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Milt beobachtete während des Essens Jeff Saxtons Manieren und sein Benehmen. Der heiße Tag hatte nun einer kalten Nacht Platz gemacht. Jeff wickelte Claire in den gestrickten Shawl, sobald sie wieder an den Kamin trat. Er bewegte sich leicht, ruhig und sicher. Er schürte das Feuer an, auch während er Claire lächelnd ansah. Er schien ohne Schwierigkeiten zu gleicher Zeit zweierlei Gespräche zu führen: eines mit Herrn Boltwood über die Finanzen und eines mit Claire über geheimnisvolle Leute, die man Fannie und Alden und Chub und Bobbie und Dot nannte, und die Erwähnung dieser Namen allein brachte es Milt so recht zum Bewußtsein, was für ein Fremdling er hier war. Einmal, als er an Claire vorbeiging, sagte Jeff freundlich: »Wie reizend Sie sind, Claire!« Nur das und dabei blickte er sie gar nicht an. Aber Milt sah, wie Claire errötete und ihre Augen trübe wurden.
Pinky schwieg, bis er ungefähr zwei Drittel von dem ganzen Vorrat an Eiern, kaltem Fleisch und Pasteten gegessen hatte. Als Claire herüberkam, um zu sehen, wie es ihnen ginge, zog sich Pinky mit grinsender Unterwürfigkeit zurück und gesellte sich dann entschlossen zu Jeff und Herrn Boltwood. Er griff das Thema über die finanzielle Lage auf und während Claire sich neben Milt in einen Stuhl niederließ, hielt Pinky den beiden Männern aus New-York einen Vortrag.
»Ach, diese Finanzen! Königin des soziologischen Pantheons! Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, von Fortuna der Gnade wert befunden worden zu sein, in dieser Wildnis zwei solchen Herren zu begegnen, die so offenkundig beschlagen sind in der Kriegskunst des großen, goldenen Spieles, doch will ich die Gelegenheit ergreifen, Euch Herren einige statistische Daten zu geben über die Goldbestände, die noch in den Kaskaden und anderen Landstrecken ruhen, was vielleicht von Vorteil, jedenfalls aber von Interesse für Sie sein dürfte und Sie nicht wenig in Erstaunen setzen wird. Zufällig besitze ich in diesem Augenblick selbst eine Mine …«
Claire flüsterte Milt zu: »Wenn wir Ihren entsetzlichen Fahrgast los werden könnten, möchte ich gerne, daß Sie ein wenig näher mit Herrn Saxton bekannt werden. Er kann Ihnen eines Tages sehr nützlich sein. Er ist entsetzlich tüchtig und wirklich ganz nett. Denken Sie nur! Er kam zufällig in diese Gegend und hat mich per Telephon auf der Strecke ausfindig gemacht – oh, dem ist ein interurbanes Telephongespräch ungefähr dasselbe wie mir eine Haarnadel. Er brachte die verschwenderischesten Geschenke mit – erlesene Delikatessen, diesen gestrickten Shawl und ein echtes René Bleuzet-Parfüm – ich habe gar keines mehr – Und nach all dem Schmutz von der Straße …«
»Liegt Ihnen wirklich viel an diesen Dingen, an all diesen entsetzlich teuern Luxusgegenständen?« bettelte Milt.
»Ja, natürlich. Insbesondere nach diesen vielen kleinen Wirtshäusern.«
»Dann lieben Sie also eigentlich die Abenteuerfahrten nicht wirklich?«
»Oh, ja – zu Zeiten! Vor allem lehren sie einen, ein vernünftiges Abendessen durch die Kontrastwirkung erst so richtig schätzen.«
»Nun – fürchte, daß ich von vernünftigem Abendessen nicht sehr viel verstehe«, seufzte Milt, als er bemerkte, daß Jeff Saxton ihm sein erlauchtes Antlitz zuwendete, mit der Frage:
»Daggett, könnten Sie nicht versuchen, Ihrem Freund mitzuteilen, daß weder Herr Boltwood noch ich uns an seiner Goldmine zu beteiligen wünschen? Wir können ihm das augenscheinlich nicht klar machen. Es liegt mir nichts daran, belästigt zu werden, aber ich habe hier wirklich das Gefühl, daß ich Herrn Boltwood davor bewahren muß.«
»Was kann ich machen?«
»Mein lieber Herr, da Sie ihn hergebracht haben – »Der Tonfall »mein lieber Herr« war schuld an allem. Milt fand sich plötzlich auf den Beinen stehend und schreiend: »Ich bin nicht Ihr lieber Herr! Pinky ist mein Gast und – Herrjeh, tut mir leid, Claire, daß ich mich habe hinreißen lassen, wirklich schrecklich leid. Seh Sie noch auf der Strecke. Gute Nacht. Pinky! Nehmen Sie Ihren Hut! Vorwärts!«
Milt ging hinter Pinky zur Türe hinaus und schnaubte: »Vorwärts, in den Wagen und zwar schnell. Ich fahre Sie direkt nach Blewett Paß. Wir fahren die Nacht durch.« Pinky benahm sich schweigsam und taktvoll. Milt sprang neben ihn in den Wagen. Aber er startete nicht für die ganze Nacht. Er wollte zurückkriechen, auf den Knien, Claire um Verzeihung bitten – und sich von Jeff Saxton schlagen lassen. Er schloß ein Kompromiß und fuhr langsam eine Viertelmeile die Straße entlang und schlug dann dort sein Nachtlager auf.
Pinky versuchte Worte des Trostes und der tiefen Philosophie verlauten zu lassen – aber er versuchte es nur ein einziges Mal.
Stundenlang quälte sich Milt bei einem kleinen Feuer damit ab, daß sein ganzer Stolz dahin sei und nur Schwäche zurückgeblieben war und Sehnsucht, Claire wiederzusehen. In der Früh sah er sie wieder – sie fuhr mit Jeff und Herrn Barmberry in einem Motorboot auf den See hinaus. Er sah das Boot zurückkommen, sah Jeff in den Wagen steigen, der ihn von Kalispell hergebracht hatte, sah den Abschied, den langen Händedruck, sah, wie Jeff den Kopf neigte und Claire schnell einen Schritt zurücktrat, ehe Jeff sie küssen konnte. Aber sie winkte Jeff noch lange, nachdem der Wagen weggefahren war.
*
Als Claire mit ihrem Vater im Gomez herankam, stand Milt am Rand der Straße. Sie hielt an. Sie lächelte. »Nacht der Trauer und Reue? Sie waren hübsch grob, Milt. Herr Saxton übrigens auch, aber ich habe ihm die Leviten gelesen und er läßt sich entschuldigen.«
»Ich mich auch – wirklich wahr,« sagte Milt ernst.
»Dann ist alles in Ordnung. Ich bin überzeugt, wir waren alle sehr müde. Wir wollen es vergessen.«
»Guten Morgen, Daggett,« warf Herr Boltwood ein. »Hoffe, Sie haben diesen entsetzlichen, rothaarigen Menschen abgesetzt.«
»Nein, ich kann nicht, Herr Boltwood. Als Herr Saxton sich an mich wandte, hab ich geschworen, daß ich Pinky direkt bis Blewett Paß bringen werde … wenn auch nicht bis Seattle, bei Gott!«
»Närrische Eide sollen gebrochen werden«, brachte Claire vor.
»Claire – schauen Sie – es liegt Ihnen doch nicht so entsetzlich viel an diesem kleinen Luxuskram, Essen und Kleider und Hotels, zu sechs Dollars täglich, nicht wahr?«
»Oh ja«, sehr stolz, »es liegt mir daran«.
»Aber nicht im Vergleich zu Bergen und …«
»Ach, es ist ganz schön drüber zu reden und überlegen zu tun mit all der guten alten ›Erhabenheit der Natur‹ und dem Heroismus der Pioniere und ich bin froh, daß ich einen Schimmer davon bekommen habe. Aber die Annehmlichkeiten des Lebens bedeuten etwas und selbst wenn es ein Zeichen von Schwäche und Abhängigkeit ist, so werde ich sie doch immer vergöttern!«
»All diese Dinge sind so eine Art Verweichlichung.« Und er meinte, daß Claire verweichlicht sei.
»Zumindest sind sie nicht ungeschlacht!« Und sie meinte, daß Milt ungeschlacht sei.
»Sie sind vollkommen trivial. Sie schließen aus …«
»Sie schließen den Regen und Schnee und Schmutz aus und ich kann immer noch nichts Malerisches am Schmutz sehen! Adieu!«
Sie war fortgefahren, ohne zurückzuschauen. Sie wollte nun nach Seattle und zum Pazifischen Ozean mit vierzig Meilen pro Stunde – und sie hatten keinerlei Verabredung getroffen, um einander in Seattle oder im Pazifischen Ozean zu begegnen.
Ehe Milt weiterfuhr, erfüllte er eine Aufgabe, die er sich am Abend zuvor gestellt hatte, während er über die wohlsitzende Unverschämtheit von Jeff Saxton's grauem Anzug nachgedacht hatte. Die Aufgabe war, den »besten Anzug« wegzugeben, diese dumme, so sehr schwarze Hülle, die in Schoenstrom für alle feierlichen Anlässe geeignet erschienen war. Der Empfänger war Herr Pinky Parrott, der als Gegengeschenk eine Geschichte der Wohltätigkeit und der edlen Seelen zum Besten gab.
Milt hörte nicht zu. Er überlegte nun, da sie losgefahren waren, wohin sie eigentlich fuhren. Sicherlich nicht nach Seattle! Warum nicht unterwegs anhalten, und Pinkys Goldmine besichtigen? Vielleicht hatte er wirklich eine. Sogar Pinky mußte manchesmal die Wahrheit sprechen. Im Besitze einer guten, landläufigen Goldmine konnte Milt eine Unmenge Kleider kaufen, wie die von Jeff Saxton und …
»Und«, überlegte er, »ich könnte auch in einer Stunde so gute Manieren lernen wie die seinen sind mit noch einer Tanzstunde mit in den Kauf. Wenn nicht, würd ich den Professor klagen!«