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Die Präfektur und die Stadtverwaltung hatten sich zufällig geeinigt, um sich in die Ehren der auszeichnenden Anwesenheit des Königs zu theilen. Demgemäß nahm Pausol das Festmahl an, welches die Stadträthe ihm boten und ließ sein Gepäck in die Gemächer bringen, welche der Präfekt für ihn vorbereitet hatte.
Wohl gab es irgendwo in der Stadt einen königlichen Palast; allein, da Pausol niemals nach seiner Hauptstadt kam, hatte er seine Einwilligung gegeben, daß die alte Residenz in ein junges Volksmuseum umgewandelt werde.
Von dem Festmahl gestärkt und durch den zweitägigen Ritt keineswegs ermüdet, erklärte der König nach aufgehobener Tafel, daß er auf seinem Maulthier einen Ritt durch die armen Quartiere der Stadt machen wolle.
Macario nahm ihn ruhig auf seinen Rücken und ließ resignirt die Ohren hängen.
Pausol, Nixis und Giglio machten sich ohne weiteres Geleit auf den Weg.
– Tryphema, bemerkte Nixis, ist eine farbenbunte Stadt. Das ist beklagenswerth. Die Häuser daselbst sind selten weiß, noch weniger haben sie jenen Ton von Koth und Kohle, welchen man auf den Pariser Boulevards bewundert. Die Häuser – selbst die ärmsten – gleichen einander nicht; vor Allem deshalb nicht, weil keine behördliche Vorschrift den Architekten irgendwelche Regel aufnöthigte, dann deshalb nicht, weil diese Architekten das Unglück haben, an keiner Schule der schönen Künste ihren Styl empfangen zu haben. Da Tryphema weder die Avenue de l'Opéra, noch die Rue du Quatre Septembre besitzt, sollte es wahrlich nicht Anspruch darauf erheben, die schönste Stadt der Welt zu sein. Und dennoch hat es diese Prätension. Das ist die Unbewußtheit der Massen.
Pausol antwortete nichts. Er betrachtete gütig sein Volk, welches noch immer voll eifriger Huldigung, aber weniger geräuschvoll, die Straßen und die Fenster bevölkerte.
Giglio zeigte auf eine Gestalt.
– Das ist ein schönes Mädchen, sagte er.
– Das ist ein Irrthum, entgegnete Nixis.
– Welches Weib könnte Ihnen gefallen?
– Es hat Eine gegeben, mein Herr.
– Wirklich? Oh, erzählen Sie uns das; nichts muß seltsamer sein.
– Ja. Ich kannte einst eine Frau, welche mein Ideal von der Schönheit vollkommen verwirklichte. Ich will mich genauer ausdrücken, indem ich sage: mein physisches Ideal von der moralischen Schönheit. Verstehen Sie mich?
– Keineswegs, aber das thut nichts … Fahren Sie fort.
– Es sei. Diese Frau war die einzige Bewohnerin des Hauses, das meinem Vater gehörte. Sie leitete ein kleines Haus, das stets geschlossen und äußerlich sehr anständig war, einer jener Pavillons, welche Herr Lebirbe abschaffen will, während ich meinerseits sie zu schätzen weiß, weil sie den Vorzug besitzen, auf einem Punkte die Unsauberkeiten der ganzen Stadt zu vereinigen, und weil sie dem öffentlichen Ärgerniß abhold sind. Die gute und würdige Frau empfing mich oft. Mein Vater wußte, daß meine Grundsätze und meine angeborene Keuschheit mir gestatteten, jenes Haus gefahrlos zu besuchen. Am Sonntag, wenn ich aus der Kirche kam, ging ich hin, um mit ihren Kindern zu spielen. Eines Tages also, als ich eben einen heilsamen Abscheu gegen das Laster schöpfte, indem ich dasselbe vor Augen hatte, sahen wir diese würdige Person eintreten, welche mein Vater hoch schätzte, weil sie ihm fünftausend Francs jährliche Miethe zahlte. Sie hatte kein Hemd an und ich war bis ins Innerste betroffen. Ihre majestätische Dickleibigkeit gebot vor Allem den Respekt. Man hätte glauben mögen, sie sei mit sechs Kindern schwanger und werde sie alle säugen können, so riesig waren ihre Brüste. Man konnte sie nicht sehen, ohne zu begreifen, daß die Mutterschaft die erste Mission und der höchste Ruhm des Weibes sei. Um ihre Schönheit – ich meine ihre moralische Schönheit – zu vollenden, fiel ihr Bauch mit reizender Schamhaftigkeit bis zur Mitte ihrer Beine herab; ihre Brust war ein Busentuch, ihr Bauch ein Rock; ihre Kinder konnten sie ohne Scheu betrachten: selbst nackt hatte sie Hüllen.
– Ach, Herr, ich brenne vor Begierde, Sie zu meinem intimen Freunde zu machen, denn wir werden uns niemals wegen des erstbesten Weibes schlagen. Alle anderen Zwistigkeiten aber zählen nicht.
Auf seinen Wunsch wurde König Pausol nach dem Hause geführt, wo die junge Person wohnte, welche von dem Verein des Herrn Lebirbe zuletzt den Tugendpreis erhalten hatte.
– Wo ist dieses Kind? fragte er. Ich will sie beglückwünschen. Denn fürwahr, obgleich Herr Lebirbe zuweilen Wünsche ausdrückt, deren Verwirklichung für die öffentlichen Freiheiten verhängnißvoll wäre, so hat er doch viel vernünftigen Sinn und einen klaren Blick in Betreff der Grundsätze, welche unter dem Volke verbreitet werden müssen. Ich bin sicher, daß er eine richtige Wahl getroffen hat unter allen den jungen Mädchen, welche auf den Rosenkranz Anspruch machen durften. Wo ist die Gekrönte? Saget ihr, daß ich ihr einen Besuch mache.
Das junge Mädchen kam eilig herab und als sie des Königs ansichtig ward, legte sie rasch ihren Unterrock und ihr Busentuch ab, wie man in der Küche sich der Schürze entledigt, wenn man sich sonntäglich putzen will.
Sie war viel mehr als hübsch.
– Man hat Dich bekränzt? sagte der König.
– Ja, Sire, man war sehr gütig.
– Du verdientest es?
– Wie viele Andere. Ich hatte Glück, das ist Alles.
– Was hast Du gethan, um Rosenkönigin zu werden?
– Sire, meine Eltern sind Pastetenbäcker. Ihre vier Gehilfen haben um meine Hand geworben und jeder von ihnen sagte, daß er sich umbringen würde, wenn ich sie ihm nicht gebe.
– Das war ein schwieriger Fall; wie hast Du ihn gelöst?
– Ach, ich wollte nicht, daß es auf meinem bescheidenen Lebenswege Selbstmorde gebe. Ich habe alle vier geheirathet. Man muß gefällig sein, nicht wahr, Sire? Die Männer sind so unglücklich, wenn man sie vor der Thüre stehen läßt! Sie wollen ja so wenig, warum sollen wir es ihnen verweigern?
– Und wenn ein Fünfter sich meldet? Dem wirst Du doch Nein sagen müssen!
– Es ist schon lange her, daß ich ihm Ja gesagt habe, dem Fünften wie dem Hundertsten. Ich will sie nicht mehr zählen, aber ich habe mindestens dreihundert junge Leute kennen gelernt. Meine Gatten haben sogleich begriffen, daß ich freundlich sei zu ihnen und daß ich keine Ursache habe, unfreundlich zu sein mit den Anderen. Alle Welt im Stadtviertel findet mich hübsch. Ich sage nicht, daß alle Welt mir gefällt, aber was wollen Sie? Jeder übt die Barmherzigkeit, wie er es versteht. In unserem Hause herrscht kein Reichthum; ich gebe her, was ich habe; es macht mir Freude, Anderen ein Vergnügen zu bereiten und ich schlafe am Abend zufrieden ein, wenn ich mir sage, daß ich ein gutes Herz hatte für alle Jene, welche die Hand ausstreckten. Das ist meine kleine Tugend.
Pausol blieb nachdenklich.
– Ich würde nichts einzuwenden haben, sagte er endlich, wenn Du nicht geheirathet hättest. Die Ehe ist ein freiwilliger Verzicht auf die Freiheit. Man kann diesen Verzicht widerrufen; aber dann muß man sich trennen.
– Oh, wir sehen nicht so weit! Ich habe die Gehilfen meiner Eltern geheirathet. Sie führen das Gewerbe, ich führe die Hauswirthschaft. Es ist unser Interesse, daß wir beisammen bleiben und da wir uns lieben, gleicht sich alles aus. Wenn die Nacht vorüber ist, wenn das Haus bestellt ist, bleibe ich allein und habe nichts zu thun. Meine Gatten sind bei ihrer Arbeit. Wie viele andere Frauen könnte ich von Thür zu Thür gehen, um mit den Frau Basen zu schwatzen, die Nachbarsleute zu verlästern. Ich finde aber, daß man mit zwanzig Jahren sich besser beschäftigen kann. Sobald ich meinen Rock angelegt habe, lasse ich mich von dem Einen oder dem Andern hinwegführen; das ist doch wenigstens keine verlorene Zeit.
– Ach, ich werde alt, sagte König Pausol. Ich sehe, daß ich reaktionär bin und daß die Sitten fortschreiten. Ich werde Dich nicht verurtheilen, meine Tochter. Im Grunde wendest Du meine Gesetze besser an, als ich es selbst zu thun vermochte. Bisher hielt ich es für recht, alle ehebrecherischen Weiber zu strafen, die in ihrem Hause blieben. Christus war nachsichtiger als ich es bin. Man soll auf die Freiheit nicht verzichten können, selbst in gegenseitigem Einverständnisse nicht. Dein Beispiel macht tiefen Eindruck auf mich; Du entschlägst Dich meiner Grundsätze und übst dennoch die Tugend. Gib mir die Hand; ich beglückwünsche Dich.
Pausol machte noch andere Besuche; er trat in die Werkstätten, Kaufläden, Scheunen ein; er befragte die Vagabunden, die längs der Mauern schliefen, er drückte viele schwarze Hände und sah viele lächelnde Gesichter. Niemand beklagte sich über das Leben in dem Maße, um die Regierung anzugreifen.
Auf die Präfektur zurückgekehrt, ließ er ein zweites Festmahl über sich ergehen, hörte neue Reden an und drückte neue Hände, die vielleicht ein wenig weißer, aber dennoch weniger sympathisch waren.
Während die Gäste in Gruppen die Säle der Präfektur füllten, deren Wände mit den Bildnissen des Königs und seiner Lieblings-Königinnen geschmückt waren, tauchte der Chef der Sicherheitspolizei in dem Augenblicke auf, wo der König Giglio abseits geführt hatte, um über Poesie mit ihm zu sprechen.
Der Polizei-Chef verneigte sich vor dem König mit einer Ehrerbietung, in welche sich der Stolz über die gelungene Aufgabe mischte. Mit langsamer Stimme sprach er:
– Ich habe die Ehre Ew. Majestät zu melden, daß Ihre erlauchte Tochter, die Prinzessin Aline, heil und gesund wiedergefunden wurde.
– Wiedergefunden? rief Pausol.
– Ja, Sire. Euer Befehl ist vollzogen.