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Nachdem man den Bauernburschen und seine Schwester freigelassen, setzte sich der ganze königliche Zug wieder in der Richtung nach Tryphema in Bewegung.
Giglio hatte keineswegs die Absicht, den König Pausol zu täuschen, denn er liebte ihn aufrichtig, trotzdem er ihn gehörnt hatte. Weniger lebhaft waren seine Skrupel in Betreff des Herrn Nixis und da er die verdrießliche Episode mit den Briefen gutmachen mußte, holte er den Groß-Eunuchen ein und sagte ihm vertraulich:
– Mein Herr, ich werde meinerseits die Untersuchung in unerbittlicher Weise führen; aber ich glaube Ihnen mittheilen zu sollen, daß der Beschuldigte unglücklicherweise einer Ihrer Glaubensgenossen ist.
– Was sagen Sie? Welch' ein Skandal!
– Erschrecken Sie nicht. Sein Weg ist ein gerader und führt ihn nur scheinbar irre. Folgendes ist die Wahrheit über die ganze Angelegenheit: Ein junger Mann, außerwählt unter den keuschesten einer Gesellschaft, welche deren viele zählt, ist mit einer moralischen Mission nach Tryphema entsendet worden von einer Gruppe Protestanten, die in Alais wohnen.
– Alais ist eine makellose Stadt, sagte Nixis.
– Sie wissen, mein Herr, daß ich Ihre Ideen nicht theile, fuhr Giglio mit vollkommener Ruhe fort; aber ich finde unwillkürlich eine gewisse Größe, eine großmüthige Selbstlosigkeit in den Besuchen, welche Ihre Freunde bei den Buhlerinnen der großen Städte machen, ohne Zweifel zu dem Behufe, sie zu läutern.
– Zweifeln Sie nicht daran.
– Das war eben auch der Zweck des jungen Mannes, den wir suchen. Wenn ich seinen eigenen Worten Glauben schenken darf, hat er seit fünf Monaten alle seine Nächte und oft auch seine Tage in den Betten der Freudenmädchen zugebracht, ist von Lager zu Lager, von Abscheu zu Abscheu gegangen.
– Der edle Jüngling!
– Seine eigenartige Methode bestand darin, seine eigene Person zu zeigen, welche in der That reizlos, unschön und schlecht gepflegt ist. Er entkleidete sich, näherte sich dem Weibe und sagte mit kläglicher Stimme: »Siehe, das ist das Fleisch! Ist es möglich, daß Du keinen Widerwillen fühlst?«
– Und er hat deren viele bekehrt?
– Keine einzige. Die meisten betheuerten, daß sie niemals einen mehr verlockenden Leib berührt hätten als der seinige ist, und daß sie die blonden Männer sehr liebten. (Denn er ist blond.) Andere erklärten ihm lächelnd, daß sie für Schönheiten zweiten Ranges nicht weniger liebenswürdig wären, und daß sie für einen doppelten Preis doppelte Liebe gewähren. Selbst Diejenigen, die freimüthig genug geblieben waren, um ihm zu sagen, was sie von ihm dachten, weigerten sich, die übrigen Liebhaber zu beschimpfen. Ihre Verachtung war eben für alle die gleiche. Diese letzteren waren die jüngsten. Kurz, er schickte sich schon an, sehr entmuthigt wieder abzureisen, als er erfuhr, daß die Prinzessin Aline nicht fern vom Harem wohne. Er fand, daß keine andere Seele mehr in Gefahr sei als diese und er war glücklich genug, sie zu retten.
– Wie hat er dies angefangen?
– Das ist ein Geheimniß. Gleichzeitig, mein Herr, entriß er der Sünde eine arme Tänzerin, Namens Mirabelle.
– Ha! endlich kommen wir zur Sache!
– Aber es fehlte dieser Tänzerin an Geld, um in ihr Land heimzukehren und ihre lasterhafte Jugend zu vergessen. Ihr Rathgeber dachte nicht daran, ihr Geld zu geben, denn die Freigebigkeit war ihm ein Greuel. Die Prinzessin Aline übernahm diese Sorge. So konnte sie an einem und demselben Tage nicht nur sich selbst für die Tugend erhalten, sondern auch noch ein anderes Schäfchen aus dem Abgrund retten. Darum schrieb sie und sandte sie durch den Beistand einer Ehrendame den Brief, der Sie so sehr erregt hat …
– Alles erklärt sich in der That! Und die gefundenen Briefe? …
– Sind die letzten Zeugen einer tollen Lebensführung. Zuerst wollte Mirabelle sie vernichten; dann machte sie sie ihrem guten Hirten zum Geschenk, als Beweis ihrer aufrichtigen Reue.
– Und diese Kleidungsstücke? Diese blaue Jacke … dieses grüne Kleid …
– Ein Geschenk für diese armen Bauersleute. Die Prinzessin Aline und ihr Gefährte wollen sich nur schwarz kleiden.
Nixis sah den kleinen Pagen scharf an.
– Mein Herr, sprach er, ich habe Gründe zu glauben, daß Sie sich über mich lustig machen würden, wenn ich Ihnen Gelegenheit dazu böte. Aber heute glaube ich Ihnen. Ja, ich glaube Ihnen. Die Wahrheit durchleuchtet das, was Sie mir soeben gesagt haben. Ich fühle es! Ich weiß es! Ich rufe es laut! Man erfindet solche Dinge nicht … Fortan wird es in meinem Herzen einen furchtbaren Kampf zwischen meiner moralischen Pflicht und meiner öffentlichen Pflicht geben … Wenn ich die Prinzessin beschütze, verrathe ich den König … Wenn ich ihm sie ausliefere, entreiße ich der Tugend eine Seele. Auf der einen Seite das Verbrechen, auf der andern Seite die Sünde. In beiden Fällen harrt meiner die Hölle … Was soll ich thun? Wohin soll ich gehen? …
Inmitten seiner Verzweiflung sah er Philis auf ihrem Pony heransprengen. Hochgeröthet und athemlos schrie die Kleine:
– Sehen Sie denn nichts? Schauen Sie doch vor sich hin! Dort auf der Straße! …