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3. Kapitel.
Freundschaftsbeweise

Hans brauchte für seine wissenschaftlichen Arbeiten den Muspilli, den er übersetzen wollte. Da ich diese Dichtung nicht auftreiben konnte, löste ein Fachmann sie aus einem sehr kostbaren Werke heraus. Heinz, dem er die Blätter gab, äußerte sein Erstaunen, daß er das kostbare Buch für einen ihm ganz fremden Menschen zerschnitt. Der Professor antwortete: »Ich bitte Sie, für Ihren Bruder würde ich mir sofort ein Stück Fleisch aus dem Körper schneiden lassen, wenn ich ihm damit helfen könnte. Soll ich da nicht ein kostbares Buch zerschneiden, um ihm eine Freude zu machen?«

Solche Freundschaftsbeweise von ganz Unbekannten, die ich Hans bei meinen Besuchen mitteilte, waren ihm eine große Freude. Und sie waren wichtig für ihn. Ich habe immer wieder gehört, daß die Häftlinge sehr oft nach kurzer Zeit der Gefangenschaft das Gefühl hatten, daß sich kein Mensch mehr um sie kümmere. Ich hoffe, diesen Eindruck hat Hans nie gehabt.

Interessant war mir auch, wie man in Geschäften reagierte, wenn ich sagte, daß ich etwas für meinen Sohn einkaufe. In der Buchhandlung, in der ich die Bücher für ihn kaufte, gaben sich die Angestellten die größte Mühe, um die gewünschten, nicht immer ganz leichten Auskünfte zu geben, ließen Kataloge über Kataloge kommen, machten zeitraubende Auszüge, wenn er Materialzusammenstellungen brauchte, brachten bei vergriffenen Sachen sogar eigene Exemplare an. Oft wurde mir gesagt: »Niemals würde ich gerade dies Buch hergeben, aber da es für Ihren Sohn ist!«

Kurz vor Weihnachten wurde einmal in einer Propagandarede im Rundfunk gegen den Volksschädling Hans Litten gewütet. Man erzählte mir, wie die Angestellten nach Geschäftsschluß noch alle im Laden beschäftigt waren und dabei den belehrenden Rundfunk mit anhören mußten. Im Augenblick, als der Name Hans Litten gefallen sei, hätten alle wie ein Mann spontan ihre Arbeit aus der Hand gelegt und sich bis zum Schluß nicht gerührt, so etwa wie bei einer Heldengedenkfeier.

Der Antiquar, dem ich eine lange Liste von Büchern brachte, nach denen er suchen sollte, sagte: »Was für ein erstaunlich gebildeter Mensch muß das sein, der diese Bücherliste zusammengestellt hat.« Ich antwortete: »Dieser Mensch sitzt im Konzentrationslager und verlangt sie von dort aus, ohne jede weitere Hilfsmöglichkeit.« Als er sehr interessiert aufhorchte, fuhr ich fort: »Vielleicht interessiert es Sie, wer dieser Mensch ist. Es ist mein Sohn, der Rechtsanwalt Hans Litten.«

Da geriet er ganz außer sich und erklärte: »An ihm will ich kein Geld verdienen«, legte mir sofort den Betrag seines Verdienstes wieder auf den Tisch und sagte: »Sie müssen mit allen Ihren Bestellungen zu mir kommen. Ich werde mir die größte Mühe geben, um auch die schwierigsten Bücher zu beschaffen und will nicht einen Pfennig daran verdienen.«

Es bildete sich ein richtiges Freundschaftsverhältnis zwischen uns, aber eines Tages war der Laden leer, und es war unmöglich, zu erfahren, was aus dem Mann geworden war.

Einmal erschien vor meinem Hause ein »fliegender Händler« mit seinem hoch mit Büchern beladenen Karren. »Ich habe gehört, daß Hans Litten Unterhaltungslektüre für das Lager braucht. Hier ist ein kleines Geschenk von mir.« Und er lud etwa zweihundert Bände bei mir ab.

Ein Verleger, den ich bat, mir ein von Hans gefordertes teures Buch zum Verlagspreis zu geben, schickte mir nicht nur diesen Band, sondern noch etwa zwanzig interessante Bücher aus seinem Verlag als Geschenk für Hans.

In einem Fruchtgeschäft, das mir wegen seiner wundervollen Auslagen auffiel, machte ich Einkäufe für ein Paket für Hans. Wir durften nämlich nach Lichtenburg zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und am Geburtstag ein Paket mit Lebensmitteln schicken. Zwar durfte es zehn Pfund nicht übersteigen, aber die Kontrolle nahm es nicht so genau mit dem Gewicht. Ich steigerte es allmählich bis zu fünfundzwanzig Pfund, denn ich wußte ja, daß für Hans nicht viel übrigblieb, da er alles mit seinen Freunden teilte. Oft wunderte ich mich über seinen Wunsch nach einer besonders teuren Zigarette – ich wußte doch, daß Hans nicht rauchte – oder nach einer Leckerei, aus der er sich bisher nichts gemacht hatte. Dann erzählten mir die Entlassenen, die mich besuchten: »Wissen Sie, das war für mich. Hans hatte eine so nette Art, ganz unauffällig zu erforschen, was einem besondere Freude machte.«

Im Fruchtgeschäft sagte ich: »Bitte, suchen Sie mir die besten und haltbarsten Sachen aus. Es geht in ein Konzentrationslager, und ich weiß nicht, wie lange die Sachen bis zur Auslieferung liegen bleiben.«

Sofort wurde die Verkäuferin lebhaft, und als ich ihr sagte, daß das Paket an Hans Litten geschickt würde, brach sie in ein Freudengeschrei aus und erklärte: »Dann gibt es überhaupt nichts, was schön genug ist. Er hat meinen Mann einmal herausgehauen.«

Sie prüfte jedes Stück sorgsam auf seine Qualität und legte dann noch von sich aus etwas besonders Schönes bei. Ich konnte sie nur mit Mühe daran hindern, ein Liebesbriefchen hineinzustecken. Als eine Ingwersorte, die Hans besonders liebte, wegen Devisenknappheit nicht mehr geliefert wurde, wurde der kleine Vorrat aus dem Laden entfernt und nur für meine Sendung verwendet.

Meine Freunde fanden es leichtsinnig von mir, daß ich auf diese Weise Propaganda machte, und meinten, ich könnte doch einmal an einen überzeugten Nazi geraten. Aber ich bin nicht ein einziges Mal auf ein Zeichen der Nichtachtung gestoßen, wenn ich etwas für »Hans Litten im Konzentrationslager« verlangte.


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