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Viertes Kapitel.

Es wird Zeit sein zur Heimkehr. Was soll ich von meinen Thaten sagen. Es muß eine recht plausible Erfindung sein, wenn ich damit ausreichen soll. Ich finde jedoch, mein Zeuge ist zu tollkühn.

Shakespeare.

An der wohlbekannten Wohnung meines Vaters angelangt, klopfte ich leise an die Vorderthüre, erhielt Einlaß und eilte, ohne dem Diener ein Wort zu sagen, in den Speisesaal. Dort warf ich mich meiner Mutter um den Hals, die nur ausrief: »Gütiger Himmel, mein Kind!« und in Krämpfe verfiel. Mein Vater, der eben damit beschäftigt war, sich Suppe zu schöpfen, sprang auf, um mich gleichfalls zu umarmen und meiner Mutter Beistand zu leisten. Die ganze Gesellschaft erhob sich wie eine Kette Rebhühner; eine Dame verderbte sich ihr neues, nelkenfarbiges Atlaskleid, weil ihr nächster Nachbar sie an die Ellenbogen stieß, als eben ein Löffel voll Suppe »die rosige Pforte ihres Mundes« erreicht hatte. Der kleine Wachtelhund Carlo begann ein lautes Gebelle, und in einer Minute befand sich das ganze stattliche Festmahl in Anarchie und Verwirrung.

Die Ordnung war jedoch bald wieder hergestellt. Meine Mutter faßte sich – mein Vater nahm mich bei der Hand – die Gesellschaft war der einmüthigen Ansicht, ich sei ein sehr schöner Knabe – die Damen nahmen wieder Platz, und ich hatte die Beruhigung, zu bemerken, daß mein plötzliches Erscheinen Niemand den Appetit genommen hatte. In letzterer Hinsicht überzeugte ich jedoch in Bälde alle Anwesenden, daß auch ich nicht hinter ihnen zurückzubleiben gedachte. Meine Midshipmanslaufbahn hatte mich durchaus nicht für die Genüsse einer üppigen Tafel unempfänglich gemacht oder mir dieselbe entleidet, und ich zögerte auch nicht im Geringsten, wenn mich einer der Herren einlud, mit ihm Wein zu trinken. Ich beantwortete jede Frage mit einer solchen Zungengeläufigkeit und so reichlichem Wortschwalle, daß der Fragende oftmals bedauern mochte, mich in die Mühe des Sprechens versetzt zu haben.

Ich gab von der Schlacht eine sehr schwunghafte Schilderung, lobte einige Admirale und Kapitäne wegen ihrer Tapferkeit, stichelte auf andere, und legte etlichen geradezu Feigheit oder Ungeschicklichkeit zur Last. Um meine Zuhörer recht nachdrücklich zu überzeugen, betheuerte ich hin und wieder meine Ausfälle mit einem Eide, worüber mein Vater ein ernstes Gesicht machte, meine Mutter ihren Finger erhob, die Herren in ein Lachen ausbrachen, und die Damen mit einem Lächeln riefen: »Ein köstlicher Knabe! – wie viel Lebhaftigkeit! – welch ein Verstand! – welches gesunde Urtheil!« Für mich selbst aber dachte ich: »Ihr seid doch eine so hübsche Heerde Gänse, als nur je eine Hafer verspeiste!«

Des andern Morgens, noch in der ersten Wärme des Empfangs, brachte ich bei Gelegenheit des Frühstückes meinem Vater und meiner Mutter das meine Equipirung betreffende Anliegen vor, wozu eigentlich mein Vater selbst Bahn brach, da er mich fragte, wie es mit meinen Kleidern aussehe.

»Schlimm genug,« versetzte ich, als ich eben über das dritte Ei verfügte, denn auch beim Frühstück ließ es mein Appetit an nichts fehlen.

»Wie so?« versetzte mein Vater. »Du warst doch mit Allem vortrefflich ausgestattet.«

»Wohl wahr,« entgegnete ich, »aber Sie wissen nicht, wie es auf einem Kriegsschiff zugeht, wenn es für die Schlacht geräumt wird. Alles, was nicht zu heiß, oder zu schwer ist, fliegt mit so wenigen Umständen über Bord, als ich diese Semmel verschlucke. ›Wem gehört diese Hutschachtel?‹ Mr. Spratt, Sir. ›Den soll doch der Teufel holen; ich will ihn lehren, ein andermal seine Hutschachtel besser aufzuheben – hinüber damit!‹ Und dann ging's über das Lee der Laufplanke. Spratt's Vater ist ein Hutmacher in Bond-Street, und so lachten wir Alle.«

»Aber, lieber Frank,« fragte meine Mutter, »machte deine Hutschachtel denselben Weg?«

»Sie leistete freilich Gesellschaft. Mit Thränen in den Augen sah ich beiden nach, denn ich dachte mir wohl, daß Sie zürnen würden.«

»Aber dein Koffer – was ist aus deinem Koffer geworden? du sagtest doch, daß diese Vandalen noch einigen Respekt vor schweren Gegenständen hätten, und der deinige – ich habe es auf meine Kosten erfahren – besaß ein ansehnliches specifisches Gewicht.«

»Das ist richtig, Vater, aber Sie haben keinen Begriff, um wie viel er schon am ersten Tage, als ich in die See stach, leichter wurde. Ich war seekrank und lag darauf wie ein Wallfisch – der erste Lieutenant und der Mate des Unterdecks kamen herab, um zu sehen, ob die Barken auch rein gehalten würden, und da lag ich eben mit meinem Noaskasten in dem Weg. ›Was haben wir da?‹ fragte Mr. Handstone. ›Nur Mr. Mildmay und seinen Koffer, Sir‹ versetzt der Sergeant der Seesoldaten, in dessen Gebiet ich, wie ich zugeben muß, sehr beträchtliche Eingriffe gemacht hatte. ›Nur?‹ wiederholte der Lieutenant. ›Ich hielt's für einen der großen Steine für die neue Brücke, und den Eigentümer für einen betrunkenen irischen Handlanger.‹ Ich fühlte mich zu unwohl, um mich viel an ihre Reden zu kehren.«

»Du vergißt dein Frühstück,« sagte meine Schwester.

»Nun, ich lasse mir wohl noch eine Semmel und eine weitere Tasse Kaffee gefallen,« entgegnete ich.

»Der arme Junge!« sagte meine Mutter. »Was er nicht ausgestanden haben mag!«

»O, ich habe Ihnen noch nicht die Hälfte erzählt, meine liebe Mutter; es wundert mich nur, daß ich noch am Leben bin.«

»Da sehe man!« entgegnete meine Tante Julia. »Hier, mein Lieber, hast du eine Kleinigkeit, um dir wieder zu der Equipirung zu verhelfen, die du im Dienste deines Vaterlandes verloren hast. Tapferer kleiner Mann, was wollten wir anfangen, ohne Seeleute?«

Ich steckte die kleine Bescheerung – sie bestand aus einem Zehnpfünder – in meine Tasche, beendigte mein Frühstück damit, daß ich dem bereits eingenommenen Mundvorrath eine Schinkenschnitte und einen halben Weck nachfolgen ließ, und fuhr in meiner Geschichte fort:

»Mr. Handstone's nächste Worte waren, daß mein Koffer zu groß sei; dann ließ er den Zimmermann vor sich bescheiden. ›Da, Mr. Adze,‹ sagte er, ›faßt diesen Koffer und nehmt ihm am Höhe und Länge je einen Fuß.‹ ›Sehr wohl, Sir,‹ versetzte Adze; ›kommen Sie, junger Herr – aufgestanden und geben Sie mir Ihren Schlüssel.‹ Ich war so krank, daß ich kaum zu sprechen vermochte, wußte aber ohnehin, daß Vorstellungen fruchtlos sein würden. Ich kroch daher herunter und händigte dem Zimmermann meinen Schlüssel ein, der sehr bedächtig aufschloß und mit großer Behendigkeit alle meine Schätze auskramte. Die Midshipmen standen um mich her und haschten mit großer Gier nach den Töpfchen mit Eingemachtem und nach dem Pfefferkuchen, welche die Mutter so hübsch eingepackt hatte, um sie vor meinen Augen zu verzehren. Einer davon steckte seine schmutzige Pfote in einen Topf mit schwarzem Johannisbeersaft, den Sie mir für's Halsweh mitgaben, und hielt mir eine Handvoll vor den Mund, obschon er wußte, daß ich ihn mit einem Erguß von Seekrankheit begrüßen würde.«

»Ich werde nie wieder einen Saft ansehen können,« sagte meine Schwester.

»Die abscheulichen Thiere!« rief meine Tante.

»So ging es mit allen meinen Leckerbissen,« nahm ich wieder auf. »Da ich krank war, so machte ich mir auch nichts daraus; aber als das Volk lachte und sich achtungswidrige Ausdrücke über meine liebe Mutter erlaubte, hätte ich aufspringen und ihnen die Augen ausreißen mögen.«

»Laß dich das nicht kümmern, mein liebes Kind,« entgegnete meine Mutter. »Ich will schon Sorge tragen, daß Alles wieder recht wird.«

»Das müssen wir freilich,« erwiederte mein Vater; »aber wenn ich bitten darf, meine Liebe, nur keine Säftchen und keine Pfefferkuchen mehr. Fahre fort in deiner Geschichte, Frank.«

»Nun, in einer halben Stunde wurde mir mein Koffer wieder zugestellt; man hätte jedoch immerhin noch einen Fuß weiter wegnehmen können, ohne daß es mir an Raum gebrochen hätte, das aufzubewahren, was mir die Plünderer gelassen hatten. Die leeren Safttöpfe wurden natürlich den Seesoldaten gegeben, und da mir noch einige andere schwere Artikel abhanden gekommen waren, so setzte mich das Unterbringen meiner Habe in keine Verlegenheit. Später kam dann, wie Sie wissen, die Schlacht, und da gingen Koffer, Bette und Alles zum – –«

»Wirft man denn bei solchen Gelegenheiten alle Kisten und Betten über Bord?« fragte mein Vater, mich mit einem festen Blicke ansehend, den ich nur mit Mühe zu erwiedern vermochte.

»Alles, was im Wege ist, und mein Koffer war im Wege, weßhalb er hinaus mußte. Ich konnte natürlich den ersten Lieutenant nicht zu Boden schlagen, da man mich sonst an eine Raa gehängt haben würde.«

»Dem Himmel sei Dank, daß du es nicht thatest,« rief meine Mutter. »Was geschehen ist, läßt sich wieder gut machen, aber ein solches Unglück hätte sich nie mehr verschmerzen lassen. Und deine Bücher – was ist aus diesen geworden?«

»Alle fort. Sie liegen irgendwo in der Nähe der Straße von Gibraltar – Alles dahin, meine Bibel ausgenommen; diese habe ich gerettet, weil ich zufälligerweise den Abend vor der Schlacht auf meiner Bank darin las.«

»Vortrefflicher Knabe!« riefen Mutter und Tante zumal; »ich bin überzeugt, daß er die Wahrheit spricht.«

»Ich hoffe, daß es so ist,« sagte mein Vater trocken, »obgleich ich gestehen muß, daß diese Seeschlachten, wie ruhmvoll sie auch für Altengland sein mögen, doch sehr kostspielige Unterhaltungen für die Eltern junger Midshipmen sind, wenn nicht allenfalls die theuren Söhnlein vor den Kopf geschlagen werden.«

Ob mein Vater Lunte zu riechen begann, oder ob er keine weiteren Fragen stellen mochte, um nicht noch weitere Windbeuteleien zu hören, weiß ich nicht; indeß bedauerte ich es nicht, daß das Verhör zu Ende war und ich mit fliegender Fahne entlassen wurde.

Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß die Bibel, welche mir in der guten Meinung meiner Mutter so wesentliche Dienste geleistet hatte, seit meinem Abgang aus dem elternlichen Hause nur ein einziges Mal geöffnet worden war, und damals geschah es aus dem einfachen Grunde, um mich zu überzeugen, ob nicht Banknoten zwischen den Blättern lägen, denn ich hatte gehört, daß etwas der Art schon öfters vorgekommen, weil die Eltern sehen wollten, ob die jungen Gentlemen auch »in der Schrift forschten«.

Ich wurde mit allen meinen Anliegen zufrieden gestellt, und zwar, wie ich glaube, um so schneller, da ich sehr lästig zu werden begann, denn meine Seemanieren wollten sich durchaus nicht mit dem Gesellschaftszimmer vertragen. Meine Mutter, Tante und Schwester waren ganz andere Frauenzimmer, als diejenigen, welche ich am Bord der Fregatte zu sehen gewohnt war. Mein Fluchen, wie auch die Barschheit, womit ich die männliche und weibliche Dienerschaft behandelte, kurz Alles trug dazu bei, die ganze Familie mit meiner Abreise zu versöhnen, und man sah mit Freude dem Tage entgegen, an welchem mein Urlaub ablief. Aber auch ich machte mir, sobald ich erhalten hatte, was ich wünschte, nichts daraus, wieder fortzukommen, und als die Kutsche vor der Thüre anlangte, sprang ich heiter hinein und fuhr nach Golden-Croß, um am andern Morgen wieder auf meinem Schiffe einzutreffen.

Ich wurde von den meisten meiner Schiffsgefährten, Murphy und einige seiner Spießgesellen ausgenommen, mit großer Herzlichkeit und Freude bewillkommt, und fühlte nicht die geringste Reue wegen der Lügen und der Heuchelei, womit ich meine Eltern getäuscht und betrogen hatte. Der Leser wird wahrscheinlich bereits bemerkt haben, daß außer der Verkleinerung meines Koffers und des Ueberfalls, womit meine Safttöpfchen und Pfefferkuchen heimgesucht wurden, kaum ein Titelchen Wahrheit in meiner Geschichte lag. Allerdings hatte es seine Richtigkeit, daß ich um das Meiste meiner Effekten gekommen war; indeß lag der Grund davon nur in meiner eigenen Nachlässigkeit, nicht aber in dem Umstande, daß sie über Bord geworfen wurden. Ich hatte nämlich den Tag nach meinem Eintritt auf dem Schiffe meinen Kofferschlüssel verloren, und die Schnelligkeit, womit meine Vorräthe abnahmen, überzeugte den ersten Lieutenant, daß für den Rest ein weit kleinerer Behälter zureichen dürfte; dieß war der einzige Grund, warum mein Koffer auf einen kleineren Maßstab reducirt wurde.

Meinen neuen Kleidervorrath brachte ich in einem Mantelsacke mit, der sehr bequem eingerichtet war, und ich gab mir Mühe, mein Eigenthum besser als bisher zu Rathe zu halten. Das Geld, welches man mir mitgegeben hatte, damit ich mir mehr Bettzeug anschaffen könne, steckte ich in meine Tasche, und ich begann jetzt mich überhaupt schlauer zu benehmen. Ich hatte bemerkt, daß man den am besten uniformirten Midshipmen stets die angenehmsten Aufträge ertheilt; es kam daher jetzt auch die Reihe an mich, die Damen, welche an Bord stiegen, um das Schiff zu besichtigen oder mit dem Kapitän und den Offizieren zu speisen, wieder an's Land zu bringen. Ich hatte ein ziemlich gutes Mundwerk, galt als ein hübscher Junge, und obgleich ich für mein Alter ziemlich stämmig war, so gestatteten mir die Damen doch ziemlich viele Freiheiten, weil ich ein herziger kleiner Middy und in meinem Sinn und Wesen so gar unschuldig sei. In Wahrheit wurde ich an Bord meines Schiffes weit besser in Ordnung gehalten, als dieß im Vaterhause der Fall war – dieß war die Wirkung der Disciplin, die sich freilich nur auf das Aeußere bezog. Mein Vater war ein talentvoller Mann, der wohl die Welt kannte, aber nichts davon wußte, wie es auf einer Flotte zuging, und sobald ich diese seine schwache Seite aufgefunden hatte, bediente ich ihn, wie vormals den Unterlehrer: das heißt, ich tauchte ihn und seine Freunde Hals über Kopf in die Roßschwemme ihrer Unwissenheit. Solche Ueberlegenheit bietet Lokalkenntniß und Verschmitztheit über abstrakte Kenntnisse und Erfahrungen.

Mein letztes erfolgreiches Auftreten in der Stadt hatte mir eine solche Zuversichtlichkeit gegeben, daß ich meine Dreistigkeit zu einer unglaublichen Höhe steigerte. Meine scheinbare Offenheit, meine Keckheit und die Gewandtheit, mit welcher ich auf Alles Rede stehen mußte, verschaffte den Produkten meines Gehirns den Werth klingender Münze, die noch obendrein weit höher angeschlagen wurde, als das langweilige Haften am Tatsächlichen von Seite meiner minder verschmitzten Kommilitonen.

Von meinen Knabenjahren habe ich nun beinahe genug gesprochen. Die Abenteuer eines Midshipman während der ersten drei Jahre seines Probedienstes dürften, wenn sie ausführlich erzählt würden, weit mehr anwidern, als unterhalten, und sind eher geeignet, zu verderben, als zu belehren. Ich gehe daher zu meinem sechzehnten Lebensjahre über, um welche Zeit meine Persönlichkeit sich so ausgebildet hatte, daß ich mit Grund stolz darauf sein konnte, denn ich war oft Zeuge, wie sich das schöne Geschlecht lobend darüber äußerte, und derartige Behauptungen sogar von meinen Gefährten bekräftigt wurden.

Mit Ausnahme der Moral und der Religion hielt die Ausbildung meines Geistes gleichen Schritt mit der meines Körpers – freilich wurden aber erstere mit jedem Tage mehr und mehr mangelhaft, bis ich sie auf eine Weile ganz außer Gesicht verlor. Der männliche, kräftige Bau und die edle Physiognomie, womit ich beglückt war, diente nur dazu, mich mit den getünchten Gräbern parallel zu stellen – innen war Alles Moder. Wie bei einer schönen Schlange, deren Gift sich unter dem Gold und Azur ihrer Schuppen birgt, war mein innerer Mensch von Stolz, Rachgier, Hinterlist und Selbstsucht aufgebläht, und meine besten Geistesgaben wurden häufig für die schnödesten Zwecke verwendet.

In der Kenntniß meines Berufes machte ich rasche Fortschritte, weil ich Freude daran hatte und mein Geist, der eben so thatkräftig und schwunghaft war, als mein Körper, der Nahrung eines wissenschaftlichen Strebens bedurfte. Ich wurde bald zu einem tüchtigen Praktiker und Theoretiker, was ich rein meinem eigenen Fleiße verdankte; denn wir hatten keinen Lehrer, und da mich die älteren Midshipmen, von welchen die jüngeren den gewöhnlichen Tagesdienst lernen mußten, nicht leiden konnten, so war ich natürlich von ihren Coterien ausgeschlossen. Ich nahm mir jedoch vor, diesem Mangel durch eigene Kräfte abzuhelfen, wozu mir mein guter Schulsatz sehr zu Statten kam. Ich hatte nämlich einen guten Grund in der Mathematik gelegt, war in der Algebra weit vorgerückt, und konnte mich deßhalb einer großen Ueberlegenheit über meine Gefährten rühmen.

Die größte Schwierigkeit bestand darin, mich nach dem Müssiggange vieler Monate wieder an Fleiß zu gewöhnen. Es gelang mir jedoch, sie zu bewältigen, und nachdem ich ein Jahr zur See gewesen war, fühlte ich mich in der Lage, gute Rechnung über unsere Fahrten abzulegen, welche ich auch jeden Abend dem Kapitän zur Prüfung einhändigte. Der Umstand, daß ich allen Unterrichts in der Schifffahrtskunde entbehrte, kam mir später, so sehr ich ihn auch anfangs beklagte, ungemein zu Statten. Ich mußte emsiger studiren und nach den Grundsätzen forschen, nach welchen ich meine Theorie bildete, so daß ich durch mathematische Demonstration nachzuweisen vermochte, was Andere nur mit einem unwissenschaftlichen »man sieht's ja« belegen konnten.

Der Stolz, es den älteren Midshipmen zuvorzuthun und die Hoffnung, ihre Unwissenheit bloß zu stellen, steigerte meinen Eifer und spornte meinen Fleiß. Die Bücher, welche ich meinem Vater als verloren gemeldet hatte, wurden aus meinem Koffer hervorgeholt, und mit einer wahren Gier verschlungen; auch borgte ich viele andere von den Offizieren, welchen ich die Gerechtigkeit wiederfahren lassen muß, daß sie mir nicht nur mit Bereitwilligkeit ihre Bibliothek zur Verfügung stellten, sondern mir auch zum Zwecke meiner Studien die Benützung ihrer Kajüten anboten.

So gewann ich Sinn für Lektüre. Ich erneuerte meine Bekanntschaft mit den alten Klassikern. Die verlockende Leichtfertigkeit des Horaz und Virgil bewog mich auf's Neue zum Studium des Lateinischen, und verschaffte meinem Geiste auf Kosten meiner Sittlichkeit die Kenntniß einer todten Sprache. Die Entscheidung der Frage, ob der Tausch vorteilhaft war oder nicht, muß ich reiferen Köpfen überlassen, als der meine ist; hierorts habe ich es blos mit Thatsachen zu thun.

Während mich also die engherzige Bosheit der älteren Midshipmen zu kränken glaubte, indem sie mich in Unwissenheit zu lassen gedachten, erwuchs mir daraus der größtmögliche Dienst, weil ich mich jetzt genöthigt sah, Zuflucht zu meinen eigenen Hülfsquellen zu nehmen. Mein Verhältniß zu den Schiffsgenossen verblieb bis zum Ablauf meines Midshipman-Curses fast stets das gleiche. Bei einigen Offizieren stand ich noch immer in Ungnade, und die älteren meiner Tischgenossen konnten mich nicht leiden, während ich der Liebling der jüngeren Midshipmen und der Mannschaft des Vordermastes war. Ich hielt es unter meiner Würde, den Tyrannen zu spielen, und ein gleicher Stolz gestattete es mir nicht, daß ich mir eine tyrannische Behandlung gefallen ließ. Je größer und kräftiger ich wurde, desto entschiedeneren Widerstand leistete ich gegen willkürliche Gewalt. Die gelegentlichen Ringkämpfe mit Knaben von meiner Größe (denn auch die besten Freunde streiten sich hin und wieder) und den überzähligen Midshipmen, die allenfalls zur Ueberfahrt an Bord geschickt wurden, endeten in der Regel damit, daß sie entweder meine Herrschaft bekräftigten oder mir eine friedliche Neutralität sicherten.

Dadurch wurde ich zu einem wissenschaftlichen Faustkämpfer, und nun unternahm ich auch hin und wieder einen Strauß mit den älteren. Bei solchen Gelegenheiten entwickelte ich, wenn ich auch besiegt wurde, so viel Tapferkeit, daß meine Feinde sich lieber in Acht nahmen, ehe sie sich abermals in einen Streit einließen, der, wie sie bemerkten, mit jedem Tage heißer verfochten wurde, bis zuletzt mein Spiel, gleich dem eines jungen Löwen, aufhörte, Scherz zu sein, und ich mich jener Ruhe erfreuen durfte, welche nur wenige, und dann jedenfalls zu ihrem eigenen Nachtheile, zu stören wagten. So stellte sich allmählig das Gleichgewicht der Kräfte her, und selbst Murphy bequemte sich zu einem höflichen Schweigen.

Neben der hinreichend bekannten Zunahme meiner persönlichen Kraft erlangte ich eine noch größere Ueberlegenheit über meine Gefährten durch meine geistige Ausbildung, die ich sie bei jeder Gelegenheit fühlen zu lassen bemüht war. In allen Fällen eines wissenschaftlichen Streites berief man sich auf mich, wie ich denn überhaupt einmüthig als Schiedsrichter des Zwischendecks anerkannt war. Man bezeichnet mich als »einen guten Gesellschafter,« – eine Eigenschaft, die nicht immer ihrem Besitzer zum Vortheil gereicht, da sie, wie es bei mir der Fall war, oft in recht schlechte Gesellschaft führt. Ich hatte eine schöne Stimme und spielte ein paar Instrumente. Dadurch wurden mir nicht selten Einladungen nach der Constablekammer und Befreiung vom Dienste zu Theil; bei solchen Gelegenheiten trank ich dann mehr Wein oder Grog, als mir gut war, und mußte Gespräche mit anhören, mit denen meine Ohren besser verschont geblieben wären.

Wir erhielten Auftrag, an der französischen Küste zu kreuzen, und da der jüngere Admiral einen Groll gegen unsern Kapitän hatte, so schwor derselbe bei allen Teufeln, wir müßten fort, ob wir nun segelfertig seien oder nicht. Wir erhielten das Signal zum Lichten, während die Proviantkähne und das Pulverboot mit unserer Munition neben uns lagen, deßgleichen auch noch keine von den Halbdeckkanonen befestigt oder auch nur auf den Lafetten war. Schuß um Schuß beantwortete der Gladiator, das Flaggenschiff des Hafenadmirals, die Signale des Royal William, welche uns zur Abfahrt aufforderten.

Der Kapitän, welcher nicht wußte, wie eine allenfallsige Weigerung von seiner Seite durch den Telegraphen nach London berichtet werden könne, und vielleicht auch fühlte, daß er ein wenig zu viel dem ersten Lieutenant überlassen hatte, riß das Schiff so zu sagen an den Haaren fort, ließ aus den Nachen Alles in bunter Verwirrung auf das Verdeck werfen, schaffte alle Weibspersonen, mit Ausnahme von fünf oder sechs der verworfensten, fort, lichtete die Anker und lief in einem Zustand von Verstörung, wie ich nie einen ähnlichen wieder zu sehen hoffe, bei starkem Nordwinde nach Yarmouth-Road's hinab und durch die Needles in die See hinaus.

Der Contreadmiral, Sir Sturmbrand Windmacher, sah uns, wie ich später erfuhr, von der Plattform aus nach und rief:

»Hol' ihn der Teufel (er meinte damit unsern Kapitän), da geht er endlich! Ich fürchtete, der Kerl möchte an seinen Ochsenknochen zu Grunde gehen, ehe wir ihn noch draußen hätten!«

Das Sprüchwort »allzugroße Hast ist schlimmer oft, als Rast« erwahrt sich auf der See weit öfter, als in jeder andern Lebenslage: für unser Schiff hätte es sich um ein Haar sehr verhängnißvoll erwiesen. Wären wir auf einen Feind getroffen, so hätten wir entweder schimpflich Reißaus nehmen oder uns ergeben müssen.

Wir hatten kaum die Needles hinter uns, als die Nacht einbrach und zugleich eine schwere Kühlte von Nord-Nordwest aufsprang. Offiziere und Mannschaft waren bis Morgens um vier Uhr beschäftigt, um die Boote und Anker zu befestigen, die Decken vom Mundvorrath zu räumen, und das untere Takelwerk aufzusetzen, das sich durch die Anstrengung des Schiffes auf eine beunruhigende Weise anzuspannen begonnen hatte. Mit vieler Mühe war dies endlich zu Stande gebracht, und auch die Kanonen festgemacht, ehe die Kühlte sich zu einem Orkane steigerte.

Um neun Uhr des andern Morgens fiel unglücklicherweise ein armer Seesoldat, ein Rekrute von Portsmouth, über Bord. Im Nu sprangen viele wackere Bursche in eines der Schanzboote und baten den Kapitän, er möchte sie hinunter lassen, um den Verunglückten zu retten; dieser war aber ein besonnener Rechner und dachte, die Wahrscheinlichkeit sei weit größer, daß seine sieben Mann gleichfalls zu Grunde gingen, als daß der einzige gerettet würde, weßhalb der arme Teufel seinem Schicksal überlassen werden mußte. Das Schiff hatte allerdings beigelegt; es triftete jedoch weit schneller leewärts ab, als der Unglückliche schwimmen konnte, obgleich er einer der besten Schwimmer war, die ich je gesehen habe.

Es war ein herzbrechender Anblick, wie muthig sich der junge Mensch abkämpfte, um das Schiff wieder zu erreichen; aber alle seine Anstrengungen dienten nur dazu, sein Elend zu verlängern. Wir sahen ihn noch eine Meile windwärts von uns, den einen Augenblick auf der Spitze einer berghohen Welle, im andern sich wieder in das tiefe, dazwischen liegende Thal versenkend, bis wir ihn endlich aus dem Gesicht verloren! Sein trauriges Schicksal wurde in dem Boote lange beklagt. Ich dachte damals, der Kapitän handle grausam, weil er kein Boot nach ihm aussehen ließ, jetzt aber bin ich durch Erfahrung belehrt, daß er sich nur einer schweren Nothwendigkeit fügte, und von zwei Uebeln das kleinere wählte.

Das Ende dieses jungen Menschen diente mir zu einer ernsten Warnung. Die Gewohnheit hatte mich außerordentlich rührig gemacht, und ich war so sehr darauf erpicht, meine neu erworbenen gymnastischen Fertigkeiten. von dem Matrosen »Lerchenflug« genannt, zur Schau zu stellen, daß mir die alten Quartiermeister und sogar die Offiziere oft einen plötzlichen Tod voraussagten. Sie meinten damit klärlich, daß ich entweder ertrinken oder den Hals brechen müsse, und letzteres hatte eine besondere Wahrscheinlichkeit für sich, da ich wie ein Affe an den Takelwänden auf- und abkletterte. Wenige von den Topgasten konnten es mir an Fertigkeit gleich thun, und noch wenigere waren im Stande, meine wagehalsige Heldenthaten zu übertreffen. Ich konnte auf den Topsegelraaen bis zu der Nocke hinauslaufen, auf den Stagen von einem Mast zum andern klettern, oder in einem Nu an den Topsegelziehtauen auf das Verdeck hinunterschießen. Aus der Aussicht des Ertrinkens machte ich mir nicht so viel, da ich ein sehr rüstiger Schwimmer war; das Schicksal des armen Seesoldaten jedoch, der so gut, wo nicht besser, schwimmen konnte, als ich, lehrte mich Vorsicht. Ich entnahm daraus, daß Fälle eintreten konnten, in welchen meine Fertigkeit nutzlos war und auch die Matrosen nichts zu meiner Rettung beizutragen vermochten, wie sehr sie auch, da ich bei allen sehr beliebt war, dazu geneigt sein mochten. Von Stunde an wurde ich daher viel behutsamer in meinen Bewegungen, wenn ich mich in dem Takelwerk herumtrieb.

Kurz nachdem wir in See gestochen, ereignete sich ein Umstand, der mir ungemein viele Freude machte. Murphy, den sein Charakter veranlaßte, gegen Jeden den Eisenfresser zu spielen, den er meistern zu können glaubte, fing Streit an mit einem sehr ruhigen, anständigen Supernumerar-Midshipman, welcher an Bord gekommen war, um nach seinem eigenen Schiffe überzufahren, welches damals in der Bai von Biscaja lag. Der junge Mann, den dieses unschickliche Benehmen ärgerte, forderte Murphy zum Boxen heraus, was denn auch angenommen wurde. Da jedoch der Supernumerar zu dem Diner des Kapitäns eingeladen war, so machte er den Vorschlag, den Kampf nach Tische auszufechten, weil er an der Tafel des Kapitäns nicht mit einem blauen Auge erscheinen mochte. Murphy betrachtete dies für eine Ausflucht und fügte eine weitere Kränkung bei, indem er sagte, sein Gegner werde wohl Holländer-Muth bedürfen und überhaupt gar nicht boxen, wenn er nicht in der Kajüte genug Wein zu trinken bekomme.

Der hochherzige Jüngling gab auf diese Unverschämtheit keine Antwort, sondern verfügte sich, sobald er angekleidet war, zum Diner. Nach dem Verlesen aber rief er Murphy in's Volkslogis und regalirte ihn mit einer so tüchtigen Tracht Schläge, als ihm wohl je in seinem Leben zu Theil geworden war. Der Kampf dauerte nur eine Viertelstunde; der junge Supernumerar entfaltete jedoch während desselben eine so wissenschaftliche Fausttaktik, daß die rohe Kraft seines Gegners daran ganz zu Schanden wurde, denn derselbe konnte ihm gar nicht auf den Leib kommen und war froh, als er wieder nach seiner Back abziehen durfte, wohin ihn das Zischen und Grunzen aller Midshipmen, mich natürlich nicht ausgeschlossen, verfolgte.

Nach einem so klaren Beweise von den Vortheilen eines wissenschaftlichen Vertheidigungssystems entschloß ich mich, gleichfalls Unterricht im Boxen zu nehmen, und in der Schule des jungen Fremden machte ich bald so gute Fortschritte, daß ich recht wohl im Stande war, mit Murphy und seinem Anhange anzubinden.

Unter den dienstlichen Verrichtungen, die mir oblagen, gab es eine, die mir besonders zuwider war – nämlich das Wachen bei Nacht. Ich liebte den Schlaf und konnte, sobald es zehn Uhr geschlagen hatte, meine Augen nimmer offen erhalten. Weder die Wassereimer, welche die Midshipmen unter der scherzhaften Bezeichnung »den Nordkaper tränken« reichlich über mich ausgossen, noch die Vorwürfe und Strafen des ersten Lieutenants waren im Stande, meine schlummernde Thatkraft anzufachen, wenn einmal die erste Hälfte meiner Wache vorüber war. Ich war einer der entschiedensten Morpheusverehrer, und hatte um der Huldigungen willen, die ich diesem süßen Gotte zollte, alle Arten von Märtyrerthum zu erdulden. Der erste Lieutenant nahm mich zur Wache, und gab sich alle Mühe, mir sowohl durch milde, als durch strenge Maßregeln meine üble Angewöhnung zu entleiden. Indeß wußte ich ihm stets zu entkommen, um mich in irgend einer Ecke zu verbergen, wo ich den Rest der Wache verschlief. Freilich wurde ich dann des andern Morgens nach dem Mastkorbe geschickt, um für meine in der Dunkelheit verübte Unthat den größten Theil des Tages über in röstender Sonnenhitze Buße zu thun. Ich glaube, daß ich in den ersten zwei Jahren meines Dienstes wohl die Hälfte meiner wachen Stunden in der Höhe verbrachte.

Ich säumte jedoch nicht, mich mit Büchern zu versehen, und so war ich auch an meinem Strafplatze im Ganzen weit besser beschäftigt, als dies in meiner Back unten möglich gewesen wäre. Mr. Handstone war zwar äußerst strenge, aber doch ein Mann von Bildung, der sich sehr für die Kadeten seines Schiffes interessirte, und sich mit ihrem Unterrichte viele Mühe gab. Wenn er mir dann über die große Ungebührlichkeit meines Benehmens ernste Vorstellungen machte, lautete meine Antwort unabänderlich, ich fühle das so gut, als irgend Jemand, könne aber nicht anders, und so bleibe mir keine Wahl, als mich seiner Gnade anheimzugeben und die wohlverdiente Strafe geduldig hinzunehmen. Um mit mir über etwas zu sprechen, was mich seiner Ansicht nach interessiren oder unterhalten konnte, pflegte er mich oft auf die Luvseite des Deckes zu rufen, fragte mich, da ich leidlich in der Geschichte bekannt war, um meine Meinung und theilte mir dann die seinige mit vieler Tiefe und Umsicht mit; aber die Schwere meiner Augenlider war so unüberwindlich, daß ich gewöhnlich, mitten in einer langen Abhandlung, auf die Laufplankenleiter niederglitt und es ihm überließ, seine Rede an die Winde zu richten.

Wenn etwas der Art vorfiel, wurde ich weit strenger bestraft, als bei jeder andern Gelegenheit, denn zu der Vernachlässigung meines Dienstes kam dann auch noch Respektswidrigkeit gegen seinen Rang und Mißachtung der Belehrung, die er mir zudachte. Wenn er dann gar erst durch das Kichern der Midshipmen oder des Quartiermeisters an der Kanone auf mein Verscheiden aufmerksam gemacht wurde, so steigerte sich natürlich sein Zorn nur um so mehr.

Eines Abends zog ich mir seine völlige Ungnade zu, obgleich sich viel zu meinen Gunsten hätte sagen lassen. Er hatte mich Morgens um sieben Uhr nach dem Fockmastkorbe geschickt und, entweder absichtlich oder aus Vergeßlichkeit, den ganzen Tag dort gelassen. Als er das Deck verließ, um sein Diner einzunehmen, kam ich nach dem Mars herunter, machte mir in einem der Bramoberleesegel ein Bette zurecht, bat den Ausluger, mir zu rufen, ehe der Lieutenant voraussichtlich wieder aufs Deck komme, und schickte mich in aller Ruhe an, meiner Lieblingsgottheit das ehrerbietige Opfer zu bringen. Da jedoch der Ausluger den Lieutenant nicht heraufkommen sah, so schlief ich eben ruhig fort, bis mir Mr. Handstone die Ehre erwies, sich zu erinnern, wo er mich gelassen hatte. Er sah nach dem Fockmastkorbe hinauf und rief mich auf das Deck.

Gleich Milton's Teufeln, die »schlafend gefunden wurden von einem, den sie fürchteten,« sprang ich auf und klomm an der Topsegelschleife nach meinem Strafplatze, meinend, oder vielmehr hoffend, er würde mich in der Dunkelheit des Abends vor dem Maste nicht sehen können; er hatte jedoch die Augen eines Luchses und nicht Takt genug, um nicht zu bemerken, was er eigentlich nicht hätte sehen sollen. Er rief den drei Topgasten zu, wo ich sei, und ihre Antwort lautete: »Im Mastkorbe.«

»Was?« rief Mr. Handstone mit einem Fluche; »habe ich ihn nicht erst in diesem Augenblick an der Topsegelschleife emporklimmen sehen?«

»Nein, Sir.« versetzten die Männer. »Er schläft im Mastkorbe.«

»Herunter mit Euch, Ihr lügnerischen Schufte –« rief der erste Lieutenant. »Herunter mit Euch Allen! Ich will Euch die Wahrheit sprechen lehren!«

Ich hatte in der Zwischenzeit ruhig meinen Posten wieder eingenommen und erhielt gleichfalls Befehl, hinunter zu kommen.

So standen wir nun alle vier auf dem Halbdecke, um folgendes Verhör über uns ergehen zu lassen:

»Nun, Bursche,« begann der erste Lieutenant gegen den Kapitän des Tops, wie kannst du dich unterstehen, mir zu sagen, dieser junge Gentleman sei im Mastkorb gewesen, während ich ihn doch selbst an der Topsegelschleife hinaufklettern sah?«

Es that mir um die Männer leid, die sich um meinetwillen in Gefahr begeben hatten, und ich war eben im Begriffe, die Wahrheit zu bekennen und so das Gewitter auf mich abzuleiten, als der Mann zu meinem größten Erstaunen keck entgegnete:

»Bei meiner Ehre, Sir, er war auf dem Mastkorbe.« »Ha, Eure Ehre!« rief der Lieutenant verächtlich und wandte sich dann an die andern Männer, welchen er dieselbe Frage vorlegte. Beide antworteten jedoch mit derselben Entschiedenheit in dem Sinne ihres Vorgängers, so daß ich wirklich zu glauben anfing, ich sei die ganze Zeit über im Mastkorbe gesessen und habe von meinem Ausfluge nach dem Mars nur geträumt. Endlich kehrte sich Mr. Handstone zu mir um und sprach:

»Nun, ich frage jetzt Sie auf Ihr Ehrenwort als Gentleman und Offizier – wo sind Sie gewesen, als ich Ihnen zum erstenmale rief?«

»Im Mastkorbe, Sir,« erwiederte ich.

»So sei's d'rum,« versetzte er; »da Sie Ihr Wort als Offizier und Gentleman gegeben haben, so muß ich Ihnen glauben.«

Dann wandte er mir den Rücken und entfernte sich in größerer Wuth, als ich je an ihm bemerkt hatte.

Ich bemerkte deutlich, daß er mir nicht glaubte, und daß ich seine gute Meinung gänzlich verscherzt hatte. Wenn man übrigens den Fall vorurtheilsfrei und unparteiisch betrachtet, so wird man begreifen, daß ich nicht anders handeln konnte. Ich war viel zu lange nach dem Mastkorbe verbannt gewesen – so lange, daß man in der Zwischenzeit mit Postpferden von London nach Bath hätte kommen können – war außerdem um alle meine Mahlzeiten gekommen, und nun sollten auch noch diese armen Bursche wegen der kecken Lüge, die sie in meinem Interesse gesprochen hatten, an der Laufplanke gepeitscht werden! – denn dieses wäre zuverlässig geschehen, wenn ich sie nicht unterstützt hätte. Außerdem würde ich auch noch die Zuneigung sämmtlicher Matrosen an Bord verscherzt haben – eine verfängliche Lage, die mir die Wahl nicht lange schwer machte: ich sah mich als Mann von Ehre genöthigt, eine Lüge zu sagen, um den armen Teufeln eine grausame Züchtigung zu ersparen.

Ich fühle, daß dies ein Fall ist, der eigentlich einer Synode vorgelegt werden müßte, denn obgleich ich nicht anmaßend genug bin, um mir die Festigkeit eines Märtyrers zuzutrauen, so würde ich doch keinen Augenblick Anstand genommen haben, die Wahrheit zu gestehen, wenn die Folgen blos mich allein betroffen hätten. Dagegen verdiente der Lieutenant zwiefachen Tadel, einmal wegen allzugroßer Strenge, und dann wegen der rigorosen Untersuchung einer Sache, die gar nicht der Mühe werth war. Demungeachtet sagte mir mein Gewissen, daß ich Unrecht gethan hatte, und sobald sich der Zorn des Lieutenants so weit gemildert hatte, daß ich hoffen durfte, die Strafe bleibe den Männern vom Top erspart, nahm ich der ersten Gelegenheit wahr, ihm die Beweggründe meines Benehmens namhaft zu machen und ihm meine damalige peinliche Lage vorzustellen. Er hörte jedoch nur mit Kälte auf meine Entschuldigungen, und von Stunde an wurden wir nie wieder Freunde.

Unser Kapitän, ein wackerer Seemann, war bemüht, die feindlichen Posten an der Küste von Frankreich zu zerstören. Bei einer von unserer Bootsexpeditionen, in welche ich mich einschmuggelte, gingen wir an's Land, nahmen eine feindliche Batterie und vernagelten das Geschütz. Die Franzosen nahmen aus Leibeskräften Reißaus, worauf wir die Hütten einiger armen Fischer plünderten. Auch ich machte mit, traf aber, statt Beute zu finden, auf eine tüchtige Züchtigung. Ein großer Engelfisch lag da, in dessen offenes Maul ich meinen Zeigefinger steckte, um ihn mit fort zu nehmen; das Thier war jedoch nicht todt, sondern schnappte zu und durchbiß mir meinen Finger bis auf den Knochen. Dies war das einzige Blut, welches bei dieser Gelegenheit vergossen wurde.

Obgleich ich auch mich selbst nicht freisprechen konnte, that es mir doch leid, sehen zu müssen, wie sehr die Plünderungssucht unter uns vorherrschend war. Die Matrosen nahmen sogar Dinge mit, die sie durchaus zu nichts brauchen konnten, und wenn sie dieselben eine Strecke weit mitgeschleppt hatten, warfen sie ihre erste Beute weg, um nach einer andern, eben so nutzlosen zu greifen. Ich habe seitdem oft darüber nachgedacht, mit wie großem Recht ich für meinen Fehler gezüchtigt wurde, und wie unnöthigerweise man gerne die Schrecken des Krieges, harmlosen und unglücklichen Mitmenschen gegenüber, erhöht.

Unser nächster Versuch hatte einen ernstlichen Charakter und brachte noch größeres Elend auf die gewöhnlichen Opfer des Kriegs, die unschuldigen Gewerbetreibenden, während die Anstifter ruhig und wohlbewahrt in ihren Daunenbetten schlafen.


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