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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Lebe wohl; und sei's auf immer –
Auch auf immer lebe wohl!
Und vergibst du mir auch nimmer,
Heg' ich dennoch keinen Groll.

Byron.

Dieser contre temps machte mich so sehr bestürzt, daß ich besinnungslos zu Boden fiel. Es dauerte lange, bis mich die freundliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt Eugeniens wieder herzustellen vermochte; und als es ihr endlich gelang, vergalt ich ihre Liebe mit einer niederträchtigen Handlung des Undanks, der Tyrannei und Ungerechtigkeit. Ich stieß sie von mir und machte ihr den bitteren Vorwurf, daß sie an meiner unglücklichen Lage schuld sei. Sie antwortete blos mit Thränen. Ohne Lebewohl verließ ich sie und das Kind; ich dachte nicht daran, daß ich sie nie wieder sehen würde. Ich flog nach dem Gasthof, wo ich abgestiegen war, setzte mich auf's Pferd und ritt zurück nach – – Hall.

So eben war Herr Somerville mit seiner Tochter angekommen; man mußte Emilie vom Pferde heben und in ihr Zimmer führen. Klara und Talbot eilten herbei und fragten, was vorgefallen wäre. Ich konnte ihnen keine Rechenschaft geben, und bat inständig um die Erlaubnis Emilie zu sehen. Sie ließ mich abweisen. Noch im Laufe dieses Tages, der an Seelenqual Alles übertraf, was ich je bei den größten Beschwerden meines Berufes erduldet hatte, kam es zu einer Erklärung zwischen mir, meinem Vater und Herrn Somerville. Was ich gleich Anfangs aus freiem Willen hätte thun sollen, that ich jetzt aus dem gebieterischen Zwang der Nothwendigkeit. Ich ward in meiner eigenen Schlinge gefangen. »Die Fäden des Teufels sind lang,« sagte ich bei mir selbst, »aber endlich ziehen sie sich doch zusammen.«

Die Folge dieser Erklärung war meine völlige Verabschiedung und die Zurückgabe aller Geschenke, welche Emilie von meinem Vater und mir erhalten hat. So tadelnswürdig mein Benehmen war, so erschien es doch weder meinem Vater, noch Herrn Somerville in demselben gehässigen Lichte; und beide wendeten Alles an, um die Eintracht wieder herzustellen. Auch Klara und Talbot vermittelten, aber mit gleich schlechtem Erfolge. Der jungfräuliche Stolz der unerbittlichen Emilie war durch eine schöne Nebenbuhlerin mit junger Familie im nächsten Dorfe in Unruhe gesetzt worden. Der Eindruck, den diese Entdeckung auf ihr fleckenloses Gemüth gemacht hatte, konnte nicht mehr vertilgt werden. Sie sah in mir das falsche, flatterhafte und betrügerische Herz, und erklärte, ihr Zimmer nicht mehr zu verlassen, so lange sie nicht von ihrem Vater die Versicherung erhielte, daß ich nicht länger Gast im Hause sei.

Unter diesen peinlichen Verhältnissen war ein längerer Aufenthalt in der Halle eben so zwecklos als trübselig, – eine Quelle des Elendes für uns Alle.

Am folgenden Morgen bestellte mein Vater seine Pferde, und mehr todt als lebendig ward ich nach London zurückgebracht.

Ein hitziges Fieber tobte in meinem Blute; in dem Augenblicke, als ich mein väterliches Haus erreichte, brachte man mich zu Bette und übergab mich einem Arzte und einigen Wärterinnen, die mich Tag und Nacht bewachten. Drei Wochen lang lag ich im Zustande der Betäubung, und als ich endlich meine Sinne wieder erlangte, geschah es nur, um die Qual zu erneuern, durch welche meine Krankheit veranlaßt worden war. Ich fühlte nichts weniger als Dankbarkeit für meine Genesung.

Meine liebe Klara war während meiner ganzen Krankheit nicht von meiner Seite gewichen. Ich hatte keine Arznei genommen, als aus ihrer Hand. Auf meine Bitte, mir zu erzählen, was inzwischen vorgefallen sei, sagte sie mir, Talbot sei abgereist; auch habe mein Vater Herrn Somerville gesprochen und von ihm erfahren, daß Emilie einen langen Brief von Eugenien erhalten, worin ihr diese alle Verhältnisse genau auseinandersetzte, mich entschuldigte und sich allein anklagte; indeß beharre meine gekränkte Braut noch immer fest auf ihrem Entschluß, mich nie wieder zu sehen. »Und ich fürchte, mein lieber Bruder,« fuhr Klara fort, »daß dieser Entschluß nicht leicht zu ändern sein wird. Du kennst ihren Charakter und solltest auch einigermaßen unser Geschlecht kennen; Seeleute, heißt es, fahren um die Welt herum und kommen niemals hinein. So sehr ich dich liebe und achte, so ist dieß der einzige Schatten von Entschuldigung, den ich für dich finden kann. Du hast Emilie an der empfindlichsten Seite verletzt, an der Seite, auf der wir alle eine Beleidigung am schmerzlichsten fühlen. Du hast ihren Stolz verwundet, und dieß vergibt unser Geschlecht nie, oder höchst selten. In demselben Augenblicke, wo sie sich schmeichelte, du lebest blos in ihr, du schwelgest im Vorgenusse des namenlosen Glückes, sie dein zu nennen, und zählest mit Ungeduld die Minuten bis zu diesem seligen Tage – in demselben Augenblicke erblickt sie dich, wie der Wanderer, der plötzlich aus dem Gehölze hervorkommt, die giftige Schlange, auf seinem Pfade schaut, und ihr nicht mehr aus dem Wege gehen kann – findet dich vierzehn Tage vor der Hochzeit, Hand in Hand mit einer Andern und die Frucht verbotener Liebe in deinen Armen. Welches Weib könnte dieß vergeben? Ich nicht das versichere ich dir. Wenn mir dieß Tal – wenn mir dieß irgend ein Mann thäte, ich würde sein Bild aus meinem Herzen reißen, und sollte das ganze Gerüste meines Körpers darüber zertrümmert werden. Ich halte es für einen Freundschaftsdienst, dir zu sagen, Frank, daß es keine Hoffnung für dich gibt. Aber so viel du auch gelitten hast und noch leiden wirst, die Arme leidet weit mehr, und ob sie dich gleich nie mehr annehmen wird, so wird sie doch deine Stelle durch keinen Andern ersetzen, sondern gebrochenen Herzens in's Grab sinken. Du wirst es vergessen, wie es alle Männer vergessen, aber welch' eine Warnung muß in dem Gedanken für dich liegen, daß die Schuld früher oder später Elend nach sich zieht! Dieß hast du in vollem Maße bewiesen. Dein strafbarer Umgang mit diesem Weibe hat Emiliens Frieden für immer gemordet, und die Rache der Gottheit den Becher, der so viel Seligkeit enthielt, als diese Welt zu gewähren vermag, von deinen Lippen weggerissen; ja die Strafe hat nicht allein dich getroffen – auch die Unschuldigen, welche keinen Antheil am Verbrechen haben, büßen mit dir. Wir sind Alle eben so elend als du selbst, aber des Herrn Wille geschehe.« Sie küßte meine schmerzende Stirne, und ihre Thränen fielen auf mein Antlitz.

Wie himmlisch ist die Liebe einer Schwester zu einem Bruder! Klara war mir jetzt Alles. Nachdem sie sich einmal über meine Schuld ausgesprochen (und man muß bekennen, daß sie nicht sehr karg mit den Worten war) erwähnte sie der Sache nie mehr, sondern bot alle Mittel auf, die in ihrer Gewalt standen, um mich zu beruhigen und aufzuheitern. Sie schenkte meiner Entschuldigung Gehör; sie gab zu, daß unser Zusammentreffen in Bordeaux eben so unerwartet als unselig war, und verdammte nur die Unbesonnenheit, mit einander zu reisen, und noch mehr die Wahl des Aufenthaltsortes für Eugenie und ihren Sohn.

Klara's liebevolle Aufmerksamkeit und Bemühung war vergeblich. Ich sagte ihr dieß und erklärte, in dieser Welt habe ich nichts mehr zu hoffen.

»Lieber, lieber Bruder,« rief das zärtliche Mädchen, »beantworte mir eine Frage. »Hast du jemals gebetet?«

Meine Antwort wird den Leser völlig in's Klare sehen, von welcher Art meine Religion war.

»Um dir die Wahrheit zu sagen, Klara,« erwiederte ich, »wenn ich auch nicht gerade bete, wie du es nennst, so sind ja die Worte von keiner Bedeutung. Ich fühle mich durch die Wohlthaten, die mir der Allmächtige erzeigt, zum Danke gegen ihn verpflichtet; und ich glaube, ein dankbares Herz ist Alles, was er verlangt.«

»Wie fühlst du dich aber, Bruder, wenn er dich mit Drangsalen heimsucht?«

»Dafür glaube ich ihm keinen Dank schuldig zu sein,« antwortete ich.

»Dann hast du keine Religion, mein lieber Frank.«

»Mag sein,« erwiederte ich; »aber ich bin jetzt nicht in der Laune, andere Gefühle zu nähren, darum bitte ich dich, den Gegenstand fallen zu lassen.« Sie brach in Thränen aus und sagte: »Das ist schlimmer, als Alles. Sollen wir das Gute aus der Hand des Herrn empfangen, und das Böse nicht annehmen?«

Da sie aber sah, daß ich verstimmt und unlenksam war, brachte sie die Sache nicht wieder zur Sprache.

Sobald ich im Stande war, das Zimmer zu verlassen, hatte ich eine lange Unterredung mit meinem Vater, der mir ungeachtet seiner feurigen Wünsche für mein Glück unumwunden erklärte, er sei fest überzeugt, daß jeder Versuch zu einer Aussöhnung fruchtlos sein würde. Er machte mir deßhalb zwei Vorschläge, und ersuchte mich, denjenigen auszuwählen, von dem sich am sichersten eine Erleichterung meines gramgepreßten Herzens erwarten ließe. Entweder wollte er seine Freunde auf der Admiralität bitten, mir den Oberbefehl einer Kriegsschaluppe zu übertragen, oder sollte ich mich auf das Festland begeben und nach einem Aufenthalte von einem Jahre nach England zurückkehren, indem man nicht wissen könne, welche Veränderung Zeit und Entfernung in den Gefühlen Emiliens zu meinen Gunsten hervorbringen würden.

»Denn,« fuhr er fort, »zwischen dem Herzen eines Mannes und dem Herzen eines Weibes findet ein merkwürdiger Unterschied statt. Jenes wird durch Entfernung sehr oft von seiner Liebe geheilt, dieses aber häufig darin bestärkt und befestigt. Während deiner Abwesenheit wird Emilie bei den Lichtseiten deines Charakters verweilen, und seine Mängel vergessen. Es verlohnt sich der Mühe, den Versuch zu machen, und er ist der einzige Weg, der eine Aussicht auf Erfolg darbietet.«

Ich war damit einverstanden und bemerkte blos: »Da jetzt der Krieg mit Frankreich vorüber ist, und wir auch mit ziemlicher Gewißheit einem baldigen Frieden mit Amerika entgegen sehen, so fühle ich keine Lust, Ihnen die Kosten und mir die Mühe zu verursachen, in Friedenszeiten eine Kriegsschaluppe auszurüsten, um die vornehme Welt zu Lustfahrten einladen zu können, und nichts mehr und nichts weniger als den Maître d'Hôtel zu machen, damit ich mir nach der Verschwendung Ihres und meines Geldes und meines ganzen Vorrathes an Höflichkeit sagen lasse, ich sei bei Almacks zum Dank für meine Bemühungen für ein ›ziemlich erträgliches Seethier‹ erklärt worden. Von einem Schiffe will ich also nichts wissen,« fuhr ich fort, »und da ich glaube, daß mir das Festland jedenfalls etwas Neues darbieten wird, so will ich mit Ihrer Erlaubniß den zweiten Vorschlag annehmen.«

Nachdem diese Bestimmung getroffen war, sprach ich mit Klara darüber. Der Schmerz des armen Mädchens kannte keine Gränzen. »Dich soll ich verlieren,« sagte sie, »mein theurer Bruder; allein soll ich auf dieser Welt zurückbleiben. Dein leidenschaftliches und ungeregeltes Herz ist nicht in der Verfassung, um sich den fröhlichen und leichtfertigen Franzosen anvertrauen zu können. Du wagst dich ohne Kompaß auf die See – du hast die Religion über Bord geworfen – und was soll dich leiten in der Stunde der Prüfung?«

»Besorge nichts, meine theuerste Klara,« erwiederte ich; »die Spannkraft meines Geistes wird mich aus den Gefahren retten, welche du fürchtest.«

»Ach, eben diese Spannkraft ist es, welche ich fürchte,« bemerkte Klara; »aber ich hege das Vertrauen, daß sich Alles zum Besten kehren wird. Nimm dieses kleine Buch von der armen Klara, welche Dich mit gebrochenem Herzen scheiden sieht, und wenn du sie liebst, so lies bisweilen darin.«

Ich nahm das Buch, umarmte sie zärtlich, und versprach, um ihretwillen darin zu lesen.

Als ich die Anordnungen zu meiner Abreise getroffen hatte, beschloß ich noch einen letzten Blick auf – – Hall zu werfen, bevor ich England verließe. Ohne Wissen meiner Familie machte ich mich auf den Weg und kam zur Zeit der Dämmerung in die Nähe des Parks. Ich hieß den Postillon eine halbe Meile vom Hause halten und meine Rückkehr erwarten, sprang über die Einfriedigung und gelangte auf Nebenwegen an's Haus. Das gewöhnliche Wohnzimmer der Familie war im Erdgeschoß. Ich näherte mich vorsichtig dem Fenster. Herr Somerville und Emilie waren beide im Zimmer: er las laut, und sie saß am Tisch und hatte ein Buch vor sich liegen, aber ihre Gedanken weilten augenscheinlich wo anders. Die schönen Finger strichen durch die Lockenhaare und die Stirne ruhte in den Handflächen; der Kopf war gegen den Tisch gebeugt, und stützte sich auf die Ellbogen. Sie schien in die schwermüthigsten Gedanken versenkt.

»Auch dieß mein Werk,« sagte ich; »die ansteckende Berührung meiner fluchbeladenen Hand hat diese schöne Blume gebleicht und gemordet. Gott im Himmel! Welch ein Elender bin ich! Wer mich liebt, wird mit Jammer belohnt; – und was habe ich durch die ungeheure Oede gewonnen, welche meine Ruchlosigkeit rings um mich her verbreitet hat? Glück? Nein, nein, das habe ich auf immer verloren. Wollte Gott, ich hätte nichts zu beweinen, als meinen Verlust! Wollte Gott, es gäbe einen Trost für die Seele dieses schönen Wesens und für die andere. Aber ich darf nicht, ich kann nicht beten; ich bin mit Gott und den Menschen zerfallen. Und dennoch will ich zu Gunsten dieses Opfers meiner Niederträchtigkeit einen Versuch machen. O Gott,« fuhr ich fort, »wenn das Gebet eines Verworfenen Erhörung finden kann, so bitte ich dich nicht für mich, sondern für sie um den Frieden, den die Welt nicht geben kann; gieße deine Segnungen auf sie herab, erleichtere die Last ihres Kummers, und tilge das Dasein eines Wesens, wie ich bin, aus ihrem Gedächtniß. Laß den schönen Körper nicht durch den Anblick meines hassenswürdigen Bildes vergiftet werden.«

Herr Somerville schwieg; Emilie nahm ihr Buch wieder auf und wischte sich eine Thräne von ihrer Wange. Die Aufregung, welche dieser Anblick in mir hervorbrachte, verbunden mit meiner vorhergehenden Krankheit, von deren Folgen ich mich noch nicht völlig erholt hatte, umwölkte meine Sinne. In der Hoffnung, der Anfall werde vorüber gehen, setzte ich mich unter das Fenster; aber ich hatte mich getäuscht, denn ich fiel bewußtlos auf den Rasen, und blieb wohl eine halbe Stunde lang liegen. Klara sagte mir später, Emilie habe das Fenster – es war ein französisches – geöffnet, um in den Garten zu gehen, und sich zu sammeln. Im hellen Mondlichte sah sie mich am Boden liegen. Ihr erster Gedanke war, ich hätte einen Selbstmord begangen; sie schloß das Fenster, wankte nach dem Hintergrunde des Zimmers und sank in Ohnmacht. Ihr Vater eilte ihr zu Hülfe, sie fiel in seine Arme. Man trug sie auf ihr Zimmer und übergab sie der Sorge ihrer Kammerfrau, von welcher sie zu Bett gebracht wurde. Erst am folgenden Tage vermochte sie über ihren Zustand, oder die Ursache ihres Anfalls Rechenschaft zu geben. Ich für meinen Theil kam allmählig wieder zur Besinnung und erreichte mit Mühe mein Gefährt; der Postillon sagte, ich sei ungefähr eine Stunde lang ausgeblieben. Ohne die entfernteste Ahnung, daß ich von irgend Jemanden und gar von Emilien bemerkt worden sei, fuhr ich nach der Stadt.

Als sie ihrem Vater erzählte, was sie gesehen hatte, schenkte er ihr entweder keinen Glauben, oder stellte sich wenigstens so, und nannte die Erscheinung eine Wirkung des verstimmten Gemüths, ein Phantom der überspannten Einbildungskraft, und zuletzt stimmte sie ihm selbst bei. Einige Tage später reiste ich nach dem Kontinent ab. Talbot, welcher Klara seit meiner Verstoßung von Emilien und meiner darauf folgenden Krankheit wenig mehr gesehen hatte, machte meinem Vater das Anerbieten, mich zu begleiten. Klara kannte keinen sehnlicheren Wunsch; denn sie war entschlossen, keinem seiner Worte Gehör zu geben, ehe ich von meinem Gram genesen sei; so lange ich leide, könne sie nicht glücklich sein, sagte sie, und gab ihm keine Gelegenheit mehr, über die Vermählung mit ihr zu sprechen.

Wir kamen nach Paris; aber ich war so sehr in Gedanken vertieft, daß ich weder sah, noch hörte. Vergebens erzeigte mir Talbot alle mögliche Aufmerksamkeit. Ich verharrte in meinem dumpfen Trübsinne und vergaß das Buch, welches mir Klara gegeben, und ich um ihretwillen zu lesen versprochen hatte. Bei meiner Ankunft schrieb ich an Eugenie und entlastete mein Gemüth einigermaßen durch das Geständniß meiner Schändlichkeit; ich flehte sie um Verzeihung an und erhielt dieselbe mit der umgehenden Post. Ihre Antwort war zärtlich und trostreich; aber ihr Geist, schrieb sie, sei niedergedrückt und ihre Gesundheit angegriffen.

Viele Tage lang verharrte ich in dem Zustande träger Gefühllosigkeit. Talbot wendete das verderblichste Reizmittel an, mich aus meinem Schlummer zu rütteln, oder gestattete Andern, es anzuwenden. Harmlos umhergehend begegneten wir einigen seiner Freunde und willigten in ihren Vorschlag, die Säle des Palais royal zu besuchen. Es war ein verzweifeltes Mittel, und nur durch ein Wunder wurde ich vom gänzlichen und unwiderruflichen Untergange gerettet. Ich wage es nicht auszusprechen, wie viele meiner Landsleute schon den Künsten zum Opfer gefallen sind, die in dieser entsetzlichen Schule des Lasters geübt werden. Selbst unsere Küsten sind von diesem verderblichen Gifte angesteckt worden, und die Großen des Landes haben es unter ihren Schutz gestellt. Sie hatten die Folgen empfunden und waren zum Voraus vor der Gefahr gewarnt worden; für sie gibt es keine Entschuldigung; ich aber habe wenigstens das für mich, daß ich von der Gesellschaft derjenigen ausgeschlossen war, die ich liebte. Immer in Aufregung lebend war es kein Wunder, daß ich bei dem Anblicke der Schätze eines Spieltisches auf einmal gefangen war.

Zum erstenmale seit meiner Krankheit war ich für irgend etwas empfänglich, und legte mein Geld auf die verabscheuungswürdigen Tafeln. Der Erfolg war veränderlich; aber ich wünschte mir Glück, endlich ein Reizmittel gefunden zu haben, und mit Sehnsucht wartete ich auf die Rückkehr der Stunde, wo die Thüren wieder geöffnet und die Zimmer zum Empfange der Gesellschaft erleuchtet würden. Ich gewann bedeutend; und Nacht um Nacht brachte ich am Spieltische zu; denn der Geiz ist unersättlich. Auf einmal kehrte mir das Glück den Rücken, und der gleiche Beweggrund bestimmte mich zur Fortsetzung des Spieles, denn ich hoffte wieder zu gewinnen, was ich verloren hatte.

Aber das Glück blieb mir ungünstig, und ich verlor bedeutend. Die Verzweiflung machte mich tollkühn, und ich zog große Summen auf meinen Vater. Er bat mich, ich möchte mich doch mäßigen, da das Doppelte seines Einkommens zu einem solchen Aufwande nicht hinreichen würde. Zugleich schrieb er auch an Talbot, der ihn von der Verwendung des Geldes und seinen vergeblichen Versuchen, mich von der unseligen Leidenschaft zu heilen, in Kenntniß gesetzt hatte. Da er jedoch sah, daß wenig Aussicht vorhanden war, meiner Tollheit Schranken zu stecken, weigerte er sich natürlich, irgend einen ferneren Wechsel zu bezahlen.

Ich wurde wahnsinnig über diese Erklärung, die ich in meinem Herzen Talbot zuschrieb, und zog nun auf Eugenien's Banquier Wechsel auf Wechsel, bis die Summe zu einem Betrage angewachsen war, der dasjenige noch überstieg, was mein Vater bezahlt hatte. Endlich kam ein Brief von Eugenien, er enthielt nur wenige Zeilen.

»Ich weiß nur zu gut, mein theuerster Freund,« schrieb sie, »was aus dem Gelde wird, das Du gezogen hast. Wenn Du mein ganzes Vermögen bedarfst, so kann ich es Dir nicht verweigern; aber bedenke, daß Du das Eigenthum Deines Kindes verschleuderst.«

Dieser Brief trug mehr dazu bei, mich zur Erkenntniß meines schändlichen Benehmens zu bringen, als Talbots Vorstellungen und meines Vaters Ermahnungen. Ich fühlte, daß ich wie ein Schurke handelte, und beschloß, das Spiel aufzugeben. »Noch eine Nacht,« sagte ich; »und verliere ich, so ist's aus, ich gehe nicht mehr hin.« Talbot begleitete mich; er fühlte, daß er gewissermaßen meine Einweihung in dieses verderbliche Vergnügen veranlaßt hatte, und beobachtete meine Bewegungen unaufhörlich mit der ängstlichsten Neugierde.

Man spielte rouge et noir. Ich setzte eine große Summe auf roth, gewann, ließ den Satz stehen, doppelte, und gewann wieder. Der Goldhaufen war zu einer bedeutenden Größe angewachsen und blieb immer stehen, um die Beständigkeit des Glücks herauszufordern. Wieder und wieder, und ich hatte das Doppelte von mir. Siebenmal war Roth aufgeschlagen worden, und siebenmal hatte sich mein Gold verdoppelt. Talbot stand hinter mir und bat mich dringend, mein Gold einzuziehen. »Welche Folgen kann eine Karte haben, die gegen Sie entscheidet! Vertrauen Sie dem Glück nicht länger; seien Sie mit dem zufrieden, was Sie gewonnen haben.«

»Das hilft mir nichts, Talbot,« murmelte ich ihm zu, »ich muß mehr haben.« Zum Erstaunen der Umstehenden wurde abermal Roth aufgeschlagen; und zu ihrem noch größeren Erstaunen blieb mein Gold, das zu einem ungeheuren Haufen angewachsen war, abermals stehen. Talbot drang auf's Neue in mich, das Glück nicht länger so thöricht zu versuchen.

»Die Thorheit, Talbot,« erwiederte ich, »ist schon längst begangen; und noch eine Karte, so kann sie wieder gut machen. Es muß sein.«

Nachdem Roth achtmal gewonnen hatte, wußten die Banquiers, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, ihren gesammten Verlust durch Quit à double wieder an sich zu bringen. Sie willigten in die neunte Karte. Talbot zitterte wie Espenlaub; die Karte wurde aufgeschlagen. Roth gewann, und die Bank war gesprengt.

Das Spiel hatte für diese Nacht ein Ende. Die Verlierenden machten ihren Gefühlen durch die gotteslästerlichsten Verwünschungen Luft, während ich ruhig meinen Gewinn einstrich. Ich fuhr in Begleitung zweier Gensd'armen, welche sich Talbot aus Vorsicht zur Begleitung erbeten hatte, in einem Fiaker mit meinem Freund nach Hause. Von unsern Begleitsmännern erhielt Jeder einen Napoleon zur Belohnung.

»Nun, Talbot,« sagte ich, »so wahr ich in den Himmel zu kommen hoffe, ich werde nie wieder spielen.« Und dieses Versprechen habe ich auf das Gewissenhafteste gehalten. Ich war ein Glücklicher gegen zehntausend Verlorene, die sich in jenem Hause zu Grunde gerichtet haben. Am andern Morgen gab ich Alles zurück, was ich auf Eugenie gezogen und von meinem Vater bekommen hatte, und noch eine bedeutende Summe blieb mir übrig.

Entschlossen, nicht länger in diesem Strudel der Zerstreuung zu verweilen, wo mein Vorsatz in jeder Stunde auf die Probe gestellt wurde, kamen wir mit einander überein, nach Brest zu reisen, um das dortige Arsenal einzusehen, auf das wir beide sehr begierig waren.


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