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Es war die Abschiedsfeier für Claire und Jeff Saxton, ein Picknick in der Nähe des Suoqualnia Wasserfalls – eine ordentliche und entschieden Milt-lose Veranstaltung. Frau Gilson wollte Claire zeigen, daß sie ebenso tüchtige Abenteuerer wären, wie dieser schreckliche Daggett-Mensch. Darum nahmen sie nicht die Limousine sondern nur den Loco mit der Extrakarosserie für sieben Personen.
Sie waren furchtbar wild und ungeziert. Sie hatten kein Mädchen mitgenommen. Der Chauffeur war absolut der einzige, der den Gilsons, Jeff und der zeitweise laut naturliebenden Frau Betz beim Aufstellen zweier zusammenklappbarer Tische behilflich war, beim Aufbreiten des Tischtuches und Öffnen des Picknick-Proviantkorbes. Claire mußte zugeben, daß sie wünschte, sie könnte den Proviantkorb für Milt stehlen. Es gab Thermosflaschen mit heißem Kaffee. Es gab Sandwiches mit Anschovis und paté de foie gras. Es gab Crêmeschnitten mit Mandeln, die in der weichen Crême versteckt waren, und es gab einen Hühnersalat, mit großen Stücken ausgelösten weißen Fleisches, die in einem Meer von Mayonnaise schwammen.
Als die Fresserei vorbei war und die Zigaretten zum Vorschein kamen, streckten sie sich auf wasserdichten Decken aus, seufzten ein wenig und hielten schöne Reden über die Natur und die Freude, sie frei und ungezwungen zu genießen.
»Was war es? Was war nicht in Ordnung? Sie sind so – oh – so höflich. Sie meinen nicht das, was sie sagen und wagen es nicht, das zu sagen, was sie meinen. Ist es das?« überlegte Claire.
Sie stutzte. Sie bemerkte, daß sie auf einen sandfarbenen Haarschopf und ein Grinsen starrte, das aus dem Schutz eines Busches hervorsah.
»Zum …« hauchte sie. Sie war zu erschreckt, um zu entscheiden, was ›zum‹ war. Sie erhob sich, um sich die Berge anzusehen, schlenderte fort, sprang eine Rinne hinunter und stieß auf Milt Daggett mit einem:
»Wie, um Himmelswillen …«
»Hab herausgekriegt, wo Ihr Leute alle hinwollt. Schau! Hab einen Karren! Ausgeliehen. Komm, wir wollen uns drücken! Fahr mit mir zurück!« Am Rande der Rille stand ein neuer Teal-Karren, etwas glänzender als der alte, aber ebenso lustig und unbequem.
»Kann nicht. Möchte gerne, aber – wär schrecklich ungezogen gegen die anderen. Das kann ich nicht machen – nicht mehr, als für ihr Seelenheil gut ist – nicht einmal um deinetwillen. Jetzt sei bitte nicht beleidigt.«
»Nein. Ich will niemehr beleidigt sein, weil du in mich vernarrt bist.«
»Ja, ja, das bin ich, bin ich das?«
Sie drehte sich um. Er sprang auf sie zu und packte von hinten ihre Hände, küßte ihr Haar und flüsterte:
»Ja!«
»Gut also, nicht! Mein Gott, du bist so süß! Du möchtest doch lieber in meinem Karren davonrattern als in dem großen Loco mit denen dort dahinsegeln!«
»Ja, du das ist wahr und ich schäm mich dessen. Ich bin ein Rückschlag in die Art meines entsetzlichen Vorfahren, des Stallburschen, der auf Pferde wettete.«
»Wahrscheinlich. Ich bin ein Rückschlag in die Art meines Vorfahren, des Richters. Aber ich werde dich unterweisen, wie man meinen vornehmen Freunden begegnen muß.«
»Na – mein – Wort – darauf – Ach, hör doch bitte auf mit diesem blöden Gerede. Wir sind wie die Kinder. Du machst ja ein dummes, schnatterndes Schulmädel aus mir. Und eigentlich gefällt es mir. Es ist so – oh, ich weiß nicht – so verflucht natürlich, glaub ich. Jetzt schnell – küß mich und mach, daß du fortkommst, bevor die dort Argwohn schöpfen.«
»Hör mich an.«
»Ja?«
»Ich werde Eurem Wagen zufällig auf der Straße begegnen und dann lad ich dich ein, mit mir zu fahren. Abgemacht?«
»Ja. Gut. Ach, wir sind zwei kleine Kinder, die sich im Wald verlaufen haben! 'b wohl.«
Sie schlenderte zum Picknick zurück und bemerkte: »Was sind das für rote Blumen dort auf dem Hang?«
Der große Wagen schnurrte gelassen heimwärts, als er durch die Dazwischenkunft einer feindlichen Maschine beleidigt wurde; der ungezogene Fahrer brüllte ihnen in ganz unmanierlicher Weise einen Gruß zu. Der Gilson-Chauffeur hielt verärgert an.
»Halloh, Leutchen!« schrie der soziale Bandit.
Jeff Saxton wurde dunkelrot.
»Wie gefällt Ihnen mein neuer Karren, Claire? Schrecklich kleines Ding. Aber ich kann fünfzig pro Stunde machen. Bitte kommen Sie, probieren Sie ihn einmal aus, Claire, wenn Sie können?«
»Ja, aber – – –« Claire war offensichtlich entrüstet durch die Unziemlichkeit des Vorschlags. Sie sah Frau Gilson an, sah zweifelnd drein: »Ja – wenn Sie mich dann direkt nach Hause bringen können …«
»Sicherlich«, willigte Milt ein.
Als das Loco vorbei war, fuhr Milt den Karren an den Rand der Straße, zog die Handbremse an und küßte Claire umständlichst, die sich in dem blödsinnig niedrigen, blech-umschlossenen Sitz zusammenkauerte.
»Müssen wir bald nach Hause?« bat er.
»Ach, mir liegt nichts daran, wenn wir auch nie mehr nach Hause kommen. Komm, wir wollen in die Berge fahren. Seitenstraßen. Wir wollen uns einreden, daß wir wieder über Land fahren.«
Tannen sausten vorbei – Felsen im Sonnenschein – Wolken jagten über einen einladenden Bergpaß – sogar die Furchen und Höcker und Rillen der Straßen – alles schien zu ihr zu gehören, als wäre sie ein Teil des Ganzen. Und sie konnte sie selbst sein, gut oder schlecht, klug oder unwissend, mit diesem Burschen hier an ihrer Seite. Was alles sie in der überzeugendsten Rede, die sie je gehalten hatte, zusammenfaßte, nämlich:
»Oh, Milt –!«
Sie waren von einem Seitenweg in einen Seiten-Seitenweg gebogen. Sie durchquerten ein hochgelegenes Tal, Regengüsse hatten sich hier mit der Zeit zu einem Bächlein gesammelt, das die Straße allmählich überflutet, die dünne Kieselschicht ausgewaschen und die Straße zu einem seichten, reißenden Fluß umgewandelt hatte. Milt hielt an dessen Ufer scharf an.
»Hier müssen wir, fürchte ich, umkehren«, seufzte er.
»Oh nein! Können wir nicht durch? 's ist ja nur vielleicht zwei Fuß tief und der Grund ist steinig«, widersprach die neuerweckte Abenteurerin.
»Ja, aber schau dort den steilen Uferrand. Da kommen wir nie hinauf!«
»Das ist mir egal. Versuchen wir's! Wir können hin und her drehen und werden schon irgendwie herauskommen. Ich wett um zwei Silbermünzen mit dir, daß es geht«, sagte die zarte, feine, junge Dame, die unter der Obhut von Frau Gilson stand.
»Gut also. Los!«
Der Karren fuhr hinunter – schoß über die Böschung, tauchte unter, bis die kleine Haube sich unter ihnen senkte, als machten sie einen Looping, schlug auf das fließende Wasser auf, daß es in gelben Tropfen über Claires rosafarbenes Kleid spritzte, rollte schwerfällig vorwärts, stieß an den jenseitigen Uferrand, griff schwach an, kroch zwei Zoll hoch empor, glitt zurück und saß mitten im gurgelnden Wasser fest, zu einem Motorboot umgewandelt.
»Nein, geht nicht«, brummte Milt. »Erschrocken?«
»Nix da. Es gefällt mir gerade. Das ist eine richtige Lagerstätte: das Gebüsch dort längs des Ufers und der Fluß – horch, wie er unter dem Trittbrett plätschert.«
»Möchtest du gerne mit mir in einem Lager kampieren?«
»Ja, sehr.«
»Sag! Herrjeh! Hab noch nie daran gedacht. – Claire! Hast du deine Karte schon, nach dem Osten?«
»Mein Billett? Ja. Warum?«
»Na, ich glaub sicher, daß du's noch zurückgeben kannst und das Geld dafür zurückbekommst. Das ging schon.«
»Möchtest du mich vielleicht in das Geheimnis einweihen?«
»Oh ja, herzlich gerne. Ich habe eben überlegt – Ich glaube, es hat nicht viel Sinn, unsere ganze Jugend aufs Warten zu vergeuden – zwei – drei Jahre auf der Universität und vielleicht noch in den Krieg gehen und eine Ingenieurstelle suchen als Anfänger – und ich, einsam wie ein Truthahn in einem Hühnerhof, und du spielst die treue, junge Dame in Brooklyn – Ich denk, wir könnten vielleicht morgen heiraten und …«
»Du lieber Gott, was glaubst du …?«
»Willst du zu Brooklyn-Gilsons zurückkehren?«
»Nein, aber …«
»Liebste, könnten wir nicht ein einziges Mal verrückt sein, so lang wir noch jung sind?«
»Überrumpel mich nicht so! Laß mich denken. Man muß praktisch sein, sogar wenn man verrückt ist.«
»Das bin ich. Ich habe noch über tausend Dollars von meiner Garage und ich kann abends arbeiten – wie Freund Jeff vorgeschlagen hat! Claire –«
»Oh, laß mich doch denken. Ich glaub, ich könnte auch noch auf die Universität gehen und mancherlei lernen, hab's nötiger als du, ich kann ja nicht eine einzige Sache wirklich ganz.«
»Willst du mich morgen heiraten?«
»Nun – tja –«
»Denk an das Gesicht, das Frau Gilson machen wird, wenn sie's erfährt! Und Saxton und diese Frau Betz!«
Nicht zu irgendeinem ausgesprochenen Satz, sondern zu dem Kuß, den sie ihm gab, fügte Claire hinzu: »Vorausgesetzt, daß wir den Wagen da aus dem Wasser kriegen!«
»Oh, du Liebe, Liebe! und all die romantischen Redewendungen, mit denen ich um dich anhalten wollte! Ich hatte mir die schönsten Sachen ausgedacht, mit Rosen und Sternen und Engeln und allem möglichen …«
»Das machen alle so; aber niemand hat noch bisher in einem Karren mitten in den Fluten um mich angehalten. Oh, Milt! Das Leben ist lustig! Ich hab es nie gewußt, bevor du mich entführt hast. Wenn du mich noch einmal so küßt, werden wir umkippen und beide ins Wasser fallen. Nebstbei gesagt, können wir den Wagen da herauskriegen?«
»Ich glaub schon, wenn wir die Ketten nehmen. Wir müssen Schuh und Strümpfe ausziehen.«
Sie zog – sich ein wenig verlegen abwendend – ihre Strümpfe und Pumps aus, während er sich aus einem Autofahrer in einen jungen Wikinger verwandelte, die Hose bis über die Knie hinaufgerollt.
Sie schwangen sich über das Trittbrett hinaus, das nun vom Wasser umspült war. Leise quietschend stiegen sie in den kalten Fluß. Tropfend, lachend, mit nassen Kleidern, die an seinem Körper klebten, duckte er sich hinter dem Wagen nieder, um den Wagenheber unter die Hinterachse zu bekommen; während sie im gurgelnden, kalten Wasser, das ihr ins Gesicht spritzte, sich neben ihm niederbeugte, um die steifen, neuen Ketten um die Hinterräder zu schlingen.
Sie kletterten in den Wagen zurück, übermütig und verwildert wie Zigeuner. Sie wischte einen Kotspritzer von ihrer Wange und bemerkte mit tiefem Ernst und einer natürlichen Selbstverständlichkeit, die dieser Jeff Saxton, der sie so gut kannte, ihr niemals zugetraut hätte:
»Herrjeh! Hoffe, jetzt wird der alte Vogel herauskriechen.«
Milt reversierte, gab Gas und fuhr unter dem Aufschießen des kotigen Wassers, das von den wirbelnden Rädern aufgewühlt wurde, nach hinten. Sie stießen am Uferrand an, hingen dort atemraubende zwei Sekunden lang, fingen an, hinaufzukriechen, hinauf, mit dem Gefühl, daß sie jede Sekunde wieder zurückfallen würden.
Dann, plötzlich, waren sie oben am Ufer und es erschien unsinnig, zu denken, daß sie jemals da unten im Fluß herumgeschwommen waren. Sie wuschen einander die schmutzigen Gesichter ab, lachten schrecklich viel, rippelten die Beine mit den Strümpfen, gewannen wieder ein einigermaßen zivilisiertes Aussehen und wendeten, sentimentale Lieder singend, um, fanden eine andere Straße und fuhren auf die Spitze eines Hügels zu. »Ich bin neugierig, was jenseits dieser Höhe liegt?« sagte Claire. »Wieder Berge und wieder und immer wieder und wir werden weiter und weiter hinauffahren bis in alle Ewigkeit. Wenn der Morgen dämmert, werden wir immer noch höher fahren. Und das ist unser Leben.«
»Ja–a, vorausgesetzt, daß wir immer Benzin kaufen können.«
»Weiß Gott, so ist es!«
»Bei der Gelegenheit, weißt du, daß ich ein kleines bißchen Geld habe – ungefähr fünftausend Dollars – mein Eigentum.«
»Aber – das macht es ja unmöglich. Junger Abenteurer heiratet Dame von ungeheurem Reichtum …«
»Nein, das tust du nicht! Ich hab deinen Antrag angenommen. Glaubst du, ich will den einzigen richtigen Spielkameraden, den ich je gehabt habe, wieder verlieren? Es war so einsam auf der braunen Freitreppe der Boltwoods, bis Milt frech pfeifend daherkam und das feierliche kleine Mädchen im Spitzenkleidchen lehrte, mit Steinkugeln spielen und – gib Acht, dort kommt eine Kurve! Himmel, wie ich auf dich aufpassen muß! Gibt es auf der Universität auch Kochkurse? Nein – bitte – küß – mich – nicht – in – der – Kurve!«
*
Das ist der Anfang der Geschichte von Milt und Claire Daggett.
Nachdem das Vorspiel vorüber und der Vorhang aufgegangen ist vor dem eigentlichen Stück, sehen die Beiden den Kümmernissen und Freuden eines wechselvollen Lebens entgegen. Nicht ohne Streit und bange Stunden, nicht frei von Unkenntnis und Unbehagen darüber, daß sie zwischen Bergesgipfeln lange, trübe Zeiten hindurch im staubigen Tal verweilen werden müssen – treten sie in das Drama ein, ausgezeichnet durch die Fähigkeit, miteinander lachen zu können und durch den Vorteil, herausgefunden zu haben, daß weder Schoenstrom, noch Brooklyn Heights das ganze Leben bedeuten und durch die kosmische Bedeutung für die langweilige Welt, daß sie an die Romantik glauben, welche die Jugend unversiegbar macht.
Ende.