von uns. Der andere muß hier bleiben, um zu beobachten, ob der Sendador vielleicht sofort Kundschafter nach der Lagune sendet. Der Dunkelheit wegen wird die Beobachtung leichter sein. Wäre es hell, so würden etwaige Späher einen Umweg machen, um nicht gesehen zu werden. Nun aber können sie die gerade und kürzeste Richtung einhalten, also die Linie, welche hier an uns vorüberführt. Wenn man still liegt und das Gehör anstrengt, so muß man unbedingt die Schritte eines Menschen hören, selbst wenn er einige hundert Schritte weit von hier vorübergeht. Ich will selbst hier bleiben, und Sie mögen zu dem alten Winter gehen, um ihn zu benachrichtigen, daß die Mbocovis hier sind, und ihm die Weisung überbringen, daß er mit seinen Leuten kommen soll.«

»Danke! Ich bleibe lieber hier. Es ist auf alle Fälle besser, daß Sie in das Dorf gehen, um dafür zu sorgen, daß der Anmarsch der Tobas in der richtigen Weise geschieht. Ich könnte darin Fehler machen und dann Vorwürfe von Ihnen bekommen.«

»Wie Sie wollen! Doch setze ich voraus, daß Sie gut aufpassen.«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Schön! Was aber werden Sie tun, wenn Sie jemanden vorübergehen hören?«

»Ich schleiche mich ihm nach und versuche, ihn zu fangen.«

»Nein; das werden Sie nicht. Aber Sie schleichen ihm nach, um uns dann sagen zu können, in welcher Richtung er gewesen ist oder sich noch befindet.«

»Dann kann er aber doch Sie bemerken, gerade wenn Sie kommen, und es seinen Leuten berichten!«

»Ich bezweifle, daß er dazu kommen wird. Wenn er uns so nahe ist, daß er uns sehen kann, und wenn Sie uns auf ihn aufmerksam machen, so werde ich schon dafür sorgen, daß ich ihn erwische. Und sollte das nicht gelingen. so mag er immerhin nach den Büschen zurückkehren. Ehe er erzählt, was er gesehen hat, und ehe man dann beraten hat, was geschehen soll, haben wir den Platz umzingelt. Die Hauptsache ist, daß Sie sich nicht eher bemerkbar machen, als bis wir zum Handeln fertig sind. Auch müssen Sie sich, falls Sie sich von hier entfernen, diese Stelle genau merken, um sie wieder finden zu können. Laufen Sie aber in der Irre herum, so warten wir dann hier vergeblich auf Sie und wissen nicht, woran wir sind.«

»Na, lieber Freund, Sie werden mir doch wohl so viel Ortssinn zutrauen, mich zurecht zu finden! Gehen Sie ohne Sorge! Ich werde sicher keinen Fehler machen. Darauf können Sie sich verlassen.«

Ich zog meine Stiefel wieder an, da die Art der Fährte jetzt gleichgültig war, und schritt so schnell wie möglich dem Dorfe zu, wo man mit Verlangen auf unsere Rückkehr gewartet hatte.


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