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Pal. Arcit. Du bist Verräther, und Dein Herz
Ist falsch, wie Deine Werbung. Blut und Freundschaft
Und alle Bande zwischen uns zerreiß' ich.
Arc. Du rasest.
Pal. Ich muß,
Bis Du Dich würdig zeigst, 's ist meine Sache!
Und fordr' ich Dich in dieser Raserei
Und nehme Dir Dein Leben, thu' ich recht.
Arc. Pfui über Dich!
Zwei edle Vettern.
Zwei Tage darauf verließen wir Paris, und eine Reise von drei Tagen durch eine reizlose Gegend brachte uns nach der kleinen Seestadt Granville am Canal. Wir blieben einige Tage an diesem entzückenden Orte, und da uns unsere Briefe regelmäßig zugeschickt wurden, erhielten wir Nachrichten aus England. Mein Vater war über meine Zurückzahlung des aufgenommenen Geldes erstaunt, und so wenig er sich auch dieselbe zu erklären wußte, drückte er doch die Hoffnung aus, daß ich mich nicht beleidigt finden, sondern auf seinen Kredit ziehen würde, so viel ihm sein Einkommen und seine Lebensweise vorzustrecken gestattete.
Eugenie machte sich in ihrem Schreiben Vorwürfe über den Brief, den sie mir geschickt hatte, und schloß aus meinem Benehmen daß ich bloß deßhalb so bedeutende Summen auf sie aufgenommen hätte, um die Aufrichtigkeit ihrer Gesinnung auf die Probe zu stellen. Sie versicherte mich, sie habe mich keineswegs aus Selbstsucht sondern bloß aus Rücksicht auf unser Kind gewarnt.
Klara schrieb mir, daß man jeden Versuch, selbst die demüthtigendste Unterwerfung angewendet hätte, Emilie zu einer Aenderung ihres Entschlusses zu vermögen, und daß, weil Alles fehlgeschlagen, eine gegenseitige Kälte und beinahe gänzliche Unterbrechung des vertrauten Verhältnisses zwischen den Familien eingetreten wäre. »Ich fürchte,« fuhr sie fort, »Dein Freund ist noch schlimmer, als Du, denn ich höre, daß er schon seit Jahren mit einer Andern verlobt ist. Weil ich nun weiß, daß sich eure Freundschaft hauptsächlich auf seine vermeintliche Anhänglichkeit an mich gründet, und weil ich bemerke, daß Du Dich in Bezug auf seine Aufrichtigkeit in einem groben Irrthum befindest, so halte ich es für meine Pflicht, Dich mit Allem bekannt zu machen, was ich weiß. Es ist unmöglich, daß Du den Mann achten kannst, der mit den Gefühlen Deiner Schwester sein Spiel getrieben hat; und ich nähre die zuversichtliche Hoffnung, daß mir Dein nächster Brief die Nachricht von Eurer Trennung bringen wird.«
Wie wenig dachte die arme Klara, als sie diesen Brief schrieb, an die Folgen, die daraus entstehen würden; wie wenig dachte sie daran, daß sie durch ihre Klagen eine Mine grub, welche zehnmal traurigere Ergebnisse herbeiführen würde, als Alles, was uns bisher begegnet war!
Mein Gemüthszustand war damals feindselig gegen das Menschengeschlecht gestimmt. Ich haßte mich und Alle, die in meiner Nähe waren. die Gesellschaft Talbots hatte ich lange geduldet, aber sie war mir lästig und mit Freuden hätte ich jede nur irgend scheinbare Gelegenheit ergriffen, mich von ihm zu trennen. Er war zwar mein Freund, dies hatte er bewiesen; aber ich befand mich nicht in der Laune, Wohlthaten anzuerkennen. Verstoßen von derjenigen, die ich liebte, verstieß ich selbst jeden Andern. Talbot war eine Bürde und Fessel für mich, und ich glaubte, mich nie zu bald von ihm lossagen zu können. Dieser Brief gab mir eine treffliche Gelegenheit, meinem Verdruß Luft zu machen; aber statt einer kalten Trennung, wie sie Klara verlangte, beschloß ich, entweder ihn oder mich in eine andere Welt zu schicken.
Nachdem ich meinen Brief gelesen hatte, legte ich ihn nieder und äußerte kein Wort. Mit der gewöhnlichen Miene des Wohlwollens und der Freundschaft fragte mich Talbot, »ob ich Neuigkeiten bekommen hätte?«
»Ja,« erwiederte ich, »ich habe die Entdeckung gemacht, daß Sie ein Schurke sind!«
»Das ist allerdings etwas Neues,« versetzte er, »und seltsam, daß mir gerade Klara's Bruder diese Botschaft überbringen muß; allein dies ist eine Sprache, Frank, welche selbst Ihr unglücklicher Gemüthszustand nicht zu entschuldigen vermag. Nehmen Sie Ihre Worte zurück.«
»Ich wiederhole sie,« sagte ich. »Sie haben mit meiner Schwester Ihr Spiel getrieben und sind ein Schurke.« Wäre dies auch wirklich der Fall gewesen, so hätte er nicht mehr verbrochen, als ich selbst; nur hatten meine Schlachtopfer keine Brüder, die sie rächen konnten.
»Klara's Name läßt mich ruhig,« erwiederte Talbot; »glauben Sie mir, Frank, Sie sind im Irrthum. Ich liebe Klara und hatte stets nur die ehrenvollsten Absichten.«
»Ja,« sagte ich mit beißendem Hohnlachen, »zu derselben Zeit, wo Sie schon seit Jahren einer Andern verlobt sind. Gegen die Eine oder die Andere haben Sie den Schurken gemacht; das werden Sie selbst anerkennen; deßhalb nehme ich meine Worte nicht zurück, sondern wiederhole sie; und da Sie Beleidigungen so geduldig hinzunehmen scheinen, so erkläre ich Ihnen hiemit, daß Sie mich entweder auf dem Strande treffen müssen, oder mit einem andern Namen gebrandmarkt werden, der die Gefühle eines Engländers noch tiefer verletzt.«
»Genug, Frank,« sagte Talbot mit einer Miene, in der sich das Bewußtsein der Unschuld mit der Festigkeit des Mannes paarte; »Sie haben mehr gesagt, als ich je von Ihnen zu hören erwartete und mir die Sitten der Welt hinzunehmen erlauben. Was sein muß, muß sein; aber ich sage Ihnen noch einmal, Frank, daß Sie im Irrthum sind, daß Sie in einer unseligen Verblendung leben und daß Sie den Wahnsinn dieses Tages bitter bereuen werden. Sie selbst sind es, mit dem Sie zürnen, und diesen Zorn lassen Sie an Ihrem Freunde aus.«
Die Worte waren an mich weggeworfen, ich fühlte eine geheime Schadenfreude, die mich blindlings fortriß, und hatte die Gewißheit, meine Rache entweder durch die Ermordung meines Gegners, oder meinen eigenen Untergang zu sättigen. Meine ganze Vorbereitung auf diesen furchtbaren Kampf bezog sich auf meine Pistolen. Andere Dinge, selbst die Möglichkeit meinen Freund und Mitmenschen, oder mich selbst vor den Richterstuhl des Allmächtigen zu schicken, kamen mir nicht in den Sinn. Ich hatte nur Einen Gedanken – die geheime Freude über die Gefühle, welche Emilie martern würden, wenn ich den Tod von Talbot's Hand empfinge.
Ich begab mich an Ort und Stelle. Talbot wartete bereits. Er kam auf mich zu und sagte noch einmal:
»Frank, ich rufe den Himmel zum Zeugen an, Sie sind im Irrthum! Sie haben Unrecht; verschieben Sie wenigstens Ihr Urtheil, wenn Sie Ihre Worte nicht zurücknehmen wollen.«
Völlig vom Teufel besessen, war ich nicht zu überzeugen, bis es zu spät war, und erwiederte die freundliche Anrede mit dem beleidigenden Hohn: »Sie scheuten sich nicht, auf einen armen Jungen im Wasser zu schießen,« sagte ich, »aber einem Gegenschuß wollen Sie nicht Stand halten. Kommen Sie, nehmen Sie Ihre Stellung, seien Sie ein Mann, stehen Sie aufrecht, fürchten Sie sich nicht.«
»Für meine Person,« erwiederte Talbot mit fester, aber ruhiger Ergebung in seiner Miene, »fürchte ich nicht, aber Sie, Frank, flößen mir große Besorgniß ein.« Mit diesen Worten ergriff er die geladene Pistole, die ich ihm hinwarf. Wir hatten keine Sekundanten, kein Mensch war in der Nähe, der uns sehen konnte. Der Mond schien hell, und wir gingen an den Rand des Wassers hinab, wo der Sand, den die Ebbe trocken gelegt hatte, trittfest war. Wir stellten uns Rücken an Rücken, um die gewöhnliche Entfernung von vierzehn Schritten zu messen. Talbot weigerte sich, die seinige abzuschreiten, und blieb unbeweglich stehen. Ich ging zehn Schritte vorwärts, wandte mich um und sagte mit dumpfer Stimme: »fertig!«
Beide erhoben wir unsere Waffen; aber Talbot senkte alsbald die Mündung seiner Pistole mit den Worten: »ich kann nicht auf Klara's Bruder schießen.«
»Aber ich auf ihren Beschimpfer,« erwiederte ich, zielte ruhig und gab Feuer. Die Kugel drang ihm in die Seite. Er sprang auf, drehte sich zur Hälfte herum und stürzte mit dem Gesicht auf die Erde.
Wie rasch sind die Uebergänge der Gefühle des Menschen! Wie schnell folgt die Reue auf die Befriedigung der Rachsucht! Der Schleier fiel von meinen Augen; ich sah im Augenblicke die falsche Vorspiegelung, das trügerische Traumgebilde, wodurch ich zu dem verleitet wurde, was die Welt eine »Ehrensache« nennt. Ehre? Gott im Himmel! sie hatte mich zum Mörder gemacht, und meines Bruders Blut schrie um Rache.
Die männliche, kräftige Gestalt, welche noch vor einer Minute meinen schadenfrohsten Haß erregt hatte, wurde in dem Augenblicke, wo sie sprachlos am Boden lag, ein Gegenstand wahnsinniger Zärtlichkeit für mich. Ich sprang zu Talbot hin, und nun es zu spät war, sah ich das Unheil, das ich gestiftet hatte. Mord, Grausamkeit, Ungerechtigkeit und vor Allem der abscheulichste Undank stürmte mit einem Male auf meine überreizte Einbildungskraft los. Ich drehte den Körper, und untersuchte, ob noch Leben in ihm sei. Ein schmaler Blutstreifen rann ihm aus der Seite und sickerte neben ihm auf den Boden, während sich Mund und Nase durch die Heftigkeit des Falls mit Sand angefüllt hatten. Ich reinigte sie, setzte mich neben den Körper, verstopfte, weil das Blut mit jedem Athemzug reichlich hervorquoll, die Wunde mit meinem Taschentuch und nahm den Unglücklichen in meine Arme, wahrend ich ausrief: »Wollte Gott, der Haifisch, das Gift, das feindliche Schwert oder der Abgrund auf Trinidad hätte mich vor dieser unseligen Stunde vernichtet.«
Talbot öffnete seine matten Augen und richtete sie mit einem gläsernen Starrblick auf mich, ohne ein Wort zu sprechen. Plötzlich schien sein Gedächtniß auf einen Augenblick zurückzukehren. Er erkannte mich, und, o Gott, sein liebevoller Blick durchbohrte mein Herz. Nachdem er viele vergebliche Anstrengungen zum Sprechen gemacht hatte, sagte er endlich unter langen schmerzvollen Zwischenräumen mit gebrochenen Worten: »Brief nehmen – Schreibpult – Alles lesen – erklären – Gott segne –.« Sein Haupt sank zurück. Er war todt.
Oh, wie sehr beneidete ich ihn! Hätte ich ihn zehntausendmal schuldiger gefunden, als ich je von ihm geargwohnt hatte, so wäre dies keine Beruhigung für meinen Geist gewesen. Ich hatte ihn gemordet, und zu spät erkannte ich seine Unschuld. Warum, oder nur wie es geschah, weiß ich nicht. Ich nahm mein Halstuch ab und band es ihm fest um den Leib über der Wunde. Das Blut hörte auf zu strömen. Ich verließ die Leiche und kehrte in einem Zustande geistiger Schlaffheit und Qual in meine Wohnung zurück, welcher der Hitze und Aufregung entsprach, womit ich sie verlassen hatte.
Mein erstes Geschäft war die Durchsicht der Briefe, auf welche mein armer Freund hingewiesen hatte. Bei meiner Ankunft waren unsere beiderseitigen Diener auf. Meine Hände und Kleider waren mit Blut bedeckt, die Diener starrten mich mit Bestürzung an.
Ich lief hastig die Treppe hinauf, um ihnen auszuweichen, und eilte an den Schreibpult. Da ich wußte, daß er den Schlüssel an seiner Uhrkette trug, ergriff ich das Schüreisen, sprengte auf und zog das erwähnte Päckchen hervor. In diesem Augenblick trat sein Diener in's Zimmer.
»Et mon maître, Monsieur, où est-il?«
»Ich habe ihn ermordet,« antwortete ich, »Ihr werdet ihn auf dem Strande in der Nähe des Signalpfostens finden, und jetzt beraube ich ihn!« Meine äußere Erscheinung und meine Handlungsweise schienen die Wahrheit meiner Worte zu bestätigen. Der Bediente flog aus dem Zimmer, aber ich war gegen Alles gleichgültig und muß mich sogar darüber wundern, wie ich nur den Briefen meine Aufmerksamkeit schenken konnte; zumal, da ich mich bereits von Talbot's Unschuld überzeugt hatte. Ich las eine Reihe von Briefen, die Talbot mit seinem Vater gewechselt hatte. Ohne ihn um Rath zu fragen, hatte ihn dieser mit einer jungen Dame von Rang und Vermögen verlobt – eine Verstandesheirath, der sich Talbot wegen seines Verhältnisses mit Klara widersetzt hatte.
Ich habe bereits bemerkt, daß Talbot's Familie dem hohen Adel angehörte. Diese Vermählung wurde von den beiderseitigen Eltern gewünscht, und sie hatten schon als von einer beschlossenen Sache davon gesprochen, die bei der Rückkehr Talbot's nach England vor sich gehen sollte. Im letzten Briefe gab sein Vater seinen Vorstellungen zu Gunsten Klara's nach, und verlangte bloß soviel von ihm, daß er sich mit der Bewerbung nicht übereilen sollte, weil er einen Vorwand zu finden wünschte, unter dem er die verabredete Verbindung hintertreiben könnte. Er machte ihm aber unglücklicher Weise vor Allem die Bedingung, das tiefste Stillschweigen zu beobachten, bis die Angelegenheit in's Reine gebracht wäre. So war also Alles erklärt; aber noch ehe ich die Briefe gelesen hatte, bedurfte ich diesen verdammenden Beweis seiner Unschuld und meines Verbrechens nicht mehr.
Eben hatte ich mein Geschäft beendigt, als Gensd'armen und Gerichtsdiener in's Zimmer traten und mich in's Gefängniß führten. Ich folgte gedankenlos und ward in ein kleines Gebäude im Mittelpunkte eines öffentlichen Platzes gebracht. Es war ein Kerker, der an allen vier Seiten eiserne Gitter ohne Glasfenster hatte, weder Bank noch Tisch war im Gemach, nichts als die kahlen Wände und der steinerne Boden. Der Wind pfiff schneidend hindurch. Ich hatte nicht einmal einen Ueberrock, aber ich fühlte weder Kälte noch körperliches Unbehagen, denn mein Geist war vom Elende überwältigt. Die Thüre ward hinter mir geschlossen, ich hörte den Riegel einfallen. Niemand hatte ein Wort gesprochen, und ich war allein.
»Gut,« sagte ich, »das Verhängniß hat jetzt sein Aergstes vollendet, und das Schicksal wird endlich müde sein, einen Elenden zu martern, der nicht mehr tiefer sinken kann! der Tod hat keine Schrecken für mich, und nach dem Tode – – –!« Aber selbst in meinem Jammer hatte ich kaum einen Gedanken für ein künftiges Leben. Bisweilen drängte sich mir wohl etwas Derartiges auf, aber ich warf es sogleich wieder aus meinem Geiste hinaus; ich hatte mir den Atheismus der französischen Revolution angeeignet.
»Tod ist ewiger Schlaf, und je früher ich schlafengehe, desto besser!« dachte ich. Das Einzige, was mich drückte, war die Furcht vor einer öffentlichen Hinrichtung; mein Stolz empörte sich dagegen; denn mein Stolz war wieder zurückgekehrt und übte seine Herrschaft selbst im Kerker über mich aus.
Mit der Morgendämmerung weckte mich das Geräusch der Karren und Landleute, welche die Erzeugnisse des Bodens hier zu Markte brachten, aus meiner Träumerei, denn geschlafen hatte ich nicht. Das Gefängniß war von Menschen jeden Alters und Standes umringt, denn Alles wollte den englischen Mörder sehen, und die Menschenköpfe drängten sich so dicht an die Gitter, daß sie weder Licht noch Luft hereinließen. Man begaffte mich, wie ein wildes Thier, und die Mütter hoben ihre Kinder empor und gaben ihnen Lehren und Warnungen auf meine Kosten.
Wie ein gefangener Tiger, der die Augen durch unaufhörliches Drehen und Wenden ermüdet, schritt ich in meinem Kerker auf und ab, und hätte ich einen von den unverschämten Gaffern durch die schmale Oeffnung in der drei Fuß dicken Wand erwischen können, ich würde ihn zermalmt haben. »All' diese Menschen,« sagte ich, »und tausend Andere werden Zeugen meiner Hinrichtung auf dem Schaffot sein.«
Durch diesen furchtbaren Gedanken in Wuth versetzt, durchsuchte ich meine Taschen nach einem Federmesser, um mich mit einem Male von meinen Qualen und Befürchtungen zu befreien; und, wenn ich eines gefunden hätte, so wäre ich sicherlich Selbstmörder geworden. Glücklicherweise hatte ich es zu Hause gelassen, sonst würde ich es in dem Augenblicke des Wacheseins in der Arteria carotis begraben haben; denn ich wußte so gut, als Andere, wo ich sie suchen mußte.
Endlich zerstreute sich die Menge; die Fenster wurden wieder frei, und nur dann und wann zeigte ein Tagedieb von einem Buben seinen struppigen Kopf am Gitter. Durch körperliche Anstrengung und geistige Qual erschöpft, war ich eben im Begriff, mich auf die kalten Steine niederzuwerfen, als ich das Gesicht meines Bedienten erblickte, der eiligst an das Kerkerfenster gelaufen kam und freudig ausrief –
» Courage, mon chére maître; Monsieur Talbot n'est pas mort.«
»Nicht todt!« rief ich, bewußtlos auf die Kniee sinkend und meine gefalteten Hände und erstorbenen Augen zum Himmel emporhebend: »nicht todt! Gott sei gepriesen! So hab' ich doch wenigstens die Hoffnung, das Verbrechen des Mordes von mir abgewälzt zu sehen.« Ehe ich weiter reden konnte, trat der Maire mit den Polizei-Offizieren in meinen Kerker und benachrichtigte mich, man habe einen proces-verbal angestellt, mein Freund sei im Stande gewesen, auf alle ihre Fragen die klarsten Antworten zu geben, und aus der Aussage Monsieur Talbot's gehe deutlich hervor, daß es eine affaire d'honneur gewesen sei, was auch durch die im Wasser gefundenen Pistolen bestätigt werde. »Und deßhalb, Monsieur,« fuhr der Maire fort, »Ihr Freund mag leben oder sterben, tout a été fait en regle et vos êtes libre.«
Bei diesen Worten verbeugte er sich höflich und deutete nach der Thüre. Ich bat nicht lange, mir den Weg zu zeigen, sondern rannte hinaus und flog auf Talbot's Zimmer, der mir durch meinen Bedienten hatte sagen lassen, daß er mich sehnlichst zu sprechen wünsche. Ich traf ihn im Bette und er streckte mir die Hand entgegen; ich bedeckte sie mit Küssen und badete sie in Thränen.
»Talbot,« sagte ich, »können Sie mir vergeben?«
Er faßte mich bei der Hand und ließ sie aus Erschöpfung fallen. Der Wundarzt führte mich aus dem Zimmer und sagte: »Alles hängt jetzt davon ab, daß wir ihm Ruhe lassen.« Zugleich erfuhr ich, sein Leben sei durch die beiden Umstände erhalten worden, daß ich seine Wunde mit meinem Taschentuch verbunden und der Zweikampf unter dem Markzeichen des hohen Wasserstandes Statt gehabt hatte. Wie ich ihn verließ, erhob sich die Fluth, und die kalten Wellen, die den Körper bespülten, riefen ihn in's Leben zurück. In diesem Zustande wurde er von seinem Diener gefunden. Noch ein paar Minuten, und das Wasser hätte ihn bedeckt, denn er besaß die Kraft nicht, sich zurückzuziehen. Die Kugel war ihm durch die Leber gedrungen, und ohne weitere Verletzung hinten wieder hervorgekommen.
Ich kleidete mich um, dankte Gott inbrünstig für seine wunderbare Erhaltung, und setzte mich neben das Bett meines Freundes, um es bis zu seiner völligen Genesung nicht mehr zu verlassen. Als diese glücklich erfolgt war, schrieb ich an meinen Vater und Klara, und erstattete beiden einen genauen Bericht von dem ganzen Vorfall. Einmal enttäuscht scheute sich Klara nicht mehr, ihre Liebe zu gestehen. Talbot ward von seinem Vater aufgefordert, nach Hause zurückzukehren; ich begleitete ihn bis Calais, wo wir schieden; und wenige Wochen daraus erhielt ich die erfreuliche Nachricht, daß meine Schwester seine Gattin geworden sei.
Mir selbst überlassen kehrte ich langsam und muthlos in Quillacs Gasthof zurück, bestellte Postpferde und warf mich in meinen Reisewagen, welchen mein Diener auf meinen Befehl bereits mit meinen Habseligkeiten bepackt hatte.
»Wohin fahren Sie, Monsieur,« fragte der Bediente.
»A diable,« erwiederte ich.
»Mais les passe-ports?« sagte der Mensch.
Ich fühlte, daß ich zu der vorgeschlagenen Reise hinreichend mit Pässen versehen war, doch verbesserte ich mich und setzte hinzu: »in die Schweiz.« Es war der erste beste Name, der mir in den Kopf kam, und ich hatte mir sagen lassen, dieses Land sei die Zufluchtsstätte aller meiner Landsleute, die am Kopf, am Herz, an den Lungen, oder am Beutel krank seien. Indessen sah und hörte ich während meiner ganzen Reise nichts, und schrieb folglich auch keine Bemerkungen nieder, worüber meine Leser sich freuen werden, indem ihnen dadurch die unerschöpfliche Redseligkeit einer Reise durch Frankreich und der Schweiz erspart wird. Ich war Tag und Nacht unterwegs, denn ich konnte nicht schlafen. Die Allegorie von Io und der Bremse in der heidnischen Götterlehre hatte sicherlich keinen andern Zweck, als das Wesen darzustellen, das von einem bösen Gewissen gemartert wird. Gleich Io floh ich, gleich Io ward ich auf all meinen Wegen von der ewigen Bremse verfolgt und suchte ihr vergebens zu entrinnen.
Ich bestieg den großen Bernhard zu Fuße. Je näher ich kam, desto anziehender wurde er mir. Die Gehänge unter mir und die Alpen über mir bildeten eine Schnee- und Eismasse, und mit Verachtung sah ich auf die Welt nieder, die zu meinen Füßen lag. Ich nahm für einige Zeit Wohnung im Kloster. Meine reichlichen Beiträge zur Fremdenbüchse der Kapelle sicherten mir einen längeren Aufenthalt, als den Reisenden gewöhnlich gestattet wird; und immer weniger und weniger war ich geneigt, den Schauplatz zu verlassen. Von den großen treuen Hunden begleitet, überkletterte ich die furchtbarsten Abgründe und betrachtete die Natur in ihrem rauhesten und erhabensten Gewände. Wenn körperliche Ermattung Ruhe forderte, setzte ich mich im krankhaften Trübsinn in dem Gemache nieder, worin die Leichen der Unglücklichen aufbewahrt wurden, die im Schnee umgekommen waren. Stundenlang blieb ich dort und träumte über ihr Schicksal. Die Reinheit der Luft läßt lange weder Fäulniß noch Auflösung zu. Und wie die Todten so daliegen, sehen sie aus, als hatten sie eben erst ihren Athem verhaucht: wiewohl diejenigen, welche schon Jahre lang hier sind, bei der Berührung häufig in Staub zerfallen.
Es ist bekannt, daß die römischen Katholiken sehr gern Proseliten machen. Der Prior fragte mich, ob ich nicht Protestant sei. Ich erwiederte ihm, ich habe gar keine Religion, und diese Antwort lag meines Erachtens der Wahrheit näher, als jede andere, die ich hätte geben können. Für die Hoffnungen der Mönche war sie weit günstiger, als wenn ich mich einen Ketzer oder Muselmann genannt hätte. Sie gingen von dem Glauben aus, ich werde mich um so leichter zu ihrer Religion bekehren, weil ich keine eigene entgegenzusetzen hätte. Alsbald stellten sie sich mit der ganzen Rüstung des Glaubens in theologische Schlachtordnung und belagerten mich ununterbrochen von allen Seiten; aber ich fühlte keine Neigung zu irgend einer Religion, und am wenigsten zu einer Religion, die ich verachtete; lieber wäre ich Türke geworden.
Ich erhielt einen Brief von der armen Eugenie – es war der letzte, den sie schrieb. Sie meldete mir den Tod ihres lieben Knaben. Er hatte sich von Hause entfernt und war in einen Forellenbach gefallen, wo man nach einigen Stunden seine Leiche fand. In ihrem zerrütteten Gemüthszustande vermochte sie nichts weiter hinzuzufügen, als ihren Segen und die feste Ueberzeugung, daß wir uns in dieser Welt nicht wieder sehen würden. Ihr Brief schloß ohne Zusammenhang, und ob ich gleich an jenem Morgen noch gesagt hätte, mein Herz habe für keinen anderen Kummer mehr Raum, so fand doch der Verlust des süßen Kindes und der Zustand seiner unglücklichen Mutter nicht nur für einige Zeit eine Stelle in meiner Brust, sondern verdrängte alle übrigen Gedanken aus derselben. Sie bat mich, ohne Verzug zu ihr zu eilen, wenn ich sie noch am Leben zu treffen wünschte.
Ich nahm Abschied von den Mönchen und reiste so schnell wie möglich nach Paris, und von da nach Calais. In Quillacs Gasthof erhielt ich eine Nachricht, die mich ohngeachtet meiner Besorgnisse völlig unvorbereitet traf und auf's Tiefste erschütterte. Ich fand einen Brief von Eugeniens Agenten, der mich von ihrem Tode in Kenntniß setzte. Sie war von einem Gehirnfieber befallen worden und in einer kleinen Stadt in Norfolk gestorben, wohin sie sich nach unserem letzten unglücklichen Zusammentreffen zurückgezogen hatte; das Schreiben schloß mit der Meldung, Eugenie habe mir ihr ganzes sehr beträchtliches Vermögen vermacht und mit ihren letzten vernehmlichen Worten die Versicherung ausgesprochen, daß ich ihre erste und einzige Liebe gewesen sei.
Jetzt war ich unempfindlich gegen das Leiden. Meine Gefühle hatten sich zum Stumpfsinn abgemagert. Ich glich einem Schiff im Orkane, von dessen Verdeck der letzte furchtbare Wogensturz Alles fortgerissen. Ein Wrack trieb ich richtungslos umher, ein Spiel der Stürme und Wellen. Mitten in dieser Zerstörung sah ich mich um, und der einzige Gegenstand, welcher der Betrachtung würdig schien, war das Grab, das die irdischen Ueberreste Eugeniens und ihres Kindes enthielt. Dahin beschloß ich zu reisen.