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Das Kostüm der Pagen am Hofe von Tryphema datirte aus der Zeit der Renaissance. Es bestand aus einem knapp anliegenden Beinkleid von gelbem und blauem Seidenstoff mit einem Latz, gehoben durch zwei Schnürsenkel, aus einem Barett mit Perlhuhnfeder und einem Mäntelchen von königsblauem Stoffe.
In diesem leichten Kostüm erschien der Fallensteller des Herrn Palestre und grüßte, indem er das Barett lüftete und die beiden Füße zusammenschlug.
– Wie heißt Du, junger Schelm? fragte der König.
– Wie es Ew. Majestät beliebt.
– Das ist schon hübsch geantwortet, sagte der König. Ich kenne nichts Unverschämteres, als wenn man die Leute zwingt, einen Namen zu wiederholen, der ihnen vielleicht nicht gefällt. Du hast mich mit dem ersten Worte gewonnen. Sage mir immerhin den Namen, welchen Du führst; Du wirst ihn ablegen, wenn ich Dich dazu auffordere.
– Sire, mein Name wird G – i – g – l – i – o geschrieben. Sprecht ihn aus, wie es Euch beliebt, nach italienischer oder französischer Art: Djilio oder Giguelillot.
– Djilio, sagte Pausol, ist ein Poet; Giguelillot ist ein Narr. Ich möchte wohl, daß Du das Eine und das Andere seiest.
– Ich möchte es ebenfalls, sagte der Page sehr ernst. Und wünsche es so glühend, daß es mir schließlich vielleicht gelingen wird.
– Warum willst Du ein Poet sein?
– Um nichts mit dem Auge meines Nachbars zu sehen, und wäre es auch nur eine Mücke.
– Du liebst Deinen Nachbar nicht?
– Ich wünsche ihm nichts Schlechtes. Ich will lieber nicht er sein, das ist Alles.
– Und warum willst Du ein Narr sein?
– Wenn mein Nachbar mich einen Narren nennt, werde ich sogleich begreifen, daß ich ihm nicht gleiche.
– Aber, wenn Du schlechter wirst?
– Das ist sehr schwer.
– Wieso wirst Du es wissen?
– Durch seine Haltung. Wenn er mich in Ruhe läßt, so habe ich verloren. Wenn er mich angreift, so werde ich glücklich sein.
Der König machte eine ermunternde Handbewegung.
– Nimm eine Cigarette, sprach er.
Und er reichte ihm sie mit vertraulicher Hand.
– Wirst Du in derselben Weise urtheilen, wenn Dein Nachbar eine Nachbarin ist?
– Oh, keineswegs!
– Warum nicht?
– Die Frauen gehören nicht dem Menschengeschlechte an.
– Ich hoffe, daß Du ihnen das nicht sagst?
– Ich sage ihnen nur Gutes von ihnen und ich denke es auch.
– Und wie betrachtest Du sie?
– Wie die besten Geschöpfe, welche es gibt; wie die einzigen, die Gutes mit Gutem vergelten, im Nothfalle sogar Schlechtes mit Gutem. Ich hege für sie nur Dankbarkeit und habe doch nichts für sie gethan, als ihrer vielen geschmeichelt und eine geliebt.
Pausol betrachtete ihn.
– Bist Du glücklich? fragte er weiter.
– Nein; selbstverständlich auch Ihr nicht, Sire.
– Warum bist Du dann heiter?
– Um mich glauben zu machen, daß ich glücklich sei.
– Was fehlt Dir?
– Wie Euch, Sire, fehlt mir das Unvorhergesehene, das Wunderbare, die Ereignisse.
– Die Ereignisse? Ich habe deren nur zu viele.
– Aber Ew. Majestät ziehen keinen Nutzen daraus.
– Von welchem Ereignisse sprichst Du?
– Von demjenigen, an welches Ew. Majestät denken.
– Ich sehe nicht ein, wieso dieses mich glücklich machen könnte, wenn ich es nicht bin, sagte Pausol in überraschtem Tone.
Der Page wollte antworten, da er aber nicht genau wußte, ob der König sich mit ihm berieth, oder ihn bat, sich zu erklären, wartete er, um über diesen wesentlichen Unterschied aufgeklärt zu werden.
– Setze Dich, sprach der König. – Du hast mir von einem Gegenstande gesprochen, welcher meine Gedanken sehr in Anspruch nimmt und Du hast vergessen, daß es für Dich besser wäre, so zu thun, als wäre diese Sache Dir unbekannt. Damit hast Du gezeigt, daß Du die Gesetze der Konversation den Gesetzen der Etiquette voransetzest, worin ich Dir Recht gebe, mein Junge. Höre mich: Ich bin nicht der Ansicht, daß die Alten guten Rathes sind. Die Erfahrung dient zu nichts; dieselbe Thatsache vollzieht sich niemals unter denselben Umständen. Man muß im Gegentheil zugeben, daß die Spontaneität zu etwas nütze ist, da man mit zwanzig Jahren sein Leben genießt und auch später nichts Wichtigeres zu thun hat. Deshalb will ich – trotz der Gepflogenheit – lieber Dich vernehmen, als beispielsweise den ehrenwerthen Herrn Palestre um Rath fragen.
Giglio blieb unempfindlich.
Pausol, immer mittheilsamer werdend, fuhr fort, als wendete er sich an einen Vertrauten:
– Niemals werde ich mich entschließen, dieses Kind durch die Polizei des Königreiches verfolgen zu lassen; es ist auch nicht schicklich, daß ich sie durch einen Spezialgesandten nach dem Palaste zurückbringen lasse. Denn wenn ich sie von dem Unbekannten trenne, dem sie so freudig gefolgt ist, so geschieht es gewiß nicht, um sie einem Abgesandten anzuvertrauen, der ebenso kompromittirend, aber in ihren Augen weit weniger sympathisch ist. Eine vollends unglückliche Idee wäre es, eine Frau nach ihr auszusenden. Niemals werde ich einen Augenblick daran denken.
– Warum gehen Ew. Majestät nicht selbst sie aufsuchen?
– Ich?
– Ich selbst?
– Gewiß!
– Ich soll auf Abenteuer ausgehen, auf die Suche nach einem kleinen Mädchen, welches mit einem grünen Jungen, den Niemand kennt, durchgegangen ist?
– Ja.
– Mein Freund, Du mißbrauchst Deinen Narrenberuf.
– Um Verzeihung, Sire! Habe ich das Recht, eine Frage an Ew. Majestät zu richten?
– Welche Frage?
– Wünschen Ew. Majestät wirklich, daß Ihre Hoheit nach dem Palaste zurückkehre?
Pausol stützte das Kinn auf einen Winkel seiner rechten Hand.
– Das ist eine Frage, die ich noch nicht erwogen habe, sagte er.
Dann nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu:
– Ja. Ich wünsche es aufrichtig. Diese Flucht kann ihr nicht frommen.
– Ew. Majestät sind dessen gewiß?
– Ja, gewiß.
– Nun denn, Sire: nachdem Sie einerseits entdeckt haben, daß Sie die Prinzessin weder durch einen Mann, noch durch eine Frau, noch durch irgend einen tölpelhaften Polizisten können verfolgen lassen und nachdem Sie anderseits entschlossen sind, sie zu bitten, daß sie hieher zurückkehre, so sehe ich nur ein Mittel, es sie wissen zu lassen, – nämlich, daß Ew. Majestät selbst es ihr sagen.
– Du besitzest einen logischen Geist.
– Das ist die Eigenschaft der Narren.
Der König erhob sich, durchmaß mit langen, wiegenden Schritten das Zimmer, dann öffnete er die Arme zum Zeichen der Zustimmung.
– Das ist unanfechtbar, sagte er. Ich wäre zu den nämlichen Schlüssen gelangt, wenn ich Zeit gehabt hätte, über alldies nachzudenken.
– Also …
– Also, unterbrach ihn der König, der unter dem Einflusse seines Pagen sichtlich lebhafter wurde, Alles vereinfacht sich in meinen Augen und ich habe nur mehr einen Entschluß zu fassen! Entweder ich lasse die Kleine ihre siebenmonatliche Reise machen, welche sie mir in ihrem Briefe ankündigt, oder ich gehe in Person, um mit ihr zu sprechen und sie in den Palast zurückzubringen, den sie niemals hätte verlassen sollen.
Der Page begriff sogleich, daß wenn er den König einen Augenblick nachdenken ließe, dieser ganze schöne Eifer in einer Asche der Unthätigkeit erlöschen würde.
– Sire, Sie müssen aufbrechen, sagte er. Das wird gut sein, nicht blos für Ihre Hoheit, sondern mehr noch für Ew. Majestät. Wenn Sie nicht mehrglücklich sind, – wie Sie vermuthen lassen – so ist es, weil ein Mensch die ruhige Zukunft zerstört hat, die Sie sich mit so viel Weisheit vorbehalten haben. Um sich der Sorge zu entledigen, jede Ihrer Handlungen zu wollen, haben Sie Ihr Leben in die Hände eines Herrn gelegt, der nichts davon versteht und es in völlig verkehrter Richtung leitet. Er ist es, der Ew. Majestät aus dem Gleichgewichte bringt, ein stets mögliches und jeden Morgen erneuertes Glück von Ihnen abwendet. Bei seiner handwerksmäßigen Führung gehen Sie zugrunde. Sie sterben an Langeweile. Sein Kalender nöthigt Ihnen für morgen die Königin Denyse auf. Lieben Sie sie? Nein. Sie lieben sie nicht. Und dennoch werden Sie sie ertragen. Sie werden fortfahren die nämlichen Zimmer zu bewohnen, in dem nämlichen Lehnsessel auszuruhen, den nämlichen Horizont im Rahmen des nämlichen Fensters zu betrachten. Entrinnen Sie alldem! Das Leben zählt so wenige Tage! Trachten Sie, daß keiner derselben dem folgenden gleiche.
– Aber wer wird mein Berather sein, wenn ich mich in dieses Abenteuer einlasse?
– Wer? Der Zufall, die Phantasie. Lassen Sie sich durch die Gunst eines jeden Tages locken und durch den guten Stern leiten. Es ist leicht, seinem Rath zu folgen.
– Möchte ich doch nicht ankommen! sagte der König den Kopf schüttelnd, wie Melchior oder Balthasar angesichts einer blonden Krippe und eines kleinen Kindes …
– Und wenn es so wäre? Sie würden ihn lieb gewinnen …
– Du hast Recht. Übrigens werden wir nur umso rascher am Ziele sein. Die Flüchtlinge schlafen ganz nahe von hier. Es handelt sich nicht um eine Reise. Morgen werden wir sie ohne Zweifel einholen.
– Also Sie reisen? Sie reisen wirklich?
– Ich reise. Komm mit mir. Kleiner. Deine Lebenslust macht mir Vergnügen.
Seite an Seite verließen sie das Gemach. Pausol hatte die Hand auf die Schulter seines Pagen gelegt und ging mit energischen Schritten einher.
An der Krümmung eines Korridors trafen sie Nixis.
Der König blieb erhobenen Hauptes stehen.
– Herr Groß-Eunuch, sagte er, ich habe einen Entschluß gefaßt. Ich selbst werde die Prinzessin Aline aufsuchen. Kündigen Sie für morgen Früh meine Abreise an und lassen Sie um halb elf Uhr mein Maulthier satteln. Dieser junge Mann wird mich begleiten.
Nixis war so geschickt zu schweigen.
Pausol prüfte ihn einige Zeit, als wollte er seine eigene Kühnheit ermessen; dann sagte er in sanfterem Tone:
– In der That, kommen Sie mit uns.