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Vierzehntes Kapitel.

Die Winde springen plötzlich auf,
Die Blitze zucken und die Donner krachen.
Vergebens gibt der Schiffherr hier Befehle,
Vergebens regt die Mannschaft alle Hände:
Der grimme Sturm vernichtet, was sie schaffen,
Und die Verzweiflung steht am Steuerruder.

Drydeus' Fabeln.

Halifax ist ein reizender, gastfreier Ort. Sein Name ist mit so vielen angenehmen Erinnerungen verknüpft, daß er jedesmal aus der bereits zugepfropften Flasche, die schon dazu bestimmt war, die Nacht im Keller zuzubringen, ein neues Glas hervorlockt. Man sage nur das Wort »Halifax«, so ist das so viel als »Sesam, thu' dich auf« – denn heraus fliegt der Kork und nieder strömt ein Römer »auf die Gesundheit aller guten Mädchen!«

Ich erzählte in dem letzten Kapitel eine Geschichte mit einem irischen Guineafahrer, dessen Ladung mein sehr ehrenwerther Kapitän zu seinem und seines Landes Nutzen verwendete. Ein anderes dieser Fahrzeuge war einem unserer Kreuzer in die Hände gefallen, und der Befehlshaber des königlichen Schiffes »Kolibri« wählte sich dreißig bis vierzig Hibernier aus, um seine Mannschaft vollzählig zu machen; die übrigen wollte er dem Admiral übergeben.

Kurzsichtige Sterbliche, die wir Alle sind, selbst die Kapitäne von Kriegsschiffen nicht ausgenommen! Wie viele Tropfen fallen nieder zwischen dem Kelch und den Lippen! An Bord des Kauffahrers befanden sich zufälligerweise zwei recht hübsche irische Mädchen aus der besseren Bürgersklasse, die ihre Verwandte in Philadelphia besuchen wollten; die Eine nannte sich Judy und die Andere Mary. Nicht sobald war den armen Irländern der Wechsel ihrer Bestimmung angekündigt, so stimmten sie ein Geheul an, welches laut genug war, um die schuppigen Ungeheuer der Tiefe in ihre finsteren Höhlen zurückzuscheuchen. Das Herz der armen zartfühlenden Mädchen wurde zerrissen, und als der tiefe Baß der Männer durch den Sopran und Tenor der Weiber und Kinder unterstützt wurde, hätte sich selbst Orpheus mit Erstaunen umgewendet.

O Miß Judy, o Miß Mary, könntet ihr uns arme Kreaturen auf ein Kriegsschiff wegschleppen sehen, ohne hinzugehen und ein gutes Wort für uns einzulegen? Ein Wort von euren schönen Lippen an den Kapitän – und er müßte uns losgeben.

Obgleich die Macht ihrer Zauberreize bezweifelnd, entschlossen sich die jungen Damen doch, den Versuch zu machen. Sie baten den Lieutenant der Schaluppe, ihnen an Bord zu verhelfen, um mit seinem Kapitän zu sprechen, fügten dann ihrem Anzuge noch einigen Putz bei, und stiegen gleich einem Paar Bergziegen in das Boot, ohne sich an die Bloßstellung ihrer Beine, oder an das Spritzen des Salzwassers zu kehren, welches zwar ihre schönen Locken auflöste, aber ihren Wangen eine Rosenblüthe mittheilte, die vielleicht nicht wenig zum Erfolg ihrer Verwendung beitrug.

Es liegt etwas in dem Anblicke eines Weiberrockes zur See, was nie verfehlt, einen Mann in gute Laune zu versetzen, wenn er überhaupt richtig gebaut ist. Als sie an Bord des Kolibri kamen, wurden sie vom Kapitän empfangen und in die Kajüte geführt, wo er ihnen sogleich Erfrischungen bereiten ließ, und jede Art von Aufmerksamkeit erzeigte, welche ihr Geschlecht und ihre Schönheit fordern konnten. Der Kapitän war eine von den besten Seelen, die je gelebt haben: er hatte ein paar kleine funkelnde Augen, welche Jedermann anlachten.

»Darf ich fragen, meine jungen Damen,« sagte er, »was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?«

»Wir möchten Euer Gnaden um eine Gunst bitten,« antwortete Judy.

»Und Seine Gnaden wird sie auch gewähren,« bemerkte Mary; »denn sein Blick gefällt mir.«

Durch diesen Pfeil Mary's geschmeichelt, sagte der Kapitän, »er kenne kein höheres Vergnügen, als Damen zu verpflichten, und wenn die Gunst, die sie sich erbitten wollen, mit seiner Pflicht nicht durchaus unverträglich sei, so werde er sie ihnen gewähren.«

»Wohlan denn,« versetzte Mary, »wollen mir Euer Gnaden Pat Flannadan zurückgeben, den sie so eben gepreßt haben?«

Der Kapitän schüttelte den Kopf.

»Er ist kein Matrose, Euer Gnaden, sondern ein armer Torftreter und wird Ihnen niemals nützlich werden.«

Der Kapitän schüttelte abermals den Kopf.

»Verlangen Sie irgend sonst etwas,« bemerkte er, »und ich will es Ihnen geben.«

» Gut,« versetzte Mary, » so geben Sie uns Felim O'Shaughnessy.«

Der Kapitän war eben so unbeugsam.

»Bitte, bitte, Euer Gnaden,« sprach Judy, »wir dürfen in unsern Tagen nicht auf Kleinigkeiten bestehen. Ich gebe Ihnen einen Kuß, wenn Sie mir Pat Flannadan geben.«

»Und ich Ihnen auch einen für Felim,« sagte Mary.

Das eine der beiden Mädchen saß auf der rechten, das andere auf der linken Seite des Kapitäns. Sein Kopf drehte sich, wie die Wetterfahne beim Sturm; er wußte nicht, was er machen sollte. Das unaussprechliche Vergnügen tanzte in seinen Augen, und die Damen sahen sogleich, daß sie den Sieg errungen hatten. Die Schönheit hat eine solche Gewalt, daß selbst dieser Beherrscher des Oceans mit Freuden die Flagge vor ihr strich. Judy drückte einen Kuß auf seine rechte, Mary einen andern auf seine linke Wange, und der Kapitän war der Glücklichste unter den Sterblichen.

»Wohlan denn,« sagte er, »Ihr Wunsch ist erfüllt, nehmen Sie Ihre beiden Freunde hin, denn ich muß schleunigst unter Segel gehen.«

»Unter Segel wollen Sie gehen? Und Sie gedenken alle diese hübschen Kreaturen mit sich zu nehmen? Nein, wahrhaftig, nein! Noch einen Kuß und einen Mann.«

Ich will nicht erzählen, wie viele Küsse diese lieblichen Mädchen dem beneidungswürdigen Kapitän noch gegeben haben. Wenn dies die Gebühren eines Kapitäns sind, wer möchte nicht Kapitän werden? Es reicht hin, wenn ich dem Leser sage, daß sie ihre sämmtlichen Landsleute loskauften, und im Triumphe an Bord zurückkehrten. Die Geschichte kam nach Halifax, wo der gutherzige Admiral nur bemerkte, er bedaure, daß er nicht Kapitän sei, und in allen Zirkeln erzählte man sich die Sache mit vieler Heiterkeit. Der Kapitän, ein eben so braver, als guter Mann, wurde bald darauf befördert, wiewohl, nicht in Rücksicht auf dieses Treffen, in welchem ihm Wahrheitsliebe und Freundschaft die Niederlage zuerkennen muß, sondern rein aus Rücksicht auf sein tatsächliches Verdienst. Der Lordkanzler pflegte zu sagen, er habe immer über die Aussetzung von Nadelgeldern gelacht, weil sie den Damen gewöhnlich entrissen oder entküßt würden, aber in seiner ganzen Praxis kam wohl Seiner Lordschaft nie ein Kapitän eines Kriegsschiffes vor, der sich durch zwei hübsche irische Mädchen vierzig Mann entküssen ließ. Wer möchte hier nicht ausrufen: »Erin go bragh!«

Mit der schönsten Brise flogen wir aus dem Hafen, und ich sah mit Freuden das Feld des Glückes vor mir offen, das mir Ruhm und Reichthum verhieß. »Lebt wohl,« sagte ich in meinem Herzen, »lebt wohl, ihr lieblichen Töchter Neuschottlands! Lernet in Zukunft zwischen falschem Flitter und wahrem Werth unterscheiden. Mich prieset ihr als einen schönen Jüngling von süßen Worten, während ihr thöricht genug Männer von zehnmal größerem Werth zurückwieset, weil sie des äußern Schimmers entbehrten.«

Unser Schiff war zunächst nach Bermuda bestimmt, und sobald wir den Hafen verlassen hatten, steuerten wir mit einem günstigen Nordwestwind gegen Süden. Die Brise frischte bald zu einer Südostkühlte auf, die anfangs ziemlich heftig war, aber nach und nach in vollkommene Windstille dahinstarb und eine schwere See zurückließ, in welcher das Schiff unaufhörlich auf- und niederschaukelte. Gegen eilf Uhr bewölkte sich der Horizont, und ehe es Mittag war, hatte er sich mit einer sehr drohenden, furchtbaren Finsterniß umzogen. Die Seemöven, welche ängstlich an uns vorüberflogen, warnten uns durch ihr Gekrächze, uns auf den herannahenden Orkan vorzubereiten, dessen Vorzeichen nicht mehr zu verkennen waren. Wir überhörten die Warnung nicht, zogen die meisten unserer Segel ein und trafen überhaupt solche Anstalten, daß wir uns für versichert hielten, dem Sturme Trotz bieten zu können. Um Mittag brach er mit einer so plötzlichen und schreckenerregenden Gewalt los, daß sich die ältesten und erfahrensten Seeleute unter uns entsetzten; sein Gebrüll war furchtbar, und seine Verheerungen unglaublich. Der Wind kam aus Nordwest – und das Wasser, das er über Bord und über die Mannschaft hintrieb, war warm, wie Milch. Die Schwüle und der beengende Dunst der Luft wichen bald, aber die Heftigkeit des Windes war so groß, daß er das Schiff in dem Augenblicke, als er es erfaßte, auf die Seite legte, wobei die Leekammern unter Wasser gingen. Was beweglich war, taumelte leewärts, die Kugeln flogen aus den Geschützkästen, und unten herrschte die größte Verwirrung und Noth, während es oben auf dem Verdecke noch schlimmer stand. Der Besanmast und der Vor- und Haupttopmast stürzte, aber der Sturm lärmte so sehr, daß wir sie nicht einmal fallen hörten. Ich stand in jenem Augenblicke hart am Besanmast und wußte nicht eher, daß er gebrochen war, als bis ich mich umwandte und den Stumpf desselben wie eine Carotte abgeschnellt sah. Das Brausen des Windes wurde lauter und lauter; es glich einem ununterbrochenen Donnergerolle. Die ungeheuren Wogen hatten sich kaum aufgethürmt, als sie durch seine Wuth zerrissen wurden, und ihren rauschenden Gischt über den Busen der Tiefe dahintrieben; die Sturmstagsegel zerrissen in Atome. Kapitän, Offiziere und Mannschaft standen betäubt und erwarteten mit starrem Entsetzen den Ausgang des schreckensvollen Ereignisses.

Das Schiff lag so schwer auf seiner Steuerbordseite. daß die Stückpforten und die Netze der Hängematten im Mitteldeck eingedrückt wurden, und der ganze Rumpf zu versinken schien, während ungeheure Wassermassen durch die Gewalt des Sturmes in die Luft gewirbelt wurden, und andere die Lucken hinabstürzten, zu deren Bedeckung wir keine Zeit gehabt hatten; ehe es uns gelang, sie zu schließen, war das Unterdeck schon halb voll, und Kisten und Hängematten trieben in grauser Unordnung auf den Wogen umher. Schafe, Kühe, Schweine und Geflügel waren aus dem Schiffsbauche über Bord gespült und ertrunken: keine Stimme wurde gehört, kein Befehl konnte gegeben werden; alle Mannszucht hatte aufgehört; Jeder war gleich seinem Nachbar; Kapitän und Deckfeger klammerten sich in der Angst um ihr Leben an das gleiche Tau.

Der Zimmermann meinte, man solle die Masten kappen, aber der Kapitän wollte es nicht zugeben. Ein Matrose kroch nach dem Hinterdeck und schrie dem Kapitän in's Ohr, einer von den Ankern sei über Bord getrieben, und hänge in seinem Kabel unter den Bugen. Ihn lange in dieser Lage zu lassen, mußte dem Schiff den sichern Untergang bringen, und ich wurde nach vorn geschickt, um ihn wo möglich zu kappen; aber Sturm und See waren in wenigen Minuten zu einer solchen Höhe angewachsen, daß kein Weg zum Vorderschiffe mehr zu finden war; auf der Wetterseite waren beide so stark, daß ihnen kein Mensch Stand halten konnte. Ich ward gegen die Boote geworfen und mit Mühe gelang es mir, zum Hinterdeck zurückzukriechen. Nun wendete ich mich leewärts, schwamm unter dem Schutze der Boote längs der Laufplanke hin, und überbrachte den Befehl, der endlich mit ungeheurer Schwierigkeit ausgeführt wurde.

Auf dem Vorderschiffe sah ich die ältesten und kräftigsten Seeleute an der Wettertakelung festgeklammert, wo sie weinten, wie Kinder. Ich war erstaunt und fühlte mich stolz, über eine solche Schwäche erhaben zu sein. Während die Männer, welche älter und erfahrener waren, als ich, unter ihrer Angst zusammen sanken, erkannte ich unsere Gefahr; ich sah deutlich, daß wir Alle verloren waren, wenn die Fregatte nicht auf's Schleunigste hergerichtet würde, denn trotz unserer Vorkehrungen nahm das Wasser im untern Raume immer mehr überhand. Ich schwamm daher zum Hinterdecke zurück, wo der Kapitän, ein so wackerer Seemann, als nur je einer über die Planken schritt, mit drei unserer besten Matrosen am Steuerrade stand; aber die Stöße, welche das Ruder von der See erhielt, waren so heftig, daß sie alle Kräfte aufbieten mußten, um nicht über Bord geschleudert zu werden. Die Kanonen auf der Leeseite des Hinterdecks waren unter Wasser; man machte den Vorschlag, sie über Bord zu werfen, und weil es sich um Leben und Tod handelte, so erreichten wir unsern Zweck. Aber dessenungeachtet blieb das Schiff in der gleichen Lage; es wollte sich nicht aufrichten und sank auf eine höchst beunruhigende Weise. Die Wuth des Orkans war noch nicht gebrochen, und allgemein schien die innere Stimme zu sagen: »betet – betet – Alles ist verloren!«

Vorder- und Hauptmast standen noch und trugen das Gewicht der Takelung und der Wracke, die an ihnen hingen und wie ein mächtiger Hebel das arbeitende Schiff auf die Seite drückten. Diesen ungeheuern Topwust abzunehmen, war mehr ein Gegenstand des Wunsches, als der Hoffnung. Doch unsere Lage war verzweifelt, und eine verzweifelte Anstrengung mußte gemacht werden, oder wir mußten in einer halben Stunde unser Gebet einem römischkatholischen Priester überlassen. Die Gefahr, einen Mann hinaufzuschicken, war so drohend, daß der Kapitän den Befehl zu diesem Dienste gar nicht geben wollte; aber er versammelte die Schiffsmannschaft auf dem Hinterdeck, deutete auf das überhängende Wrack und überzeugte sie durch Zeichen, Geberden und überlautes Rufen, daß sie untergehen müßten, wenn das Schiff nicht sogleich von dieser Last befreit würde.

In diesem Augenblicke schien jede Woge einen tiefern und unheilbringendem Eindruck auf die Mannschaft zu machen. Mit reißender Geschwindigkeit versank das Schiff in die Höhlen der See, und erhob sich nur mit träger und kraftloser Bewegung, als fühlte es, daß es nicht mehr thun könne; es war im Kampfe erschöpft und im Begriffe, sich, wie eine wackere, aber in den Grund geschossene Festung der überwältigenden Macht ihrer Feinde zu übergeben. Die Matrosen schienen von der Gefahr betäubt, und hätten sie zum Branntwein gelangen können, so würden sie sich ohne Zweifel betrunken und in diesem Zustande ihr unvermeidliches Schicksal erwartet haben. Mit jedem Wellenstoße schien der Hauptmast die gewaltsamste Anstrengung zu machen, sich des Schiffes zu entledigen: die Luvlienen streckten sich zu der Straffheit von Eisenstangen, während die Leetaue in einem Halbkreise leewärts niederhingen, oder mit den Wetterrollen gegen den Mast schlugen und in jedem Augenblicke durch die krampfartigen Stöße plötzlichen Untergang drohten. Wir glaubten, der Mast müsse in diesem Augenblicke fallen und die Schiffswand einschlagen. Trotz des Aufrufs des Kapitäns fand sich Keiner, der tollkühn genug gewesen wäre, sich hinauszuwagen, und das Wrack des Hauptmastes und die Hauptraa loszukappen, die mit dem auf ihr ruhenden Gewichte des Topmastes und der Topsegelraa auf- und niederschwankte. Es entstand eine furchtbare Pause der Erstarrung, während die Wuth des Orkans immer zunahm.

Ich bekenne es, daß ich mich über diese Anerkennung einer Gefahr freute, welcher Keiner in's Angesicht zu blicken wagte. Einige Sekunden wartete ich, ob vielleicht ein Freiwilliger vortreten würde, und schwur einem solchen lebenslänglichen Haß, weil er mich der Befriedigung meiner glühendsten Leidenschaft – des unbändigsten Stolzes beraubt haben würde. In Gemeinschaft mit Andern hatte ich schon viele Gefahren bestanden, und war oft der Erste gewesen, der ihnen entgegen ging; aber zu wagen, was die tapfere, sturmgehärtete Mannschaft einer Fregatte abgelehnt hatte, war eine Höhe der Ueberlegenheit, deren Erreichung ich mir nie hatte träumen lassen. Ich ergriff einen scharfen Tomahawk und gab dem Kapitän ein Zeichen, daß ich die Loskappung des Wracks versuchen wolle, möge mir nun folgen, wer den Muth dazu habe. Alsbald erstieg ich die Wettertakelung; fünf oder sechs sturmgehärtete Seeleute folgten mir; Matrosen bleiben selten zurück, wo sie sehen, daß ein Offizier vorangeht.

Die Stöße der Takelung hatten uns beinahe über Bord geschleudert, oder an dem Wrack zerschmettert. Wir waren gezwungen, die Lien mit Armen und Beinen zu umklammern; mit ängstlicher Neugierde und athemloser Bangigkeit für unser Leben starrten Kapitän, Offiziere und Mannschaft unserem Hinaufklimmen nach, und begrüßten jeden Streich der Tomahawke mit lautem Zuruf. Die Gefahr schien vorüber, als wir die Schwigtingen erreichten, wo wir festen Fuß fassen konnten. Wir theilten unsere Arbeit; Einige nahmen die Taljereepen der Topmasttakelung, ich die Schlingen der Hauptraa. Die gewaltigen Hiebe, die wir austheilten, wurden durch ein entsprechendes Krachen beantwortet, und endlich fiel das furchtbare Wrack über die Steuerbordseite. Das Schiff fühlte eine augenblickliche Erleichterung; es richtete sich auf, und unter dem Jubelgeschrei, dem Glückwünschen, und ich darf hinzusetzen, den dankbaren Thränen der meisten unserer Schiffgenossen stiegen wir hinab. Jetzt wurde die Arbeit leichter, und der Sturm mit jedem Augenblicke schwächer. Wir schafften das Wrack allmählig weg und vergaßen unsere Noth.

Dies war der stolzeste Augenblick meines Lebens, und keinen irdischen Besitz würde ich gegen das Gefühl eingetauscht haben, das meine Brust durchdrang, als ich meinen Fuß wieder auf das Hinterdeck setzte. Das schmeichelnde Lächeln des Kapitäns – der herzliche Druck seiner Hand – das Lob der Offiziere – die gierigen Augen der Mannschaft, welche mich mit Erstaunen betrachtete und mir mit Eifer, gehorchte, war an sich betrachtet schon Etwas für mich, aber nichts glich dem Gefühle des befriedigten Ehrgeizes – einer Leidenschaft, die so innig mit meinem Dasein verwoben war, daß sie nicht ausgerottet werden konnte, ohne den ganzen Bau meines Wesens zu zertrümmern. Ich fühlte gerechtfertigten Stolz.

Orkane sind selten von langer Dauer; diesem folgte eine Kühlte, die, wenn auch stark genug, im Vergleich mit dem, was wir erlebt hatten, schön Wetter genannt werden konnte. Wir fielen gleichsam über die Arbeit her, takelten unsern Nothmast und zeigten uns in wenigen Tagen dem begrüßenden Anstarren der Einwohner von Halifax, welche die ganze Gewalt des Orkans erfahren und eine außerordentliche Angst für unsere Sicherheit ausgestanden hatten. Meine Arme und Beine litten noch einige Zeit an den Folgen der Quetschungen, die ich bei Ersteigung des Takelwerks erhalten hatte, und ich blieb mehrere Tage lang an Bord. Als ich wieder hergestellt war, ging ich an's Land, und wurde von meinen zahlreichen Freunden gütig und liebevoll aufgenommen.

Ich war noch nicht lange in Halifax, als sich das Benehmen des Kapitäns gegen mich plötzlich änderte. Die Ursache konnte ich nicht bestimmt entdecken, wiewohl ich einigen Muthmaßungen Raum gab. Mit Bedauern muß ich gestehen, daß ich, trotz seiner mir bei jeder Gelegenheit erwiesenen Güte und trotz meiner hohen Achtung gegen ihn als Offizier und Gentleman, ein Gelächter über ihn erhoben hatte. Aber er war ein zu gutherziger Mann, um sich über eine solche harmlose Aeußerung des jugendlichen Leichtsinns beleidigt zu fühlen, und in Fällen, wie ich einen zu erzählen im Begriff bin, dauerte der Zorn dieses liebenswürdigen Mannes gewöhnlich nicht länger, als fünf Minuten.

Die Sache verhielt sich folgendermaßen. Mein edler Kapitän trug ein paar merkwürdig weite blaue Hosen. Ob er dies wegen seiner Eigenschaft als Seemann that, oder ob ihn sein Schneider aus Furcht vor Entzündungen nicht in zu enge Kleider einzwängen wollte, weiß ich nicht; kurz, so breit das Hintertheil Se. Lordschaft war, so waren doch die Falten dieses wesentlichen Theiles seiner Draperie verhältnißmäßig noch weit breiter und voller, und würden die doppelte Masse Menschenfleisch in sich aufgenommen haben, so umfangreich auch diejenige war, die sie bereits enthielt.

Daß »ein Stich zur Zeit neun erspart«, ist ein weiser Spruch; unglücklicher Weise wird er jedoch gleich vielen andern derselben treffenden Gattung in unsern Tagen wenig beachtet. Dies war bei Lord Edward der Fall.

Durch irgend ein Mißgeschick hatte die Mittelnaht einen Riß bekommen, der am Morgen des Orkans noch nicht ausgebessert war. Der aufspringende Wind suchte mit jedem Gegenstände, an den er kommen konnte, Streit anzufangen; auch die harmlosen Beinkleider Lord Edwards wurden der Gegenstand seiner gewaltigen und unwiderstehlichen Verheerung; der tobende Boreas drang durch die besagte Naht ein und schwellte die Beinkleider, wie die Backen eines Trompeters. Yorkshire-Wolle vermochte dem aufblähenden Drucke nicht Stand zu halten. – Das Kleidungsstück zerriß in Bänder und geißelte denselben Theil, den es zu verbergen bestimmt war. Was konnte er thun, »in süße Verwirrung verloren und in verfängliche Netze verstrickt?« – Der einzige Schutz gegen den rohen Wind war sein Hemde (denn das Wetter war so warm, daß man die obere Gewandung von sich gelegt hatte), und da auch dieses alt war, so flatterte es bald in Streifen vor dem Winde her. Kurz, werft dem Gladiator in Hydepark eine Matrosenjacke über, so habt ihr das vollendete Bild Lord Edwards im Orkan.

Die Sache war unangenehm genug, aber da das Schiff in Noth war, und wir Alle in einer halben Stunde unterzusinken glaubten, war es nicht der Mühe werth, das Verdeck zu verlassen, um ein Kleidungsstück zu ersetzen, das ihm in der Tiefe des Meeres doch von keinem Nutzen gewesen wäre, besonders da es nicht wahrscheinlich war, daß wir dort mit Damen zusammenkommen würden; und selbst wenn dieses der Fall gewesen wäre, so war es keine Sache von Belang, ob wir mit oder ohne Hosen in Davy's Schrein kamen. Als aber die Gefahr vorüber war, kam der Spaß zur Sprache, und ich ergötzte eine große Gesellschaft mit der Erzählung desselben, als eben Seine Lordschaft eintrat. Das Gekicher der Damen nahm zu und erhöhte sich durch regelrechte Steigerung zu einem lauten und unaufhaltsamen Gelächter. Bald entdeckte der Kapitän, daß er der Gegenstand und ich die Ursache desselben war, und ein paar Minuten lang schien er ergrimmt zu sein; aber es ging bald vorüber, und ich kann nicht glauben, daß dies der Grund seiner veränderten Gesinnungen war: denn ob es gleich bei einem Midshipman für Hochverrath galt, dem Hunde des Kapitäns ein saures Gesicht zu machen, oder gar noch unter irgend welchen Umständen über den Kapitän zu lachen, so wußte ich doch von dem einigen, daß er ein zu gutes Gemüth hatte, um sich durch eine solche Kleinigkeit beleidigt zu fühlen. Ich vermuthe vielmehr, daß der erste Lieutenant und die Offiziere der Constabelkammer meine Entfernung aus dem Schiffe wünschten, und sie hatten Recht, denn wo ein untergeordneter Offizier bei der Mannschaft beliebt ist, muß die Disciplin leiden. Lord Edward gab mir durch einen freundlichen Wink zu verstehen, daß ein anderer Kapitän auf einer größeren Fregatte sich glücklich schätzen würde, mich an Bord zu bekommen; ich verstand ihn; wir trennten uns als gute Freunde, und ich werde stets mit Achtung und Dankbarkeit an ihn denken.

Mein neuer Kapitän gehörte zu einer ganz neuen Gattung von Menschen; er war sein gebildet in seinem Benehmen, ein Gelehrter und ein Gentleman. Liebreich und freundlich gegen seine Offiziere stellte er seine Bibliothek Jedem zur Verfügung; die Vorkajüte, worin er seine Bücher gewöhnlich hatte, stand Allen offen: sie war die Schulstube der jüngern und das Studierzimmer der ältern Midshipmen. Der Kapitän war ein vortrefflicher Zeichner, und ich zog keinen geringen Vortheil aus seinen Belehrungen. Er liebte die Gesellschaft der Damen und ich gleichfalls; aber da er verheirathet war, hielt er sich an gewähltere Zirkel, und war rücksichtsvoller in seinem Benehmen, als ich von mir rühmen konnte.

Wir hatten den Befehl, nach Quebeck zu segeln, weshalb wir durch die schöne Enge von Canso den großen majestätischen St. Lorenzo hinauf- und an der Insel Antikosta vorbeifuhren. Während unserer Fahrt ereignete sich nichts Besonderes; nur bedurfte ein schottischer Wundarztgehilfe, der sich gewisse aristokratische Begriffe angeeignet hatte, eine demokratische Belehrung, die denn auch gebührendermaßen seinem Kopfe zu Theil wurde. Er behauptete, er sei durch Geburt und Erziehung (in Edinburg) dazu berechtigt, an unserer Tafel obenan zu sitzen. Ich widersetzte mich und belehrte den ehrgeizigen Sohn Aesculap's bald, das die Kriegskunst ebenso wichtig sei, als die Heilkunst, und daß ich ihm, wenn er in dieser letzteren erfahren sei, Gelegenheit geben wolle, sie an seiner eigenen Person in Anwendung zu bringen. Nach dieser Einleitung brachte ich an seinem Sinciput, Occiput, Os frontis, Os nasi und allen übrigen verwundbaren Theilen seines Körpers gewisse Concussionen an, die darauf berechnet waren, sein Sensorium zu betäuben, zu umnachten und unter jedem Auge ein ordentliches Extravasat schwarzen Blutes anzubringen, während zu gleicher Zeit ein beträchtlicher Strom carmoisinrothen Fluidums aus jedem Nasenlochs hervorstürzte. Es war nie meine Gewohnheit, den Uebermüthigen zu spielen, oder auf Kosten der Billigkeit einen Vortheil zu benützen. Nachdem ich von seiner Seite einen Waffenstillstand bemerkte, legte ich ihm die übliche Frage vor, »ob der kämpfende Theil befriedigt sei?« und auf die bejahende Antwort verwies ich meine Handwurzelknochen so lange zur Ruhe, bis sie vielleicht durch eine erforderliche Zurechtweisung oder Besserung wieder in Thätigkeit gebracht werden möchten.

Wir ankerten auf der Höhe des Kaps Diamond, das den St. Lorenzostrom von dem Flüßchen St. Carlos scheidet. Die Fortsetzung dieses Kaps nach dem Lande bildet die Höhen von Abraham, auf welchen der unsterbliche Wolfe im Jahre 1759 Moncalm schlug, wobei beide Generale ihre ruhmbedeckte Laufbahn auf dem Schlachtfelde beschlossen. Die Stadt liegt auf der äußersten Höhe des Kaps und gewährt einen sehr romantischen Anblick. Die Häuser und Kirchen sind gewöhnlich mit Zinn bedeckt, um den Brandfällen vorzubeugen, welchen diese Stadt auffallend ausgesetzt war, so lange man die Häuser mit Rohr oder Schindeln deckte. Wenn die Sonnenstrahlen auf die Gebäude fielen, gewannen sie den Anschein, als wären sie in Silber gefaßt.

Unter Anderem hatte unsere Fahrt nach Quebek den besonderen Zweck, Matrosen zu holen, an denen das Geschwader großen Mangel litt. Unsere Mannschaft und Marine wurde plötzlich in aller Stille in Preßtruppen umgewandelt, und eine ihrer Abtheilungen unter mein Kommando gestellt. Die Offiziere und Seesoldaten gingen verkleidet an's Land, nachdem sie zuvor geheime Erkennungszeichen und Sammelplätze verabredet hatten. Matrosen, auf die wir uns verlassen konnten, wurden als Lockvögel gebraucht. Sie gaben sich für Angehörige von Handelsschiffen aus, die unter der Leitung ihres Offiziers stünden, und verleiteten die jungen Leute dazu, sich für zehn Gallonen Rum und dreihundert Dollars zu der Fahrt nach England zu verpflichten. Auf diese Weise wurden Viele gefangen und nicht eher enttäuscht, als bis sie an der Seite der Fregatte ankamen, wo sie Flüche und Verwünschungen ausstießen, die man sich leichter denken, als beschreiben und wiederholen kann.

Es dürfte hier der Ort sein, zum ferneren Verständniß zu bemerken, daß die Holzhandelschiffe im Monat Juni ankommen, sobald der Strom wieder offen ist, und wenn sie nicht vor oder am Ende Oktobers absegeln, gewöhnlich festfrieren, den Winter auf dem St. Lorenzo zubringen, ihre Reise verlieren und sieben bis acht Monate müssig liegen. Mit diesem Umstande bekannt, reißen die Matrosen gleich bei ihrer Ankunft aus und werden von Winkelwirthen verheimlicht und gefüttert, welche dann gegen Ende des Jahres einen Handel mit ihnen treiben und sie an die Kapitäne verkaufen, wodurch sie den Matrosen eine ungeheure Summe zur Heimfahrt und sich ein hübsches Trinkgeld für ihre Bemühung sowohl vom Kapitän, als auch vom Matrosen verschaffen.

Wir erhielten die Weisung, die Matrosen nicht aus den Handelsschiffen zu holen, sondern in solchen Winkelkneipen zu suchen; und dies war für uns eine Quelle mancher Belustigung und manches eigentümlichen Abenteuers; denn die sinnreiche Art, womit diese Leute verborgen wurden, kam nur der List und Verschlagenheit gleich, womit wir die Entdeckung ihrer Schlupfwinkel betrieben. Keller und Dachböden waren außer Gebrauch und veraltet; wir fanden mehr Wild in Heuschobern, auf Kirchtürmen und in Verschlägen unter Feuerstätten, worauf das Feuer brannte. Einige fanden wir in Zuckertonnen begraben, Andere unter zugeschnittenem Reisholz versteckt. Bisweilen trafen wir auch Matrosen, die wie Gentlemen gekleidet waren und sich mit weit vornehmeren Leuten, welche bei ihrer Verheimlichung betheiligt waren, beim Wein sehr vertraulich unterhielten. Die Berichte unserer Kundschafter leiteten uns zur Entdeckung eines solchen sehr entschuldigbaren Betrugs.

Ich ging ungefähr fünfzehn Meilen weit in's Innere des Landes, wo ich von einem größeren Schlupfwinkel gehört hatte, den ein solcher Wirth angelegt haben sollte. Nach langem vergeblichem Suchen entdeckte ich auf dem Dachboden eines Nebengebäudes, der nur zur Räucherung und Einsalzung des Speckes bestimmt war, einige treffliche Matrosen. Das Feuer brannte und der Rauch stieg empor; es war unbegreiflich, wie hier ein menschliches Wesen weilen konnte. Wir würden sie auch nicht entdeckt haben, wenn nicht einer von ihnen gehustet hätte, worauf dieser die Verwünschungen aller Uebrigen auf sich lud, und die ganze Sippschaft alsbald in unsere Hände fiel. Sogleich ließ ich ihnen die hintern Hosenbunde abschneiden, um ihrem Entweichen vorzubeugen (dies sollte man nie unterlassen), worauf wir mit ihnen den Wagen des Pächters bestiegen und nach Quebek fuhren, wobei die Neugepreßten bald in die derben Scherze einstimmten, welche von unsern Leuten über die Art ihrer Entdeckung gemacht wurden. Ich erstaunte über die Leichtigkeit, mit der sich diese hübschen Bursche mit dem Gedanken an ein Kriegsschiff aussöhnten; vielleicht trug der bevorstehende Kampf mit den Yankees sehr viel zur Erhaltung ihrer guten Laune bei. Ich war damals für die Menschenjagd begeistert, wiewohl mich später nüchternes Nachdenken überzeugte, daß sie nicht nur grausam und ungerecht, sondern auch unzweckmäßig ist, welche sie mehr als irgend eine andere Maßregel, welche die Regierung ergreifen könnte, dazu geeignet ist, Matrosen aus dem Lande zu treiben; doch ich will keine Abhandlung über die Matrosenpresse schreiben. Die Freiheit des Menschen kümmerte mich damals so wenig, als ein Heller, wenn ich nur mein Schiff zum bevorstehenden Kampfe gut bemannte; und da meine Liebe zu Abenteuern dadurch befriedigt wurde, dachte ich so wenig an die Folgen, als wenn ich in England über den Rübenacker eines Pächters ritt oder in Verfolgung eines Fuchses durch seine Hecken brach.

Ein Kaufmann in Quebek hatte mich beschimpft, indem er mir die Diskontirung eines Wechsels verweigerte, der auf meinen Vater lautete. Ich besaß kein anderes Mittel, um ihn für die Waaren zu bezahlen, die ich von ihm gekauft hatte, und war durch seine Weigerung in nicht geringe Verlegenheit versetzt. Zudem begleitete er sie mit einer persönlichen Beleidigung und einer Beschimpfung meiner Uniform, welche ich nicht vergessen konnte; er drehte nämlich das Papier hin und her und sagte: »Eines Midshipman's Wechsel ist keinen Heller werth, und ich bin ein zu alter Vogel, um mich durch solche Spreu fangen zu lassen.«

Im Bewußtsein, daß der Wechsel gut war, schwur ich ihm Rache. Meine Vollmacht zur Aufsuchung von Matrosen gab mir das Recht, überall hinzugehen, wo ich Kunde erhielt, daß welche versteckt wären – diese konnte ich von einem Bruder Mid leicht erhalten, und den armen Mann hatte keine heilige Bruderschaft zu schützen vermocht. Mein Freund sprach seine feste Ueberzeugung aus, in dem Hause des Kaufmanns seien Matrosen versteckt. Ich meldete es dem Kapitän, und erhielt eine besondere Vollmacht, alle Mittel aufzubieten, um meine Pflicht zu erfüllen. Der Kaufmann galt in Quebek als Mann von Bedeutung, und war, was sie dort einen Großhändler nennen, wiewohl man ihn in England einen Kleinhändler genannt haben würde. Um ein Uhr des Morgens hämmerten wir etwas unsanft an seine Hausthüre, und begehrten Einlaß im Namen unseres souveränen Herrn, des Königs. Als uns dieser verweigert wurde, schlugen wir sofort die Thüre ein und kehrten das Haus um, wie ein Krähennest. Sans cérémonie drangen wir in Keller, Böden, Magdkammern, Damengemächer (ohne irgend eine Rücksicht auf das mediceische Kostüm der schönen Bewohnerinnen zu nehmen), zerbrachen einige der unentbehrlichsten Gerätschaften in den Schlafzimmern, warfen in der Küche Töpfe und Pfannen durch einander, und als wir die beiden Söhne des Hausherrn fanden, befahlen wir ihnen, sich anzukleiden und mit uns zu kommen, denn wir wüßten gewiß, daß sie Matrosen wären.

Als der alte Kaufmann mich erblickte, begann er den Braten zu riechen, und drohte mir mit strenger Bestrafung. Ich wies ihm meine Vollmacht und fragte ihn, ob das ein guter Wechsel sei. Nachdem ich jeglichen Theil des Hauses untersucht hatte, entfernte ich mich und ließ die beiden Jungen halbtodt vor Schrecken zurück. Am folgenden Tage war bereits eine Klage auf dem Gouvernement eingereicht; aber Untersuchung ist ein langes Wort, wenn ein Kriegsschiff auf den Dienst beordert ist. Es kamen Depeschen von Albanien nach Quebek, welche die Nachricht mitbrachten, der Präsident der Vereinigten Staaten habe England den Krieg erklärt; in Folge dessen nahm der Kapitän Abschied vom Gouverneur und eilte so schnell wie möglich den Strom hinunter; und so hörte ich nie mehr etwas von meinem Kaufmann.

Wir langten vollständig bemannt in Halifax an und erhielten Befehl sogleich in See zu gehen und »zu sengen und zu brennen.« Wir segelten nach Boston-Bay, und an dem gleichen Morgen, sobald wir das Land erblickten, sahen wir zehn bis zwölf Kauffahrteischiffe. Das erste, das wir anriefen, war eine Brigg; wir ließen eines unserer Boote nieder; ich sprang hinein und erstieg das Verdeck des Yankee, während die Fregatte Jagd auf die andern machte. Der Schiffsherr saß auf einem Hühnerstall, und ließ sich nicht so weit herab, bei meinem Erscheinen aufzustehen, oder mich auch nur des geringsten Grußes zu würdigen; es war ein stämmiger, pausbackiger Geselle.

»Sie sind vermuthlich ein Engländer?«

»Vermuthlich, ja,« erwiederte ich, seinen näselnden Ton nachahmend.

»Ich dachte mir's, daß wir nicht lange in unseren Gewässern sein würden, bevor wir einer von euch altländischen Schlangen begegneten. Sie nehmen mir's hoffentlich nicht übel, was ich sagte?« setzte der Schiffsherr hinzu.

»O nein,« erwiederte ich, »nicht im Mindesten; es wird in Bälde ziemlich gleichgültig sein, was Sie sagen; doch woher kommen Sie und wohin gehen Sie?«

»Ich komme von Smyrna, und gehe nach Boston, wo ich mit dem Segen Gottes und einem guten Gewissen morgen früh anzukommen hoffe.

Aus dieser Antwort ersah ich, daß er noch nicht mit der Kriegserklärung bekannt war, und deßhalb beschloß ich, noch eine Zeit lang meinen Scherz mit ihm zu treiben, ehe ich ihm die traurige Mittheilung machte.

»Und aus was besteht denn Ihre Ladung, wenn ich fragen darf? Sie scheinen leicht zu haben.«

»Nicht so leicht vermuthlich,« versetzte der Mann, »wir haben Oel, Rosinen und was wir Begriffe nennen.«

»Ich habe keinen Begriff von solchen Dingen,« versetzte ich, »erklären Sie sich doch deutlicher.«

»Nun, sehen Sie, Begriffe, das sind so eine Art Allerlei. Sie wissen, der Eine liebt dies, der Andere das: der Eine liebt süße Mandel, der Andere Seide, der Dritte Opium und der Vierte,« setzte er mit schlauem Grinsen hinzu, »Dollars.«

»Und das sind die Begriffe, die Sie an Bord haben?« fragte ich.

»Vermutlich ja,« versetzte Jonathan.

»Und was hatten Sie von Hause mitgenommen?« fragte ich.

»Pöckelfleisch, Mehl und Tabak,« war seine Antwort.

»Und ist dies Alles, was Sie dafür zurückbringen?« fragte ich. »Ich glaubte, der Smyrnaer Handel wäre sehr gut.«

»Das ist er auch,« sprach der friedliche Yankee. »Dreißigtausend Dollars in der Kajüte, außer dem Oel und den übrigen Waaren, ist kein bös Ding.«

»Es freut mich, von den Dollars zu vernehmen,« sagte ich.

»Was haben Sie damit zu schaffen?« meinte der Schiffsherr, »Ihnen werden wohl nicht viele davon zufallen.«

»Mehr als Sie vielleicht denken,« antwortete ich. »Haben Sie vielleicht die Neuigkeit unterwegs schon vernommen?«

Bei dem Worte »Neuigkeit« bekam das Gesicht des armen Mannes eine ganz ikterische Färbung. »Welche Neuigkeit?« fragte er, dergestalt zitternd, daß er kaum einen Laut hervorbringen konnte.

»Nun, nichts weiter, als daß Ihr Präsident, Herr Madison, beliebt hat, England den Krieg zu erklären.«

»Sie scherzen,« sprach der Schiffsherr.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich im Ernst rede,« sprach ich, »und Ihr Schiff ist eine Prise der – – eines Schiffes Seiner britischen Majestät.«

Der arme Mann holte einen Seufzer unter dem Gürtel seiner Beinkleider. »Ich bin ein verlorener Mann,« sagte er. »Hätte ich nur früher etwas von dem Kriege gewußt, von dem Sie sprechen; ich habe zwei hübsche Kanönchen im Vorderschiff, Sie hätten mich nicht so leichten Kaufes bekommen.«

Ich lächelte bei dem Gedanken an Widerstand gegen eine schnell segelnde Fregatte von fünfzig Kanonen, ließ ihn aber im Vollgenusse seines Dünkels und veränderte den Gegenstand des Gesprächs, indem ich ihn fragte, ob er uns nicht etwas zu trinken geben könnte, denn es war heiß.

»Nein, das habe ich nicht,« erwiederte er verdrießlich, »und wenn ich es hätte« –

»Lassen Sie das, mein Lieber,« unterbrach ich ihn, »Sie vergessen, daß Sie eine Prise sind; Höflichkeit ist ein wohlfeiler Artikel und durfte Ihnen eine schnelle Vergeltung bringen.«

»Das ist wahr,« erwiederte Jonathan, der an der empfindlichsten Seite, an seinem Selbst angegriffen war; »das ist wahr, Sie erfüllen blos Ihre Pflicht. He, Junge, hole einmal Madeira; und ich kann mir denken, der junge Offizier sind vielleicht auch ein Freund vom Langkork. Bring' uns einige Gläser, und eine von den Claretflaschen aus dem Hinterverschlag am Steuerbord.«

Der Junge gehorchte – und schnell erschien das Bestellte. Während dieses Zwiegespräch gehalten wurde, machte die Fregatte Jagd, feuerte aus dem groben Geschütze und brachte im Vorbeisegeln die verschiedenen Schiffe zum Beilegen, indem sie an Bord des einen ein Boot schickte, und ein anderes verfolgte. Wir setzten alle Segel bei, welche die Brigg führen konnte, und eilten der Fregatte nach.

»Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?« sprach der Schiffsherr. »Sie haben vermuthlich noch nicht gespeist, da es noch nicht ganz zwölf Uhr ist.«

Ich dankte und nahm sein Anerbieten an. Augenblicklich eilte er in die Kajüte hinunter, als wollte er sie zu meinem Empfange vorbereiten, aber ich vermuthete vielmehr, er wünsche irgend welche Artikel meinem Auge zu entziehen, und es ergab sich, daß dies auch wirklich der Fall war, denn er stahl einen Beutel Dollars aus der Ladung. Kurze Zeit darauf wurde ich ersucht, hinabzukommen. Eingesalzene Schweinskeulen und gebratenes Geflügel sind einem Midshipman zu jeder Zeit willkommen, besonders aber waren sie's mir damals; und als sie von ein paar Gläser Madeira begleitet wurden, stieg der Barometer meiner guten Laune in demselben Maße, in welchem der Barometer der seinigen fiel.

»Kommen Sie, Kapitän,« sprach ich, mein Glas mit Claret füllend, »auf einen langen und blutigen Krieg.«

»Verdammt sei der Hund, der dazu nicht Amen sagt,« erwiederte der Schiffsherr, aber wohin gedenken Sie mich zu führen? Vermutlich nach Halifax? Bekomme ich nicht meine Kleider und meine Privatbedürfnisse?«

»Ihr ganzes Privateigentum,« erwiederte ich, »soll unangetastet bleiben, aber Schiff und Ladung sind unser.«

»Gut, gut,« erwiederte der Mann, »ich weiß das, aber wenn Sie mich gut behandeln, so will ich nicht undankbar sein. Lassen Sie mir meine Sachen, so sage ich Ihnen was Neues, das Ihnen von Nutzen sein wird.«

Nachdem ich ihm sein Privateigentum zugesichert hatte, sagte er, »wir hätten keinen Augenblick zu verlieren, denn ein Schiff, das eben am Horizonte herauftauche, komme reich beladen von Smyrna; es gehöre einem seiner Mitbürger, und habe ebenfalls die Bestimmung nach Boston. Mit Verachtung wandte ich mich von ihm und gab in demselben Augenblicke das Signal, daß ich die Fregatte zu sprechen wünsche. Ich ging an Bord und theilte dem Kapitän mit, was ich vom Herrn der Prise vernommen, und was ich ihm zugesagt hatte. Er billigte es. Sogleich wurde die geeignete Anzahl Matrosen auf die Brigg geschickt und die Gefangenen in Empfang genommen; dann machte die Fregatte auf das bezeichnete Schiff Jagd, welches denn auch an demselben Abend um neun Uhr genommen wurde.

Ungern möchte ich glauben, daß eine solche Treulosigkeit unter den Amerikanern gewöhnlich sei. Beim Abschiede von dem Herrn meiner Brigg fiel noch ein schneidendes Gespräch zwischen uns vor.

»Vermutlich werde ich einen Kaper ausrüsten und etliche von Ihren Kauffahrteischiffen nehmen.«

»Nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht fest genommen werden,« sagte ich, »und Ihre Zeit an Bord eines unserer Gefangenen-Schiffe zubringen müssen; aber was immer auch vorfallen mag, bedenken Sie, daß es euer eigener Fehler ist. Ihr habt dem Boney zu Gefallen den Streit mit uns vom Zaune gebrochen, und wenn ihr euer Bestes für ihn gethan habt, so spuckt er euch doch nur in's Gesicht. Ihr weiser Präsident hat dem Mutterlande den Krieg erklärt.«

»Verdammt sei das Mutterland,« murmelte der Yankee; »Stiefmutterland wollen Sie vermuthlich sagen, – daß es die Pest kriege!«

Wir begleiteten unsere Fregatte fortwährend, und als es Nacht war, hatten wir acht Prisen gesichert. Da eine von ihnen eine Ballastbrigg war, so wurden die Gefangenen, darunter auch mein Yankeefreund, an Bord derselben gebracht und der offenen See überlassen, um ihren Weg selbst nach Hause zu finden. Wir trugen Sorge, daß ihnen sämmtlich ihr Privateigenthum und ihre Kleider blieben. Ich hoffte die Erlaubniß zu bekommen, mit meiner Prise nach Halifax zu gehen, aber der Kapitän wußte, wie ich wahrscheinlich meine Zeit dort zubringen würde, und behielt mich bei sich. Zwei Monate lang kreuzten wir und nahmen manchen Kaper, große und kleine; einige wurden verbrannt, andere versenkt.

Eines Tages hatten wir eines dieser Fahrzeuge, nachdem wir Alles herübergenommen, was des Auslandens werth war, unvorsichtiger Weise in Brand gesteckt, ehe wir uns von ihm klar gemacht hatten, und weil wir beim Winde fuhren, dauerte es einige Minuten, bis wir uns von ihm lösen konnten. Mittlerweile begann das Feuer auf eine sehr beunruhigende Weise unter den Besanputtingen emporzulodern, und durch die Anziehungskraft zweier schwimmender Körper gehalten, schien das Schiff entschlossen, uns zu begleiten; doch als wir das Steuer drehten und das Fahrzeug in entgegengesetzter Richtung abstießen, waren wir so glücklich, vor den Wind zu kommen, und entfernten uns zu unserer großen Freude von dem feindlichen Schiffe, welches bald einer schwimmenden Feuermasse glich. Wir hatten es deßwegen an unserer Seite in Brand gesteckt, weil wir Zeit ersparen wollten, da wir auf ein anderes Schiff Jagd zu machen hatten, welches von der Mastspitze aus gesehen worden war; ein Boot niederzulassen, um das Fahrzeug zu verbrennen, hätte uns zu lange aufgehalten.

Gegen das Ende unseres Kreuzens jagten wir einen Schooner, der auf die Küste lief und strandete; wir stiegen an Bord und schafften seine Mannschaft und einen Theil seiner sehr werthvollen Ladung herüber. Er kam von Bordeaux und war nach Philadelphia bestimmt. Ich ward abgeschickt, um ihn zu untersuchen und noch mehr von seiner Ladung hinüberzunehmen. Die Fluth stieg in dem Fahrzeug, und wir waren genöthigt, seine Verdecke aufzubrechen, wobei wir fanden, daß er mit Seidenballen, Tüchern, Taschenuhren, Wanduhren, Spitzen, seidenen Strümpfen, Wein, Branntwein, Stahlstangen, Olivenöl u.s.w. beladen war. Ich ließ dem Kapitän die Meldung machen; er schickte den Zimmermann mit der erforderlichen Anzahl Matrosen, die ihm helfen mußten, und wir retteten eine große Masse Waaren vor der Tiefe oder den Yankeebooten, welche bald an Bord gekommen wären, nachdem wir das Schiff verlassen haben würden. Im Raume gewahrten wir einige Kisten, aber sie waren wenigstens vier Fuß unter dem Wasser. Es war entsetzlich kalt; doch ich vermuthete, sie möchten etwas enthalten, was des Untertauchens werth wäre. Ich ließ mich hinab und wußte mich so lange unter dem Wasser zu halten, bis ich eine Kiste an ihrem Ende angehakt hatte; es gelang uns, sie herauszubrechen und emporzuziehen. Sie enthielt vortrefflichen Claret, und wir ließen uns durch keine Gewissenszweifel abhalten, ihn zu kosten, denn wäre ich nicht getaucht, so wäre er nie in den Mund eines Engländers gekommen. Wir stachen unserer drei Dutzend eben so viele Flaschen aus, welche die Kiste enthielt, und zwar in mäßig kurzer Zeit, denn es war Oktober, und wir verspürten keine Übeln Wirkungen von der öfteren Wiederholung dieser Dosis.

Ich hatte noch nie stärker gefroren, und wenn man unter Wasser geht, so bedarf man bedeutende Reizmittel. Durch Uebung hatte ich es im Untertauchen so weit gebracht, daß ich auf klarem, sandigen Boden Nähnadeln auflesen konnte; und trotz der Dichtigkeit des Mediums vermochte ich es unter dem Wasser auszuhalten, wie ein Biber, aber ich forderte reichlichen Ersatz für meine Mühe. Als wir an Bord zurückkehrten, waren wir ganz durchnäßt und erfroren, und der Wein äußerte keine Wirkung auf uns; sowie wir aber aufthaueten, glichen wir dem Hörnchen des großen Münchhausen; das Geheimniß entschlüpfte uns, denn wir waren sämmtlich betrunken. Am andern Tage fragte der Kapitän nach der Ursache, und ich erzählte ihm aufrichtig die ganze Geschichte. Er war vernünftig genug, darüber zu lachen; andere Kapitäne hätten vielleicht die Matrosen gepeitscht und die Offiziere beschimpft.

Bei unserer Rückkehr in den Hafen bat ich um die Erlaubniß, nach England zu gehen, um die Lieutenantsprüfung zu machen, da meine Dienstzeit als Midshipman beinahe abgelaufen war. Man schlug mir vor, zu bleiben und meine Beförderung auf dem Flaggenschiffe zu erwarten; aber ich hatte mehr Gründe, als ich anzugeben geneigt war, um eine Prüfung in einem englischen Seehafen vorzuziehen. Ich erhielt meine Entlassung und kehrte nach Hause zurück.

Der Leser wird mir gewiß Glauben schenken, wenn ich ihm versichere, daß ich einige Dutzend Briefe an Eugenie geschrieben hatte; Jugend, Schönheit und vorübergehender Besitz hatten meine Neigung ungeschwächt erhalten. Von Emilien hatte ich gehört und liebte sie mit reinerer Flamme. Sie war meine Sonne, Eugenie mein Mond, und die schönen Liebchen der westlichen Halbkugel ebenso viele schimmernde Sterne erster, zweiter und dritter Größe; ich liebte sie alle mehr oder weniger, aber alle ihre Reize verschwanden, wenn die schöne Emilie mit ihrem strahlenden Glanze in meiner Brust lachte.

Ich hatte Briefe von meinem Vater erhalten, welcher meine Rückkehr wünschte, um mich einigen Großen der Nation vorzustellen, und mir eine Beförderung zu den höchsten Würden in der Flotte zu sichern. Dieser Rath war gut, und weil er mit meinen Ansichten übereinstimmte, befolgte ich ihn. Ich schied von meinem Kapitän unter den besten Verhältnissen, nahm auf dieselbe freundliche Weise von allen meinen Tischgenossen und den Offizieren Abschied, machte endlich bei den Damen die Runde, und küßte, und schluchzte und weinte, und schwur Liebe und ewige Neigung. Nichts, erklärte ich, sollte mich von Halifax zurückhalten, sobald ich promovirt haben würde; die eine wollte ich heirathen, wenn ich Lieutenant wäre; mit der zweiten wollte ich den Eheknoten schlingen, wenn ich Kommandeur würde, und mit der dritten wollte ich mich vermählen, wenn ich Kapitänsrang bekleidete. Wie ähnlich war ich dem Don Galaor – ach, und wie unähnlich dem treuen Amadis von Gallien; aber du mußt mich nehmen, Leser, wie ich war, nicht wie ich hätte sein sollen.

Nach einer Fahrt von sechs Wochen kam ich zu Plymouth an, und hatte jetzt genau meine sechs Dienstjahre vollendet.


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