Klaus Mann
Der Vulkan
Klaus Mann

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Zur Einführung

Den folgenden Brief schrieb Thomas Mann unmittelbar nach dem Erscheinen des Romans »Der Vulkan« im Ausland, im Jahr 1939, an seinen Sohn. Für die vorliegende Ausgabe, mit der das Buch nun auch innerhalb Deutschlands zugänglich wird, plante Thomas Mann ein Vorwort unter Verwendung dieses Briefes. Es ist nicht mehr zur Ausführung gekommen. Zwei Tage vor seinem Tod willigte er ein, daß der Text jener spontanen Äußerungen unverändert an diese Stelle gesetzt werde.

Grand Hotel »Huis Ter Duin«
Nordwijk aan Zee
22. VII. 39

Mein lieber Klaus,

es ist nur, daß ich den Brief mal anfange. Weiß nicht, wieweit ich komme, denn es ist nach dem Dinner, und da ist man hier müde, bei einem Lüftlein, dick und wild zugleich. Die Nachmittage werden mir meistens von Besuchen gestohlen . . . Dabei ist es längst an der Zeit, daß ich Dir über Deinen Roman berichtete – MieleinFrau Katia Mann hat's, was sie angeht, bereits eingehend getan, nachdem sie unser Exemplar lange einbehalten. Aber auch ich habe, seit ich es nun gleichfalls besessen, schon verschiedenen Leuten darüber geschrieben, um sie ernstlich auf das Buch hinzuweisen und sie zu bitten, sich darum zu kümmern, weil es eine wirklich vorzügliche Sache sei, die von einer in Banden der Dummheit und Bosheit liegenden Welt doch natürlich vernachlässigt werde: so an Alfred Neumann, Onkel Heinrich, FränkchenBruno Frank und andere. Ich bin überzeugt, daß jeder, der sich, selbst skeptischen Sinnes, damit einläßt, es gefesselt, unterhalten, gerührt und ergriffen zu Ende lesen wird. So tat ich; und dabei will ich Dir nur sagen, daß ich insgeheim doch die tückische Absicht hatte, vorläufig nur Kontakt zu nehmen, wenn auch einen näheren als bei Hinz und Kunz. Wurde aber nichts daraus. Es hat mich so gehalten, amüsiert und bewegt, daß ich's in einigen Tagen, manchmal bis spät über Mieleins Lämplein hinaus, Wort für Wort durchgelesen habe.

Den 23. – Siehst Du wohl, daß ich gestern nicht sehr weit kam. Ich mußte doch noch hinunter mein Abendbier trinken. – Also denn: ganz und gar durchgelesen und zwar mit Rührung und Heiterkeit, Genuß und Genugtuung und mehr als einmal mit Ergriffenheit. Sie haben Dich ja lange nicht für voll genommen, ein Söhnchen in Dir gesehen und einen Windbeutel, ich konnt es nicht ändern. Aber es ist nun wohl nicht mehr zu bestreiten, daß Du mehr kannst, als die meisten – daher meine Genugtuung beim Lesen, und die anderen Empfindungen hatten auch ihren guten Grund. Schon mitten drin war ich vollkommen beruhigt darüber, daß 6 das Buch als Unternehmen, also als Emigrationsroman, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften ganz konkurrenzlos ist, und daß Du keine andere Erscheinung dieser Art, selbst Werfel nicht, zu fürchten brauchst. Es wird sich nach und nach mancher an der großen und schmerzlichen, auch kläglichen Aufgabe versuchen, aber die leichte fromme verderbte Kikjou-Weis', die singt Dir keiner nach, sie ist einmal Dein Reservat, und wer Sinn hat für diese Art, dem Leben Schmerzlichkeit und Phantastik und Tiefe zu geben (für mein Teil erkläre ich, daß ich Sinn dafür habe), der wird sich eben an Dein Gemälde und Panorama halten, ein Bild deutscher Entwurzelung und Wanderung, gesehen und gemalt à la Jean Cocteau: Eine sonderbare Übertragung und Anwendung, wird mancher sagen, wird das Bild recht hoffnungslos finden und meinen, diese Piqueure, Sodomiter und Engelseher hätten auch ohne Hitler ihren leichten, frommen, verderbten Untergang gefunden, und da sei nichts dran verloren. Aber erstens handelt sich's um ein Kunstwerk, also doch in erster Linie nicht um handfeste Moral, sondern um neues, starkes, merkwürdiges und buntes Erleben, und da ist denn doch die mißglückende Entwöhnungskur, um nur sie zu nennen, ein so außerordentliches Stück Erzählung, daß man nicht mehr an Deutschland und die Moral, die Politik und den Kampf denkt, sondern einfach liest, weil man so etwas noch nicht gelesen hat. Zweitens aber wird das Werk – denn das ist es, ein wirkliches, viel umfassendes, mit einer besonderen Art leichter Energie durchgeführtes Werk – dank, ja dank einer wirklich geliebten und bewunderten, ernsten und starken und kämpferischen Figur, die dem Ganzen das Rückgrat gibt, die im Zentrum steht und zu der der ganze schwache Schwarm sozusagen hilfesuchend hinstrebt, – in der zweiten Hälfte immer ernster, fester und gesunder, es wird doch ein Buch, dessen die deutsche Emigration sich auch unter dem Gesichtspunkt der Würde, der Kraft und des Kampfes nicht zu schämen hat, sondern zu dem sie sich, wenn sie nicht neidisch ist, froh und dankbar bekennen kann.

Das Atmosphärische der Städte und Länder ist vorzüglich gelungen, mit klugen Sinnen erlebt, und gerade daran sieht man, wie alles doch mit Leben und Erfahrung bezahlt ist, trotz der fast kindlichen Naivität, mit der die literarischen Einflüsse sich aufdrängen. In technischen Einzelheiten und Manipulationen tut der große Onkel sich mächtig hervor, gegen das Ende hin wird, wie mir scheint, stark gezaubertThomas Mann wurde, zunächst von seinen Kindern, schließlich auch von den Freunden »Der Zauberer« genannt, und wie überdeutlich ein paarmal Hamsun sich meldet, den es doch eigentlich gar nicht mehr geben sollte, hat mich besonders frappiert. Ein Erbe bist Du schon auch, der sich, wenn man will, in ein gemachtes Bett legen durfte. Aber schließlich, zu erben muß man verstehen, erben, das ist am Ende Kultur. Nicht umsonst sprechen die Bolschewiki jetzt immer vom »bürgerlichen Erbe«. Und dann ist da doch auch wieder so viel primäre Lyrik, Barbezahlung und Blutzeugenschaft, daß das mit dem gemachten Bett denn doch nur cum grano salis zu begreifen ist. Und all Dein »Erbentum« es wäre Dir wenig nütze, ohne das eigene große geschmeidige Talent, das mit Leichtigkeit 7 schwierige Dinge bewältigt, sehr komisch und sehr traurig sein kann und sich rein schriftstellerisch, im Dialog und der direkten Analyse, überraschend stark entfaltet hat.

Mit einem Wort, ich gratuliere von Herzen und mit väterlichem Stolz. Wie ich höre, haben ältere Kollegen und Meister in ihrer Art Dir auch schon ihre Freude und ihren Respekt zu erkennen gegeben. Es wird Dich gewiß noch weiteres stärkende Echo erreichen. Laß es Dich im übrigen nicht anfechten, wenn Dein Bestes scheinbar sang- und klanglos vorübergeht. Das ist jetzt so, soll so sein und ist beinah eine Ehre. Mit Onkel Heinrich zu reden: »Es kommt der Tag.«

Herzlich Z. 8

 


 


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