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Inzwischen hatte sich mein jüngerer Bruder in die Kesselschmiedslehre geschickt, er wollte eigentlich Bildhauer werden. Er war sechzehn, ich siebzehn, ich sollte mein Gesellenstück machen.
»Awas, Unsinn, wir sind kein Handwerk mehr, wir sind Kleineisenindustrie!« donnerte der Vater auf meine Anfrage. »Aber wenn du dich als Gesell fühlst, da kann ich nix dran machen. Wie lange lernst du eigentlich schon? Vier Jahre muß ein Kesselschmied lernen, ehe...«
»Wir sind kein Handwerk mehr, ich lern keine vier Jahre!« sagte ich und verzog mich. Ein Holzschub von seinem Fuß nach meinem Kopf geschleudert, verpaßte sein Ziel. »Der Kleine bat ja mehr Ahnung wie du, altes Kabber, der macht dir was vor!« brüllte er hinter mir her.
Einmal kam Paul in die Werkstatt und sah sich nach dem Alten um. Er war nicht da. »Wir sollen einen Behälter von einem Kubikmeter machen« sagte er, »bisher haben wir den Boden mit einem Winkeleisen festgemacht, das sind zwei Reihen Nieten. Wenn wir nun den Boden an jeder Seite großer bestellen, dann können wir den Streifen im rechten Winkel abbiegen, stanzen die Löcher mit dem Duplex hinein und wir sparen eine Naht, das sind an hundert Nieten. Außerdem sparen wir Winkeleisen und Löchermachen. Übrigens sieht es besser aus. Noch ist kein Mensch auf den Gedanken gekommen. Sollen wir das machen?«
Wir bestellten die Platte größer. Zufällig war der Vater in der Werkstatt, als sie ankam, sah er es mit einem Blick und wurde wild über diesen Rechen- oder Bestellungsfehler. »Jetzt wird das schöne Blech, die schöne Zeit und die schönen Groschen, die es kostet, in den Dreck gehauen, Himmelkriminal! Diese Esel, diese Schafsköpfe, das sind meine Kinder, Gott, was hab ich mir da großgezogen!« Er rannte, sich an die Stirn schlagend, hinaus.
Wir machten uns an die Arbeit, es klappte natürlich herrlich; ehe wir Feierabend hatten, saß der Boden über Erwarten sauber in dem vorgekanteten Behälter. Wir schafften wie die Wilden, am dritten Tag ließen wir ihn voll Wasser laufen und sahen zu unserer unaussprechlichen Freude den Kasten in zwei Drittel der Zeit erstehn; wir hatten wirklich etwas verdient. Was gab das erst für Ersparnisse bei größeren Behältern? Während wir unser Werk bestaunten und bewunderten, kam der Alte. Er stutzte, bog sein Auge mit dem Brillenglas nah an den Bodenrand, befühlte die Naht, seine Hand fuhr wie liebkosend an der Rundung der Kante vorbei und sein Gesicht zeigte ein so freudiges Grinsen, als wenn er einen Tausendmark-Prozeß gewonnen hätte. »Haben die Scheißkerle das nicht fein gemacht?« sagte ich etwas höhnisch. Da sah er uns mitleidig an, so recht von oben nach unten, spuckte seinen Priem auf die Erde und lachte: »Hä, hab ich das nicht ewig und drei Tage gepredigt, daß wir die Böden umbiegen müssen! Hab' ich schon vor vierzig Jahren gemacht, kam bloß nicht dazu, es euch zu zeigen!« schwupp war er weg.
Die beiden Gesellen lachten aus vollem Hals. Wir waren ja allerhand gewöhnt, aber darauf waren wir nicht gefaßt.
Als wir zur Mutter kamen, erzählte sie uns freudig von der schönen Erfindung, die Vater gemacht habe. Sie hätte die Blechbestellung ja auch durchgelesen, es wären ihr auch die sonderbaren hundert Millimeter aufgefallen, aber da wir es gemacht hätten, wollte sie nichts sagen.
Als der Alte hereinkam, paffte er dicke Rauchwolken vor sich hin, damit man sein verlegenes Gesicht nicht sehen sollte, dann sagte er in einem so zärtlichen Ton, den wir in den langen Jahren seiner Ehe nicht gehört hatten: »Na, Marie, da hab ich den Jungens noch mal was vorgemacht!«
Da lachten wir nun aus vollem Hals und mußten bei allem Elend lustig sein.
Von nun an kam er seltener in die Werkstatt, wenn er aber kam, so kommandierte er und schimpfte, lud allen Zorn auf meine Mütze ab, bis ich einfach hinausging und mich ins Gras setzte.
»Na, Männchen, wird es dir bald gefällig sein, sonst komm ich mit einem Hammerstiel.«
Er stellte sich vor mich hin.
»Entweder bist du der Meister oder ich, entweder machst du den Kram oder ich. Kommst du, geh ich, gehst du, komm ich in die Werkstatt. So, das gibt es jetzt!« sagte ich ganz freundschaftlich und blieb sitzen.
Er ging, ich fing wieder an. Er kam, ich ging.
Einmal kam bei diesem Vexierspiel der alte Schullehrer.
Er sah mich sitzen und ging zum Vater.
Der wies mit dem Pfeifenkopf auf mich und sagte: »Die Kinder wollen nicht mehr gehorsam sein, es ist ein ungläubiger Geist in die Jugend gefahren, Herr Lehrer, Herr Lehrer!«
Als der Lehrer ihn fragte, was denn geschehn sei, hob er pathetisch die Hände in die Höhe, reckte die Arme weit: »Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf!« Er stürzte aus der Werkstatt und überließ uns den Lehrer.
So harmlos die Geschichte mit Vater in der Werkstatt blieb, so tragisch wurde es zu Hause. Von früh bis spät quälte er die Mutter, kamen wir hinzu, so tat er lustig und guter Laune. Wenn wir die weinende Mutter sahen und ihn zur Rechenschaft ziehen wollten, sagte er: »Ich hab kein Wort gesagt!«
Er kränkte mit Gesumm und hämischen Lauten die Menschen, die ihn kannten, schlimmer als mit den schlimmsten Worten. »Ich kriege euch alle wie die Verrückten ans Rundlaufen, ohne daß ich ein Wort sage!« »Und was das Wort nicht sagen kann, das zeigt man mit Gebärden an!« Das waren seine Lieblingsausdrücke – und, weil die Mutter kein unanständiges Wort ertragen konnte, darum sagte er die unflätigsten Ausdrücke, die zum Übelsten gehörten, was ich je von den verkommensten Subjekten vernommen hatte.
Im so zärtlicher liebten wir unsere Mutter, die aber unsere Liebe freundlich abwies: »Den da, den liebt, er ist euer Vater, er kann nichts dafür, er ist krank.« Als wir einmal zu dritt über ihn herfielen, um ihn aus dem Zimmer zu schleifen, kniete die Mutter vor uns und bettelte uns an, wir sollten doch nur so lieb und freundlich zu ihm sein, wie sie es uns vormachte.
Seitdem hatte der Vater beim Essen immer ein Bügeleisen, ein Stück Gasrohr oder das Brotmesser neben sich liegen.
»Eine reine Freude mag Gott der Gerechte mir antun: daß ich euch alle einmal mit den Füßen über die Bälge tanzen darf, daß euch die Gedärme zum Hals hinausspringen!« Das sagte er öfters mit großer Innigkeit.
Das Leben in der Familie war die Hölle.