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XII.
Die Wunder der Natur mit allen modernen Verbesserungen

»Halloh!« sagte Milt.

»Halloh!« sagte Claire.

»Wie gehts«, sagte Herr Boltwood.

»Das ist wirklich nett! Wo ist Ihr Wagen? Es ist doch hoffentlich nichts passiert?« Claire glühte.

»Nein. Er steht dort ein Stückchen abseits von der Straße. Ich übernachte heute hier. Der Grund, warum ich angehalten habe … Es ist mir eingefallen, daß Sie noch nie über richtige Berge gefahren sind und im Park gibt es ein paar ganz ordentliche Steigungen. Gute Straße, aber wir kommen dort beinahe auf neuntausend Fuß Höhe. Und morgens ist es sehr kalt. Hab mir gedacht, ich könnt Ihnen manchen kleinen Wink geben, irgend einen Fahrertrick – wenn Sie wollen.«

»Oh, natürlich. Bin Ihnen so dankbar –«

»Dann werd ich also morgen hinter Ihnen herlaufen und mein Sprücherl sagen.«

»Ich freu mich so, daß Sie auch durch den Park fahren.«

»Ja hab mir gedacht, 's wär ganz schön. Wie's im Führer heißt: ›Wunder der Natur‹. Das einzige Naturwunder, das ich in Schoenstrom je gesehen habe, war mein Freund Mac, der sich einzureden versuchte, daß er nach dem Genuß einer Ladung alkoholfreien Bierersatzes betrunken sei. Nun – Seh Sie morgen.«

Er hatte nicht ein einziges Mal gelächelt. Sein Ton war ganz unpersönlich gewesen. Er sprang über den Zaun und stapfte von dannen.

Als sie am nächsten Morgen aus der Stadt fuhren, fanden sie Milt an der Straße auf sie warten und er fuhr ihnen bis gegen Mittag nach. Auf dringendes Ersuchen teilte er das Frühstück mit ihnen und dozierte über das Befahren langer Straßengefälle mit der ersten oder zweiten Geschwindigkeit, um die Bremsen zu schonen; über den Gebrauch der Nachzündung und das Schleifenlassen der Kuppelung beim Hinauffahren. Sein Karren stand neben dem Gomez beim Anreihen vor dem Parkgitter, wo die United States Army die Feuerwaffen versiegelte und Erkundigungen einzog, auf welchem Berg man sich durch Bremsdefekte zu erschlagen gedächte. Während der ganzen Steigung nach Mammoth Hot Spring hinauf war er knapp hinter ihr.

Als sie anhielt, um in den kochenden Kühler Wasser nachzufüllen, kam der Karren angekeucht, und Milt rief vergnügt, mit dem ersten Grinsen, daß sie seit Dakota an ihm sah: »Der Teal ist ein großartiger Wagen für Bergstraßen. Abgesehen davon, daß er leicht heiß wird, abgesehen von seiner niederträchtigen Beleuchtung, dünnen Polsterung, mangelhaften Zündung, den Bremsbändern aus Seidenpapier und diesem eigens für eine Brumm-Biene gebauten Spezialflugmotor, ist er, wie die Kataloge zu sagen pflegen, ein kräftiges Luder!«

Claire und ihr Vater hielten auf der Fahrt durch den Park bei einem der vielen Hotels an. Milt war immer in ihrer Nähe, nur nicht in den Hotels. Er wählte eines der vielen ständigen Lager dort.

Die Boltwoods luden ihn ins Hotel zum Speisen ein, aber er lehnte ab und –

Milt war in Claires Gegenwart, aus Angst, für zudringlich gehalten zu werden, sehr gemessen. Er konnte weder ihre Begeisterung für Cañons und farbenprächtige Teiche teilen, noch ihre Wut über die Reisenden, die, wie sie behauptete, seltsame Ausstellungsstückchen einfacher Schönheit vorzogen; die niemals eine Aussicht bewunderten, wenn sie nicht durch eine Tafel plakatiert war oder von einem Fremdenführer durch den Lautsprecher als etwas zu Bewunderndes gepriesen wurde – von dem man den Leuten zu Hause erzählen könnte. Wenn sie versuchte, dieser Wut gegen die Gesellschaft Ausdruck zu geben, antwortete er nur verlegen: »Ja, ich glaube, es ist was Wahres dran«.

Sie war, überlegte er, so schrecklich eigenartig. Wie konnte er jemals ausrechnen, was er tun sollte? Nein, danke vielmals; sehr verbunden aber er meine, daß er ihre Einladung zum Speisen lieber nicht annehmen würde. Es täte ihm furchtbar leid, daß er nicht kommen könne – er habe einem Freund versprochen, daß sie im Lager unten miteinander ihr Essen kochen würden. Wenn Milt darin auch an der Wahrheit festhielt, so war er sonst doch etwas wankelmütig in Bezug auf seine neuentdeckten Freunde; denn während Claire ihr Abendessen beendete, stand ein junger Mann mit feierlichem Ernst vor dem Fenster und beobachtete sie.

Sie saß an einem Tisch für sechs Personen. Sie hörte einem etwa dreißigjährigen jungen Mann mit Breeches, einer Reitkravatte und einer spitzen Nase zu, der sich, jedesmal, wenn er zu ihr sprach, verbeugte, was sehr häufig und seltsam anzusehen war. Zu Hause in Schoenstrom, mit Mac und den Übrigen hinter sich im Gastzimmer des Alten Heimes, hätte Milt den Mann einen Laffen genannt und – vielleicht etwas weniger laut als die anderen – gekräht: »Was ist's mit Percy's Bierflaschenhose? Warum hat er denn den Hals bandagiert? Sicherlich hat er ein Furunkel«.

Aber jetzt schmachtete Milt: »Er schaut elegant aus. Wollt, ich könnt mit den Dingen fertig werden. Würd ich nicht wie ein Narr aussehen mit Knöpfen an den Knien! Und dort sind noch zwei Andere im Abendanzug. Das war nicht so arg. Herrjeh, es muß schrecklich sein, wenn man soviel sonderbare Anzüge hat und nicht weiß, welchen man anziehen soll.

Dieser Kerl spricht ganz geläufig mit Claire. Der braucht keine Kolbenringe, der Bursche. Möcht wirklich wissen, worüber sie reden? Über Musik wahrscheinlich und Bücher und Bilder und die Gegend. Er sagt, daß weder Wort noch Feder die Herrlichkeit des Parks beschreiben können und dann versucht er, sie zu beschreiben. Und vielleicht haben sie gemeinsame Bekannte in New-York. Herrgott, wie unwohl ich mich dabei fühlen würde. Ich wollt – –«

Milt machte sich aus einem Zündholz einen Zahnstocher, entschied dann, daß Zahnstocher in einer solch tragischen Situation unangebracht seien und fing dann neuerlich sehnsüchtig zu schwärmen an: »Hab sie bis jetzt noch nie unter ihresgleichen gesehen. Ich wollt, ich könnt über Musik schwatzen und all den übrigen Unsinn. Ich werds lernen. Ich wills! Ich kanns! In drei Monaten hab ich was von Autos verstanden. Ich – Milt, du bist ein Held. Ich möcht wissen, ob sie vielleicht französisch sprechen oder Dago oder sonst was? Ich könnte in gezierten Worten des Rokokostils mittun, solange es nur amerikanisch wäre.

Ich könnt wahrscheinlich affektiertes Zeug reden wie: ›Wirklich ein entzückendes Buch, so voll von entzückenden Menschen‹, wenn ich mich lang genug mit dem Rhetorikbuch befassen würde. Aber wenn sie einmal mit ihrem parlez vous, oui, oui, anfingen, bin ich ein verlorener Gänserich. Aber, zum Teufel, hab ich nicht auch Dütsch – Deutsch gelernt wie ein Papagei? Halt, mein Sohn! Nein, das hast du nicht getan! Du kannst ein wenig Plattdütsch reden, solang du die Haupt- und Zeitworte auf amerikanisch sagst. Du bist ein anständiger Mensch, Milt, aber zu reden verstehst du nicht.

Nein, schau sich einer diesen Percy an! Badet in einer Fingerschale. Ich könnte nie in einer solchen Fingerschale herumschwimmen. Legt die Ohren zurück und geht dieses Backhuhn an und dann taucht er in einen kleinen Napf unter, der weder kein – ein – Waschbecken noch wirklich gute Limonade ist. Er ist eine vollendete Dame, dieser Percy. Tupft sich den Mund mit der Serviette ab wie ein Uhrmacher, der den Vergaser in eine Armbanduhr hämmert.

Schau, wie er scharrt und sich bückt – sie was fragt – Teufel, jetzt geht er mit ihr in die Hall. Geht daher wie eine Katz auf einem nassen Aschenhaufen. Aber – oh Donnerwetter, ist eigentlich nichts auszusetzen an ihm – vollkommen adrett. Ich könnte mich nie unter diese Leute mischen. Ich kam mir vor, als hätte ich Schwimmhäute an den Füßen und Butter an den Händen. Und er scheint die ganze Bande da zu kennen – verbeugt sich vor jeder alten Jungfrau im Saal. Nun, wenn ich neben ihr ginge, so würd ich keinen Menschen sehen, nur sie; die übrigen Leute könnten von mir aus alle die Köpfe zusammenstecken, soviel sie wollten, ich würde doch nichts anderes sehen weit und breit, als dieses komische, kleine Fleckchen am Ende ihres Nackens. Nichts da, Freund Milt, du bist zu deiner Katze sehr lieb und gut, aber du bist nun einmal nicht dazu geboren, ein Salonmensch zu sein.«

Diesen selben, in tiefe Grübeleien versunkenen jungen Mann konnte man ein wenig später am Eingang des Hotels vorbeigehen sehen, die Hände tief in den Taschen, die Augen vermutlich auf die Sterne gerichtet – jedesfalls ließ er es sich nicht merken, daß er Claire und den Mann in Reitbreeches beobachtete, die an dem Geländer lehnend, nach den im Sternenlicht glitzernden Bergspitzen sahen, während die Breeches in einer zerstäubten Kölnerwasser-Stimmung zitierten:

Ah, 's ist gen Himmel, daß mein armes Herze flieht
Wenn es die stolzen Bergesgipfel sieht.

Milt konnte ihn noch kommentieren hören: »Gibt das nicht so recht das Gefühl der großen Weite wieder, Fräulein Boltwood?«

Ihre Antwort hörte Milt nicht mehr. Er selbst brummte: »Ich kann mich nie recht erhoben fühlen von dieser Poesie voller Ah's und 's 'ists.«

Claire mußte Milt erblickt haben, kurz nachdem er vorbeigeschlichen war. Sie rief: »Oh, Herr Daggett! Einen Augenblick, bitte!« Sie verließ die Breeches und lief zu Milt hinüber. Er erschrak. Sollte er nun zu hören bekommen, was er verdiente, wegen seines Horchens? Sie flüsterte beinahe: »Retten Sie mich vor meinem Freund dort vor dem Eingang,« bettelte sie:

Er konnte es kaum glauben. Aber er ergriff die Gelegenheit. »Wollen Sie nicht ein wenig spazieren gehen?« fragte er sehr laut.

»Sehr lieb von Ihnen – vielleicht ein ganz kleines Stückchen!« schrie sie zurück.

Dann schwiegen sie, bis er den Mut fand zu sagen: »Freu mich, daß Sie Bekannte im Hotel getroffen haben.«

»Aber ich nicht.«

»Oh, ich hab geglaubt, daß Ihr Freund in der Reithose ein netter Mensch sei.«

»Das hab ich auch geglaubt!« fuhr sie ihn beinahe an.

»Na, jedenfalls ist er ein hübscher Bursche. Ich hab seine Reithose bewundert. Ich könnte so etwas nie tragen.«

»Das will ich hoffen – zum Abendessen! Der verlogene Esel, ich glaub, er ist in seinem ganzen Leben noch auf keinem Pferd gesessen! Er glaubt, Reit-Breeches sind der –«

»Oh, das ist es. Breeches nicht Hosen.«

»– dernier cri der Elegance. In der Kleidung ist ›zu viel‹ noch zehn Mal schlimmer als ›zu wenig‹.«

»Oh ich weiß nichts. Nehmen Sie einmal diesen schäbigen alten blauen Anzug da von mir –«

»Der ist ganz gut, einfach und ganz gut geschnitten. Sie haben wahrscheinlich einen geschickten Schneider.«

»Den hab ich. Er ist in Chicago oder New-York, glaub ich.«

»Wirklich? Wie kommt denn der nach Schoenstrom?«

»War nie dort. Dieser Schneider ist ein fleißiger Mensch. Der hat im vergangenen Jahr vielleicht elfzigtausend Leute ausstaffiert.«

»Ich versteh. Fertig gekauft. Trösten Sie sich. Von dort hat Henry B. Boltwood seine meisten Anzüge her. Herr Daggett, wenn ich Sie jemals in der Gemütsverfassung ›Was-bin-ich-für-ein-schöner-Mann‹ antreffe, wie unser Freund dort vorm Eingang, so geb ich meine Reise auf und werde um Ihre Seele kämpfen.«

»Der scheint ja genug Seele gehabt zu haben. Scheint auch ziemlich schmerzlos Konversation machen zu können. Hab mir irgendwie eingebildet, daß Sie mit ihm über Skulpturen gesprochen haben. Vielleicht von Rodin.«

»Was wissen Sie von Rodin?«

»Zeitschriftenartikel. Dieselbe Quelle, aus der wahrscheinlich auch Sie Ihr Wissen haben.« Aber es klang nicht verletzend. Milt sagte es lachend.

»Sie haben ganz recht. Wahrscheinlich haben wir sogar dieselben Artikel gelesen. Nun unser Freund dort hinten sagte mir beim Speisen: ›Es muß schrecklich für Sie sein, unterwegs mit so vielen gewöhnlichen Leuten zu tun zu haben‹. Ich sagte: ›Ja‹, in einem so beleidigenden Ton wie ich nur konnte, doch er rollte nur die Augen und hatte keine Ahnung, daß ich ihn meinte. Dann strich er sein Haar glatt und seufzte schwermütig: ›Ist's nicht wundervoll, all diese seltsamen Offenbarungen des geheimnisvollen Wirkens der Natur zu sehen!‹ und ich sagte: ›So‹? und er fuhr fort: ›Man hat das Gefühl, als brauchte man nur einer gleichgestimmten jungen Dame hier zu begegnen, damit der Freudenbecher an der entfesselten Natur – – –‹ Auf Ehre Milt – Herr Daggett, wollt ich sagen, so hat er geredet. Hat wohl Bücher von optimistischen Schriftstellerinnen gelesen. Und man sah mich an, ja wirklich, als wäre man gerne bereit, meine Hand zu halten, wenn ich es nur gestatten wollte. Er forderte mich auf, herauszukommen, vor das Hotel und die Berge zu bewundern. Dann bestand er darauf, mich einer Dame, die gleichfalls aus Brooklyn wäre, vorzustellen und die mir kondolierte, weil ich beim Chauffieren mit Leuten aus dem Westen sprechen mußte. Oh, du mein Gott, daß man solche Leute leben … daß man der hochnäsigen, kleinen Claire einst gestattete, so zu leben! … Und dann hab ich Sie erblickt!«

Während ihrer ganzen Tirade waren die Beiden nahe beieinander gestanden; ihr Gesicht glühte vor Eifer im schwachen Schein, der vom Hotel her auf sie fiel und Milt war größer geworden. Doch er erwiderte: »Ich fürchte, ich hätte mich auch nicht gescheiter benommen. Ich habe in der Entwicklung noch nicht einmal das Stadium der Reitbreeches erreicht. Vielleicht werd ich es nie erreichen.«

»Nein, das werden Sie auch nie. Sie werden es einfach überspringen. Mit der Zeit, wenn Sie so reich sein werden, daß Vater und ich nicht mehr in Ihrer Gesellschaft werden verkehren dürfen, dann werden Sie Reitbreeches tragen – um zu reiten, nicht als Zugabe zu den Schönheiten der Natur.«

»Oh, reich bin ich schon. Man merkt's. Die Kellnerin unten im Lager hat mich gefragt, wessen Wagen ich fahre.«

»Ich weiß schon, was ich sagen wollte. Da Sie nicht unser Gast sein wollen, möchten Sie vielleicht unser Gastgeber sein? – Ich meine, wollen Sie uns einführen und willkommen heißen? Ich glaube, es wäre für Vater und mich sehr lustig, einmal in Ihrem Lager zu übernachten; vielleicht morgen, beim Canon statt im Hotel. Wollen Sie mich in den Canon führen, wenn ich Sie darum bitte?«

»Oh – schrecklich – gerne!«


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