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XX.
Das freie Weib

Vor dem Frühstück sprang Claire in den Hof hinunter. Strahlend ging sie auf Milt zu, der ein Rohhautpflaster auf den Reifen schnürte, bevor sie sich erinnerte, daß sie nicht auf Sprechfuß mit einander standen. Beide sahen unendlich blöd und jung aus. Es war Pinky Parrot, der den gesellschaftlich-gewandten Vermittler spielte. Pinky stand immer und mit jedem auf Sprechfuß. »Ach, hier ist sie! Die junge Dame mit den aufrührerischen Augen! Unser Kommandant von den Fordwagen-Husaren!« Aber er erntete keinen Dank. Milt richtete sich auf und rief: »Hal – loh!«

Sie blickte ihn schüchtern an und flüsterte: »Hal – loh!«

»Hören Sie, ach bitte Claire – ich hab's nicht bös gemeint …«

»Ach, ich weiß! Kommen Sie – kommen Sie zum Frühstück.«

»Hab schreckliche Angst gehabt, daß Sie uns für frech halten werden, aber als wir gestern nachts ankamen und Ihren Wagen hier stehen sahen – das Wirtshaus hat mir nicht sehr vertrauenerweckend ausgesehen und da hab ich gedacht, wir bleiben in der Nähe.«

»Ich bin ja so froh. Oh, Milt – ja und auch Sie, Herr Parrott – wollen Sie jemanden für mich züchtigen – durchprügeln – verbleuen – wie immer Sie es nennen wollen?«

Mit einem frohen, gemeinsamen Lächeln bogen Milt und Pinky ihre Handgelenke und machten Miene, die Ärmel hinaufzurollen.

»Aber nicht bevor ich's sage. Bis jetzt war ich brav und artig, aber …«

»Zeigen Sie ihn mir!« und »Kommts, Burschen, los auf ihn!« antwortete ihre Truppe.

»Erst nach dem Frühstück.«

Das Frühstück war reichlich schlecht in der Taverne. Es bestand der Form nach aus seltsamen Kuchen, deren Inneres ein roher, klebriger Teig war. Ein Dutzend Handwerker saßen an demselben langen Tisch mit Claire, Milt, Pinky und Herrn Boltwood – welche beiden Letzten äußerst höflich mit einander waren aber ungemein diskret bezüglich des Themas »Goldminen«. Die Wirtin und eine Magd bedienten bei Tisch; den Wirt konnte man in der Küche herumlungern sehen. Gegen Ende der Mahlzeit winkte Claire die Wirtin mit beleidigender Fingergebärde zu sich und sagte: »Kommen Sie her, Frau.«

Die Wirtin starrte sie erst an und ignorierte sie dann.

»Gut also. Dann werde ich es öffentlich sagen!«

Claire streifte die Handwerker mit einem warmen Lächeln. »Meine Herren aus Pellago, ich möchte gerne, daß Sie von einem der armen Reisenden erfahren, die hier in diesem abscheulichen Ort betrogen worden sind, daß wir von Ihnen und Ihrer Hilfe abhängig sind. Diese Frau und ihr Mann hier sind Verbrecher in ihrer Art, nach den Preisen, die sie für dieses widerliche Essen einheben –«

Die Wirtin war erst versteinert. Jetzt fuhr sie los. Hinter ihr kam der Gatte. Milt erhob sich. Der Gatte blieb stehen. Doch Pinky war es, welcher der Wirtin entgegentrat, ihr auf die Schulter klopfte und loslegte:

»Und was noch mehr ist, du Hexe, wenn unsere neuen Freunde hier einigen gesunden Menschenverstand haben, so jagen sie Euch aus der Stadt«.

Das war nur der Anfang von Pinkys Vorlesung über Verbesserungen und Wohltaten. Er lebte sich aus. Noch ehe er geendet hatte, weinte die Wirtin … sie versprach gerne, ihren Kostgängern Waffeln zu geben – gelegentlich einmal, sobald sie nur das Waffeleisen werde finden können.

Von ihrer Garde umringt bezahlte Claire am Pult einen Dollar für jedes Zimmer und es gab keine weitere Diskussion darüber.

Ehe sie starteten, fand Milt Gelegenheit, Claire zu sagen: »Ich kann Pinky jetzt schon ganz gut behandeln. Ich muß es auch. Will mir seine Goldmine einmal ansehen. Ich werfe ihm nur einen Blick zu, so wie es Ihr Freund, Herr Saxton, mit mir gemacht hat, und dann wird er gleich so schwach …«

»Nicht, bitte, Milt, verstehen Sie mich doch; ich bewundere Herrn Saxton; er ist ein feiner Kerl und sehr tüchtig und wirklich großmütig; nur … – Er kann manchesmal wirklich hochmütig sein, während Sie – Sie sind ein guter Kamerad – von Vater und von mir – und – hab ich es dieser Wirtin nicht ordentlich gezeigt, nicht wahr? Ich bin nicht so sanft und unbedeutend, nicht? Heil!«

*

Sie war über den schmalen Landstreifen von Idaho nach Washington gefahren, durch Spokane, durch die vielgewundenen Lava-Ablagerungen des Moses Coulee, wo die Obstbäume auf vulkanischer Asche wachsen. Hinter Wenatchee, mit seinen Reihen von Äpfelbäumen, welche die ansteigenden Felder wie faltiges Leder streifen, war sie auf die berühmte Höhe von Blewett Paß gelangt. Einmal, jenseits des Passes und von Sunoqualmie, würde sie sausend nach Seattle einfahren.

Es tat ihr leid, daß sie Milt nicht näher kennen gelernt hatte, vielleicht würde sie ihn in Seattle noch sehen.

Sie fand nicht nur durch bisher ungekannte Abenteuer Befriedigung, sondern auch hohe intellektuelle Erbauung in dem Studium der Städtenamen des Staates Washington. Weder Kaukakee noch Kalamazoo noch Oshkosh können mit der malerischen Phantasie von Washington rivalisieren, und Claire stellte die Städtenamen in einem lyrischen Gedicht zusammen, das so hinreißend-leidenschaftlich klang, daß es vielleicht würdig wäre, zur Nationalhymne gemacht zu werden. Es lautete:

Humptulips, Tum Tum, Moclips, Yelm,
Satsop, Bucuoda, Omak, Enumclaw,
Tillicum, Bossburg, Chettlo, Chattaroy,
Zillah, Selah, Cowiche, Keechelus,
Bluestem, Bluelight, Onion Creek, Sockeye,
Antwine, Chopaka, Startup, Kapowsin,
Shamokawa, Sixprong, Pysht!

Klickitat, Kittitas, Spangle, Cedonia,
Pe Ell, Cle Elum, Sallal, Chimacum,
Index, Taholah, Synarep, Puyallup,
Wallula, Wawawai, Wauconda, Washougal,
Walla, Walla, Washtucna, Wahluke,
Solkulk, Newaukum, Wahkiakus,
Penawawa, Ohop, Ladd!

Harrah, Olalla, Umtanum, Chuckanut,
Soap Lake, Loon Lake, Addy, Ace, Usk,
Chillowist, Moxee City, Yellepit, Chashup,
Moonax, Mabton, Tolt, Mukiltoo,
Poulsbo, Toppenish, Whetstone, Inchelium,
Fishtrap, Carnation, Shine, Monte Cristo,
Conconully, Roza, Maud!

China Bend, Zumwalt, Sapolil, Riffle,
Touchet, Chesaw, Chew, Klum, Bly,
Humorist, Hammer, Nooksack, Oso,
Samamish, Dusty, Tiger, Turk, Dot,
Scenic, Tekoa, Nellita, Attalia,
Steilacoom, Tweedle, Ruff, Lisabeula,
Latah, Peola, Towal, Eltopia,
Steptoe, Pluvius, Sol Duc, Twisp!

»Und dann,« jammerte Claire, »reden sie über Anny Lowell! Ich überlaß es dir, Henry B, zu entscheiden, ob irgend ein amerikanischer Dichter jemals einen so lustigen Refrain geschrieben hat wie ›Ohop Ladd‹!« Sie machte nicht nur geistreiche Witze. Sie war bemüht, sich vor Langeweile zu bewahren. Den ganzen Weg über hatte sie vom Blewett-Paß gehört; die vierzehn Meilen Steigung und die letzte halbe Meile grausamer Kletterei. An dieser östlichen Seite des Passes war die neue Straße noch nicht eröffnet; es gab nur einen vielgewundenen, kieselbestreuten Weg, zu eng an den meisten Stellen, um einem anderen Wagen ausweichen zu können. Claire war froh, daß Milt und Pinky in ihrer Nähe waren.

Wenn nicht so viele von der Sorte der freundlichen Ratgeber von Reisenden sie davor gewarnt hätten, wäre sie sicherlich ohne Schwierigkeit über den Paß gekommen. Aber das freiwillige Unken hatte Claire und ihren Vater nervös gemacht. Er lamentierte in einem fort: »Glaubst du, sollen wir es versuchen?« Als sie am Fuße des Berges in einem Farmhaus anhielten, um zu übernachten, schien er ungewöhnlich müde. Er klagte über Schüttelfrost. Er aß nichts zum Frühstück. Sie starteten schweigsam und niedergedrückt.

Er kauerte sich in einer Ecke des Wagens zusammen. Sie sah ihn an und wurde besorgt. Sie hielt an der ersten ebenen Stelle auf der Strecke an und weinte: »Du bist ja ganz elend. Ich fürchte – ich glaube, wir sollten einen Arzt aufsuchen.«

»Oh, es wird schon gehen.«

Aber sie wartete, bis Milt die Steigung herangeklappert kam. »Vater fühlt sich ziemlich unwohl. Was sollen wir machen? Umkehren und zum nächsten Arzt fahren – in Cashmere, denk ich?«

»Da oben auf dem Paß gibt es einen großartigen Arzt«, unterbrach Pinky Parrott. »Ein junger Kerl, aber man sagt, daß er in Harvard seinen Doktor gemacht hat. Er ist hier heraußen, weil er Waldland angekauft hat. Schaun Sie, Milt von den Daggetts, warum fahren Sie nicht Fräulein Boltwoods Wagen – kämen schneller vorwärts und brächten den alten Herrn rasch zum Dok. und ich komm mit Ihrer Maschine nach.«

»Wozu denn?« wendete Claire ein, »ich will nicht …«

Ein neuer Milt, der Herr, kurz und bündig, beinahe grob, schoß aus dem Karren: »Gute Idee. Springen Sie herein, Claire. Ich werde Ihren Vater hinaufführen. Heh, wodas, Pink? Ja, ich versteh: zweite Ecke nach dem Kaufmann. Rechts. Vorwärts. Heh? Oh, wir werden später noch über die Goldmine reden, Pink.«

So fuhren sie, alle drei auf den zwei Plätzen des Gomez zusammengepfercht, und Pinky unbekümmert mit dem Karren hinterherstolpernd, wieder bergauf – und halt! es gab keine Steigung mehr! Unbewußt hatte Claire jedesmal gezögert, bevor sie eine scharfe, steigende Biegung anging, hatte Schwung verloren, während sie überlegte: »Wenn nun der Wagen vielleicht hier aus der Kurve fährt?« Milt gab nie Gas, aber er verlangsamte auch nie. Sein Fahren war rhythmische Musik. Sie saßen so gedrängt, daß er kaum den Schalthebel und die Bremse erreichen konnte. Er hielt an einer ebenen Strecke an und fragte kurz: »Diese Klapptüre hinten im Wagen – umklappbarer Extrasitz?«

»Ja, aber wir benützen ihn beinahe nie und er ist festgeklemmt. Kann ihn nicht aufbringen.«

»Ich werd ihn gleich aufklappen! Haben Sie einen großen Schraubenzieher? Wollen Sie, bitte, hinten sitzen. Brauche Spielraum für die Ellbogen.«

»Vielleicht ist es gescheiter, wenn ich mit Herrn Pinky fahre?«

»Nein, 's nicht gescheiter.«

Mit einem Ruck öffnete er die Klapptüre; worauf ein Klappsitz sichtbar wurde, den sie willenlos einnahm. Dort hinten überlegte sie: »Wie stark sein Rücken aussieht. Komisch, wie ihm der Flaum in den Nacken wächst.«

Sie gelangten zu einer Siedlung und dem roten Zedern-Bungalow des Dr. Hooker Beach. Im selben Augenblick, da Claire das schmale, fragende Gesicht des Arztes sah, vertraute sie ihm auch schon. Er sagte zu Herrn Boltwood mit großer Bestimmtheit: »Alles, was Sie brauchen, ist ein wenig Ruhe, auch ist Ihre Verdauung etwas in Unordnung. Haben Sie Schweinefleisch gegessen? Könnten ein oder zwei Tage hier bleiben. Wir sind froh, wenn wir einmal Leute aus dem Osten zu sehen bekommen.«

Herr Boltwood legte sich im Gastzimmer der Beaches zu Bett. Frau Beach gab Claire und Milt ein Gabelfrühstück, es gab dünnen Toast und dünnes Porzellangeschirr auf einer Veranda, vor der das Wasser hundert Fuß tief herabschoß. Die Luft roch nach Tannenwäldern und ein Grammophon spielte dieselbe russische Musik, die in dem gleichen Augenblick in New-York modern war. Und die Beaches kannten Leute, die auch Claire kannte. Claire überlegte. Diese Leute waren wirkliche Aristokraten, während Jeff Saxton trotz all seiner Familie und Lebensauffassung ein ewiger Emporkömmling war. Milt, der sich in Jeffs Gegenwart unbehaglich gefühlt hatte, war heiter und unbefangen mit den Beaches und der Doktor holte dankbar seinen Rat ein, bezüglich seines stationären Gasmotors.

»Er gleicht den Beaches in seiner Einfachheit – ja und in seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit, all das zu tun, was er der Mühe wert hält,« entschied sie.

Nach dem Frühstück, als der Arzt mit seiner Frau zu einem Patienten gehen mußten, schlug Claire vor: »Gehen wir dort hinauf zu diesem Felsgrat und schauen wir uns die Aussicht an, Milt«!

»Ja! Und wir wollen die Straße im Auge behalten wegen Pinky. Der arme Teufel ist immer noch nicht aufgetaucht. Er ist so unvorsichtig; ich hoffe, er hat den Teal nicht über eine Straßenböschung hinuntergefahren.«

Sie kauerte sich am Rande eines Felsens zusammen, vor dem sie einen Monat zuvor noch zurückgeschreckt wäre und sah über die Landstraße zu einem Bach in einer tannenumrandeten Rinne hinab. Er saß neben ihr, die Ellbogen auf die Knie gestützt.

»Diese Beaches – ihre Verwandten sind Richter und Senatoren und Hochschulprofessoren im ganzen Land«, sagte sie. »Und dieser Doktor muß der Enkel des Gesandten sein, glaub ich.«

»Wirklich? Ich hab geglaubt, sie sind gewöhnliche Leute. War ich nett?«

»Ja, natürlich.«

»Hab ich – hab ich schön meine Pfoten gewaschen und hübsch aufgewartet?«

»Nein, Sie sind kein kleines Hündchen. Sie sind der große Kettenhund, der das Haus bewacht, während ich herumlaufe und kläffe.« Sie lächelte ihm zu. Ihre Hand lag neben der seinen. Er berührte ihren Handrücken mit dem Zeigefinger, als hätte er Angst, sie zu beschmutzen. Es schien kein Grund vorhanden zu sein, aber er zitterte, während er stammelte: »Ich – ich – ich bin ver – flucht froh, daß ich nicht wußte, wer die Leute sind, oder ich hätt mich so schlecht benommen, wie ein Fordwagenlenker, wenn er das erste Mal einen Zwölf-Zylinder probiert. Herr – jeh, haben Sie eine kleine Hand.« Sie zog sie zurück und betrachtete sie genau: »Ja, ich glaube. Und ziemlich wenig nütze«.

»N – nein, das nicht, aber Ihre Schuhe. Warum tragen Sie keine hohen Stiefel auf solchen Touren?« Ein leiser Nachklang seiner früheren Entschiedenheit tönte wieder mit in seiner Stimme. Das nahm sie übel:

»Meine Schuhe sind vollkommen zweckmäßig! Ich will keine solchen entsetzlichen Vegetarier-Gehsäcke an meinen Füßen tragen!«

»Ihre Schuhe mögen für New-York ganz gut sein, aber Sie werden noch hübsch lange nicht nach New-York kommen. Sie müssen einfach ein Stück von diesem Land hier sehen, wenn Sie schon einmal hier sind – Britisch Columbia und Alaska.«

»Wär ganz schön, aber ich hab genug von der Schinderei, jetzt … –«

»Gelegenheit, die höchsten Berge der Welt zu sehen, beinahe, und da wollen Sie zurückgehen zu Teegesellschaften und all dem Unsinn!«

»Hören Sie auf zu versuchen, mich einzuschüchtern! Sie schaffen herum, beinahe die ganze Zeit, seitdem wir angefangen haben, heraufzufahren …«

»So? Das wollt ich nicht. Obwohl ich glaube, daß ich immer herumschaff. Zumindest bin ich gewohnt, die Dinge zu leiten. Es gibt zwei Arten von Menschen: solche, die Befehle erteilen und solche, die sie selbstverständlicher Weise nehmen; und ich gehöre zu den ersten und …«

»Aber mein lieber Milt, ich auch und wirklich …«

»Und meistens nehme ich sie auch von Ihnen. Aber, zum Teufel, bis nach Seattle ist's nur noch ein Tag und dann werden Sie mich vergessen. Ich wollt, ich könnte Sie entführen. Bin auch halb entschlossen, es zu tun. Sie ein Stück in die Berge hinaufnehmen und wenn Sie an das rauhe Leben in vollkommener Wildnis gewöhnt sind – könnten Sie mir zum Beispiel helfen, Holz schleppen für ein Blockhaus – dann wären wir wirkliche Kameraden. Sie haben das Zeug dazu in sich, aber Sie brauchen noch ein wenig Abhärtung bevor …«

»Hören Sie, Milt. Sie haben Romane gelesen und da ist immer ein Mann vorgekommen – manchmal war es ein Holzknecht und manchmal ein Steinklopfer oder Bergarbeiter, aber immer war er schrecklich behaart – und der hat in der Stadt eine reizende Frau gesehen und entführt sie und sperrt sie ein in irgend einer unmöglichen Hütte und gibt ihr schöne kalte Kartoffel zu essen und – so ganz selbstverständlicherweise vergöttert sie ihn! Hunderte von Männern haben diese Geschichte geschrieben und es ist ein Beweis ihrer ungesunden maskulinen Selbsttäuschung, die ich ihnen, als Frau, natürlich übelnehme, Shakespeare mag wohl damit angefangen haben mit seiner dummen »Der Widerspenstigen Zähmung«. Shakespeares Puppen, dazu geschaffen, irgendeiner Majestät zu gefallen. Sie wissen es vielleicht nicht, aber es gibt heute Frauen, die nicht nur dazu da sind, dem Traumbild irgendeiner Majestät gefallen zu wollen. Wenn eine Frau wie ich entführt würde, würde sie fortfahren, die Bestie zu hassen, oder wenn sie nachgeben möchte, wäre der Mann auch nicht besser dran, denn dann wäre sie eben degeneriert; sie wäre zu einer Sklavin geworden und hätte eben die Dinge verloren, die ihm an ihr gefallen hatten. Oh, Ihr Höhlenmenschen! Mit Eurem Glauben, daß Ihr Frauen zwingen könnt, Euch zu lieben! Ich besitze mehr Mut, als jeder einzelne von Euch!«

»Ich bewundere Ihren Mut, aber Sie wären noch mutiger, wenn Sie die Wildnis nicht scheuten.«

»Unsinn! In New-York darf ich mich nicht scheuen, jeden Tag hundert komplizierten Problemen entgegenzutreten, von denen Sie nicht einmal wissen, daß ich je von ihnen gehört habe!«

»Gestatten Sie mir, Sie daran zu erinnern, daß Julius Caesar sagte, daß er lieber in einer kleinen spanischen Stadt Bürgermeister wäre, als Polizeikommissär in Rom. Ich bin in Schoenstrom König, während Sie eben nur eine von vielen hunderttausend vornehmen Leuten in New-York sind.«

»So, wirklich? Oh, mindestens von einer Million. Danke!«

»Oh – herrjeh – Claire, ich wollte nicht persönlich werden und zu streiten anfangen und all das, aber – verstehen Sie denn nicht – irgendwie ein verzweifelter Versuch – Seattle ist so nahe …«

Sie hatte ihr Gesicht von ihm abgewendet; das schmale Profil war scharf wie ein Silberdraht. Er stammelte – schwieg – und sie fingen neuerlich damit an.

»Ich wollte Sie nicht böse machen«, würgte er hervor.

»Nun, Sie haben es aber doch getan! Poltern und einschüchtern wollen, ja – Sie mit Ihren Männern aus Granit in Indianerbooten und mit höchst mangelhaft rasierten Wangen wollen eine wohlerzogene Dame locken mit der Aussicht auf nichts als Felsen und Baumstümpfe und Socken auf der Wäscheleine! Und, daß all diese ungebildeten, wilden Männer …«

»Schauen Sie! Ich weiß nicht, ob all diese Adjektiva auf mich abgezielt sind, aber ich weiß nicht, ob ich soviel ungebildeter bin – Sie haben davon erzählt, daß man in Ihrer Schule französisch gesprochen hat. Na, und in meiner hat man amerikanisch gelernt!«

»Man hätte es sollen!«

Jetzt wurde er zornig. »Ja, und Chemie und Physik und Griechisch und Latein und Geschichte und Mathematik und Nationalökonomie und ich hab mehr oder weniger von all dem profitiert, während Sie mit Bändern und Seiden herumgespielt haben; und dann mußte ich Mechanik studieren und ein Geschäft führen lernen.«

»Ich hab auch damit ›herumgespielt‹, gute Manieren zu erlernen – ein unglückseliges Versäumnis in Ihrem Curriculum, soviel ich sehe! Sie waren ordentlich grob –«

»Sie auch!«

»Ich mußte es sein. Aber ich nehme an, daß Sie anfangen einzusehen, daß sogar Ihre starke Hand den Geschmack einer Frau nicht zu zwingen vermochte. Entführen! Ein so kluger Bursche wie Sie will diese dummen Kinostücke …«

»Nicht im geringsten dümmer, als Ihre elegante Gesellschaft, mit Champagner und Orgien in Klublokalen …«

»Sie wissen wohl gar so viel davon, nicht wahr! Die schlimmste Orgie, die ich je miterlebt habe, war eine Vorlesung des Golfchampions über das Verschönerungswesen im › Boudoir‹. Wollen Sie bitte vielleicht Tatsachen anführen, für Ihre Feststellung der Laster von mir und meinen Freunden.«

»Oh, Sie – oh, ich hab nicht Sie gemeint …«

»Warum haben Sie dann …«

»Jetzt wollen wieder Sie mich nur überschreien und Sie wissen selbst, daß, wenn die elegante Gesellschaft nicht lasterhaft ist, so ist sie zumindest so versnobt, daß sie nicht einsehen kann …«

»Dann ist sie eben klug, versnobt zu sein, denn würde man sich herablassen …«

»Ich lass mir nicht sagen, daß man sich herabläßt …«

»Wollen Sie bitte nicht so schreien?«

»Gut also, ich werde überhaupt nichts mehr sagen.«

Wieder Schweigen, während Beide unglücklich dreinsahen und herauszubekommen suchten, worüber sie sich eigentlich gestritten hatten. Sie bemerkten anfangs einen kleinen, roten Wagen gar nicht, der lustig auf der Straße unterhalb der Felswand hin und her geschmissen wurde, obwohl der Fahrer ein rothaariger Mann in einem grünen Rock war. Er war beinahe vorbei, bevor Milt, wie nach Luft schnappend, hervorstieß:

»'s ist Pinky!«

»Pinky! Pinky!« brüllte er.

Pinky sah sich um, doch statt stehen zu bleiben, gab er Gas und fuhr weiter.


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