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XXIX.
Feindliche Liebe

Aber auf einen zweiten Blick hin – war das Jeff?

Dieser Mann war von der Sonne gleichmäßig dunkelbraun gebrannt, so daß seine Augen erstaunlich weiß hervorstachen. Seine Hände waren rot; eine große Schramme lief quer über eine von ihnen; er hatte die Arme keck auf die Hüften gestützt und war dem glatten, lärmend-stillen Jeff von Brooklyn ganz unähnlich. Er trug eine Lederhose und eine Lederjacke mit Gürtel und ein khakifarbenes Flanellhemd.

Aber dieses ruhige, befehlende Lächeln war Jeffs Lächeln, auch seine schlanke Grazie; und Jeffs wohlbekannte, stets heitere Stimme begrüßte sie, die vor Bestürzung beinahe erstarrt war, mit einem:

»Halloh! Verzeihn, hab ich Sie nicht schon einmal wo in Montana gesehen?«

»Ja – wo – in – aller –«

»Bin eben aus Alaska angekommen. Mußte von Kalifornien aus dort hinauf. Wie geht's, kleine Prinzessin?«

Er streckte ihr die Hand entgegen – dann beide Hände, flehend, aber sie lief ihm nicht entgegen, wie sie es in Flathead Lake getan hatte. Sie schritt würdevoll auf ihn zu, schüttelte ihm die Hand – viel zu herzlich. Sie suchte in einem Fauteuil Deckung und – viel zu einladend – interessiert bat sie:

»Erzählen Sie mir doch, bitte, alles.«

Er beobachtete sie. Schon fingen seine alte, verfolgende Entschlossenheit, seine beständig-sichere Haltung an, sie zu beunruhigen. Aber er ließ sich ruhig in einen Stuhl fallen und sagte verbindlich:

»Es war wirklich eine ganz wunderschöne Reise. Hab gar nicht gewußt, daß ich das wilde Leben so genießen könnte. Aber es war ein hübsch wildes Leben. Oh, garnicht gefährlich, aber ziemlich anstrengend. Ich mußte dreihundert Meilen in einem seichten Fluß mit dem Kanoe hinaufrudern und hatte nur einen Indianer zum Führer, der alle zehn Meilen ungefähr den Kahn ein Stückchen tragen mußte; und in den Stromschnellen hat es uns von Zeit zu Zeit umgeschmissen – der Große Häuptling ist einmal beinahe selbst ertrunken – und wir haben des Nachts an der Stelle übernachtet, wo ursprünglich die Mosquitos erfunden worden sind – und eines Morgens hab ich einen schwarzen Bären geschossen, ich kam eben noch zurecht, um ihn daran zu hindern, meine Schuhe aufzufressen.«

»Oh!« seufzte sie voll Bewunderung und wieder »Oh!« etwas befangen.

Es wurde nichts weiter darüber gesagt; Jeff war gewiß der letzte Mensch auf der ganzen Welt, der seinen Triumph schmälern würde, durch lange Erläuterungen; aber beide wußten es, daß sie vollständig die Rollen gewechselt hatten; daß nun sie die zahme Haushockerin geworden war, und er der muntere Umherstreifer; daß sie nun ihn zu bewundern hätte, wie er sie in Flathead Lake bewundert hatte, während er nun der heitere Held war.

Es fehlte nicht viel zu unterwürfiger Verehrung, als sie seufzend fragte: »Wo haben Sie die Schramme her?«

»Ach das? Das ist nichts.«

»Bitte erzählen Sie mir.«

»Nein wirklich und wahrhaftig. Es ist gar nichts. Ein betrunkener Kerl mit einem Messer. Ich mußte ihn nicht einmal anrühren – er hätte mich natürlich furchtbar unterkriegen können. Der Große Häuptling hat ihn erledigt.«

»Er – hat Sie geschnitten? Mit einem Messssser? Ohhhhh!«

Sie lief zu ihm hinüber, strich streichelnd über die Schramme und sah mit trüben Augen auf ihn hinab. Dann versuchte sie einen Rückzug aber er hielt ihre Hand und blickte zu ihr empor, als könnte er jeden Gedanken in ihrem Kopfe lesen. Sie fühlte sich schwach werden. Wie konnte sie ihm entfliehen? »Bitte,« sagte sie flehend.

Sie zitterte, daß wenn er ihre Hand noch einen Augenblick länger hielte, sie auf seinem Schoß sitzen, in seinen Armen liegen würde – verloren. Und er hielt ihre Hand. Er war –

Oh, er war zu alt für sie. Ja, und zu väterlich. Aber doch – Das Leben mit Jeff wäre ein behütetes, freundliches, ehrenwertes.

Doch während der ganzen Zeit wollte sie – und wußte, daß sie es unbezwinglich wollte – zu Milt dem Spielkameraden fliehen, mit ihm davonlaufen, Hand in Hand, die lustige, bunte Welt entdecken, ob des Lebens lachen ohne zu fürchten, dadurch an Würde einzubüßen. Aus Angst eben vor Jeffs Güte und Ehrenhaftigkeit riß sie ihre Hand los. Dann versuchte sie, wie ein geschickter Fechter zu lächeln.

Während sie sich zu ihrem Stuhl zurückzog, stammelte sie: »Haben Sie – war es interessant in Alaska?«

Aber diesmal ließ er sie nicht so leicht laufen. Gewandt, wie eine Katze, trotz all seiner trockenen Feierlichkeit, sprang er ihr nach und führte seine Sache mit höchstem Ernst:

»Liebe Claire, diese wenigen Wochen des Kampfes wider die wilde Natur waren eine Offenbarung für mich. Jetzt will ich noch weit mehr davon haben. Zufällig braucht man mich auch dort. Es gibt eine Menge Kupfer da, aber auch große Transport- und Verwendungs-Schwierigkeiten – die ich anscheinend besser zu bewältigen verstehe, als andere Leute – obwohl ich natürlich ein Stümper bin, wenn es sich um technische Probleme handelt. Aber ich habe eine gewisse Übung und – ich werde die Dinge so einrichten, daß ich wenigstens ein Mal im Jahr dort hinaufgehe. Nächsten Sommer werde ich eine viel größere Tour machen – werde die Berge sehen – oh, herrliche Berge – und komische, halbrussische Städte, werde fischen – wandern. All die wirklich großen Dinge. Sogar noch schöner als Ihre herrliche, tollkühne Fahrt durch – – –«

»War gar nicht tollkühn! Ich bin nichts als eine kleine Heulliese«, sagte sie wie ein ungezogenes Kind, das nur widersprechen will.

Er bestritt es nicht. Er lächelte und sagte: »Ta, ta, ta!« Und überlegen katalogisierte er sie mit: »Sie sind das tollkühnste Mädchen, das ich je gesehen habe und das ist umso verwunderlicher, als Sie nicht irgendein Wildfang aus dem Film sind, sondern von erlesener Vollkommenheit …«

»Ich bin ein kleiner Schmierfink.«

»Gut also. Sie sind ein kleiner Schmierfink. Ich auch. Und es gefällt mir so. Und wenn ich nächstes Jahr die große Alaska-Reise mache, so will ich, daß Sie mitkommen! Claire! Wissen Sie denn nicht, wie nahe meine Gedanken in all diesen letzten Wochen bei Ihnen gewesen sind? Sie haben mich durch die Wildnis geleitet …«

»Das ist – ich freu mich sehr.« Sie sprang wie flehend auf. »Jeff, mein Lieber, Sie bleiben doch zum Tee? Ich muß hinauflaufen, meine Nase pudern.«

»Nicht bevor Sie gesagt haben, daß Sie froh sind, mich wiederzusehen. Kind, liebes, wir springen und tänzeln umeinander herum – Nein. Sie sind kein Kind mehr. Sie sind eine Frau. Und wenn ich nie ein richtiger Mann gewesen bin, sondern nur eine staubige Büromaschine, so ist das nun vorbei. Meine Lungen sind jetzt mit dem Wind der Wildnis vollgesogen. Mann und Weib! Mein Weib! Mehr will ich jetzt nicht sagen, aber – Oh mein Gott, Claire, ich brauche Sie so!«

Er drückte ihren Kopf an seine Schulter und einen Augenblick ließ sie ihn dort ruhen. Doch als sie aufblickte, sah sie das herannahende Alter an der körnigen Haut seines Halses.

»Er braucht mich – aber er wird der Herr sein. Ich werde noch mit fünfzig sein Schlauköpfchen-Weib sein«, ängstigte sie sich ab, und »zum Teufel, das sieht ihm auch gleich, mit seiner dummen Überlegenheit, den armen Milt noch auch auf Abenteuerfahrten zu schlagen – und dann noch den verfluchten, bescheidenen christlichen Herrn' dabei zu spielen!«

»Sie sind so schrecklich tüchtig – Sie wollen immer alles dirigieren«, seufzte sie laut.

Zum ersten Mal seit der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft mit Jeff brach sein Stolz zusammen. Mit zitternden Lippen fragte er betrübt: »Warum versuchen Sie immer, mich zu verletzen?«

»Oh, nein, lieber Jeff, das will ich gar nicht.«

»Ist es, weil Sie es mir übelnehmen, daß ich die Dinge, die ich mache, ordentlich mache?«

»Ich versteh nicht.«

»Wenn ich eine glückliche Idee hatte, um eine Gesellschaft zu amüsieren, sagen Sie, daß ich immer alles ›dirigieren‹ will. Wenn ich die Dinge ernst bis zu Ende denke, sagen Sie, ich bin langweilig.«

»Nein, das sind Sie nicht. Das hab ich nicht gemeint.«

»Was sind Sie, Claire? Sind Sie eine wirkliche Frau oder sind Sie so ein kleines, flirtendes Mädel, das einen Mann darum sekkieren will, weil er närrisch genug ist, sich aufrichtig zu verlieben?«

»Nein … wirk-lich, Jeff, das bin ich nicht. Es ist … Sie können mich nur nicht … Es ist nur, weil ich nicht in Sie verliebt bin. Ich habe Sie gern und ich achte Sie ungeheuerlich, aber –«

»Und Sie sollen mich noch lieben lernen, Claire.« Er hielt sie so fest an den Armen, daß es ihr weh tat, aber sie war seltsamerweise nicht böse darüber. »Aber ich will es nicht jetzt versuchen. Denken Sie, bitte, nicht daran, daß ich das Wort ›Liebe‹ auch nur erwähnt habe. Ich habe eben nur von den Fjorden geplaudert und dergleichen, aber einer dieser Tage – Nein. Ich will es nicht tun. Ich will ein paar Tage hier in Seattle bleiben und einige lustige Ausflüge mit Ihnen machen, oder – möchten Sie lieber, daß ich auch das nicht tue? Ich bin …« Er ließ ihre Arme sinken und drückte die Hände an die Schläfen. »Ich kann es nicht ertragen, als lästige Puppe angesehen zu werden. Ich kann es nicht ertragen! Kann nicht!«

»Bitte, bleiben Sie, Jeff! Wir werden ein paar herrliche Fahrten zusammen machen und alles Mögliche. Wir wollen, so weit es nur geht, den Rainier besteigen.«

Er blieb. Er war am selben Nachmittag während des Tees ungemein unterhaltend. Claire bemerkte, wie die Gilsons und zwei Mädchen, die zufällig auf Besuch gekommen waren, ihn bewunderten. Das war ihr peinlich. Und als Frau Gilson ihn bat, das Hotel zu verlassen und zu ihnen zu Gast zu kommen, lehnte er mit einem schnellen Blick auf Claire ab, der ihr weh tat.

»Er will, daß ich frei bin. Er ist wirklich soviel rücksichtsvoller als Milt. Und ich tu ihm weh. Sogar sein Stolz ist zusammengebrochen. Und ich habe Milts Leben ruiniert, weil ich mich eingemischt habe. Und ich verletze die Gilsons durch mein Benehmen. Und dem Vater mach ich's auch nicht so recht angenehm. Ach, ich bin absolut zu nichts nütze«, quälte sie sich innerlich ab.


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