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Giglio kehrte nach dem Pachthofe zurück, die Augen auf den Nachthimmel geheftet. Er widmete den Sternen eine besondere Zärtlichkeit und bildete sich gerne ein, daß sie für ihn allein aufgingen.
Im Westen erstrahlte Venus, die Perle des Meeres, glänzend wie ein Bruchstück des Mondes, so wie man sie in den klaren Nächten des Südens sieht. Vor ihr, auf einem Bogen des Kreises, dessen fernen Mittelpunkt sie bildete, schienen Sirius, Castor, Pollux, die doppelte Ziege, der dreifache Perseus um ihre Flamme zu gravitiren. Und Giglio, sich geheimnißvolle Linien von dem Planeten bis zu den Sternen denkend, fragte sich, ob er diesen Himmelswinkel mit einem mit neun Edelsteinen geschmückten Fächer vergleichen solle, oder mit den acht Tauben, welche den Wagen der Aphrodite Urania ziehen.
– Ach, was ist das! Was wollen Sie? rief er plötzlich.
Zwei jugendliche nackte Arme tauchten vor ihm auf.
– Ich bin es, Rosine. Gehen Sie nicht hinein. Ich glaube, man will Sie auf dem Pachthofe umbringen.
Er erkannte die junge Person, deren Blumen und Früchte er auf einer Gartenbank in einem von Erdbeeren ganz rothen Saal besungen hatte.
– Mich will man tödten? Wer denn? fragte Giglio mit ruhiger Neugierde.
– Alle, erwiderte Rosine. Furchtbare Dinge haben sich ereignet und sie werden Ihnen zugeschrieben. Kommen Sie hieher, hinter die Palmen. Ich will Ihnen erzählen. Setzen Sie sich zu mir.
Doch der Page hatte Acht auf sein gelbes Beinkleid und der Rasen, wohin er sich setzen sollte, schien ihm nicht verlockend. Er wartete, bis Rosine sich gesetzt hatte; dann setzte er sich ganz bequem auf die kräftigen Schenkel der Gärtnerin und legte seinen Arm um ihren Hals, unter dem zärtlichsten und zugleich lügenhaftesten Vorwande.
– Nun denn, erzähle mir. Was ist geschehen?
Sie erzählte ihm Alles, aber Alles zugleich, ohne sich viel um Klarheit zu kümmern. Man habe ein Kameel herbeigeführt, die Maschinen-Scheuer verwüstet, die Erntemaschinen zerschlagen, die Gabeln zerbrochen, die Fliesen zerschmettert: eine wahre Katastrophe! Auch die Milchmeierei befinde sich in einem sehr jämmerlichen Zustande: die Milch ist ausgeschüttet, die Eimer sind gestohlen. Auf dem Kameel habe eine schöne Dame gesessen, in einem Korbe von der Form einer Tonne und mit Teppichen ausgelegt … Diese Dame habe Nicole auf den Knieen des Königs gefunden. Nicole schwört, daß sie sich anständig betragen habe, allein die Dame will gesehen haben … Kurz, die Sache ist nicht klar. Die Kleine ist dessen sehr wohl fähig. Die Schelmin weiß viel; sie steckt immer in den Büchern und erzählt Liebesgeschichten, als wären sie ihr selbst passirt … Die Dame sei sogleich in große Wuth gerathen, ebenso der König und Alle schrieen durcheinander. Ein unerhörter Randal! … Und das Schlimmste ist, daß ein Verbrechen begangen wurde: die Milchmagd ist ermordet worden.
– Ermordet? wiederholte Gilles, ein wenig bleich.
– Ja, ermordet. Es ist ein Raubmord!
– Was ist das für eine Geschichte?
– Es muß doch schlechte Leute geben. Das arme Mädchen hat man erwürgt, um ihr ihre armseligen Fahrnisse zu rauben: Ein Kopftuch, ein Busentuch, einen warmen Unterrock und einen Hut. Man hat wohl Nachmittags sie klagen gehört, aber es hat doch Niemand gewagt hinaufzugehen. Der Herr vom Palast ist zuerst eingetreten, derselbe, der die Dame eingeschlossen.
– Ach, mein Kopf, ächzte Giglio. Welche Dame? Welcher Herr vom Palaste?
– Ein Herr, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem flachen Hute.
– Wann ist er angekommen?
– Mitten im Gefecht. In fünf Minuten hat er Alles beschwichtigt. Es scheint, er ist ein Minister, ein Herr, der sehr ernst aussieht. Ohne ihn wäre man nie fertig geworden.
– Womit?
– Mit der Dame. Er hat sie in die Brodkammer eingeschlossen mit einer Kerze und mit einem dicken Buche, das aussah wie ein Brevier, um sie zu trösten, wie er sagte. Dann, als Alles vorüber war, erzählte man ihm, daß die ganze Milchmeierei von unterst zu oberst gekehrt sei. Er verlangte die Kuhmagd zu sehen. Man fand sie nirgends, und man wagte nicht, in ihr Zimmer hinaufzugehen, wegen des Gestöhnes, welches man gehört hatte. Er aber hatte keine Furcht. Er ging geradewegs hinauf, und was sah er? Es scheint, daß man sie in ihrem Bette getödtet hat. Die Hälfte der Bettlaken liegt auf der Erde und ist voll mit Blut. Das Verbrechen ist offenbar, sagt er. Und man kann die Leiche nicht finden. Wahrscheinlich hat der Mörder sie irgendwo hingeworfen. Der Herr vom Palast wird die Brunnen untersuchen lassen.
– Und ich bin es, den man dieses schnöden Verbrechens verdächtigt?
– Ja. Des Mordes und alles Übrigen. Der König erwartet Sie, um Sie ins Gefängniß zu schicken. Der Herr vom Palaste sagte sogar, daß man Ihrethalben die Folter wieder herstellen und Sie bei lebendigem Leib auf einem Scheiterhaufen verbrennen sollte.
– Das wäre ein hübscher kleiner Zeitvertreib …
Giglio richtete sich auf und nahm eine dramatische Haltung an.
– Nun, Rosine, Du weißt nicht, was der Muth ist; der antike Held, der tapfere Ritter, der unüberwindliche Paladin, der streitbare Pandur, der Löwe – der Löwe – Du weißt nicht, was der Löwe ist.
Er schüttelte seine Haare, schlug sich an die Brust und stieß ein Gebrüll aus, welches ihn schier heiser machte.
– Erinnere Dich stets – sagte er mit bebender Stimme – erinnere Dich stets, daß Du einen Mann in die Arme geschlossen, für welchen der Tod nur ein leeres Wort ist. Und wenn Du in meinen Umarmungen empfangen hast, o Weib, so gebier ein Kind, welches mein Rächer sein soll. Lebe wohl, ich habe nur Dich geliebt.
– Wohin gehen Sie? fragte Rosine wie wahnsinnig.
– In den Meierhof. Lebe wohl! Lebe wohl!
– Ach!
Da sie ohnmächtig auf den Rasen hinsank, verlangsamte Giglio seine Schritte, zündete eine Cigarette an und begann wieder seine Metaphern über das himmlische Gestirn, welches ihn interessirte. Es handelte sich nicht mehr um den Wagen, noch um den Fächer. Das himmlische Gestirn ward jetzt zu einem Pfauen-Auge, und die acht anderen zur Krone des Reihers. Dann legte sich der Reiher auf die Stirn eines Weibes. Das Haar wurde immer größer, wurde zum Himmel selbst und Millionen von Perlen schwammen an demselben.