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Natürlich machte ich auch Gnadengesuche an alle irgend in Betracht kommenden Persönlichkeiten (Hitler, Göring, Himmler, Hindenburg), bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich wandte mich auch an die verschiedenen persönlichen Adjutanten, an Leute wie Heß, um Vermittlung. An allen hohen Feiertagen, an Hitlers Geburtstag, an nationalsozialistischen Gedenktagen, nach besonderen Erfolgen, in den verschiedensten Formen, mit ausführlicher Begründung oder kurz und dringlich, nach der Abstimmung im Saargebiet sogar telegrafisch. Ich bekam im allgemeinen eine höfliche Ablehnung, manchmal ganz kurz, manchmal mit einer Begründung, manchmal telefonisch. Schließlich wurde mir mitgeteilt, daß ich überhaupt keine Antwort mehr bekommen würde, wenn ich so oft schriebe, man hätte das Recht, jedes Vierteljahr ein Gnadengesuch einzureichen. Also beschränkte ich mich darauf.
Einmal wurde ich sogar auf die Gestapo bestellt, und ein Regierungsrat teilte mir mit, man könne meinen Sohn nicht entlassen, im Interesse seiner Sicherheit.
Ich: »Für seine Sicherheit werde ich schon sorgen, wenn er nur aus dem Lager draußen ist.«
Er: »Er könnte doch mal auf der Straße umgebracht werden, dann würde man sich wieder im Ausland entrüsten.«
Ich: »Wenn Sie die Entrüstung des Auslands befürchten, so kann ich Ihnen nur raten, meinen Sohn zu entlassen. Daß mal jemand auf der Straße umgebracht wird, kommt in jedem Lande vor, darüber wird sich niemand aufregen. Aber darüber allerdings, daß Sie Ihre Häftlinge im Lager langsam zu Tode martern, empört sich die ganze zivilisierte Welt.«
Er: »Ich habe nicht gehört, was Sie da eben sagten.«
Ich: »Dann will ich es noch einmal wiederholen.«
Er: »Nein, das sollen Sie nicht! Ich darf nicht hören, was Sie eben gesagt haben. Außerdem ist Ihr Sohn ein bedeutender Kopf und daher ein gefährlicher Gegner. Er würde gegen uns arbeiten, wenn er freigelassen würde.«
Ich: »Nicht, wenn er sich bei seiner Entlassung verpflichten würde, es nicht zu tun. Aber schicken Sie ihn vom Lager aus doch gleich über die Grenze, dann haben Sie nichts mehr zu befürchten.«
Er: »Nicht wahr, daß er dann draußen gegen uns arbeitet, nach der Richtung hin haben wir genug erlebt.«
Ich: »Wenn ich im Lande bleibe, haben Sie eine Geisel in der Hand. Mein Sohn würde niemals den Mund auftun, wenn er mich in Ihren Händen wüßte. Sie können mich ja sicherheitshalber festsetzen.«
Er, sehr würdevoll: »Über das mittelalterliche Verfahren des Festnehmens von Geiseln sind wir erhaben –.«
Ich hätte ihm ja nun eine ganze Reihe von Fällen anführen können, in denen die Nazis nicht darüber erhaben waren, aber ich wollte ihn nicht unnötig reizen und sagte nur: Wenn sich jemand freiwillig als Geisel anbiete, sei das doch was ganz anderes. Ich redete ihm gut zu, ob mein Sohn, wenn er durchaus nicht entlassen werden könne, anders, zum Beispiel in Festungshaft, untergebracht werden könne. Und ich zählte ihm alle die scheußlichen Mißhandlungen auf, die er erlitten hatte.
Er: »Sie dürfen nicht derartige Dinge sagen.«
»Sie sind doch aber wahr!« antwortete ich und führte ihm nun allerhand Gespräche mit den Beamten an, aus denen hervorging, daß sie sie selber zugaben.
Er, drohend: »Werden Sie sich denn so ganz genau erinnern an das, was Sie behaupten, wenn es mal zu einer Vernehmung kommen wird?«
Ich: »Bestimmt! Ich werde kein Wort, das gesprochen ist, und keine Tat, die geschehen ist, vergessen bis zum Jüngsten Gericht. Ob die Herren sich so genau daran erinnern werden, ist für mich leider eine andere Frage.«
Er, drohend: »Werden Sie denn auch durchhalten, wenn sie ernstlich gefragt werden?«
Ich: »Oh, da können Sie ganz beruhigt sein, ich halte bis zum letzten Blutstropfen durch.«
Er, aufstehend: »Ich darf nicht mit anhören, was Sie da sagen. Es hat auch keinen Sinn, daß Sie mir das alles auseinandersetzen, ich kann nichts für Sie tun. Ich bin hier nur Sprachrohr. Ich werde alles vergessen, was Sie mir gesagt haben. Das ist das einzige, was ich für Sie tun kann.«
Er verabschiedete sich mit einem Händedruck von mir.
*
Ein Freund von mir veranlaßte den Staatssekretär Meißner, ein Gnadengesuch von mir an Hindenburg bei diesem persönlich zum Vortrag zu bringen und zu befürworten. Ich hatte in diesem Gesuch den Fall meines Sohnes geschildert und auf die Schätzung hingewiesen, die Hindenburg meinem Manne während und nach dem Weltkrieg wiederholt bewiesen hatte. Meißner schrieb, Hindenburg habe den Vortrag des Gnadengesuches mit großer menschlicher Anteilnahme angehört und es befürwortend an die zuständige Stelle weitergegeben. – Erfolg: Es wurde, wie jedes meiner Gnadengesuche, abgelehnt.
Als ich einmal auf der Gestapo auf die Einstellung Hindenburgs zum Falle meines Sohnes zu sprechen kam, sagte der Adjutant Himmlers: »Es tut mir sehr leid, aber in diesem Falle ist selbst der gute Papa Hindenburg machtlos.«
Ein anderes Mal fuhr er sich verzweifelt durchs Haar: »Wie glücklich wäre ich, wenn ich Ihnen sagen könnte: ›Ihr Junge kommt heraus‹.«
Als ich einmal im Gespräch erwähnte, daß mein Sohn in einem Prozeß mit Hitler aneinandergeraten sei, sagte er erschrocken: »Dann ist doch gar nicht an seine Entlassung zu denken.«
Ich tat erstaunt: »Auch Sie trauen dem Führer so etwas zu? Wäre es denn wirklich möglich, daß all die Leute doch Recht haben, die das Martyrium meines Sohnes mit diesem Zusammenstoß begründen? Ich habe ihnen immer gesagt, Ihr könnt doch unmöglich dem Führer des deutschen Volkes eine so gemeine kleinliche und niedrige Rachsucht zutrauen.«
Er: »Nein, nein, so etwas ist natürlich ganz ausgeschlossen. Selbstverständlich ist der Führer nicht rachsüchtig. Ich meinte auch nur, daß eben ein Steinchen zum andern kommt, und dadurch die Freilassung erschwert wird.«
Von anderer Seite hörte ich, es gäbe eine Liste mit Namen von Häftlingen, die unter keinen Umständen entlassen werden dürften. Mit diesen Häftlingen dürfe nichts ohne Genehmigung des Führers unternommen werden. Auf dieser Liste befände sich auch der Name von Hans.
Auch erfuhr ich, daß den Personalakten meines Sohnes auf der Gestapo ein Bild beiläge, das meinen Sohn als Verteidiger, Hitler als Zeugen vor Gericht einander gegenüberstehend zeige.
Hauptmann Frodin hörte es nicht ungern, wenn ich ab und zu politische Bemerkungen machte, denn er bildete sich ein, daß ich »fanatisch national« eingestellt sei. Meine Ablehnung des Nationalsozialismus hielt er vielleicht für begreiflich bei den persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht hatte. Mein Eintreten für »die Lumpen« von Kommunisten, zu dem er mich oft sehr reizte, hielt er wohl nur für politische Unerfahrenheit. Denn daß ich unpolitisch war, glaubte er mir gern, um so mehr, als ich ihm immer wieder versicherte, daß für mich bei der Beurteilung eines Menschen in erster Linie die menschliche Haltung in Frage käme.
Als ich mich einmal anscheinend etwas unvorsichtig mit einer politischen Äußerung vorgewagt hatte, sagte er sehr herzlich, aber doch mit warnendem Unterton: »Ich glaube, wir hätten gut daran getan, dies reizende kleine Muttchen auch einzusperren.«
Das war Wasser auf meine Mühle: »Das schlage ich Ihnen ja dauernd vor, es wäre doch viel richtiger, mich einzusperren und meinen Sohn freizulassen. Ich bin doch die Verantwortliche, da ich meinen Sohn zu einem so anständigen Menschen erzogen habe, daß er für Sie nicht tragbar ist.«
Er rief entsetzt: »Um Gotteswillen, da sind Sie schon wieder bei Ihrem Lieblingsthema angelangt. Ich habe Ihnen doch schon hundertmal gesagt, daß das nicht möglich ist.«
*
Auch an Frau Sonnemann schrieb ich, als sie gerade mit Göring auf dem Obersalzberg war. Sie hatte zwar nie mehr etwas von sich hören lassen, aber trotzdem wollte ich es noch einmal versuchen. Ich schrieb ihr, daß ich das Gefühl hätte, daß die Gnadengesuche niemals an die richtige Stelle gelangten, und bäte sie doch sehr, mir einmal mitzuteilen, wie man es machen solle, daß es wirklich in Görings Hände gelange. Ich lege ihr einmal zur Probe ein Gnadengesuch bei, das ich jetzt abschicken wolle, um sie zu fragen, ob es so auch richtig gehalten wäre.
Nach einigen Wochen rief sie mich an: »Liebe Frau Litten, seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen so spät antworte, aber Sie werden ja von dem Autounfall gehört haben, den wir auf dem Obersalzberg gehabt haben. Ich bin eben erst wieder nach Berlin zurückgekehrt und leide noch immer sehr an einer Knieverletzung.«
Ich äußerte große Besorgnis, die ich auch wirklich um diese gutherzige Frau hatte, worauf sie abwehrend sagte: »Ach, auf mich kommt es doch gar nicht an. Das Wichtigste ist, daß es Göring besser geht.«
Ich: »Aber die Zeitungen berichten doch, daß er wieder ganz in Ordnung ist.«
Sie: »Das ist ja nur zur Beruhigung, damit das Volk sich nicht so schrecklich aufregt. Er ist ja viel schwerer verletzt gewesen, als man bekanntgegeben hat. Das Steuer hat sich ihm beim Zusammenprall gegen die Brust gedrückt und eine sehr üble Quetschung hervorgerufen. Ich habe übrigens Ihr Gnadengesuch Göring sofort gegeben. Es kam gerade an, als ich mit ihm beim Frühstück saß. Er hat es gelesen und nur gesagt: ›Schade, daß Frau Litten so lügt. Sie behauptet, ihr Sohn habe nicht der Kommunistischen Partei angehört. Natürlich hat er das getan.‹ Ich habe darauf gesagt: ›Ich kenne Frau Litten und halte es für ganz ausgeschlossen, daß sie lügt.‹ Er meinte: ›Nun, dann weiß sie eben nicht Bescheid‹, und fragte die anderen Herren, die herumsaßen. Die haben gesagt: ›Natürlich war Litten Kommunist. Er ist sogar Reichstagsabgeordneter gewesen,‹ und sie konnten sogar die Sitzungen angeben, bei denen er mit Göring aneinandergeraten ist.«
Ich: »Das muß sich um eine Verwechslung mit jemand anderem handeln. Das müßte ich doch wirklich wissen, wenn mein Sohn Abgeordneter gewesen wäre. Und darüber werde ich auch einen Nachweis bringen können.«
Sie: »Nein, nein! Ihr Wort genügt mir. Selbstverständlich werde ich die Sache sofort bei Göring aufklären, obwohl er mir verboten hat, noch einmal mit ihm über Ihren Sohn zu sprechen. Er hat mir wörtlich gesagt: ›Wenn du mir dauernd mit Litten in den Ohren liegst, werde ich überhaupt nicht mehr mit dir zusammen sein‹, und sehen Sie, das wäre doch sehr bedauerlich, dann könnte ich überhaupt niemandem mehr helfen.«
Ich ließ mir vom Büro des Reichstags eine Bescheinigung geben, daß sich in den Jahren, in denen mein Sohn erwachsen war, niemals ein Abgeordneter mit dem Namen Litten im Reichstag befunden hätte. Ein Beweis, daß er der Kommunistischen Partei nicht angehört hatte, war nicht möglich, da ein Büro der KPD nicht mehr existierte.
Einige Tage später rief mich einer der Adjutanten von Göring an und teilte mir mit, daß mein Gnadengesuch abgelehnt worden sei. Ich sagte ihm, diese Ablehnung beruhe sicher auf dem Mißverständnis, daß mein Sohn kommunistischer Reichstagsabgeordneter gewesen sein solle. Ich hätte soeben einen Beweis für das Gegenteil vom Büro des Reichstages erhalten. Doch er antwortete: »Diese Sache ist inzwischen aufgeklärt. Wir wissen, daß das ein Mißverständnis war. Aber das ändert nichts an der Ablehnung.«
*
Einen Besuch in Genf benutzte ich dazu, mich mit Professor Burckhardt (der im Auftrag des Roten Kreuzes in Deutschland gewesen war) in Verbindung zu setzen.
Wir trafen uns in einem Café und saßen in einer geschützten Nische. Als ich anfing, ihm allerhand handfeste Greuel zu erzählen, bat er plötzlich seinen Sekretär, die benachbarten Nischen zu inspizieren. Auf meinen erstaunten Ausruf: »Wir sind doch nicht in Deutschland!« antwortete er: »Aber die Gestapo spitzelt hier genau wie bei Ihnen, und es könnte doch sehr unangenehm für Sie werden, wenn unser Gespräch belauscht würde.«
Er erzählte mir, daß er die Lichtenburg habe besuchen dürfen, und daß er bei diesem Besuch meinen Sohn gesprochen habe. Er habe von der Lichtenburg (sein Besuch fand statt, als Reich Kommandant war) einen günstigeren Eindruck gehabt als von anderen Lagern und an die zuständige Stelle berichtet, daß ihm das Lager wegen der dort herrschenden tadellosen Disziplin besonders gefallen habe.
Er erzählte mir, er habe zwar bei seinem Besuch in Deutschland die Entlassung von einer ganzen Anzahl harmloser Häftlinge erreicht, aber um meinen Sohn habe er sich vergeblich bemüht. Sein einziger Erfolg bei den prominenten Häftlingen sei die Überführung Ossietzkys vom Lager in ein Krankenhaus gewesen, da er offensichtlich im Sterben lag.
Noch von unzähligen Menschen habe ich aufopfernde Hilfsbereitschaft erfahren. Wir hatten drei Zentralen, von denen aus wir arbeiteten. Heinz fuhr nach Prag und Holland, ich nach der Schweiz. Beides war nicht auffallend, da Heinz dort gute Freunde hatte, während ich Rainer besuchte. Rainer wurde nie in eine Arbeit einbezogen, da man diese Verbindung zu leicht hätte ausfindig machen können und mir dann sicher die Besuche in der Schweiz abgeschnitten hätte.
*
Hauptmann Frodin gab mir Ratschläge für ein Gnadengesuch an Himmler, das er ihm persönlich übergab. Als ich ihm einmal im Gespräch erzählte, daß mein Sohn überhaupt kein Politiker sei, sondern der richtige Gelehrte, und als ich ihm sagte, womit er sich beschäftige, und daß dies doch ein Beweis dafür wäre, daß er für politische Dinge gar kein Interesse habe, sagte er: »Ach, germanische Kunst. Das sind doch die ollen Ausgrabungen, für die Himmler sich so interessiert. Vielleicht könnte man ihn darauf hinweisen.«
Ich reichte ihm dann eine Übersetzung des Wessobrunner Gebets mit sehr gelehrten wissenschaftlichen Bemerkungen von meinem Sohn ein, und er gab es auch an Himmler weiter.
Verstanden wird Himmler es nicht haben, und es hat auch sicher deshalb keinen Eindruck auf ihn gemacht. Jedenfalls rief mich Hauptmann Frodin nach einiger Zeit an und sagte: »Gnädige Frau, es tut mir schrecklich leid, aber auch dieses Gnadengesuch ist abgelehnt worden. Sie werden sich ja wohl darüber nicht wundern, nachdem Sie die gestrige Zeitung gelesen haben.«
Ich: »Ja, die gestrige Zeitung war so schrecklich, und alles klingt so hoffnungslos, daß ich wenigstens meinen Sohn besuchen und trösten möchte.«
Er fand das berechtigt und gab mir sofort, mitten in der Zeit, Besuchserlaubnis.
Die Zeitungen hatten berichtet, daß Lord Allen of Hurtwood eine Eingabe bei Hitler gemacht habe, unterschrieben von einer Anzahl der angesehensten Juristen in England, in der um die Freilassung Hans Littens gebeten wurde. Nähere Angaben über dieses Schreiben an Hitler wurden nicht gemacht. Mir ist aber bekannt geworden, daß der Fall Litten gerade bei den Anwälten Englands, überhaupt bei allen Juristen, deshalb großes Aufsehen gemacht habe, weil man einen Anwalt zwingen wollte, sein Berufsgeheimnis zu verraten. Das und die völlige Unschuld von Hans Litten scheinen der Inhalt des Schreibens gewesen zu sein.
Margot war nach den Folterungen meines Sohnes und seinem daraufhin erfolgten Selbstmordversuch heimlich über die Grenze gegangen. Sie hatte sich einige Wochen in Prag und in der Schweiz aufgehalten, um das Ausland für diesen Fall zu interessieren und ihn in der Presse zu schildern. Erst dadurch wurde man draußen überhaupt auf diesen Fall aufmerksam, der nun allerdings immer wieder in der Presse und auch in großen, sehr zurückhaltenden englischen Zeitungen erörtert wurde.
Auf das Schreiben Lord Allens antwortete Herr v. Ribbentrop:
»Berlin, 16. Dezember 1935.
Sehr verehrter Lord Allen!
Ihr Schreiben an den Führer und Reichskanzler vom 31. Oktober wurde mir von der Reichskanzlei zur weiteren Behandlung übersandt, und ich komme wegen Überhäufung meiner Arbeit erst heute zu dessen Beantwortung.
Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß ich nach sorgfältiger Prüfung des von Ihnen dargelegten Falles zu meinem Bedauern nicht in der Lage bin, dem Führer und Reichskanzler die von Ihnen vorgeschlagene Lösung zu empfehlen. Die Gründe sind folgende:
Der Rechtsanwalt Hans Litten war einer der geistigen Führer des Kommunismus in Deutschland. Er ist wegen staatsfeindlicher Betätigung inhaftiert, und seine geistige Einstellung läßt eine Enthaftung unter diesen gegebenen Umständen nicht zu.
Die in der Petition Ihrer englischen Rechtsfreunde im Hinblick auf diese Haft gemachten Feststellungen gehen teils von falschen Voraussetzungen aus, teils entsprechen sie nicht den Tatsachen und können deshalb nicht unwidersprochen bleiben. Revolutionen werden nicht in Gerichtshöfen und nach den Regeln normalen Rechtsbrauches ausgefochten und entschieden, und im übrigen ist, entgegen Ihrer Eingabe, die Behandlung des Rechtsanwalts Litten völlig einwandfrei, und er genießt, wie ich höre, sogar noch gewisse Sondervergünstigungen.
Ich möchte Sie aber, verehrter Lord Allen, nun meinerseits fragen: Kann ein Regierungs- und damit ein Rechtssystem, das unverbesserliche Feinde der menschlichen Gesellschaft, die ein Volk dem Kommunismus ausliefern wollten, hinter Schloß und Riegel setzt, wirklich ein so schlechtes Rechtssystem sein, wenn es dadurch gleichzeitig ein ganzes Volk von fünfundsechzig Millionen wieder glücklich macht? Sind die Menschen für das Recht da oder das Recht für die Menschen? Muß ein solches Rechtssystem wirklich auf die Dauer um sein Ansehen in der Welt besorgt sein?
Im Gegenteil, ich möchte demgegenüber die Behauptung aufstellen: Wenn Ihre englischen Rechtsfreunde, die diese Petition unterschrieben haben, sich die Mühe machen würden, die Ursachen des Niederganges meines Landes seit 1919, seit dem Versailler Vertrag, zu studieren, dann würden sie finden, daß eine stehengebliebene, den ungeheuren Problemen unserer Zeit nicht mehr gewachsene Rechtspflege und vor allem aber der Geist, in dem oft Recht gesprochen wurde und dessen Träger wider das natürliche Empfinden des deutschen Volkes den Freiheitskämpfer Adolf Hitler nach denselben Paragraphen aburteilen konnten wie den Kommunisten Hans Litten, mit dazu beigetragen haben, ein großes Volk an den Rand des Abgrundes, nämlich des Kommunismus, zu führen.
Daß wir heute nicht mehr gewillt sind, diesen Geist in Deutschland jemals wieder auferstehen zu lassen und daß wir unverbesserlichen Trägern und geistigen Führern solchen Vernichtungswillens als Schädlingen der menschlichen Gesellschaft ihr Tätigkeitsfeld möglichst beschränken, das würde jeder ihrer Freunde von der Rechtsfakultät verstehen, wenn er die Entwicklung der vierzehn Jahre bis zum 30. Januar 1933 in Deutschland miterlebt hätte. Ja, mehr als das: ich bin fest überzeugt, daß Großbritannien und die gesamte Kulturwelt Adolf Hitler eines Tages dankbar dafür sein muß, daß er mit eiserner Konsequenz und, wenn es sein muß, auch Härte die Träger dieses schleichenden und zersetzenden kommunistischen Giftes in Deutschland isoliert hat.
Deutschland soll in Zukunft ein Rechtsstaat werden, der dem Wesen und Rechtsempfinden des deutschen Volkes in Wahrheit entspricht. Dies ist das Bestreben der Sucher und Gestalter einer neuen nationalsozialistischen deutschen Gesetzgebung.
Ich werde mir in den nächsten Tagen erlauben, Ihnen das letzte Auslandsheft der Akademie für Deutsches Recht zu übersenden mit einem kurzen Geleitwort von mir, und ich glaube, daß es viel zum gegenseitigen Verständnis beitragen würde, wenn Ihre Rechtsfreunde mit unserer Akademie für Deutsches Recht und deren Leiter, Reichsminister Dr. Frank, in lebendige Fühlung kommen würden.
Im übrigen darf ich noch auf eins hinweisen: Die in der Geschichte des deutschen Volkes größte geistige Revolution, die zu der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus am 30. Januar 1933 führte, ist unter dem Zeichen völliger Legalität vor sich gegangen und mit Methoden durchgeführt worden, die wohl in der Geschichte nicht ihresgleichen haben und die im krassen Gegensatz zu den grausamen und barbarischen Methoden stehen, mit denen die Revolutionen anderer Völker unserer Kulturwelt durchgeführt wurden.
Ich glaube nicht falsch vorauszusehen, wenn ich sage, daß eine spätere objektive Geschichtsschreibung eines Tages den nationalsozialistischen Machtkampf geradezu als das Musterbeispiel für eine Revolution ansehen wird, wie sie nur eine Nation von höchstem Kulturniveau überhaupt durchfuhren kann.
Kann es eine bessere Bestätigung hierfür geben als die Tatsache, daß ein großer, internationaler Geschichtsforscher uns kürzlich allen Ernstes sagte, die Welt würde sicher mehr Verständnis für die große nationalsozialistische Revolution aufgebracht haben, wenn sie mit den grausamen und barbarischen Methoden früherer Revolutionen durchgeführt worden wäre?
Abgesehen aber von den eben geschilderten grundsätzlichen Erwägungen kann ich mich um so weniger entschließen, zu dem Wunsche Ihrer ehrenwerten Rechtsfreunde eine positive Haltung einzunehmen, als wir in einem ähnlichen Falle eine sehr schlechte Erfahrung gemacht haben. Dies liegt so:
Vor längerer Zeit wurde ich von einem Ihrer Landsleute, einem hervorragenden Engländer, darauf aufmerksam gemacht, ein wie großes Hindernis auf dem Wege der deutsch-englischen Verständigung die Haft der der Welt aus dem Reichstagsbrandprozeß bekannten Bulgaren Dimitrow und Genossen sei und welch ausgezeichneten Eindruck auf die englische öffentliche Meinung deren Freilassung machen würde. Ich wußte, daß es sich hier um unverbesserliche Feinde der menschlichen Gesellschaftsordnung handelte, und daß es das beste wäre, sie würden nie mehr auf die Menschheit losgelassen. Trotzdem oder vielmehr in meinem ständigen Bestreben, die deutsch-englische Verständigung zu fördern, wurde ich mit zum Fürsprecher ihrer Freilassung. Die Bulgaren wurden nach Rußland geschickt, und heute ist Herr Dimitrow Generalsekretär und damit der wahre Führer der Komintern! Er ist einer der eingefleischtesten Kommunisten und verschworensten Terroristen, der zum 7. Kominternkongreß in Moskau im vorigen Sommer ungefähr folgendes Kampfziel bekanntgab:
1. Das unverrückbare Kampfziel der Komintern ist die Weltrevolution und die Aufrichtung der internationalen Diktatur des Proletariats. Zur Erreichung dieses Zieles ist jedes Mittel recht, Propaganda, Bündnisse, Terror, Gewalt usw.
2. Das größte Hemmnis auf diesem Wege zur Weltrevolution, d. h. zur Aufrichtung des roten Imperialismus, ist Adolf Hitler. Aus diesem Grunde muß der Nationalsozialismus mit allen Mitteln bekämpft werden. Fällt Hitler-Deutschland, ist der Weg für die kommunistische Weltherrschaft frei. In kurzer Zeit wird ganz Europa folgen, und die Zersetzung des britischen Imperiums und der noch übriggebliebenen Nationalstaaten wird dann nicht aufzuhalten sein.
Dieses saubere Programm ist das Ergebnis der Freilassung Dimitrows, das heißt also das Ergebnis liberaler britischer Weltauffassung und deutscher Gutmütigkeit und Großzügigkeit! Der Kuriosität halber darf ich übrigens hinzufügen, daß ich seinerzeit dem englischen Fürsprecher von dieser Freilassung Kenntnis gab, aber weder dieser noch die gesamte öffentliche Meinung und Presse Englands, die sich vorher über den Bulgarenfall fürchterlich aufgeregt hatte, nahm von dieser Tatsache die geringste Notiz. Ich glaube, solche Fehler sollten beide Nationen in Zukunft vermeiden.
Mein lieber Lord Allen! Ihre Gegnerschaft gegen Versailles ist Deutschland und der Welt bekannt, und Ihr Einsetzen für eine deutsch-englische Freundschaft war für mich immer eine große Befriedigung in meinem, ich glaube nicht ganz unbekanntem Kampf für diese Freundschaft. Ich weiß daher, daß nur edle Gefühle Sie und Ihre Freunde zu Ihrer Eingabe vom 31. Oktober an den Führer und Reichskanzler veranlaßt haben.
Wir Deutschen verstehen dieses britische Gefühl »for the underdog« (für den Unterlegenen) sehr gut und achten es, wie dies bei Angehörigen gleicher Rasse ja gar nicht anders sein kann. Gerade dieses Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen gleicher Rasse und gleichen Blutes sollte eine Garantie für die gemeinsame Erkenntnis sein, daß die Staatsraison Regierungen oft zwingt, harte Wege zu gehen, ohne daß hierdurch ein Volk seine in seinem innersten Wesen begründeten ethischen und weltanschaulichen Fundamente auch nur im geringsten preisgibt, ja, daß im Gegenteil diese harten Wege oft erst die Voraussetzungen für die Erhaltung dieser ethischen und moralischen Grundlagen eines Volkes schaffen. An dieser Erkenntnis hat es dem heutigen England bisher noch etwas gefehlt. Ich glaube aber, daß auch diese Gedanken sich von Tag zu Tag mehr durchsetzen werden, und die Geschichte des Britischen Imperiums sollte hier der beste Lehrmeister sein!
Indem ich hoffe, daß ich noch oft das Vergnügen haben werde, Ihnen auf dem Wege, der zur deutsch-englischen Freundschaft führt, zu begegnen, seien Sie, verehrter Lord Allen, versichert der höchsten Wertschätzung und der freundschaftlichen Gefühle
Ihres Ihnen ergebenen
gez. von Ribbentrop.«
Dieser Brief klang so, als ob man die Absicht habe, meinen Sohn lebenslänglich gefangenzuhalten. In einer Eingabe an Ribbentrop widerlegte ich Satz für Satz seiner unsinnigen Behauptungen. Eine Antwort darauf habe ich nie erhalten.
*
Als ich Hans in Lichtenburg nach zwei Tagen besuchte, war er sehr erstaunt, daß ich so mitten in der Zeit kam. Ich erklärte ihm, ich nähme an, daß er über den Zeitungsbericht deprimiert sei, und daß ich ihm etwas Mut zusprechen wolle. Er meinte, es hätte ihm nur für mich sehr leid getan. Er selber mache sich ja keine Hoffnungen auf eine baldige Entlassung. Ich wurde diesmal besonders nett behandelt, und ich konnte Hans leise fragen, ob ihn dieser Zeitungsbericht geschädigt hätte. Er verneinte und sagte, ich solle feste über das Ausland weiter arbeiten.
Der Besuch verlief sehr erfreulich. Ich versuchte auch den Kommandanten bei dieser Gelegenheit zu sprechen. Ein Kamerad, der entlassen worden war, hatte mir berichtet, daß Hans häufig so starke Herzkrämpfe hätte, daß er ohnmächtig zusammenbräche. Ich hatte dem Kommandanten geschrieben, daß ich durch einen entlassenen Schutzhäftling über den Gesundheitszustand meines Sohnes orientiert worden sei und um Erholungsurlaub für ihn gebeten. Der Kommandant hatte daraufhin Hans vom Lagerarzt untersuchen lassen und hatte mir geschrieben, daß keine Haftunfähigkeit vorläge und daß mein Sohn mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand ja nur mit leichterer Arbeit beschäftigt würde.
Der Kommandant ließ sich mit Krankheit entschuldigen, ich solle meine Wünsche dem Adjutanten vortragen. Ich sagte ihm, ich käme wegen dieses Zeitungsberichtes, in dem jeder Satz unzutreffend und vor allem die Charakteristik meines Sohnes als Schädling der menschlichen Gesellschaft völlig falsch sei. Ich fürchte, daß man sich im Lager durch diese Darstellung beeinflussen ließe und den persönlichen Eindruck, den man ja von meinem Sohn haben müsse, nicht mehr als maßgebend ansähe. Deshalb wolle ich ihn aufklären und mir erlauben, ihm eine Abschrift meines Schreibens an Ribbentrop vorzulegen. Er lehnte ab, es zu lesen, erklärte, die Lagerleitung ginge es gar nichts an, was einer getan habe, und was er sei. Sie kümmere sich nur darum, wie er sich im Lager verhalte. Im übrigen sei dem Herrn Kommandanten die Bemerkung in Ribbentrops Brief, daß mein Sohn gewisse Sonderrechte genieße, sehr unangenehm gewesen. Bei ihm gäbe es keine Sonderrechte. Alle Gefangenen würden gleich behandelt. Ob mein Sohn mir etwa eine Mitteilung über besondere Vorrechte gemacht habe, und ob ich diese Mitteilung etwa weitergegeben habe. Ich sagte ihm, ich hätte niemals, weder von meinem Sohn, noch von den entlassenen Schutzhäftlingen, irgend etwas über Sonderrechte gehört. Aber ich sei hocherfreut gewesen, darüber aus Ribbentrops Brief zu hören. Denn mir erschiene es nur richtig und selbstverständlich, daß Leute, die so lange im Lager wären und sich so gut führten, gewisse Sonderrechte bekämen. Er erklärte das für ausgeschlossen, war im übrigen sehr nett zu mir, so daß ich wirklich den Eindruck hatte, man stehe Hans von Seiten der Lagerleitung freundlich gegenüber.
Später hörte ich von einem der entlassenen Schutzhäftlinge, daß Lord Allens Bitte Hans ein besonderes Ansehen den SS-Leuten gegenüber gegeben hätte. Auch später, als Lord Allen einmal als Gast des Führers in Nürnberg war, hieß es im Lager: »Mit Litten muß doch was besonderes los sein, daß ein so berühmter Mann wie Lord Allen, der sogar als Gast des Führers eingeladen wird, sich so für ihn interessiert.«
Überhaupt hörte ich immer wieder von entlassenen Schutzhäftlingen, daß jede Arbeit im Ausland außerordentlich nützlich wäre. Selbst wenn keine Entlassung dadurch herbeigeführt würde, so wäre immer für einige Zeit die Behandlung des Betreffenden besser. Man fürchtete nämlich immer im Lager, daß einer der interessierten Ausländer das Lager besuchen und sich den Schutzhäftling, für den er sich interessiert, vorführen lassen könne, und dafür müsse dieser doch in einem verhältnismäßig guten Zustand gehalten werden.
Im übrigen spielte das unter dem Kommandanten Reich keine Rolle, da damals die Behandlung der Gefangenen, sowie er es in der Hand hatte, ordentlich war. Er hielt streng auf Disziplin, bei den Wachmannschaften wie bei den Schutzhäftlingen, so daß sich jene keine Übergriffe gestatten konnten. Natürlich waren die Schutzhäftlinge nicht immer in der Lage, die Übergriffe zu melden. Ich weiß, daß Hans sehr erschrocken war, als ein Mann namens Remmert in der Lichtenburg auftauchte und ihn sofort in brutaler Weise anschrie. Dieser Mann hatte Hans in Esterwegen sehr schlecht behandelt, und wenn »prominente Besucher« kamen, sich vor ihnen mit einer brutalen Behandlung der Schutzhäftlinge, auch der meines Sohnes, gebrüstet.
Hans überlegte sich, ob er dem Kommandanten Meldung erstatten solle. Er wußte sicher, daß der Kommandant eingreifen würde, aber er wagte es nicht, weil er sich sagte: Es ist möglich, daß der Remmert länger im Lager ist als der Kommandant, da im Dritten Reich ja bekanntlich die unanständigen Elemente sich länger halten als die anständigen. Und dann würde Remmert sich natürlich an ihm sofort rächen. So war er still, und Remmerts Verhalten besserte sich auch sehr rasch, als er sah, wie der Kommandant einem derartigen Benehmen gegenüberstand.