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XXVIII.

Francine an ihren Gatten.

»Ich will es versuchen, in dieser entscheidenden Stunde unseres Lebens ohne Haß an Dich zu schreiben, und ich wünschte, daß Du meine Mitteilungen kaltblütig und ruhig zur Kenntnis nehmen mögest. Wenn es Dir auch gelungen ist, unsere Scheidung gegen alles Recht zu hintertreiben, so wirst Du doch keinen Moment glauben, daß ich daran denke, das Leben an Deiner Seite wieder aufzunehmen. Ich mache Dir folgenden Vorschlag: Wir gehen offiziell auseinander und lassen einander gegenseitig absolute Freiheit. Josette bleibt bei mir und ich überlasse Dir gegen eine entsprechende Rente auch weiterhin die Verwaltung meines Vermögens.

Die Vorteile dieser Vereinbarung werden Dir ohneweiters einleuchten. Du wirst völlige Freiheit haben, Dir Dein Leben ganz nach Deinem Belieben und Deinen Grundsätzen einzuteilen. Auch ich werde versuchen, mir ein neues Leben aufzubauen.

Francine Favié.«

Die Antwort auf diesen Brief überbrachte die alte Frau Le Hagre mündlich Gräfin Favié. Die Zusammenkunft der beiden Frauen, die, jede in ihrer Art, voll Liebe an ihrem Kinde hingen, verlief bewegt.

»Zum zweiten und letzten Male«, erklärte Frau Le Hagre und betonte jede Silbe, »erscheine ich – trotz des durch Francine verursachten Skandals – als freundschaftliche Vermittlerin. Über den Brief meiner Schwiegertochter ist eine Diskussion unmöglich. Die äußersten Konzessionen, zu denen Fernand bereit ist, sind folgende: Francine hat sofort in christlicher Demut in sein Haus zurückzukehren und seinen Namen in einwandfreier Korrektheit zu tragen. Fernand seinerseits wird ihr ein ergebener Gatte und nachsichtiger Freund sein und wird in seinem Takt so weit gehen, daß er nicht einmal auf der Erfüllung der ehelichen Pflichten bestehen wird. Josette wird in einem Kloster untergebracht werden, wo ihre Mutter sie jeden Sonntag besuchen kann. Falls Francine diese Bedingungen ablehnen sollte, würde sie damit beweisen, daß für ihr Verhalten gegen ihren Gatten andere Gründe maßgebend sind als die, auf die sie sich bisher berufen hat. In diesem Falle würde Fernand Josette zu sich nehmen, um ihre moralische und religiöse Erziehung zu sichern, und würde der Mutter das Recht absprechen, das Kind zu sehen. In materieller Hinsicht hat Francine überhaupt keinen Anspruch. In ihrem Heim, Rue Murillo, erwartet sie Komfort und Luxus. Außerhalb nichts! Fernand als Haushaltungsvorstand hat nicht die Verpflichtung, eine Frau zu erhalten, die die Heimkehr in die gemeinsame Wohnung verweigert und entschlossen ist, allein und selbständig ihr eigenes Leben zu führen.«

Gräfin Favié beschränkte sich darauf, Frau Le Hagre vorzuhalten, daß es doch unvernünftig und unrecht sei, zwei Menschen, die sich haßten, gewaltsam wieder zusammenbringen zu wollen.

»Der Platz einer anständigen Frau«, rief Frau Le Hagre, »ist an der Seite ihres Gatten. Francine hat das Urteil der Gerichte angerufen, nun muß sie sich auch der Entscheidung fügen. Gott sei Dank gibt es noch Richter in Paris und die Scheidung wurde nicht bewilligt! Mein Sohn ist der Herr, Francine hat sich zu unterwerfen!«

Gräfin Favié zitterte noch, als sie Francine und Éparvié, die zusammen in der Stadt gewesen waren, von dem Besuche der Schwiegermutter erzählte.

»Jetzt wird man wohl nicht mehr in Abrede stellen können, daß wir alles, was möglich ist, versucht haben«, entschied Francine.

Und Éparvié, der bisher vorsichtig zum Maßhalten geraten hatte, nahm nun mit kalter Entschlossenheit die Verantwortung für alle weiteren Schritte auf sich.

Wenn Francine willens war, ihr Joch abzuschütteln, war er bereit, sie, die er schon als seine Frau betrachtete, zu verteidigen, sie, wenn sie es wünschte, mit Josette bis ans Ende der Welt zu führen.

Gewiß hatte er für Francine einmal ein anderes Leben erträumt. Aber unter den gegebenen Verhältnissen war er sich über seine Pflicht klar: Das Leben Francines, wie immer es sich auch gestalten würde, zu teilen, ihr zu helfen, daß aus Josette einmal ein braver Mensch würde, klug und herzensgut wie ihre Mutter.

Jedenfalls war er entschlossen, vorher noch Le Hagre aufzusuchen, denn es schien ihm möglich, daß dieser inzwischen vielleicht zur Einsicht gekommen sein könnte.

Le Hagre saß am Kamin und trank eine Schale Schokolade, als ihm das Stubenmädchen meldete, daß ein Herr, der seinen Namen nicht nennen wolle, vorgelassen zu werden wünsche.

Als Éparvié, ruhig und gelassen, eintrat, starrte ihm Le Hagre erblassend ins Gesicht. Es fiel ihm ein, daß seine Mutter, der Kammerdiener und die Köchin außer Hause waren und er im Notfalle nur das kleine Stubenmädchen zu seiner Unterstützung bei der Hand habe.

»Ich hoffe, daß ich nicht störe«, sagte Éparvié artig. »Mein Name und meine Person dürften Ihnen wohl nicht unbekannt sein. Vor neun Jahren hatte ich das letztemal das Vergnügen, Sie zu sehen. Ich hatte damals eben Gräfin Favié um die Hand ihrer Tochter gebeten, um die Hand Francines, die Sie später zu Ihrer Frau gemacht haben …«

Da Le Hagre ihm keinen Platz anbot, zog er sich selbst einen bequemen Stuhl an den Kamin und setzte sich nieder.

Le Hagre rückte in die Nähe der elektrischen Klingel. Vielleicht war der Mann ein gefährlicher Irrsinniger? … Wollte er ihn zum Duell fordern? Jedenfalls war es ein starkes Stück, daß dieser Mensch, den er kaum kannte, bei ihm eindrang, sich in seine Privatangelegenheiten mischte und es wagte, eine Unterhaltung über Le Hagres Gattin zu eröffnen.

»Ich weiß nicht recht, was Sie zu mir führt …«

»Oh, eine höchst einfache Sache, mein Herr«, sprach Éparvié. »Ich habe die Ehre, Frau Francine Le Hagre zu lieben und …«

»Ein schlechter Scherz!« rief Le Hagre überrascht aus.

»Durchaus kein Scherz«, fuhr Éparvié phlegmatisch und entschlossen fort. »Ich halte es für meine Pflicht, vor allem Sie von dieser Tatsache zu verständigen.«

»Sie beleidigen mich!«

»Wieso? Frau Le Hagre hat mir, ihrem ergebensten Freunde, mit freiem Willen erklärt, daß sie nicht gesonnen sei, das gemeinsame Leben mit Ihnen wieder aufzunehmen. Infolgedessen richte ich an Sie die Frage, warum Sie sich weigern, dieser Frau ihre Freiheit zurückzugeben? Warum Sie sich von ihr nicht in Freundschaft und Frieden trennen wollen?«

»Meine Frau gehört mir!« knirschte Le Hagre wütend. Er bedauerte in diesem Moment nur, daß er sich nicht kräftig genug fühlte, seinen Besucher über die Stiege oder durch das Fenster zu werfen. »Meine Frau gehört mir!« wiederholte er erbittert. »Das werden Sie wohl nicht bestreiten?«

Éparvié fühlte, wie heißer Zorn in ihm aufwallte.

»Glauben Sie nicht,« sagte er, »daß ein Mann von Ehre seiner Gattin gegenüber sich nicht auf diesen Standpunkt stellen dürfte …?«

»Das kümmert keinen Menschen etwas!« rief Le Hagre feindselig. »Frau Le Hagre trägt meinen Namen, niemand kann mich zwingen, sie freizugeben … Niemand kann mich zwingen, mich scheiden zu lassen … Das Gesetz ist auf meiner Seite …«

»Ist Ihnen niemals eingefallen, daß Sie sich, trotz Recht und Gesetz, wie ein Schuft benehmen? Das hat Ihnen noch niemand gesagt? So? Dann nehme ich mir die Freiheit, es Ihnen hiemit zu erklären!«

Le Hagre wurde grün vor Furcht.

»Herr,« stammelte er, »Sie irren sich, wenn Sie glauben, mich provozieren zu können! Ich denke nicht daran, in Ihre Falle zu gehen … Wagen Sie es nicht, mich zu berühren!«

»Haben Sie doch keine Angst!« lächelte Éparvié.

Le Hagres Hände zitterten.

»Nein, mein Herr, ich lasse mich weder durch Drohungen noch durch Beleidigungen einschüchtern. Sie haben sich geirrt! Ich habe das Gesetz für mich. Tun Sie, was Sie wollen … ich kann meine Frau nicht hindern, sich zu entehren. Entführen Sie sie! Nehmen Sie sie zu sich ins Bett, wenn es Ihnen Vergnügen macht. Aber auf meine Rechte verzichten? Niemals …!«

Plötzlich preßte er beide Hände gegen seine Leber und stöhnte:

»Ach, ich bin krank! Gehen Sie! Haben Sie Mitleid! Ich leide … Aber wenn ich daran zugrunde gehen müßte, ich willige doch nicht in die Scheidung …!«

Er heulte diese Worte so laut, daß Eugen, der eben zurückgekehrt war, in der Küche zu dem Stubenmädchen sagte:

»Es scheint, daß unser Herr umgebracht wird …« Eine Annahme, die ihn übrigens keineswegs in Aufregung versetzte.

»Gut«, sagte Éparvié. »Ich habe Mitleid mit Ihnen. Ich hielt es für richtig, Sie zu verständigen. Nun steht es Ihnen frei, zu tun, was Ihnen beliebt …«

Le Hagre öffnete die Türe und rief hinaus: »Eugen, führen Sie den Herrn hinunter!« Allein in seinem Zimmer geblieben, schleuderte er das Frühstücksgeschirr mit einem Fußtritt zu Boden, zerstampfte in sinnloser Wut die Scherben und bekam einen Weinkrampf.

Acht Tage später ließ er seiner Frau durch das Gericht die Aufforderung zukommen, sie möge mit ihrer Tochter ohne Verzug in das eheliche Heim zurückkehren.

Wieder acht Tage später erwirkte er einen Gerichtsbeschluß, der anordnete, daß Josette ihm binnen vierundzwanzig Stunden zuzuführen sei.

Als der Polizeikommissär bei Gräfin Favié vorsprach, um die Ausfolgung des Kindes zu verlangen, war Francine, rechtzeitig gewarnt, nach Lyon zur Familie Morland abgereist.


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