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Charlie war eben im Kasernenhof vom Pferde gestiegen, als er die Antwort der Gräfin Favié mit ihrem unwiderruflichen Nein erhielt. Er durchflog das Schreiben hastig und steckte es dann in seine Brieftasche.
»Schlechte Nachrichten?« erkundigte sich Leutnant de Cometroy und drehte sich eine Zigarette.
»Warum?« fragte Charlie kurz und ablehnend.
»Du bist totenblaß geworden, mein Lieber …!«
Während Charlie die Kaserne verließ, faßte ihn ein leichter Schwindel. Mechanisch hob er die Hand an das Käppi, wenn ihn jemand grüßte. Seine Verzweiflung war grenzenlos. Gabriele verlieren … er konnte es nicht fassen.
Er war so verzagt, daß er einen Moment an Selbstmord dachte. Nur seine religiösen Empfindungen, Ehrgefühl und Stolz hielten ihn zurück. Er mußte sich als Mann erweisen, auch wenn er litt. Niemals hatte er sie so heiß geliebt: sie war und blieb für ihn die schönste und beste Frau aller Zeiten, an die keines der Idealbilder heranreichte und die er mit aller Macht seiner Leidenschaft begehrte. Durch seine entflammten Sinne rauschte das Hohelied der Liebe.
Sein Quartier erschien ihm widerlich, aus allen Ecken starrte Langeweile und Sehnsucht, roch es nach Provinz.
Gabriele liebt mich nicht, dachte er mit verletztem Herzen. Nur weil sie mich nicht liebt, hat sie sich mir versagt. Sie kennt mich nicht, sie zweifelt an mir, darum spricht sie von ihrem Alter! Sie weiß nicht, daß sie für mich immer zwanzig Jahre alt sein wird … Wie konnte sie mir schreiben: Wenn du zweiunddreißig Jahre zählen wirst, bin ich fünfzig! Betroffen zählte er nach: Sie hatte recht – fünfzig! Und trotzdem!
War es möglich, daß er sie jemals weniger lieben würde? Selbst mit Falten im Gesichte – die er sich übrigens gar nicht vorzustellen vermochte – würde er sie ewig weiter lieben. Wenn er zweiunddreißig Jahre alt war, fehlte ihm nur mehr wenig zum vierzigsten und sie würden gemeinsam alt werden … Und wußte man überhaupt, wann man sterben würde? Man konnte zehn Jahre glücklich sein, drei Jahre, ein Jahr! Ach, Gabriele ließ sich zu sehr von der Vernunft leiten, wenn sie ihn liebte, würde sie weniger grübeln und überlegen …
Seine Verzweiflung wandelte sich in Trotz. Hinter geschlossenen Fenstervorhängen blieb er auf seinem Bette liegen. Wie ungerecht war das Leben … Und er, er liebte sie! Sie wußte es nur zu gut! Er wollte sie hassen, ihr grollen – vergebens! Aber er begriff ihre Gründe nicht. War sie nicht Witwe, frei? Was hielt sie zurück? Die Welt? Niemand konnte ihr eine neue Ehe übelnehmen, sie war doch noch so jugendlich schön … Er stutzte, daß sich in seinen Gedankengang das Wort »noch« eingeschlichen hatte. Vielleicht hielt sie der Gedanke an ihre Tochter und ihre Enkelin ab? Er sah sie, die süße kleine Josette an der Hand, groß und schlank, durch den Park von Aygues-Vives schreiten und ein unaussprechliches Gefühl bedrückte sein Herz.
So verging der Tag. Sein Diener klopfte beunruhigt an die Türe und fragte nach seinen Befehlen. Aber er wünschte nichts.
Schließlich schämte er sich, sich so seinem Schmerze hinzugeben. Er erhob sich und aß ohne Appetit in der Offiziersmesse. Das ganze Milieu mißfiel ihm, alle Scherze kamen ihm flach vor. Er starrte düster in seinen Teller und man ließ ihn in Ruhe. Nach Tisch irrte er bis in die sinkende Nacht durch die Straßen, lehnte sich an die Barriere der steinernen Brücke, die über die Meuse führte, und blickte dem still dahinfließenden Wasser nach, in dem sich die blassen Sterne spiegelten.
Ruhelos wanderte er weiter und quälte sich mit den Gedanken, die ihn verfolgten. Wenn Gabriele nur wollte, könnte sie ihm jedenfalls angehören … Aber allsogleich empörte sich sein Zartgefühl gegen diese Vorstellung. Niemals würde er die Frau, die ihm das Teuerste im Leben war, Verdächtigungen, Mißdeutungen aussetzen, die ihr auch nur die geringste Erniedrigung bereiten konnten. Er war sich darüber klar, daß keiner seiner Kameraden diesen Standpunkt teilen oder anerkennen würde. Aber seine religiöse Erziehung, sein soldatischer Ernst, seine Prinzipien, seine Ideen von sozialer Verantwortlichkeit und Ehre sagten ihm, daß es Frauen gab, die man nicht zu seiner Geliebten machen konnte und durfte. Es war ihm unmöglich, sich vorzustellen, daß ihr die Welt weniger Achtung zollte.
Und doch, er war jung! Welch ein Traum: Ein Leben an ihrer Seite, in Liebe und Seligkeit, und dann, wenn es Gott gefiel, einen ehrlichen Soldatentod! Welches Glück, sie zu besitzen, sie immer um sich zu haben, eins zu werden mit ihr in grenzenloser Liebe …
Die Stunden vergingen, im Osten zeigte sich fahles Licht, ein frischer Morgen brach an. Wie lange war es her, seit er, berauscht von Schnelligkeit und Morgenröte, seinen Wagen von Bouvières nach Aygues-Vives gelenkt hatte! Der Sonne entgegen! Wie hatte sich seither alles geändert … Traurig, grau und kalt lag der Tag vor ihm; hart und bitter empfand er, was seine Pflicht war.
Aus der Kaserne klang die Reveille. Er mußte sich beeilen und kam gerade zurecht, als sein Pferd gesattelt in den Hof geführt wurde.