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Margot hatte wiederholt den Gedanken geäußert, man müsse versuchen, Hans durch Bestechung oder auf ähnliche Weise zu befreien. An sich war ich dafür, aber mir erschien ein solcher Versuch aussichtslos. Außerdem stand ich auf dem Standpunkt, ich dürfe niemals etwas mit illegalen Dingen zu tun haben. Hätte man mich einmal bei so etwas erwischt, so wäre überhaupt jede Verbindung zwischen mir und Hans abgeschnitten worden, und damit wäre alles verloren gewesen. Infolgedessen sprach sie mit mir nicht mehr über derartige Pläne.
Es hatte sich aber nun folgendes abgespielt, was ich erst sehr viel später erfuhr: Margot hatte über ihre Befreiungswünsche mit einem organisierten Gegner des Naziregimes gesprochen. Er hoffte, ihr helfen zu können und schickte ihr bald zwei SA-Leute in Uniform, die als Kommunisten nur zum Schein in die SA eingetreten wären. Sie hätten die Aufgabe, führende Leute zu befreien. Ihre letzte Tat sei gewesen, Scheringer herauszuholen.
Tatsächlich kursierte seit einiger Zeit in Berlin das Gerücht, daß Scheringer durch SA-Leute, frühere Anhänger von ihm, entführt und über die Grenze gebracht worden sei. Der Vertrauensmann garantierte für die Zuverlässigkeit der Leute, und Margot gab alle von ihnen verlangten Hilfeleistungen für die Entführung. Man wünschte von ihr Geld, man verlangte Wäsche und einen Anzug von Hans, nach dessen Maß eine SA-Uniform angefertigt werden sollte, damit man ihn sofort in eine SA-Uniform stecken könne, um ihn leichter weiterbefördern zu können, wenn er aus dem Lager heraus sei.
Alle Vorbereitungen, um Hans zu befreien, waren beendet. Der Tag der Entführung, kurz vor Weihnachten, rückte heran, ohne daß ich es ahnte. Der fällige Brief von Hans blieb aus. Ich wollte Margot anrufen, um es ihr mitzuteilen. – Keine Antwort. – – –
Das Ehepaar Fürst war vor einigen Stunden verhaftet worden!
In der Stadt tauchten sofort Gerüchte auf, daß die beiden einen mißglückten Befreiungsversuch gemacht hätten, daß Hans auf der Flucht erschossen worden sei; von anderer Seite wurde wieder behauptet, daß Hans über die Grenze entkommen sei, während man Fürsts geschnappt hätte.
Das einzige, was feststand, war, daß der fällige Brief meines Sohnes nicht ankam. Durch dieses und durch die Gerüchte beunruhigt, rief ich bei der Gestapo an. Da Dr. Conrady nicht erreichbar war, verhandelte ich mit einem Sekretär, der zu mir sagte: »Ach, Frau Litten, Sie werden schon wissen, weshalb Sie keine Nachricht bekommen.«
Ich: »Nein, woher soll ich denn das wissen? Wenn ich etwas wüßte, brauchte ich doch nicht bei der Gestapo anzurufen.«
Er: »Sie werden doch von der Verhaftung von Fürsts etwas gehört haben!«
Ich: »Ja, aber ich habe keine Ahnung, weshalb sie verhaftet worden sind.«
Er: »Na, Sie werden es schon wissen. Sie selber sind doch auch sehr verdächtigt worden.«
Ich: »Von diesem Verdacht hat mir bisher niemand etwas mitgeteilt. Darf ich fragen, was für einen Verdacht man gegen mich hat?«
Er: »Das ist ja gleichgültig. Es hat sich ja inzwischen schon aufgeklärt, daß Sie unschuldig sind.«
Ich: »Darf ich nun fragen, warum Fürsts verhaftet worden sind? Ich habe nämlich keine Ahnung.«
Er: »Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Aber daß Sie keine Nachricht von Ihrem Sohn erhalten, wird schon damit im Zusammenhang stehen.«
Sobald ich Dr. Conradys habhaft werden konnte, fragte ich ihn, weshalb ich keine Nachricht von meinem Sohn bekäme. Er meinte: »Sie können doch unmöglich zu allem andern auch noch von mir verlangen, daß ich dafür sorge, daß Ihr Sohn pünktlich an Sie schreibt. Er wird mal eben keine Lust gehabt haben zum Schreiben.«
Ich: »Sie wissen ebenso genau wie ich, daß mein Sohn keinen erlaubten Brief unterlassen würde, und daß es etwas zu bedeuten hat, wenn er nicht schreibt.«
Ich setzte wieder einen Besuch bei Conrady durch, erzählte ihm von den Gerüchten über Hans, die ich gehört hatte, und benutzte die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob die Verhaftung von Fürsts damit in irgendeinem Zusammenhang stünde. Ich merkte ihm an, daß er mißtrauisch gegen mich war.
»Wieso bringen Sie denn das in Zusammenhang?«
Ich sagte: »Erstens, weil diese Gerüchte umherschwirren. Zweitens, weil Sie ja dauernd Haussuchungen bei Fürsts vorgenommen haben. Ich habe immer angenommen, daß Frau Fürst als Sekretärin meines Sohnes, und weil mein Sohn in ihrem Haushalt lebte, für Sie von Interesse sein würde. Ich könnte mir also denken, daß es sich jetzt wieder um irgendein Verhör bei einem Prozeß handelt, wie sie schon häufig stattgefunden haben.«
Ihn schien diese Auskunft von mir davon zu überzeugen, daß ich tatsächlich nichts Näheres von der ganzen Angelegenheit wußte. Er erklärte mir schließlich, daß ich mir über meinen Sohn keine Sorgen zu machen brauche. Es ginge ihm gut, aber es schwebe eine Untersuchung gegen ihn, und während dieser Zeit müsse er von der Außenwelt abgeschlossen bleiben.
Es kamen nun Wochen völliger Absperrung von Hans. Alles Bitten half nichts. Es hieß, daß in dem Moment, wo die Untersuchung abgeschlossen sei, ich wieder von ihm hören würde. Ich hielt es immer noch für möglich, daß Hans bei dem Fluchtversuch erschossen worden war, und daß man das nur nicht zugeben wollte. Gleichzeitig wartete ich auf irgendeine Benachrichtigung aus dem Ausland, denn auch sein Entkommen hielt ich für möglich und konnte mir vorstellen, daß man auch dieses nicht gern bekanntgeben wollte.
Um Fürsts kümmerte ich mich überhaupt nicht, weil ich fürchtete, daß das alle Teile nur schädigen könnte. Sie waren ja auch bei ihren Eltern in guten Händen, die sich einen Anwalt nehmen durften und sich um eine Aufklärung der Angelegenheit bemühten.
Allmählich kam etwas Licht in die Angelegenheit, besonders als Max Fürst nach drei oder vier Monaten aus dem Lager entlassen wurde. Es hatte sich folgendes abgespielt:
Zwei Gestapobeamte hatten sich als Spitzel in die Organisation eingeschlichen, mit der Margot in Verbindung getreten war. Diese hatten anscheinend sogar die ganze Entführungsgeschichte angeregt und in die Hand genommen. So war zum Beispiel ein falscher Paß auf der Gestapo für Hans ausgestellt worden.
Max Fürst erhielt bei seiner Einlieferung auf der Gestapo ein paar Schläge über den Kopf, und zwar von einem der Leute, die Margot immer aufgesucht hatten. So war er sofort im Bilde und wußte, daß sie Spitzeln in die Hände gefallen waren. Margot, die diese Leute nicht zu Gesicht bekam, leugnete alles ab, um sie zu retten. Max wurde nun in der üblichen Weise unter Mißhandlungen auf der Gestapo verhört, nahm alle Schuld auf sich und versuchte, seine Frau soviel wie möglich zu entlasten. Für dieses Geständnis wurde er gründlich verprügelt. Als man seiner Frau nun sagte, sie brauchte nicht zu leugnen, ihr Mann habe bereits alles gestanden, und sie habe nur noch einige Erklärungen abzugeben, rief sie: »Mein Mann ist ein Idiot! Der nimmt ja nur die ganze Sache auf sich, um mich zu retten. Er hat von nichts eine Ahnung. Er wußte zwar, was ich vorhatte, war aber sehr dagegen. Er weiß über die Einzelheiten gar nicht Bescheid.« Als man ihr das nicht glaubte, sagte sie: »Fragt ihn doch nach bestimmten Dingen, und ihr werdet sehen, daß er gar nichts darüber weiß.«
Das geschah auch. Max log feste drauf los, aber die Leute überzeugten sich bei dieser Gelegenheit, daß er lauter Unsinn redete und tatsächlich nichts wußte. Nachdem er das erstemal für sein Geständnis verprügelt worden war, wurde er nun verprügelt, weil sein Geständnis gelogen war. Als man sah, daß er tatsächlich so gut wie unbeteiligt war, wurde er zur Warnung für spätere Zeiten für einige Monate ins Lager Oranienburg geschickt, wo er in der Judenkompanie seine Erfahrungen sammelte und viel über die Schrecknisse dort zu berichten wußte. Max erfuhr, solange er saß, nicht, was mit Margot geschehen war, und man steigerte seine Angst um sie durch Greuelgerüchte.
Übrigens stattete auch Herr Conrady Max Fürst einen Besuch im Gestapo-Gefängnis ab, eine unübliche Angelegenheit.
Max: »Tischler.«
Conrady: »Juden pflegen doch nicht Handwerker zu sein. Wie sind Sie denn auf den Beruf verfallen?«
Max: »Eben weil die Juden keine Handwerker sind, dachte ich, muß doch mal einer von ihnen Tischler werden.«
»Eine sehr gute Antwort«, erklärte Conrady und verschwand wieder.
Von Margot verlangte man, daß sie von Hans abrücken und ihn für einen Schweinehund erklären solle, mit dem sie nichts mehr zu tun haben wolle. Sie weigerte sich ganz energisch, verschlechterte außerdem ihre Situation dadurch, daß sie bei jedem Besuch und in jedem Brief immer nur von Hans sprach und sich nach ihm erkundigte. Sie hatte mit Recht das Gefühl, daß sie durch ihren mißglückten Befreiungsversuch seine Lage sehr verschlechtert hatte, und sie fürchtete, daß er bei den Vernehmungen sehr mißhandelt würde. Sie fragte auch ihre Mutter bei jedem Besuch nach mir, und ob ich ihr böse sei, weil sie Hans in eine solch üble Situation gebracht hätte. Ich ließ ihr sagen, daß ich ihr nicht den geringsten Vorwurf mache, im Gegenteil, ich bewundere ihre Tapferkeit und ihr Eintreten für Hans.
Es ist sehr leicht, wenn eine Sache mißglückt ist, zu sagen: »Wie kann man eine solche Dummheit machen?« Ich kenne alte, erfahrene, politisch geschulte Leute, die auf ähnliche Provokateure hereingefallen sind. Wäre es nicht auch mir passiert, wenn ich nicht den Grundsatz hätte, mich immer legal zu benehmen?
Margot ist im Gegensatz zu vielen Frauen bei den Gestapo-Verhören niemals mißhandelt worden. Sie wurde sogar mit einem gewissen Respekt behandelt; vor allem machte sie dem Untersuchungsrichter durch ihre mutige und unbekümmerte Art einen gewissen Eindruck. Der Briefwechsel zwischen ihr und ihrem Mann war sehr reizend und liebevoll, und der Richter, der die Briefe kontrollierte, sagte einmal zu ihr: »Ich verstehe nicht, wie zwei so gebildete und kultivierte Leute sich an einen so minderwertigen Menschen wie Litten wegwerfen können.« Das empörte sie um so mehr, als sie davon überzeugt war, daß sie unendlich viel von dem, was sie an geistigen Werten besaßen, von Hans empfangen hatten.
Bei den Verhören mit dem Kriminalkommissar wurde sie einmal gefragt, wie sie auf die wahnsinnige Idee gekommen sei, diesen Befreiungsversuch zu unternehmen. Sie sagte: »Ich verstehe ja, daß ihr solch einen Gegner am Arbeiten verhindern wollt. Wenn es sich nur darum gehandelt hätte, hätte ich nichts unternommen. Aber da ihr ihn so mißhandelt, mußte ich etwas für ihn tun.« Leidenschaftlich fuhr sie fort: »Ihr haßt ihn ja überhaupt nur so, weil ihr neidisch und wütend seid, daß ein so feiner Kerl euch bekämpft. Ihr wäret ja froh, wenn ihr ihn auf eurer Seite haben könntet.« Worauf der andere antwortete: »Zugegeben. Aber er ist doch nun mal nicht auf unserer Seite.«
Schließlich gelang es dem Anwalt, der sie unter vier Augen sprechen durfte, sie davon zu überzeugen, daß man sie nie freilassen würde, wenn sie nicht von Hans abrücken würde.
Da schrieb sie denn einen Brief an ihren Mann, sie hätte in der langen Haft und der Trennung von ihren Kindern eingesehen, daß es ihre erste Pflicht sei, für ihre Kinder zu sorgen. Sie versprach feierlich, sich nie mehr um Hans zu kümmern, wiewohl ihre Liebe und Hochachtung für ihn die gleiche sei wie immer.
Darauf ließ man sie unter die im August 1934 stattfindende Hindenburg-Amnestie fallen und entließ sie. Diese Entlassung ist meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, daß die Herren von der Gestapo, die diese Provokation angezettelt hatten, hinter der Fürstschen Familie eine ganze Organisation vermutet hatten und sich nun doch genierten, nichts anderes als eine zwanzigjährige, temperamentvolle Frau in die Falle bekommen zu haben.
Das Fürstsche Geschäft war durch dieses Intermezzo ruiniert. Sie fühlten sich auf Schritt und Tritt bedroht und verfolgt. Für Hans konnten sie nichts mehr tun.
So verließen sie Deutschland.
*
Über das, was mit Hans in diesen aufregenden Wochen geschah, blieb ich ahnungslos, bis ich jetzt von einem entlassenen Mithäftling einen eingehenden Bericht erhielt.
Eines Tages, etwa am 13. Dezember 1933, wurden sämtliche Briefe, die Hans besaß, beschlagnahmt, und er wurde in den Bunker gebracht. Nur höhere Chargen durften sich dem Bunker nähern; sie brachten auch selber das Essen. Das sprach dafür, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit mit strenger Geheimhaltung handelte.
Hans nahm sofort an, daß es mit dem Entführungsplan in Zusammenhang stand, über den Margot im Kode berichtet hatte. Hans hatte noch keine Möglichkeit gehabt, darauf zu antworten. Er konnte den ganzen Plan vom Lager aus nicht beurteilen, stand daher der Angelegenheit mißtrauisch gegenüber.
Es war eisig kalt; der Bunker war nur von außen her beleuchtet.
Drei Wochen lang wurde Hans in strengster Isolierung im Bunker festgehalten. Dann begannen die Verhöre.
Hans gab zu, daß er von dem Entführungsplan gewußt, ihn aber weder angenommen, noch abgelehnt habe, und versuchte, durch Preisgabe des Kode den Beweis zu liefern, daß er passiv geblieben war.
Ich hatte mich inzwischen weiter um Hans bemüht, hatte Gnadengesuche über Gnadengesuche gemacht, aber ohne jeden Erfolg.
Jemand aus der nächsten Umgebung Hindenburgs (ich habe Grund anzunehmen, daß es Meißner war) ließ mir durch eine gemeinsame Freundin bestellen, ich solle nicht so leidenschaftlich für Hans eintreten. Ich müsse ihn schon die Suppe auslöffeln lassen, die er sich eingebrockt habe. Ich würde nur meine Familie und mich mit diesem Eintreten ins Unglück stürzen. Man überwache mich aufs schärfste, man mißtraue mir sehr, und man nehme an, daß ich in diesen Befreiungsversuch verwickelt gewesen sei, könne mir aber nichts nachweisen.
Ich ließ ihm für seinen freundlichen Ratschlag danken, ihm aber meine Verwunderung aussprechen, daß er mir ernstlich den unmoralischen Vorschlag gemacht habe, meinen Sohn seinem Schicksal zu überlassen. Wenn ich damit meine Familie ins Unglück stürze, so ließe sich das nicht ändern, und meine beiden Söhne hätten mir erklärt, ich solle nicht die geringste Rücksicht auf sie nehmen, es wäre selbstverständlich, daß ihr Schicksal hinter dem seinen zurückstehen müsse.
Es erreichte sie.