Gotthold Ephraim Lessing
Fragmente und Fabeln
Gotthold Ephraim Lessing

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4. Aus einem Gedichte an den Herrn M**

Der lobt die Neuern nur, und der lobt nur die Alten.
Freund, der sie Beide kennt, sprich, mit wem soll ich's halten?
Die Weisheit, war sie nur verfloss'ner Zeiten Ehr'?
Ist nicht des Menschen Geist der alten Größe mehr?
Wie? oder ward die Welt zu unsrer Zeit nur weise?
Und stieg die Kunst so spät bis zu dem höchsten Preise?
Nein, nein; denn die Natur wirkt sich stets selber gleich,
Im Wohlthun stets gerecht, an Gaben allzeit reich.
An Geistern fehlt es nie, die aus gemeinen Schranken
Des Wissens sich gewagt, voll schöpfrischer Gedanken;
Nur weil ihr reger Sinn nicht allzeit Eins geliebt,
Ward von der Kunst bald der, bald jener Theil geübt.
Das Alter wird uns stets mit dem Homer beschämen,
Und unsrer Zeiten Ruhm muß Newton auf sich nehmen;
Zwei Geister, gleich an Größ' und ungleich nur im Werk,
Die Wunder ihrer Zeit, des Neides Augenmerk.
Wer zweifelt, daß Homer ein Newton worden wäre,
Und Newton, wie Homer, der ew'gen Dichtkunst Ehre,
Wenn dieser das geliebt, und dieses der gewählt,
Worinne Beiden doch nichts mehr zum Engel fehlt?

Vor diesem galt der Witz, und durch den Witz der Dichter,
Selbst Griechen machten ihn zum Feldherrn und zum Richter.
Jetzt sucht man mehr als Witz; die Zeit wird gründlicher
Und macht den Weg zum Ruhm dem Weisen doppelt schwer.
Nutz geht Vergnügung vor. Was nur den Geist ergetzet,
Den Beutel ledig läßt, verdient das, daß man's schätzet?
Ihr weisen Enkel, seht der Aeltern Fehl wohl ein:
Sonst ward der Dichter groß, nun wird's ein Schreiber sein.
Schon recht, der nutzt dem Staat. Und müßige Poeten
Hat Plato's Republik, Europa nicht vonnöthen.

Was ist denn ihre Kunst, und worauf trotzen sie?
Der Dummkopf, der sie schmäht, begriff ihr Vorrecht nie.
Ihr Muster ist Natur, sie in belebten Bildern
Mit eignen Farben uns, verschönert oft, zu schildern.
Doch, Dichter, sage selbst, was schilderst Du von ihr?
Der Dinge Flächen nur und Schein gefallen Dir.
Wie sie das Auge sieht, dem Geiste vorzumalen,
Bleibst Du den Sinnen treu und machst aus Geistern Schalen.
Ins Innre der Natur dringt nie Dein kurzer Blick;
Dein Wissen ist zu leicht und nur des Pöbels Glück.

Allein mit kühnem Aug' ins Heiligthum zu blicken,
Wo die Natur im Werk, bemüht mit Meisterstücken,
Bei dunkler Heimlichkeit, der ew'gen Richtschnur treu,
Zu unserm Räthsel wird, und Kunst ihr kommt nicht bei;
Der Himmel Kenner sein, bekannt mit Mond und Sternen,
Ihr Gleis, Zeit, Größ' und Licht durch glücklich's Rathen lernen;
Nicht fremd sein auf der Welt, daß man die Wohnung kennt,
Der Herrn sich mancher Thor, ohn' sie zu kennen, nennt;
Bald in dem finstern Schacht, wo Graus und Reichthum thronet,
Und bei dem Nutz Gefahr in hohlen Felsen wohnet,
Der Steine theure Last, der Erze hart Geschlecht,
Der Gänge Wunderlauf, was schimmernd und was ächt,
Mit mühsamer Gefahr und fährlichen Beschwerden
Neugierig auszuspähn und so ihr Herr zu werden;
Bald in der lust'gen Plän', im schauernd dunkeln Wald,
Auf kahler Berge Haupt, in krummer Felsen Spalt,
Und wo die Neubegier die schweren Schritte leitet,
Und Frost und Wind und Weg die Lehrbegier bestreitet,
Der Pflanzen grünen Zucht gelehrig nachzugehn
Und mit dem Pöbel zwar, doch mehr als er zu sehn;
Bald mehr Vollkommenheit in Thieren zu entdecken,
Der Vögel Feind zu sein und Störer aller Hecken;
Zu wissen, was dem Bär die starken Knochen füllt,
Was in dem Elend zuckt, was aus dem Ochsen brüllt,
Was in dem Ocean für scheußlich Unthier schwimmet,
Und welche Schneckenbrut an seinem Ufer klimmet;
Was jedem Thier gemein, was ihm besonders ist,
Was jedes Reich verbind't, wo jedes March sich schließt;
Bald mit geübtem Blick den Menschen zu ergründen,
Des Blutes Kreislauf sehn, sein festes Triebwerk finden:
Dazu gehöret mehr, als wenn beim Glase Wein
Der Dichter ruhig singt, besorgt nur um den Schein.

O Zeit, beglückte Zeit! wo gründlich seltne Geister
Gott in der Creatur, im Kunststück seinen Meister
Dem Spötter aufgedeckt, der blind sich und die Welt
Für eine Glücksgeburt des blinden Zufalls hält.
Rühmt Eure Dichter nur, Ihr Väter alter Zeiten,
Die Meister schönes Wahns und kleiner Trefflichkeiten,
Durch die Gott und sein Dienst ein albern Märlein ward,
Vom Pöbel nur geglaubt, der Geister kleinsten Art.
Die Wahrheit kam zu uns im Glanz herabgeflogen
Und hat im Newton gern die Menschheit angezogen.
Uns ziert ein Aldrovand, ein Reaumur ziert uns mehr
Als alle Musen Euch im einzigen Homer.
Was Großes ist es nun, sich einen Held erdenken
Und ihn mit eigner Kraft in schweres Unglück senken,
Woraus ihn bald ein Gott, bald unbeglaubter Muth
Mit großen Thaten reißt, die der Poete thut?
Braucht nicht der Philosoph mehr Witz und stärkre Sinnen,
Der kleine Wunder sucht, bekannt mit Wurm und Spinnen?
Dem keine Raupe kriecht, der Namen er nicht nennt,
Und jeden Schmetterling vom ersten Ursprung kennt;
Dem Fliegen nicht zu klein, noch Käfer zu geringe,
Und in der Mücke sieht den Schöpfer aller Dinge;
Dem jeder Essigtropf wird eine neue Welt,
Die eben der Gott schuf, und eben der Gott hält.
Da sieht er Abenteu'r, die Jener nur erfindet,
Und ist des Staates kund, den Bien' und Ameis gründet.
Ja, wenn ein Molièr', der Tugend muntrer Freund,
Der Spötter eiteln Wahns, des Lächerlichen Feind,
Auf Fehler merksam wird und lernt aus hundert Fällen
Der Menschen trotzig Herz und trügrisches Verstellen;
Wenn seiner Spötterei kein alter Hut entgeht,
Und ihm das Laster nie zu hoch zur Strafe steht;
Braucht er so viel Verstand, als wenn aus kleinen Reisen
Des Schwanzsterns Dörfel uns will seine Laufbahn weisen,
Wenn er aus einem Stück aufs Ganze richtig schließt
Und durch den einen Bug die ganze Krümmung mißt?
Braucht er so viele Kunst, die Winkel zu entdecken,
In die – das scheue Heer – die Laster sich verstecken,
Als Jener, der im Glas entfernte Monden sieht
Und ihre Größ' und Bahn in helle Tafeln zieht?
Und als ein Andrer, der aus wenigen Minuten
Die Fahrt des Lichts bestimmt und rechnet sie nach Ruthen?
Wer braucht mehr Geist und Müh', der, der in fauler Lust
Den Wein trinkt und erhebt, gelehnt an Phyllis' Brust?
Wie? oder der sein Feu'r, wie es die Sonn' erzeuget,
Und wie der Saft im Stock durch enge Röhren steiget,
Aus Gründen uns erklärt, und werth ist, daß der Wein
Ihn einzig nur erfreu' und stärk' ihn nur allein?

Der Dichtern nöth'ge Geist, der Möglichkeiten dichtet
Und sie durch seinen Schwung der Wahrheit gleich entrichtet,
Der schöpferische Geist, der sie beseelen muß,
Sprich, M**, Du weißt's, braucht den kein Physicus?
Er, der zuerst die Luft aus ihrer Stelle jagte
Und mehr bewies, als man je zu errathen wagte;
Er, der im Sonnenstrahl den Grund der Farben fand
Und ihre Aenderung in feste Regeln band;
Er, der vom Erdenball die platten Pole wußte,
Eh ein Maupertuis sie glücklich messen mußte;
Hat die kein Schöpfergeist bei ihrer Müh' beseelt,
Und ist es nur Homer, weil ihm ein Aeltrer fehlt?

*

Wird Aristoteles nicht ohne Grund gepriesen,
Dem nie sich die Natur als unterm Flor gewiesen?
Ein dunkler Wörterkram von Form und Qualität
Ist, was er Andre lehrt und selber nicht versteht.
Zu glücklich, wenn sie nicht mit spitzig seichten Grillen
Die Lücken der Natur durch leere Töne füllen!
Ein selbst erwählter Grund stützt keine Wahrheit fest,
Als die man, statt zu sehn, sich selber träumen läßt;
Und wie wir die Natur bei alten Weisen kennen,
Ist sie ihr eigen Werk, nicht Gottes Werk zu nennen.
Vergebens sucht man da des Schöpfers Majestät,
Wo Alles nach der Schnur verkehrter Grillen geht.
Wird gleich die Faulheit noch die leichten Lügen ehren,
Genug, wir sehen Gott in neuern klärern Lehren.
Stagirens Ehr' ist jetzt den Physikern ein Kind,
Wie's unsre Dichter noch bei alten Dichtern sind etc.

Anmerkung. Daß dieses Gedicht nicht ganz ist, und daß ich es an vielen Orten selbst nicht mehr verstehe, dieses habe ich dem verstorbnen Herrn Professor Menz in Leipzig zu danken. Der Freund, an den es gerichtet ist, ließ es in ein physikalisches Wochenblatt einrücken. Diese Ehre kam mir ein Wenig theuer zu stehen. Herr Menz war Censor, und zum Unglücke einer von denen, welche vermöge dieses Amts das Recht zu haben glauben, die Schriftsteller nach Belieben zu mißhandeln. Er hat unter andern den ganzen Schluß weggestrichen, worinne man über gewisse, wenn Gott will, physikalische Kindereien lachte, in welchen der und jener Naturlehrer alle seine Geschicklichkeit bestehen läßt.



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