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Zwanzigstes Kapitel.

Doch was ist dies?
Welch' Meeresungeheuer
Kommt hier auf diesem Striche hergesegelt,
Ein stattlich Schiff mit allem Takelwerk
Und allem Segelwerk ...

Ramson Agonistes.

Der Kaper nannte sich Vollblut-Yankee, er war vorerst nach der Insel Tristan d'Acunha bestimmt, wo er einen anderen Kaper zu treffen erwartete, der demselben Eigenthümer gehörte und ihm einstweilen vorausgefahren war, so lange er selbst zwischen dem Kap und der Insel Madagaskar nach gewissen zurückkehrenden Extraindienfahrern zu kreuzen hatte, von denen er hoffte, daß einer oder zwei die Mühe und Kosten der Ausrüstung völlig bezahlen würden.

Wir erreichten die Insel ohne einen bedeutenden Zufall. Ich hatte mit Bedauern bemerkt, daß der zweite Gehülfe, welcher sich Peleg Oswald nannte, ein mürrischer, trotziger, zänkischer Mann war, und daß ich, so freundlich mich der Kapitän Peters und der erste Gehülfe, Methusala Salomo, behandelten, niemals den Untersteuermann, Peleg Oswald, gewinnen konnte.

Der Kapitän Green, der mit mir an Bord gekommen war, hatte sich seit der Zeit seiner Rettung durchaus verändert. Wie ich mir hatte sagen lassen, war er vorher ein liederlicher Trunkenbold; aber von dem Augenblicke an, als ich ihn in mein Boot aufnahm, schien er in seinem Betragen und seinen Gewohnheiten ein durchaus umgewandeltes Wesen; er trank nie mehr, als nöthig war, seinen Durst zu stillen – fluchte nie – sprach nie ein anstößiges Wort – las unaufhörlich in der heiligen Schrift, hielt regelmäßig seine Morgen- und Abendandacht und machte bei jedem Streit oder Zank, die sehr häufig auf der Brigg vorkamen, den Schiedsrichter und Friedensstifter. Dadurch ersparte er dem Kapitän und dem ersten Steuermann unsäglich viel Mühe, denn immer seltener hörte man Flüche und Schimpfreden an Bord; immer seltener und milder wurden die Strafen. Die Matrosen waren glücklich und verrichteten ihren Dienst mit Eifer, nur Peleg Oswald störte die Eintracht.

Am 15. December erreichten wir die Insel; das Wetter war so schön, als wir es um diese Jahreszeit – im Sommer – nur erwarten konnten. Wir stießen wieder ab und segelten auf die Nord- oder Windseite der Insel, wo wir uns ungefähr auf zwei Meilen der Küste näherten, denn weiter wagten wir uns aus Furcht vor den sogenannten »Rollern« nicht: einer ebenso großartigen, als furchtbaren Naturerscheinung auf diesem abgesonderten Erdwinkel. Ueber diese außerordentliche Wirkung verborgener Kräfte sind schon viele Muthmaßungen aufgestellt worden, aber nicht eine der gegebenen Erklärungen schien mir treffend genug, um meinen Geist zu befriedigen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dieselben Ursachen bei St. Helena, bei Ascension oder bei jedem andern von einer großen Wasserfläche umspannten Eilande oder Vorgebirge dieselben Wirkungen hervorbringen müßten. Ich will die Erscheinung zu schildern suchen, die durch eine Reihe Roller hervorgebracht würde, welche, wie es wirklich schon der Fall gewesen ist, ein Schiff an der Küste träfen.

Das Wasser ist vollkommen glatt; kein Lüftchen rührt sich; plötzlich rollt eine ungeheure Woge mit glänzender Oberfläche von Norden herbei; sie bricht sich nicht eher, als bis sie auf den Widerstand des Landes stößt, wo sie mit einem entsetzlichen Getöse und einer Gewalt zerschmettert, der keine menschliche Kunst oder Anstrengung zu widerstehen vermag. Andere Wogen folgen. Kein Anker hält, wenn überhaupt hier Ankergrund zu finden wäre; aber dies ist nicht der Fall; das Wasser ist neunzig bis hundert Faden tief, und Anker und Kabel können einem Fahrzeuge bei einem solchen Angriff kaum einen vorübergehenden Halt geben; doch wenn dieses auch möglich wäre, so würde sich die Woge gerade wegen dieses Widerstandes spalten, über Bord rollen und das Schiff versenken. Dies war das Loos des unglücklichen – – einer britischen Kriegsschaluppe, welche nach der Landung des Kapitäns mit sechs Matrosen von den Rollern erfaßt und an die Küste getrieben wurde, wobei die sämmtliche Mannschaft, die an Bord war, umkam und nur der Kapitän mit seiner Bootsmannschaft entrann. Dieses unglückliche Fahrzeug ging nicht etwa durch einen Mangel an Geschicklichkeit oder Seemannskunde von Seiten des Kapitäns oder der Mannschaft – noch nie schwamm eine trefflichere Mannschaft auf der Salzfluth – sondern durch ihre Unbekanntschaft mit dieser Eigentümlichkeit verloren: einer Erscheinung, von der ich bei andern Inseln, wenigstens in dieser furchtbaren Ausdehnung, noch nie gehört habe. An's Land getrieben, ehe sie Grund finden konnten, ließen sie endlich drei Anker fallen, aber nichts vermochte der Gewalt der Roller Stand zu halten, welche das Fahrzeug auf den Strand warfen, wo es im nächsten Augenblicke zerschellte und das ganze Schiffsvolk im Angesichte des bestürzten Kapitäns und seiner Bootsmannschaft umkam. Letztere begrub die Leichen ihrer unglücklichen Gefährten, sobald sie das Meer ausgeworfen hatte.

Dieses Eiland hatte noch eine andere merkwürdige Eigentümlichkeit; es ist bis zu einer beträchtlichen Erstreckung in die See von dem sogenannten Fucus maximus umgürtet, von dem schon Kapitän Cook spricht. Die Pflanze wächst bis zu einer Tiefe von sechzig Faden oder hundertundachtzig Fuß und erreicht in einem langen Stengel die Oberfläche, wo sie bis zur ungeheuren Länge von drei- bis vierhundert Fuß emporsteigt, während sie je in Fuß langen Entfernungen kurze, abwechselnd ständige Nebenstiele treibt. Also bringt der stürmische Ocean ein höheres Gewächs hervor, als irgend ein Theil des Landes; selbst der Bananenbaum macht hievon keine Ausnahme, wenn gleich seine Aeste den Boden berühren, um neue Wurzeln zu treiben und gleichsam neue Bäume zu bilden. Diese Meergewächse widerstehen den vereinigten Angriffen der beiden mächtigsten Elementen; vergebens verbinden sich Wind und Wellen zu ihrer Vernichtung; ihr Laubwerk am Busen der Gewässer in einander schlingend, spotten sie des Orkanes und trotzen seiner Wuth. Die Blätter sind wechselständig; und wenn der Wind das Wasser aufrührt, so schlägt eines nach dem andern mit einem dumpfen Tone um, der uns wegen der düsteren Ideenverbindung und der Einsamkeit des Eilandes doppelt schauerlich vorkam. Die Zweige oder Schößlinge dieser Pflanzen sind so stark und fest, daß kein Boot durch ihre Verschlingung hindurchzudringen vermag. Ich machte mit meinen Füßen den Versuch, welch eine Last sie zu tragen vermöchten, und überzeugte mich, daß man mit ein paar Schneeschuhen darauf wandeln könnte.

Kapitän Peters lud mich freundlichst ein, mit ihm an die Küste zu gehen. Mit vieler Mühe landeten wir und gingen nach der Hütte eines Mannes, der aus eigener Wahl hier zurückgelassen worden war. Er bewohnte das Eiland mit seiner Familie und nannte sich nach dem Vorgange einer andern großen Persönlichkeit auf einer weiter nördlich gelegenen Insel »Kaiser«. Eine Abtheilung britischer Soldaten war vom Kap der guten Hoffnung auf das Eiland geschickt worden, um es in Besitz zu nehmen, hatte sich aber bald wieder zurückgezogen.

Seine Kaiserliche Majestät hatten zur Zeit meines Besuches eine schwarze Ehehälfte und eine Menge schnupftabakfarbener Prinzen und Prinzessinnen. In andern Beziehungen war er ein zweiter Robinson Crusoe; er besaß einige Stück Rindvieh und ein paar Schweine, welch' letztere sich auf der Insel bedeutend vermehrten. Zahmes Geflügel besaß er in Menge, und ein großes Stück Land hatte er mit Kartoffeln angepflanzt, welche sonst nirgends auf der südlichen Halbkugel in ihrer heimischen Vollkommenheit hervorgebracht werden. Das Land ist fruchtbar und großer Veredlung fähig; zahlreiche Bäche durchschneiden seinen Boden. Es war unmöglich, diese Einöde zu betrachten, ohne an die schönen Worte Cowper's zu denken:

O Einsamkeit, wo sind die Reize,
Die Weise sah'n in deinem Antlitz?

Und doch war Aufruhr und sogar Rebellion in diese wilde Stätte gedrungen. Der Kaiser hatte nur Einen Unterthanen, und dieser Kaliban hatte es gewagt, gegen einen ausdrücklichen kaiserlichen Befehl ein Huhn zum Mittagessen zu schlachten.

»Rebellion,« rief der ergrimmte Kaiser, »ist eine Tochter des Teufels, und ich bin entschlossen, an dem Verbrecher ein Exempel zu statuiren.«

Ich erbot mich zur Vermittlung zwischen beiden kriegführenden Mächten und stellte seiner kaiserlichen Majestät vor, daß ein Exempel, wenn es auch noch so abschreckend sei, hier seine Wirkung verlieren müsse; denn seine Kinder seien noch zu jung, um sich verderben zu lassen, und überdies müsse er als ein vertrauter Freund der heiligen Schrift wissen, daß es seine Pflicht ist, zu vergeben. »Zudem,« fuhr ich fort, »hat Ihre Majestät, die Kaiserin, einen kräftigen Arm und kann stets Beistand leisten, wo es Abwendung oder Bestrafung irgend einer künftigen Handlung der Widersetzlichkeit oder des Ungehorsams gilt.« Ich vermuthe, seine Majestät erkannte das gleiche Sittengebot an, wie ich, daß man sich in die Notwendigkeit schicken müsse. Er mußte es höchst unbequem finden, kein Wort mit seinem ersten Minister und Exkanzler zu wechseln, den er bei Todesstrafe auf die entgegengesetzte Seite der Insel verwiesen hatte. Der Spruch lautete ursprünglich auf sechs Monate, aber durch meine Vermittlung erhielt der Delinquent Verzeihung und wurde wieder zu Gnaden angenommen. Ich dachte über diesen erfolgreichen Beweis meines Vermittlungstalentes nach, welches vielleicht einen Bürgerkrieg in seiner Geburt erstickt hatte, und war sehr mit mir zufrieden.

Der Kaiser machte mir die Mittheilung, daß sich ein amerikanischer Wallfischfänger an der Ostseite der Insel befinde, um Wallroßthran einzunehmen, und daß er bereits sechs Wochen vor Anker liege und seine Ladung bald vollendet habe. Ich ersuchte ihn, mir die Stelle zu zeigen, wo der – – scheiterte. Er führte mich zu seinen düsteren Trümmern, welche zerstreut auf den Felsen umherlagen. Unweit derselben erhob sich ein Erdhügel, auf welchem ein bemaltes Stück Planke als Grabmal aufgepflanzt war. In rohen, aber scharfen Charakteren war das Schicksal des Schiffes nebst der Zahl der Verunglückten darauf eingegraben. Ich erinnere mich der Worte nicht mehr genau, aber im Ganzen besagten sie so viel, daß hier die irdischen Ueberreste von hundert so trefflichen Burschen ruhten, als je über eine Planke schritten, und daß sie wie britische Seeleute ihre Pflicht bis zum letzten Augenblicke erfüllt hätten und in ihrem Berufe gestorben wären. Es war ein trauriger Anblick, besonders für einen Seefahrer, der nicht wußte, wie bald ihn dasselbe Loos treffen mochte.

Wir hißten an diesem Tage einige Tonnen Wasser ein und vervollständigten unseren Wasserbedarf am folgenden; dann steuerten wir nach dem östlichen Ende der Insel, um in der Nähe des Wallfischfängers Anker zu werfen und auf seine Abfahrt zu warten. Der Kapitän desselben war mit seinem Boote herübergekommen, um uns zu besuchen; ich unterhielt mich mit ihm und wurde von einer seiner Bemerkungen besonders betroffen.

»Ihr Engländer greift die Sache verkehrt an,« sagte er; »ihr bevölkert eine Insel mit Soldaten, wo nur Matrosen von Nutzen sein können, und hört auf Alles, was euch diese Rothröcke sagen, welche es nirgends aushalten können, wo auf Büchsenschußweite keine Branntweinbude ist; und weil nun ihnen die Insel nicht gefällt, so gebt ihr sie wieder auf. Ein Soldat liebt seine Bequemlichkeit, so gern er auch andere Leute in der ihrigen stört, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er einen günstigen Bericht von einem Eilande macht, wo es weder Weiber noch Rum gibt, und wo er es nicht viel besser hat, als ein Gefangener. Hätte Bruder Jonathan diese Insel genommen, so hätte er sich auch für seine Mühe bezahlen lassen; er hätte zwei oder drei Mannschaften von Wallfischfängern mit ihren Weibern und Familien und all ihren kleinen Bequemlichkeiten nebst einer Anzahl geschickter Ackersleute zur Anbauung des Landes, und einem Offizier zur Leitung des Ganzen übergesiedelt. Wie Sie bemerken, vermag sich die Insel selbst zu nähren, und Alles würde, sich vortrefflich gemacht haben. Es ist eben so leicht, die Fischerei von der Küste aus zu treiben, als mit einem Schiffe, ja noch viel leichter. Bringen Sie nur Ihre Kessel und Tonnen nebst ein paar Dutzend guter Wallfischboote mit, so wird diese Insel einen Ertrag abwerfen, welcher das Geld, das auf sie verwendet wird, mit Zinsen zurückzahlt, denn die Wallrosse oder Seepferde haben keinen andern Platz, um im Herbst ihre Haut abzustreifen, oder im Frühling ihre Jungen zu werfen. Die Fischerei und die übrigen Arbeiten würden für die Matrosen eine Quelle der Erholung sein, die gelegentlich auch mit den Schiffen nach Hause fahren könnten, welche die vollen Thrantonnen holen und die leeren zurückbringen.«

Der Kapitän des Wallfischfängers kehrte auf sein Schiff zurück, vergaß es aber vermuthlich, unserem Kapitän besondere Weisungen über den Ankerplatz zu geben. Wir liefen nach der östlichen Küste und wollten eben beilegen, als Peters in der Meinung, dem Wallfischfänger zu nahe zu sein, noch etwas weiter laufen ließ. Ich hätte bemerken sollen, daß in dem Augenblicke, wo wir die Nordostspitze umfuhren, die Brise auffrischte und aus den Schluchten und Thalrinnen des Eilandes heftige Windstöße hervorbrausten. Deshalb kürzten wir unser Segel und wurden vom Wallfischfänger angerufen, während wir ganz nahe an ihm vorüberfuhren; aber der Wind war so heftig, daß wir ihn nicht hörten; und nachdem wir uns so weit, als wir es für geeignet fanden, von dem andern Schiffe entfernt hatten, ließen wir den Anker fallen.

Neunzig Faden Kabel liefen wir im Augenblicke ab, ehe das Schiff mit seinem Vordertheile in den Wind sprang, und zu unserem Bedauern fanden wir, daß wir die Bank überfahren hatten, auf welcher der Wallfischfänger vor Anker lag, und daß unser Anker in einen Brunnen gefallen war, denn unter den Bugen hatten wir neunzehn und unter dem Spiegel nur sieben Faden Tiefe. In diesem Augenblicke zeigte uns der Mond sein Antlitz, und wir genossen die weitere Freude, ungefähr fünfzig Ellen hinter uns ein Felsenriff zu gewahren, das seine schmutzigen schwarzen Köpfe über das Wasser emporstreckte.

Mit nicht geringer Ueberraschung bemerkten wir, daß wir, trotz der Tiefe des Wassers, während der Zwischenräume der Windstille auf schlaffem Kabel lagen; und gegen zwei Uhr des Morgens verloren wir gar das Ankertau, weil es durch den fressenden Grund durchschnitten worden war. Sogleich wurden alle Segel beigesetzt, denn die Felsenriffe hinter uns waren so nahe, daß wir einen Zwieback hätten hinaufwerfen können, und wir glaubten, der Vollblut-Yankee hätte ausgekreuzt! Aber das Schicksal wollte es anders; die gleiche Ursache, welche unser Kabel schlaff machte, rettete das Fahrzeug. Der Fucus maximus war als Vermittler zwischen uns und unsern Untergang getreten; wir hatten unsern Anker in den unterseeischen Wald geworfen und uns gleichsam auf den Gipfeln der Bäume niedergelassen. Blätter und Aeste waren so dicht in einander verschlungen, daß sie uns fest hielten und uns nicht an's Land treiben ließen, als wir das Kabel verloren hatten. Langsam schleppten wir uns durch die Pflanzen und waren äußerst froh, als wir uns endlich aus dieser erbärmlichen Lage herausgearbeitet hatten.

»Lieber mitten unter Schrecken wohnen.
Als am Orte des Entsetzens herrschen.«

Doch ich wünsche dem kleinen Kaiserreiche allen möglichen Erfolg; wiewohl ich hoffe, daß mich mein böser Stern nicht wieder dahin führen wird. Wir richteten unser Steuer gegen das Kap der guten Hoffnung, denn Kapitän Peters wollte sich durch das Warten auf seinen Berufsgenossen keinen weitern Gefahren aussetzen.

Der arme Thompson hatte, ungeachtet meiner unaufhörlichen Verwendung für ihn, wegen seiner festen und unerschütterlichen Treue an Bord des Schiffes Manches zu leiden; indessen beklage er sich selten bei mir, rächte sich aber bisweilen durch eine sanfte Zurechtweisung mit seinen breiten Fäusten, die er dem beleidigenden Theil auf die Nase oder das Auge setzte, womit die Sache gewöhnlich endete; denn seine Sinnesart war so schlicht und friedlich, daß ihn alle Besserdenkenden auf dem Schiffe liebten. Eines Abends fiel ein Mann über Bord – das Wetter war schön und die Brigg segelte sehr langsam. Man ließ die Dölle hinab; da brach plötzlich einer von den Haken, mit welchen sie am Spiegel hing, und vier Matrosen wurden mit einem heftigen Stoße in die See geschleudert. Zwei von ihnen konnten nicht schwimmen, und so bald sie herauftauchten, schrieen alle laut um Hülfe. Kaum bemerkte es Thompson, so stürzte er sich gleich einem Neufoundländer-Hund vom Spiegel, schwamm zu dem Schwächsten hin, schob ihn bis zu den Steuerruderketten, ließ ihn dort, wandte sich nach einem andern, brachte ihn an den Spiegel des Schiffes und befestigte ein Tau unter seinen Armen. Auf diese Weise gelang es ihm, die sämmtlichen Verunglückten zu retten. Ohne seinen frühzeitigen Beistand wären wenigstens zwei von ihnen ertrunken, denn es dauerte ziemlich lang, bis ein anderes Boot bereit war; auch die drei übrigen erklärten, daß sie sehr zweifelten, ob sie das Schiff ohne Beistand erreicht haben würden.

Das gesammte Schiffsvolk lobte Thompson wegen seines Benehmens, und einige fragten ihn, wie es käme, daß er sein Leben für Leute gewagt hätte, die ihn so schlecht behandelten. Er antwortete, seine Mutter und seine Bibel hätten ihn gelehrt, jede Gelegenheit zum Guten zu ergreifen, die sich ihm darböte, und da ihm Gott einen kräftigen Arm gegeben habe, so hoffe er ihn stets dazu gebrauchen zu können, einem Bruder aus der Noth zu helfen.

Man hätte vermuthen sollen, eine Handlung, wie diese, sollte jeder ferneren Beleidigung vorgebeugt haben, aber je mehr die Amerikaner Thompsons Werth kennen lernten, desto eifriger bemühten sie sich, ihn für sich zu gewinnen. Der Untersteuermann, den ich bereits als einen rohen und anmaßenden Burschen geschildert habe, machte ihm eines Tages den Vorschlag, sich auf ihrem Schiffe einschreiben zu lassen, und fügte hinzu, er würde ganz sicher durch Wegnahme zweier oder dreier Extraindienfahrer, von deren Ankunft man sichere Nachricht hätte, sein Glück machen. Thompson sah dem Manne starr in's Gesicht und sagte: »Habt Ihr gehört, was ich einmal dem Kapitän erwiederte?«

»Ja,« versetzte der Gehülfe, »ich habe es gehört, aber das ist nichts weiter, als was wir in unserem Lande ›all mein Auge‹ nennen.«

»In meinem Lande nennen sie es nicht so,« erwiederte der Caledonier, seine volle Faust dem Gehülfen so derb auf das linke Auge pflanzend, daß er die Worte » procumbit humibos« praktisch erklärte und einen bedeutenden Theil des Verdeckes mit der Länge seines Cadavers maß.

Als er sich wieder erhob, bemerkte er, daß sein Gesicht stark blutete und sein Auge zugepfropft war, aber anstatt die Beleidigung selbst zu rächen, beklagte er sich bei dem Kapitän. Eine Menge Amerikaner begleiteten ihn und verlangten aus Haß oder Eifersucht, der Engländer sollte gestraft werden, weil er einen Offizier geschlagen hätte. Als jedoch die Sache untersucht wurde, sagte der Kapitän, er müsse bekennen, daß der zweite Gehülfe der angreifende Theil gewesen sei, in so fern er es zugestanden habe, die Strafe der Übertretung zu kennen, bevor er die Handlung begangen; daß er (der Kapitän) Thompson bei seiner damaligen Erklärung vollkommen Recht gegeben habe und folglich verbunden sei, ihn durch jedes Gebot der Gastfreundschaft sowohl, als der Dankbarkeit gegen den Retter seiner Landsleute zu schützen.

Dies befriedigte die Mannschaft nicht; sie forderte lärmend Bestrafung, und wirklich leitete der zweite Steuermann eine Meuterei. Inzwischen waren auch Leute genug an Bord, welche keine Lust hatten, einen Engländer so unwürdig behandelt zu sehen; aus welchem Land sie stammten, läßt sich leicht absehen. Der Streit wurde heftiger, und ich fürchtete ernste Folgen; denn er hatte bereits bei der Austheilung des Grogs um zwölf Uhr begonnen und dauerte nun schon beinahe bis zwei Uhr. Auf einmal warf ich meine Augen nach der Backbordseite, erblickte ein Segel und sagte es dem Kapitän; sogleich rief er den Späher auf der Mastspitze an; allein dieser war durch die Vorgänge auf dem Verdeck so sehr in Anspruch genommen worden, daß er bis zum großen Mars herab gekommen war, um zu lauschen.

»Seht Ihr das Segel auf der Backbordseite nicht?« fragte der Kapitän.

»Ja, Sir,« erwiederte der Matrose.

»Und warum habt Ihr es nicht gemeldet?«

Der Matrose hatte aus sehr nahe liegenden Gründen keine Antwort auf diese Frage.

»Kommt herab!« sprach der Kapitän. »Laßt ihn ablösen, Salomo; wir wollen Euch ein wenig in der Yankeezucht unterweisen.«

Doch bevor wir zur Untersuchung des Verbrechens oder zur Verhängung der Strafe fortschreiten, müssen wir unsere Blicke nach dem großen Gegenstande richten, der alle fünf Minuten immer deutlicher und deutlicher über den Horizont emporstieg. Der Kaper führte zu dieser Zeit Topsegel und Topgallantsegel, Jib und Vordersegel, und lief mit einer trefflichen Brise bei stillem Wasser nach Nordost. »Lieutenant,« sagte der Kapitän, »was halten Sie davon?«

»Ich halte es für einen Extraindienfahrer,« erwiederte ich, »und wenn sie ihn anzurufen gedenken, so werden Sie wohl daran thun, ihm unter leichten Segeln entgegen zu fahren; dann können Sie ihm, wenn er vor Ihnen herläuft, mit Sonnenuntergang so nahe sein, daß Sie ihn mit ihrer überlegenen Segelkraft die ganze Nacht im Auge zu behalten im Stande sind.«

»Ich glaube, daß Sie hier nicht weit fehl treffen,« bemerkte der Kapitän.

»Und ich meine, daß er in seinen Hals hinein lügt,« sagte der Obersteuermann, welcher eben vom Haupttopmars herabkam, auf dem er während der letzten Viertelstunde den Schnitt der fremden Segel mit der gespanntesten und ungetheiltesten Aufmerksamkeit betrachtet hatte. »Wenn ich je Holz und Segeltuch in der Gestalt eines Schiffes zusammengefügt sah, so ist es eines von John Bull's brüllenden Seekälbern, und führt nicht weniger als vierundvierzig Kanonen.«

»Was sagen Sie dazu, Lieutenant?« fragte der Kapitän.

»Oh was das betrifft,« bemerkte der Steuermann, »so ist's nicht sehr wahrscheinlich, daß er uns die Wahrheit sagen wird.«

»Weil Sie es in der gleichen Lage auch nicht thun würden,« erwiederte ich.

»Eben das ist's,« versetzte der Steuermann.

Und wirklich muß ich gestehen, daß ich keine besondere Lust in mir spürte, einige Monate lang mit diesem Schiffe zu kreuzen und nach Tristan d'Acunha zurückzufahren, um Wasser einzunehmen. Deßhalb wendete ich auch nicht meine ganze optische Gewandtheit auf, als ich meine Meinung abgab; wie ich jedoch sah, daß uns das fremde Segel sehr schnell näher kam, während wir ihm doch entgegen steuerten, gewann ich die Ueberzeugung, ich werde dieses Schiff bald verlassen und mich in Kurzem auf dem Rückwege nach England befinden, wo sich meine ganze Seligkeit und alle meine Aussichten in Einem Punkte vereinigten.

Der Obersteuermann warf noch einmal seine Blicke auf das nahende Segel, und der Kapitän folgte seinem Beispiele; dann sahen sie einander an und bemerkten, sie hätten jetzt ausgekreuzt.

»Wir sind verloren, Sir.« sagte der Steuermann, »und das verdanken wir dem verfluchten englischen Renegaten, den Sie als Matrosen in die Schiffsbücher eingeschrieben wissen wollten. Aber laßt uns über ihn kommen und ihm einen ordentlichen Abschied geben.«

»Vor Allem,« erwiederte der Kapitän, »wollen wir es mit der Flucht versuchen. Wir pflegten sonst hübsch auszugreifen, und noch nie sah ich eine kupferbodene Schlange, die uns eingeholt hätte. Die Oberbramsegelraaen auf – die Beisatzsegel weggeklärt, und im Winde gehalten, genau zwei Striche hinter dem Baum, das ist ihre Lieblingsstellung – und ich denke, wir könnten dem englischen Teufel im Laufe der Nacht entwischen.«

Ich sprach kein Wort, betrachtete aber Alles, was vorging, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

Das Schiff war gut bemannt, und mit außerordentlicher Geschwindigkeit wurden alle Segel gesetzt.

»Das Log heraus!« rief der Kapitän.

Man gehorchte und bei der Messung ergab es sich, daß sie neun und sechs liefen.

»Wie viel glauben Sie, daß Ihr Schiff laufe?« fragte mich der Kapitän.

»So viel ich schätze, läuft es ungefähr eilf Knoten; und da es sechs Meilen hinter Ihnen ist, so wird es in weniger als vier Stunden auf Kanonenschußweite herankommen.«

»Wir wollen einen Theil dieser Zeit auf die Bezahlung unserer Schulden verwenden,« bemerkte der Kapitän. »Meister Salomo lassen Sie den Ohne-Nation-Schurken an die Haupttakelung binden und zwei Ihrer hungrigsten Katzen heraufkommen. Wo ist Dick Twist, der einst Bootmannsgehülfe auf der Station war, und der rothhaarige Bursche, – Sie kennen ihn wohl – der im Rappahanook von Maidstone fortschwamm.«

»Sie meinen vermuthlich den Carrotten-Sam – Sam Gall soll heraufkommen.«

Bald erschienen die beiden Vollstrecker des Gesetzes mit den Werkzeugen ihres Amtes bewaffnet, welche in der Tücke ihrer Gestaltung denjenigen vollkommen glichen, die bei ähnlichen Gelegenheiten von Kapitän G– – in Anwendung gebracht wurden. Der Schuldige wurde vorgeführt, und zu meiner Ueberraschung war es derselbe Matrose, welchen Thompson im Boote wegen Meuterei über Bord geworfen hatte. Ich könnte nicht behaupten, daß ich die Ursache, oder die voraussichtliche Wirkung des an diesem Tage vorgefallenen Streites bedauert hätte.

»Bindet ihn auf,« sprach der Kapitän. »Ihr war't nach der regelmäßigen Dienstordnung auf die Mastspitze geschickt, und habt Euren Dienst vernachlässigt, so daß wir jetzt wahrscheinlich genommen werden; deßwegen will ich Euch noch einen Yankeestreich zeigen, ehe meine Gewalt zu Ende geht.«

»Ich bin ein Engländer,« sagte der Matrose, »und nehme den Schutz meines Offiziers in Anspruch.«

Der Kapitän warf einen Blick auf mich.

»Wenn ich der Offizier bin, dessen Schutz Ihr in Anspruch nehmet,« versetzte ich, »so sage ich Euch, daß ich Euch nicht anerkenne; Ihr habt die Pflicht gegen Euer Vaterland abgeworfen, als Ihr es für zweckmäßig fandet, und jetzt wollt Ihr Euer Recht auf dasselbe geltend machen, um Euch von einer Strafe zu retten, die Ihr in reichem Maße verdient habt. Ich werde nicht zu Euren Gunsten in's Mittel treten.«

»Ich bin in Carlstreet, Sewen-Dials geboren,« schrie der Bürger von London – »meine Mutter hält eine Trödelbude – ich bin ein ächt geborner Britte, und Ihr habt kein Recht, mich zu peitschen.«

»Gestern waret Ihr noch ein Yankee-Matrose aus Neu-London, und heute seid Ihr ein Trödler aus Alt-London; ich hatte also wohl Recht, wenn ich Euch einen Ohne-Nation-Schurken nannte; aber wir wollen ein andermal über das Recht sprechen,« fuhr der Kapitän fort, »gehet einstweilen an's Werk, Dick Twist.«

Twist gehorchte seinem Befehl eben so gewandt, als gewissenhaft; und nachdem er dem Gefangenen drei Dutzend aufgezählt hatte, welche der Handfertigkeit meines Freundes, des farnesischen Herkules auf der Brigg, keine Schande gemacht haben würden, mußte Sam Gall seine Stelle ersehen. Sam bezahlte ihn à merveille mit dergleichen Summe; und nach einem verhältnißmäßigen Geheul wurde der Verbrecher losgebunden. Ich dachte unwillkürlich darüber nach, wie gerecht die Strafe war, welche der Kapitän mit seinem Schiffe erlitt, indem er einen Menschen zuerst seiner Pflicht gegen sein Vaterland abtrünnig gemacht und ihm nachher Vertrauen geschenkt hatte.

»Jetzt laßt uns einen Blick auf unsern Verfolger werfen,« sagte der Kapitän. »Beim Teufel, er kommt immer höher. Schon kann ich seine Bugsprietspitze sehen, wenn er steigt, und vor einer halben Stunde sah ich nur erst seine Vorderraa. Kappen Sie die Jolle vom Spiegel, Salomo.«

Der Obersteuermann nahm ein Beil, führte einen kräftigen Hieb auf das Ende der Zugrollen, und das Boot stürzte in die See.

»Werft die beiden Hinterkanonen über Bord,« rief der Kapitän, »ich glaube, wir gehen hinten zu tief, und zur Verteidigung werden sie uns doch nicht viel helfen, denn der Bursche hinter uns ist ein Feger.«

In wenigen Minuten waren die Kanonen zu ihrer ewigen Ruhe eingegangen, und in der nächsten halben Stunde gewann ihnen der Feind nicht mehr so viel ab. Es war ungefähr halb vier Uhr Nachmittags; die Yankee's faßten wieder Muth, und der Untersteuermann erinnerte den Kapitän, daß für sein blau geschlagenes Auge noch keine Abrechnung an der Haupttakelung gehalten worden sei.

»Dies soll auch nicht geschehen,« erwiederte der Kapitän, »so lange ich den Vollblut-Yankee befehlige. Was Recht ist, das ist Recht; es soll Niemand wegen ordentlicher Selbstvertheidigung bestraft werden, wenn er vorher gewarnt hat. Thompson, kommt auf's Hinterdeck.«

Er war im Begriff, dem Befehl Folge zu leisten, als er von sechs bis acht der lärmendsten Matrosen ergriffen wurde, die ihm ohne weiteres seine Jacke herunter reißen wollten. »Zurück, Kameraden,« rief Twist und Gall in einem Athem. »Mit kaltem Blute konnten wir einen Burschen, wie diesen Trödeljuden, streichen, aber dem Thompson soll auf diesem Schiffe kein Haar gekrümmt werden. Er ist einer von den Unsrigen; ein Seemann mit Leib und Seel', und uns müßt ihr peitschen, und noch fünfzig Andere, wenn ihr einmal den Anfang machet; denn verdammt seien meine Augen, wenn wir den Untersteuermann nicht mit dem Log versenken, und dann beilegen, bis die Fregatte heraufkommt.«

Einige Sekunden lang standen die Meuterer wie gelähmt, aber der zweite Steuermann sprang auf eine Kanone und rief:

»Wer ist auf unserer Seite. Sollen wir uns von diesen verfluchten Britischern herumpudeln lassen?«

»Das sollt ihr,« erwiederte ich, »wenn Gerechtigkeit üben bei euch so viel als herumpudeln ist. Ihr schwebt in einer großen Gefahr, und ich warne euch davor. Ich sehe die Stärke derjenigen, die ihr mit Gewalt Amerikaner nennen wollt; und ob ich gleich der letzte Mann in der Welt bin, der eine Handlung der Verrätherei, wie das Beilegen des Schiffes, billigen würde, so warne ich euch doch vor einem Angriff auf den Kettenhund, der nur ›um einer Lerche willen‹ abgerissen hat, und zur Rückkehr zu seinem Herrn bereit ist. Ich bin euer Gast, und deßwegen euer treuer Freund. Bietet alle eure Kräfte auf um eurem Feinde zu entkommen. Ich weiß, was diese Fregatte vermag, denn ich kenne sie genau, und wenn ich nicht sehr irre, so habt ihr bei all euern Anstrengungen kaum noch Zeit genug, um eure Habseligkeiten zusammen zu packen; denn ihr dürft versichert sein, daß ihr keine zwölf Stunden mehr unter eurer Flagge segelt.« Diese Rede beruhigte die Mannschaft. Der Kapitän Peters, Green und Salomo gingen auf's Hinterdeck, und erkannten zu ihrem großen Bedauern die Fährlinie ihres Verfolgers ganz deutlich.

»Was ist zu machen?« sagte der Kapitän. »Während das Schiffsvolk seinen höllischen Streit hier ausmachte, hat uns die Fregatte so viel abgewonnen. Noch zwei Hinterkanonen über Bord.«

Mit derselben Geschwindigkeit, aber nicht mit demselben Erfolg, wie der erste Befehl, wurde dieser zweite vollzogen. Der Kapitän begriff jetzt, was ich schon vorher deutlich erkannt hatte, daß er das Boot mit Recht von dem äußersten Ende des Schiffes hinabgeworfen hatte, wo es gleich der Erbse an einer Schnellwage hing. Auch die Erleichterung des Fahrzeuges um die zwei hintersten Kanonen, welche über dem todten Holze lagen, leistete treffliche Dienste; aber dabei hätte er stehen bleiben sollen. Das Ueberbordwerfen der beiden andern Kanonen hatte verderbliche Folgen; das Schiff sank mit seinem Vordertheile ein, während der Spiegel aus dem Wasser hervorragte. Er steuerte regellos und wild, und verminderte die Geschwindigkeit seiner Bewegung augenscheinlich.

»Die Buganker losgekappt,« rief der Kapitän. Die Halter wurden durchhauen, und die Anker fielen. Augenblicklich erholte sich die Brigg von ihrem Drucke und nahm ihre frühere Geschwindigkeit wieder an; aber der Feind war mittlerweile entsetzlich nahe gekommen. Die einzige Hoffnung des Kapitäns und seiner Mannschaft beruhte auf der Dunkelheit; und als diese hereinbrach, entsank mir der Muth, denn ich fürchtete sehr, wir möchten entkommen. Die Sonne war seit einiger Zeit unter den Horizont gesunken, die Umrisse der Segelwolke, die wir hinter uns hatten wurden allmälig unbestimmter und schwankender, und verschwammen endlich ganz in einem schwarzen Wettergewölke; beinahe zwei Stunden lang sahen wir nichts mehr von der Fregatte.

Ich ging mit Green und dem Kapitän auf's Verdeck. Der Letztere schien in großer Gemüthsbewegung. Er hatte die Hoffnung genährt, sich ein Vermögen zu erwerben, um sich dann aus den Mühen und Sorgen des Seelebens in irgend einen behaglichen Winkel der westlichen Niederlassungen zurückzuziehen, wo er ein kleines Landgut bebauen, und sein Brod redlich verdienen könnte, »denn dieses Leben,« sagte er, »ist nun ein für allemal wenig besser als Straßenraub, das muß ich offen bekennen.«

Ob die Moralphilosophie des Kapitäns eine Folge der gegenwärtigen Gefahr war, wage ich nicht zu behaupten; aber so viel weiß ich, daß mich der Leser bei einem Rückblicke auf gewisse Abschnitte meines Lebens in ähnlichen Fällen oft in ähnlichem Trübsinne finden wird.

Die beiden Kapitäne und der Obersteuermann zogen sich jetzt zurück. Ich blieb und lehnte mich, in meine Gedanken versenkt, gerade vor der Haupttakelung über die Backbordwand hinaus. Die Berathung schien von großer Wichtigkeit zu sein; es handelte sich, wie ich nachher erfuhr, um die Frage, welchen Steuerstrich sie halten sollten, da sie offenbar ihren Verfolger aus dem Gesichte verloren hatten. Alle meine Hoffnungen auf Erlösung verschwanden, als ich meine Blicke auf sie warf, und ich machte mich darauf gefaßt, nach Neu-York zu segeln.

In diesem Augenblicke trat ein Mann hinter mich, als wollte er die Bramsegelschotten straffen, und während er sich mit dem leisen Zurufe »Joho« darauf herabbeugte, flüsterte er mir in's Ohr: »Sie können den Befehl der Brigg haben, wenn Sie wollen. Wir sind unserer fünfzig Engländer: wir wollen beilegen und ein Licht aufhissen, wenn Sie nur ein Wort sprechen und uns volle Verzeihung zusichern.«

Ich stellte mich anfangs, als hörte ich nichts, endlich aber drehte ich mich um, und erblickte Meister Twist.

»Halt, Schurke,« sagte ich, »glaubst du einen Verrath durch einen andern abzukaufen, und wagst es, die Ehre eines Flottenoffiziers durch einen so schändlichen Vorschlag zu verhöhnen. Geh' augenblicklich auf deinen Posten, und preise dich glücklich, wenn ich dich nicht dem Kapitän melde, der das vollkommenste Recht hätte, dich über Bord zu werfen – ein Schicksal, welches du durch eine Kette von Verbrechen in vollem Maße verdient hast.«

Der Matrose schlich davon; ich ging zum Kapitän und erzählte ihm das Vorgefallene, indem ich ihn bat, sich vor Verrätherei zu hüten.

»Sie handeln, Sir,« erwiederte der Kapitän, »wie ich es von einem britischen Flottenoffizier erwartete; und da Sie sich als Mann von Ehre gezeigt haben, so will ich ihnen offen gestehen, daß ich Top- und Vorsegel zu kürzen, und mit todtem Winde südwärts in jene schwarze Wetterwolke zu fahren beabsichtige.«

»Wie es Ihnen beliebt,« erwiederte ich; »von mir können Sie keinen Rath erwarten, und wenn ich Ihnen guten Erfolg wünschen wollte, so würden Sie mir nicht glauben; aber verlassen Sie sich darauf, daß ich mich mit allen Kräften, die mir zu Gebot stehen, jedem widerrechtlichen Mittel, Ihnen den Oberbefehl abzunehmen, widersetzen werde.«

»Ich danke Ihnen, Sir,« versetzte der Kapitän düster; und ohne noch einen Augenblick mit fruchtlosen Worten zu verschwenden, fuhr er mit tiefer, aber fester Stimme fort: »Segel gekürzt – das unterste und oberste Beisatzsegel eingezogen – Mannschaft hinauf – Topgallant-Beisatzsegel eingezogen und Topgallantsegel aufgerollt.«

Sogar mir, der ich an trefflich geleitete Kriegsschiffe gewöhnt war, schien dies Alles mit überraschender Eile von Statten zu gehen. Aber es fiel ein Mißgriff vor. Anstatt das unterste Beisatzsegel auf's Verdeck herein zu holen, ließ man es über Bord fallen und eine Zeitlang unter dem Backbordbug schleppen, bevor es den Offizieren gemeldet wurde.

»Die Backbordbrassen eingeholt – scharf aufgebraßt – Steuer über, und an den Wind gebracht, Deckmeister.«

»Es ist über, Sir,« rief der Mann am Steuerruder, und das Schiff ward auf dem Steuerbordumlege-Lien dicht an den Wind geholt; aber es bewegte sich doch nicht sehr schnell, ob es gleich Geviert-Hauptsegel, Besan-Hauptsegel und Jib führte.

»Jetzt haben wir's, denke ich, endlich gewonnen,« sagte der Kapitän; »was meinen Sie, Leftenant?« mir einen derben, aber höchst freundschaftlichen Schlag auf den Rücken versetzend. »Was sagen Sie dazu? Wollen wir nach den Anstrengungen des Tages eine frische Flasche Londoner Extra trinken?«'

»Warten Sie ein wenig,« versetzte ich; »warten Sie ein wenig.«

»Was sehen Sie denn dort windwärts?« fragte der Kapitän, als er bemerkte, daß mein Auge auf einen besondern Gegenstand gerichtet war.

Ehe ich Zeit hatte, seine Frage zu beantworten, trat Thompson auf mich zu und sagte, auf den Ort deutend, den ich im Auge hatte: »dort ist das Schiff.« Der Kapitän hörte es, und weil die Furcht immer scharfsichtig ist, bemerkte er den Gegenstand im Augenblicke.

»Das Reien hilft jetzt nichts mehr; wir haben sie mit unserem besten Segeltuche vor dem Winde geprüft. Die Fregatte überbietet uns hier, im Winde vermag es ihr unsere Brigg nicht zuvorzuthun. Aber doch sollte sie bei dem stillen Wasser und der trefflichen Brise schneller vorwärts kommen, Salomo. Es ist nicht Alles in der Ordnung, schaut einmal um.«

Salomo ging vorwärts nach der Steuerbordseite, bemerkte aber nichts; dann trat er auf die Leeseite des Vorschiffes, blickte über Gangweg und Bug hinunter und sah ein Stück Segeltuch an einem der Nachtköpfe hängen –

»Was haben wir da?« rief er. Es antwortete Niemand. Er sah über die Fockputtingen hinunter und erblickte das ganze untere Beisatzsegel im Wasser.

»Kein Wunder, daß es nicht vorwärts geht,« sagte der Steuermann; »das würde hinreichen, um die Konstitution aufzuhalten. Wer hat das untere Beisatzsegel eingezogen – doch dieß ist jetzt gleichgültig, wir wollen die Sache morgen untersuchen. Hieher, Vorschiffmatrosen.«

Einige von den Amerikanern kamen herbei, aber sie hatten keine gar zu große Eile. Das Segel konnte nicht eingezogen werden, weil das Fahrzeug zu schnell lief; und während sich die Matrosen noch vergeblich abmühten, sah man windwärts plötzlich den Blitz einer Kanone, und wie der Schall unsere Ohren erreichte, pfiff auch die Kugel über unsern Köpfen weg und schlug gleich einem Blitze durch die Besanhauptsegel.

»Hurrah, für Altengland l« rief Thompson. »Der Bursche, der den Schuß abgefeuert hat, soll morgen meinen Grogantheil haben.«

»Halt dein Maul, verfluchter englischer Schurke,« sagte der Untersteuermann, »oder ich will es dir stopfen, daß dir der Grog für immer entleidet.«

»Das wirst du wohl bleiben lassen,« versetzte der Nordbritte; »und wenn ich dir gut zum Rathe bin, so wirst du es gar nicht probiren.«

Thompson stand auf der kleinen Runde oder Hütte; der ergrimmte Gehülfe sprang hinauf und faßte ihn am Kragen. Mit Blitzesschnelle machte sich Thompson frei und versetzte ihm mit seiner rechten Hand einen solchen Stoß auf die Magengrube, daß er leewärts rollte; er fiel – griff nach dem Baumlien – fehlte es und taumelte in's Meer, aus dem er nicht wieder hervorkam.

»Jetzt war Alles in Verwirrung. »Ein Mann über Bord!« – Ein zweiter Schuß von der Fregatte – ein dritter und vierter in rascher Folge. In der allgemeinen Bestürzung wurde der Verunglückte vergessen. Ein Schuß zerriß das hinterste Hauptlien; ein anderer fuhr durch das Boot auf den Besanbäumen. Die Fregatte war uns offenbar sehr nahe. Die sämmtliche Mannschaft eilte hinab, um ihre Mantelsäcke und Koffer zu holen. Der Kapitän ergriff mich bei der Hand und sagte: »Ich ergebe mich Ihnen, Sir, und erlaube Ihnen nach Gutdünken zu handeln.«

»Thompson,« sagte ich, »löset das Hauptsegel und die Hauptbrasse. »Ich eilte selbst nach dem Vorderschiff und löste das Hauptsegel und die Bugliene; die Hauptraa richtete sich von selbst; Thompson holte eine Laterne und hielt sie auf dem Steuerbordrand in die Höhe.

Die Fregatte fuhr hart unter unserem Spiegel vorüber und zeigte uns eine schöne weiße Seite mit einer hübschen Reihe Kanonen. Sie rief uns an und fragte nach dem Namen des Schiffes.

Ich erwiederte, es sei der Vollblut-Yankee von Boston; er habe jedoch beigelegt und sich ergeben.


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