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Die Quelle und der Mandelbaum lagen in dem entferntesten Theile des Parkes. Nur die weiße Aline, welche die weiten Spaziergänge liebte, kam manchmal hieher, in diesen stillen, verlorenen Winkel.
Aus dem Rachen eines Satyrs mit Eselsohren fiel das Wasser in ein natürliches Becken von rother Erde und grünen Pflanzen, unter welchen rothe Lorberbäume in dichten Büschen Wurzeln gefaßt hatten. Es war nicht der schimmelüberzogene, aussätzige Schlamm unserer Gärten, wo die unnütze Quelle eine schon regenweiche Erde begießt. Es war ein Wachsthum von Blumen in einem von der südlichen Sonne roth gebrannten Boden, ein Saftborn, eine befruchtende Urne, aus welcher das Leben sich in beweglichem Grün ergoß; und der alte Satyr, Sohn des Pan, sah aus seinen Lippen ewig die jungen Wälder erstehen.
Oberhalb des gehörnten Fratzenbildes, welches die weiße Aline für den Teufel hielt, standen zwei marmorne Nymphen, die über das dunkle Becken geneigt sich umschlungen hielten. Am Ende eines jeden Winters bedeckte sie der Mandelbaum mit seinen kleinen Blüthen. Im Sommer nahmen sie im Sonnenlichte alle Farbenschattirungen des Fleisches an. Des Nachts warben sie wieder Göttinnen.
Nahe bei diesem fruchtbaren und dunklen Wasser, welches man den Nymphenspiegel nannte, sah die kleine Prinzessin in der Empire-Robe ihren verwunschenen Prinzen auf sie zukommen und hiebei sein goldgesticktes Wamms im Silberlichte des Mondes bewegen.
Sie bemerkte ihn schon, noch ehe er unter den Bäumen sich zeigte, einem feinen, weißen Stern gleichend. Dann sah sie ihn größer und deutlicher. Er ging ruhigen Schrittes, pflückte manchmal Blätter von den Zweigen und roch dazu wie zu Blumen. Bald erschien er, bald verschwand er, je nach den Zonen des Schattens und des Lichts. Line hatte sich niemals so bewegt gefühlt. So sehr sie von Verlangen brannte, ihn sogleich zu küssen, wich sie doch bis zu dem Brunnen zurück, preßte die Hand vor den Mund und wagte nicht, ihm ein Wort zu sagen.
– Sie haben mich gerufen, da bin ich, sprach Mirabelle zärtlich.
Line riß die Augen auf. Sie betrachtete ihren Prinzen von den Füßen bis zum Gesichte, hauptsächlich aber schaute sie ihm in die Augen.
Er war barhaupt, die dunklen, kurz geschnittenen Haaren flatterten ihm um die Ohren. Sein Blick war tief und fest, mit einem sehr sanften Ausdruck, welcher nicht bis zu einem Lächeln ging. Sie sah dieses so theure Antlitz sich zu dem ihrigen neigen und als sie die Augen schloß, legten sich zwei heiße Lippen auf dieselben.
Der Schatten der sich umschlungen haltenden Nymphen verbarg die zwei jungen Mädchen. Line zitterte. Die beiden Lippen setzten ihre Liebkosung rings um die Wange fort und erschlossen sich auf dem Munde zu einem vollen Kusse.
– Ach! seufzte das Kind endlich.
Mirabelle richtete sich auf; ein leichtes, zärtliches Lächeln legte die Winkel ihrer schwarz umränderten Augen in Fallen.
Sie erhob das Haupt und blickte umher.
– Nein, nein, wir sind allein, sagte Line. Bleiben Sie.
Dann, sich verbessernd:
– Kommen Sie mit mir.
Einige Schritte hinter der Quelle stand ein kleiner griechischer Tempel: fünf korinthische Säulen, welche eine runde Kuppel stützten. Die Säulen waren bis zu halber Höhe durch eine Mauer verbunden. Auf einer breiten Rundbank in der Mitte dieses, jetzt von Schalten erfüllten Monuments lagen mit Werg gefüllte Kissen. Der Ort war so traulich, daß Line, kaum daß sie neben der Tänzerin Platz genommen, den Muth faßte, zu ihr zu sprechen.
– Man hat Ihnen meinen Brief übergeben?
– Sie sehen ja.
– Wissen Sie, weshalb ich Sie gebeten habe zu kommen?
Mirabelle war sehr vorsichtig.
– Um mit mir zu plaudern, sagte sie.
– Ja … Nun sind Sie da und ich weiß Ihnen nichts mehr zu sagen.
Mirabelle nahm ihre Hand. Line glaubte zu fühlen, daß auch die Fremde zittere.
– Ich wollte Sie auch in der Nähe sehen, fuhr die Prinzessin fort. Sie sind so hübsch! … hübsch wie ein junger Mann … Während des ganzen Ballets habe ich nur Ihre Augen betrachtet … Und ich beneide Sie. Wenn Sie wüßten! Es betrübt mich sehr, daß ich blond bin. Ich hätte braun sein mögen wie Sie; ganz so wie Sie; ich hätte Ihre Schwester sein mögen …
Mirabelle hielt es für unnöthig, zu protestiren.
Line bot ihr selbst ihre Lippen zum Kusse.
– Küssen Sie mich wie vorhin; wollen Sie?
Und als ihre Lippen sich trennten, sagte sie:
– Wie köstlich das ist! Wer hat Sie das gelehrt?
– Ich habe es erfunden, erwiderte die Tänzerin.
– Ach, wie gut ist das! Wie alt sind Sie?
– Achtzehn Jahre. Und Sie?
– Vierzehn … Wollen Sie mich noch küssen?
Dieses Spiel war gefährlich für die junge Mirabelle und so sehr sie sich auch bemeistern konnte, so sehr sie auch entschlossen war, nichts zu überstürzen, schonend und langsam ihre Wege vorzubereiten, gab es doch in ihren Gedanken einen Augenblick der Verwirrung, wo sie nicht an sich halten konnte. Sie betastete zuerst das Kleid an der Stelle, wo die kleinen Brüste den dünnen, warmen Stoff spannten, dann – die außerordentliche Leichtigkeit benützend, welche die Kleidung der weißen Aline den sympathischen Berührungen bot – wagte sie gewisse Untersuchungen, welche – wenn nicht ihre Willfährigkeit – jedenfalls ihre Neugierde verriethen.
Fügsam und instinktiv ließ Aline sie gewähren. Mirabelle verlor darüber ihre Fassung …
Sie hatte ihre Selbstbeherrschung wieder erlangt, als Line beunruhigt sie fragte:
– Sie frieren, liebe Freundin? Sie zittern ja …
– Ich fühle mich unwohl, sagte Mirabelle.
– Wollen Sie ein wenig gehen?
– Ja.
– Kommen Sie. Der Park ist menschenleer. Wir werden gehen, wohin es Ihnen beliebt.
Sie erhoben sich und erschienen wieder im Mondenschein.
So wandelten das grüne Kleid und das mit Ähren bestickte Wamms einige Zeit rings um den plätschernden Brunnen. Die Eine war von Smaragd, die Andere von Silber; doch als sie ihre nach Art der marmornen Nymphen in einander verschlungenen Gestalten in den Becken spiegeln wollten, sahen sie, daß die Nacht ihre Farben verdunkelte, gleich dem Wasser und dem Gehölz.
Mirabelle sprach nicht. Ihre Verwirrung und ihr kaum unterdrücktes Verlangen erwachten wieder. Sie erkannte, daß sie verliebt sei.
Fortan dachte sie nur an die Mittel, es mit Erfolg zu sein. Sicherlich gehörten ihr noch einige Stunden; aber es hieße sie verlieren, wenn sie sie nach ihren augenblicklichen Versuchungen anwenden wollte. Eine romanhafte Idee ging ihr durch den Kopf; sie prüfte diese Idee im Stillen, fand sie durchführbar und ehe sie ihr Ausdruck verlieh, wollte sie sie der Anderen beibringen, so groß war ihre schauspielerische Kunst.
– Adieu! sagte sie plötzlich. Ich werde Sie nicht mehr sehen.
Die weiße Aline wurde ganz bleich.
– Nein, noch nicht … flehte sie.
– Es muß sein.
– Aber ich habe Sie noch nicht gesehen, ich habe Ihnen noch nichts gesagt … Sie kommen und wollen sogleich wieder gehen … Ich langweile Sie vielleicht. Sie begreifen nicht, weshalb ich Sie gerufen habe? Ich selbst weiß es kaum, aber ich bin sehr glücklich, wenn ich Ihre Hand fassen darf.
Mirabelle schloß sie in ihre Arme.
– Bleiben Sie da, ich bitte Sie, fuhr das junge Mädchen fort. Bleiben Sie, oder kommen Sie morgen zur nämlichen Stunde wieder. Ich werde Sie erwarten.
– Morgen? … Wir reisen ja mit Tagesanbruch weiter!
Line ward noch bleicher und Thränen traten ihr in die Augen.
– Ist's wahr? … Ist's wahr? … Sie reisen? Und wann kommen Sie wieder?
– Niemals.
– Aber ich habe Niemanden als Sie, den ich lieben könnte! Wissen Sie es nicht? Gestern im Theater begriff ich, daß es etwas gibt zwischen mir und Ihnen und daß wir uns vereinigen müssen und daß Sie meine Freundin sein werden. Ich rufe Sie, ich erwarte Sie; wir vermengen unsere Lippen und dann soll es aus sein für immer? Wenn Sie fortgehen, gehe ich mit Ihnen.
Mirabelle löste ihre Arme.
– Nun wohl, wir wollen gehen. Auch ich liebe Sie …
– Wirklich? Sie wollen?
– Kommen Sie!
– Ja. Ich werde meine Kameraden verlassen. Wir werden einander angehören und allein sein für immer.
– Oh! Und wohin gehen wir?
– Nach meinem Vaterlande.
– Nein, nein, bleiben wir in Tryphema.
– Das ist unmöglich. Morgen würden Sie entdeckt sein.
– Wieso?
– Kraft der Befehle des Königs.
– Papas? Sie kennen ihn nicht. Mich suchen zu lassen ist ein ernster Entschluß. Bis er ihn faßt, sind wir schon weit.